Gesellschaft | Chancengleichheit

"Wir haben gespürt, dass Bild nicht stimmt"

Zeit für einen Frauenaufstand? Landeshauptmann Kompatscher erweist sich auf der Jubiläumsfeier des Beirates für Chancengleichheit als Feminist - mit Umsetzungsproblemen.

Das Timing war wahrlich großartig. Ausgerechnet am Tag der großen 25-Jahres-Feier des Landesbeirates für Chancengleichheit auf Schloss Maretsch präsentierten am Morgen sieben Herren die neue Dienstleistungsgesellschaft “IDM – Südtirol Alto Adige”, also den Sonderbetrieb aus BLS, EOS, SMG und TIS. Sieben Entscheidungsträger und eine Moderatorin – ein Bild, das an die ersten Schritte des politischen Frauengremiums im Jahr 1990 erinnert, als es im ganzen Land keine einzige Bürgermeisterin und in der Landesregierung keine Landesrätin gab. Entsprechend kam frau am Abend gar nicht zu sehr in Versuchung, sich in breiten Schwelgereien über die Erfolge der eigenen Arbeit zu ergehen. Wutschnaubend SVP-Vorsitzende Renate Gebhard, klar und deutlich auch die Kritik der aktuellen Präsidenten des Landesbeirates. „Wo sind die Frauen“, fragte Ulrike Oberhammer. „Ich will Chancengleichheit nicht nur auf dem Papier.“

"Das Kind wird in einem Ablagefach im Badezimmer des Assessorats für Gesundheitswesen untergebracht. So wie Harry Potter": Wortakrobatin Lene Morgenstern slammte sich auf Schloss Maretsch durch die 25-jährige Geschichte des Landesbeirates. 

Immerhin war es nicht der einzige Rückschlag, den die Beiratsfrauen in dieser Woche einstecken mussten. Erst zwei Tage zuvor hatte der Regionalrat die Quote im Gemeindewahlgesetz rückwirkend angepasst – gegen die Empfehlung des Landesbeirats, der sich in den Rekurs der Gemeinden Glurns und Kurtinig in der Sache eingelassen hatte. Der wiederum wurde nun noch vor  der Entscheidung des Gerichts politisch gelöst. „Auch im Organigramm der neuen Gesellschaft aus SEL und Etschwerken findet sich keine Frau“, kritisierte Oberhammer.

"Das Problembewusstsein ist da"

Muss das nächste Vierteljahrhundert des Landesbeirats also mit einem weiteren Frauenaufstand beginnen? Landeshauptmann Arno Kompatscher legte sich am Freitag Abend mächtig ins Zeug, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Sein Zuspätkommen entschuldigte der Landeshauptmann mit familiären Verpflichtungen, die er zumindest ein paar Mal im Monat übernehmen müsse. „Im Gegensatz zu Euch Frauen schaffen wir Männer es dann aber nicht, beides gut unter einen Hut zu bringen.“ Zerknirscht gab sich Kompatscher in Sachen IDM-Präsentation. „Wir haben selber auch gespürt, dass an dem Bild etwas nicht stimmt“, räumte er ein. Doch was tun, wenn die beiden Eigentümervertreter genauso Männer sind wie das bisherige Führungspersonal?, fragte er die Frauen. „Das Problembewusstsein ist vorhanden, nur mit der Umsetzung in die Realität haben wir noch Probleme“, erklärte Arno Kompatscher. Und zwar nicht, weil dahinter eine Verschwörung gegen Frauen stecke, sondern vor allem, weil in Südtirol immer noch ein sehr klassisches Rollenverständnis und traditionelle Frauenbild in den Köpfen verhaftet sei – mit allen Konsequenzen in den verschiedensten Bereichen, sagte der Landeshauptmann. 

Wo sind die Frauen? Pressekonferenz am Morgen der 25-Jahres-Feier des Landesbeirats. 

Auch wenn Gleichstellungslandesrätin Martha Stocker sich am Freitag noch einmal kräftigen Applaus für die Tatsache holte, dass der Frauenanteil in den Aufsichtsräten und Verwaltungsräten der Landesgesellschaften dank Quote innerhalb weniger Jahre von 1 bzw. 2 Prozent auf ein Drittel gestiegen ist, sei die Besetzung immer noch oft eine Herausforderung, sagte Kompatscher. „Da gesetzlich niemand in mehr als drei Verwaltungs- oder Aufsichtsräten sitzen darf, stoßen wir bei den Frauen schnell an Grenzen, während wir bei den Männern die Qual der Wahl haben.“ Die Lösung des Problems liegt laut dem Landeshauptmann aber weniger in Quoten, als in der Haltung in den Köpfen und vor allem in einem zunehmenden Ausgleich bei der Familienarbeit. „Denn es ist ohnehin eine Ungerechtigkeit gegenüber Männern, wenn sie diese nicht erleben dürfen“, meinte er.

Motivator Durnwalder

Töne, die man vom Alt-Landeshauptmann nie gehört hat. Luis Durnwalder, am Freitag einer der vielen Gäste auf Schloss Maretsch, habe die Frauen immer sehr stark herausgefordert, erzählte Landesrätin Martha Stocker. „Doch der Wind, der einem entgegen bläst, motiviert auch unglaublich“, meinte sie augenzwinkernd in Richtung Durnwalder. Nun ist zu sehen, was ein Landeshauptmann mit den Beiratsfrauen macht, der in seinen Ansprachen fast radikaler als seine Gleichstellungslandesrätin ist - und dann dennoch in Boygroups auftritt. „Zuerst die Sommerpressekonferenz und jetzt das“, gab sich Frauenvorsitzende Gebhard auch nach der Charmeoffensive ihres Parteifreunds wenig versöhnt. Eines teilten an dem Abend jedenfalls alle: Zu tun bleibt weiterhin genug für die Chancengleichheit in Südtirol.

Alles eine Frage der Haltung? Gruppenbild ohne Dame - bei der SVP-Sommerpressekonferenz.

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Dr. Streiter Sa., 24.10.2015 - 09:01

Es war wieder mal kein Brillenträger im Führungsstab. Obwohl der Anteil schon bei 43% liegt und ständig steigt. Zum Glück ist der neue LH einer von uns. F#ck you Durnwalder, wir wurden lang genug diskriminiert.

Sa., 24.10.2015 - 09:01 Permalink
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Sepp Bacher Sa., 24.10.2015 - 11:11

Gruppenbilder ohne Herr - gibt es auch. Ich habe dreißig Jahre im Öffentlichen Dienst gearbeitet und konnte keine reelle Chancen-Unterschiede feststellen. Gleicher Lohn bei gleicher Einstufung; und Einstufung nach Studientitel. Ich habe z. B. eine Chefin bekommen, die noch nicht einmal richtig in ihr Berufsbild eingearbeitet war und gerade von der Mutterschaft kam. In meiner Arbeit als Berufsberater habe ich von den erwachsenen Ratsuchenden einerseits und von den Kontakten zur Wirtschaft mitgekriegt, dass Frauen auch in der Wirtschaft gleiche oder mindestens analoge Chancen haben, wenn sie gleichviel investieren: sich ganz der Arbeit und der Kariere widmen, sich weiterbilden und spezialisieren und oft unbegrenzte Arbeitsstunden leisten. Frauen setzen meistens aber andere Prioritäten und darin habe ich sie meistens auch unterstützt. Auf sie trifft vielleicht seltener der Sager vom Dalai Lama bezüglich Männer zu "Was mich überraschte bei Männern des Westens: sie verlieren ihre Gesundheit, um Geld zu machen/verdienen und dann ihr Geld, um ihre Gesundheit wiederherzustellen. Sie denken so sehr an die Zukunft, dass sie vergessen die Gegenwart zu leben und zwar in einer Weise, dass sie weder die Gegenwart noch die Zukunft leben. Sie leben so, als ob sie nie sterben müssten, und sterben, als ob sie nie gelebt hätten!"
Zurück zu den Karriereposten: Eine Maria Niederstätter gibt es sicher nicht alle Tage; es gibt aber viele Kindergarten- und Schuldirektorinnen, Heimleiterinnen und andere Führungskräfte im psycho-sozialen Bereich. Ebenso nehmen die Amtsdirektorinnen bei Landesverwaltung stetig zu. Warum dauernd Proporz-Positionen verlangen, die man dann gar nicht besetzen kann. Das gab es schon einmal in den Staatsverwaltungen, wo die Südtiroler die ihnen zustehenden Stellen nicht besetzen konnten und man sie den hiesigen Italienern verweigerte. Das Ergebnis kennen wir: etnische Spannungen mit sogar Anschlägen; die Rechte eroberte die italienischen Wähler, usw. Mathematische Gleichheit ist meistens nicht der Weisheit letzter Schluss!

Sa., 24.10.2015 - 11:11 Permalink