Gesellschaft | Bodyshaming

"Was sie interessiert, ist unser Körper"

Hören wir endlich auf, kleine Mädchen für ihr Aussehen zu loben. Warum, erklärt Raffaela Vanzetta von der Beratungsstelle INFES.
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Foto: web

Der Sommer ist da, endlich Badesaison. Für viele Menschen ist diese Jahreszeit jedoch auch mit Unwohlsein verbunden. Besonders für Frauen. Einundneunzig Prozent der Frauen hassen ihren Körper, so heißt es im Trailer der australischen Dokumentation „Embrace“ – Du bist schön. Der von Nora Tschirner produzierte Film wurde am 11 Mai in den deutschen Kinos gezeigt. Die Geschichte der Fotografin Taryn Brumfitt soll Frauen ermutigen,  ihren Körpern endlich so zu lieben, wie er ist.

Auch in Südtirol nehmen Körperhass und damit verbundene Essstörungen zu, immer noch hauptsächlich bei Mädchen und Frauen. Die Schuld alleine den Zeitschriften und Werbekampagnen, die ein gewisses Schönheitsideal vermitteln, zu zuschieben, ist nicht genug. Wie die Gesellschaft schon mit jungen Mädchen und dem weiblichen Körper umgeht und was dadurch vermittelt wird, muss viel mehr reflektiert werden. Das fordert auch Raffaela Vanzetta von der Fachstelle für Essstörungen INFES.

 

 

Salto.bz: Frau Vanzetta, wie erleben sie die Betroffenen in ihrer Fachstelle?

Raffaela Vanzetta: Die Menschen die zu uns kommen, sind mit ihrem Körper sehr unzufrieden. Oft sind es auch die Mütter der Mädchen, die an Essstörungen erkranken. Es ist ein Gefühl, das ansteckend sein kein und sich auch familiär etabliert. Es entwickelt sich aber vor allem auch gesellschaftlich bedingt.

 

Wie meinen sie das…

Schauen sie, ich habe verschiedene Erklärungen dafür. Man kann das nicht alles auf die Bilder der Medien reduzieren. Wir kriegen als Mädchen schon irrsinnig früh mit, das was die Gesellschaft interessiert, ist unser Körper. Wenn sie mal beobachten, auch bei sich selber, wenn wir kleine Mädchen sehen, dann sprechen wir sie immer auf ihre Schönheit und ihre Kleidung an. Du bist so schön, du hast ein schönes Kleid, eine schöne Frisur. Das tun wir bei kleinen Buben nicht, denen sagen wir nie, du bist so hübsch. Denen sagen wir eher, du bist so kräftig und so stark und so schnell. Das heißt, die Buben erleben von klein auf, die Gesellschaft interessiert was ich kann. Die Mädchen hingegen bekommen signalisiert, was ich kann interessiert und merkt niemand, außer vielleicht meine Mama und die Menschen die mich gern haben. Aber die Gesellschaft nimmt es nicht wahr. Das was die Gesellschaft von mir wahrnimmt, ist mein Körper.

 

Wir kriegen als Mädchen schon irrsinnig früh mit, das was die Gesellschaft interessiert, ist unser Körper.

 

Dies führt zu einem gestörten Körperbild?

Die Frauen spüren, der eigene Körper ezeugt Aufsehen. Dann das Gefühl und Vertrauen zu bekommen, dass man in Ordnung ist, ist schwierig. Man wird verglichen und vergleicht sich immer mit anderen und den medialen Bildern. Der Körper ist ständig im Zentrum. Das Gefühl, mein Körper ist super und wunderschön so wie er ist, wird schwer erreicht. Da bräuchte es viel mehr, auch gesellschaftlich, dass wir dahin kommen. Zum Beispiel eine größere Vielfalt in der Darstellung der Schönheit, im Moment haben wir immer noch eine sehr einseitige Darstellung von Schönheit.

 

Und Frauen werden nur darüber definiert…

Ja, wie oft werden zum Beispiel auch Frauen in den Medien über ihren Körper definiert. Die ja meistens aus anderen Gründen in der Öffentlichkeit stehen. Schauen sie sich zum Beispiel Brigitte Foppa als Frau in der Politik an. Sie hat darüber ja auch schon viel reflektiert. Über ihr Äußeres wurden schon so oft Kommentare in den Medien gemacht. Das passiert einem Hans Heiss nie.

 

Oder jüngst der Fall von Fernsehjournalistin Corinna Milborn in Österreich...

Das passiert immer wieder. Das sind alles kleine Tröpfchen, die aber letztendlich den Stein aushöhlen. Wenn wir das ständig mitkriegen, dass die Gesellschaft immer genau und kritisch auf unseren Körper schaut, dann haben wir auch automatisch immer wieder den Gedankengang, bin ich in Ordnung? Und finden logisch immer etwas, was nicht in Ordnung ist.

 

Das spüren sie auch in den Gesprächen mit den Betroffenen? Dass es nicht nur um das dargestellte Schönheitsideal geht, sondern auch um die ganz persönlichen Erfahrungen?

Ja sicher sind es die ganz persönliche Erfahrungen, aber die ähneln sich oft. Da kommt zum Beispiel von ganzen vielen Mädchen, dass sie Kritik vom Sportlehrer erlebt haben. Blöde beiläufige Kommentare wie, mit diesem Hintern schaffst du es nicht zu springen. Oder der erste Freund, der ihnen sagt, sie seien schon am Limit mit ihrem Körpergewicht und mehr darf es nicht werden. Die vielen kleinen Bemerkungen, die so oft fallen. Oder der Vater am Strand, der die Hintern der vorbeigehenden Frauen kommentiert. Wir Frauen erleben solche Sachen oft und wir erleben sie schon als harmlos. Aber heranwachsende Mädchen und junge Frauen, die immer mit diesem Thema konfrontiert werden, für die bekommt der Körper eine ganz zentrale Rolle. Und wenn die Gesellschaft so kritisch darauf schaut, dann muss ich immer mit dem Gedanken leben, ob ich in Ordnung bin.

 

Erfahrungen die nur Mädchen und Frauen kennen? Jungen erleben das nicht so stark?

Nein, die erleben das nicht so stark. Ich bin durch meine Arbeit logisch sehr aufmerksam geworden. Ich erlebe zum Beispiel auf den Facebook Seiten der Jugendlichen, dass Jungs auch schon oft Kommentare über die Körper der Mädchen machen. Einmal hat ein Junge mit sehr vielen Facebook Freunden gepostet: „Dicke Mädchen, die ihr euch immer noch getraut Leggins anzuziehen, bitte erspart uns diesen Anblick, ihr würdet der Gesellschaft einen Gefallen tun.“ Die Mädchen lesen das und denken sich sofort, bin ich auch damit gemeint. Das sind so viele kleine Ursachen, die alle in denselben Topf hineinfallen und die unseren Selbstwert als Frauen, mit einem weiblichen Körper, in Frage stellen. Das passiert Frauen, Männer machen diese Erlebnisse nicht.

 

Sie als Fachstelle machen Vorträge und Kampagnen, um darauf aufmerksam zu machen. Ist das der erste Schritt etwas zu tun, die Menschen drumherum aufzuklären?

Ich glaube wir müssen einfach immer wieder darüber reden. Viele dieser Dinge laufen über die unterbewusste Ebene. Wenn ich zum Beispiel in unseren Vorträgen erwähne, wie wir mit kleinen Mädchen und kleinen Jungs umgehen, dann fühlen sich alle immer sehr betroffen. Weil es irgendwie ja alle machen, also Mädchen für ihr Aussehen loben. Das ist ja auch gut gemeint, aber niemand macht sich Gedanken darüber, was das für Auswirkungen haben könnte. Mir hat einmal eine Frau gesagt, die meinen Vortrag gehört hat, dass sie seitdem immer wenn sie kleine Mädchen sieht, versucht diese auf ihre Fähigkeiten anzusprechen. Das ist super, wenn das Reden darüber dazu führt, dass die Menschen mit mehr Bewusstheit Handeln und diesem Thema entgegentreten. Das heißt auch bei sich selber aufpassen. Wo fühle ich mich angegriffen oder kritisiert? Ist es wirklich angemessen, dass ich mich kritisiert fühle, soll ich das ein bisschen in Frage stellen? Dass ich die Fähigkeit und Instrumente besitze, darüber zu reflektieren. Ich glaube, das wäre der erste Schritt. Es muss Bewusstsein geschaffen werden, so wie es auch der Dokumentarfilm macht. Er spricht ein Thema an, was alle nachfühlen können und wo sich jeder fragt, was kann ich dagegen tun. Wir können alle etwas dagegen tun. Wir können hellhörig werden und Menschen, die blöde Kommentare äußern, darauf aufmerksam machen.  

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gorgias Sa., 03.06.2017 - 11:03

Dass auf das Äußere von Politikerinnen mehr geachtet wird, ist einfach weil Männer mehr uniformiert sind und so im Aussehen weniger auffallen.
Doch wenn ein männlicher Politiker mit seinem Aussehen ausfällt wird auch über das gesprochen. So wird das Übergewicht von Politikern nur dann stark thematisiert wenn dieser männlich ist: Siehe die vielen Witze über Sigmar Gabriel oder über Chris Christie, den Gouverneur von New Jersey.
Über Sven Knoll habe ich mit anderen auch schon über seine Gigger-Frisur lachen können.

Sa., 03.06.2017 - 11:03 Permalink