Società | Zeitgeschichte

Die Zustimmung der Erben

Karl Prossliners Film „Heimat - Die andere Erzählung“ kann endlich vollständig gezeigt werden. Der neue RAI-Koordinator Zeno von Braitenberg hat grünes Licht gegeben.
Poldi Leopold Steurer
Foto: Salto.bz
Am Ende konnte die Geschichte in zwei Tagen gelöst werden. Zeno von Braitenberg wiegelt ab. „Zuständig dafür ist RAI-Direktor Vittorio Longati“, sagt der neue Koordinator von RAI Südtirol, „ich habe nur mein Einverständnis signalisiert und ein paar Anrufe getätigt“.
Von Braitenberg hat es geschafft eine absurde Polemik zu beenden und eine Situation zu entkrampfen, die für einen öffentlich-rechtlichen Sender wohl kaum mehr an Peinlichkeit zu überbieten ist.
Salto.bz hat bereits mehrmals darüber berichtet.
 

Die Zensur

 
Der Naturnser Filmemacher Karl Prossliner hat zum 75. Geburtstag von Leopold Steurer im vergangenen Jahr ein filmisches Porträt über den Sterzinger Historiker gedreht. „Heimat - Die andere Erzählung“, ist ein Film geworden, der weit über die Person Steuers hinausgeht.
Im Zentrum des Films steht jene Geschichtsschreibung, die in den 1970er und 1980er Jahren offen in Konflikt trat zu dem traditionellen Geschichtsbild, denn sie kratzte am Opfermythos und somit am Südtiroler Selbstbild. Lange Zeit galt der junge Historiker Leopold Steurer für die Kriegsgeneration um Landeshauptmann Silvius Magnago als Nestbeschmutzer. Er war in Südtirol einer der ersten Wissenschaftler, der die dunklen Seiten der Südtiroler Vergangenheit, unter anderem die Südtiroler Mittäterschaft an den NS-Verbrechen, aufgezeigt und benannt hat. Gleichzeitig aber gab er auch jenen eine Stimme, die im Südtiroler kollektiven Gedächtnis keinen Platz fanden: den Deserteuren, den sogenannten Kriegsverrätern.
 
 
Dass diese Thema immer noch für Reibungspunkte sorgt, wird klar, als Karl Prossliner den Film an RAI Südtirol verkaufen will. Nachdem Koordinator Markus Perwanger den Film anschaut, verlangt er von Karl Prossliner eine ganze Reihe von inhaltlichen und formalen Änderungen. Weil für den Claus-Gatterer-Preisträger diese Überarbeitung nicht in Frage kommt, lehnte RAI-Südtirol den Ankauf und die Ausstrahlung des Films ab.
Doch dem nicht genug.
 

Meraner Unterbrechung

 
Die Uraufführung des Prossliner Films geht am 20. November 2021 im Bozner Filmclub über die Bühne Freundinnen und Freunde organisieren zum Geburtstag für Leopold Steuer eine Überraschungsfeier, auf der auch Landeshauptmann Arno Kompatscher, ein ehemaliger Schüler Steurers, eine Laudatio hält.
Doch es bliebt bisher das einzige Mal, wo der Film in seiner ganzen Länge gezeigt wird. Als der Film am 28. März 2022 im Meraner Kulturzentrum Mairania vorgeführt wird, wohnen die Zuseherinnen und Zuseher einer absurden Szene bei. Der Film wird plötzlich gestoppt und drei Schauspieler lesen eine Szene aus dem Film live ein. Erst danach geht der Film weiter.
Diese Lesung war nötig geworden, weil RAI Südtirol, die Rechte für eine Szene verweigerte, die im Prossliner-Film vorkommt.
 
 
 
In „Heimat - Die andere Erzählung“ kommt auch ein vielsagender Ausschnitt aus der Fernsehsendung „Am runden Tisch“ des RAI Sender Bozen von 1982 vor, in der Josef Rampold, Reinhold Messner und Friedl Volgger zu sehen und hören sind. Weil die Rechte für diese Filmausschnitt aber bei der RAI liegen, fragte Filmemacher Karl Prossliner am Mazziniplatz nach und erhielt eine Absage.
Deshalb musste er den Film in Meran ohne diesen Ausschnitt zeigen. Unmittelbar danach protestieren 65 prominente Südtiroler Kulturschaffende in einem offenen Brief dagegen, dass RAI Südtirol den Film von Karl Prossliner über Leopold Steurer zensuriert.
 

Diskussion im Filmclub

 
Am Mittwoch, den 27. April laden die Arbeitsgruppe „Geschichte und Region/Storia e regione“ und der Filmclub Bozen jetzt zur Vorstellung des Prossliner-Films ein. Im Anschluss diskutiert Patrick Rina mit den Historikern Joachim Gatterer und Giorgio Mezzalira.
Damit sich diese Woche im Filmclub die peinliche Szene - der Filmunterbrechung und der eingeschobenen Schauspieler-Lesung - nicht wiederholt, hat sich Zeno von Braitenberg unmittelbar nach seinem Amtsantritt der Sache angenommen. „Ich habe den Film bisher nicht gesehen, aber ich bin davon überzeugt, dass er gezeigt werden soll“, sagt der neue Koordinator von RAI Südtirol bereits Anfang vergangener Woche zu Salto.bz.
Zuständig für die Abtretung von Rechten ist der Bozner RAI-Direktor Vittorio Longati. Doch aus dem Vertragsbüro kam bisher ein mehr als skurriler formaler Einwand.
Für eine Vorführung inklusive Nutzung dieser Szene des Runden Tisches aus dem Jahre 1982 brauche es das Einverständnis von Reinhold Messner und der Erben von Friedl Volgger und Josef Rampold.
 
 
Es ist in Wirklichkeit eine völlig absurde Rechtsauslegung. Beim „Runden Tisch“ handelt um eine journalistische, aktuelle Sendung, in der Personen des öffentlichen Lebens diskutieren, die vorher die Einladung des Senders angenommen und dementsprechend auch ihr Einwilligung für die Aufnahme und Ausstrahlung erteilt haben. Weder sie selbst noch ihre Erben können Einschränkungen oder Ansprüche auf die damals ausgestrahlten Aufnahmen erheben. Doch das sieht man am Mazzini Platz anscheinend anders.
Zeno von Braitenberg ist die Sache aber pragmatisch angegangen. Zusammen mit Karl Prossliner hat er in den vergangenen Tagen das Einverständnis von Reinhold Messner, sowie der Volgger- und Rampold-Erben eingeholt. Nach Informationen von Salto.bz haben alle umgehend ihr Einverständnis erteilt.
So wird der Film an diesem Mittwoch im Filmclub erstmal in seiner ganzen Länge öffentlich zu sehen sein. Auch Zeno von Braitenberg wird anwesend sein.