Politik | Landtagsdebatte

Grenzen hin, Grenzen her, Grenzen weg

Was sagen Südtirols Politiker zur Aufhebung des Schengen-Abkommens, zum Grenzzaun am Brenner und zur Flüchtlingsproblematik in Europa?

Das Wort „Grenze“ fiel heute (2. März) im Südtiroler Landtag bei der von der Süd-Tiroler Freiheit beantragten Debatte zur Aufhebung des Schengen-Abkommens und zur Flüchtlingsproblematik in Europa naturgemäß sehr oft. Alle Abgeordneten sprachen sich einhellig gegen den Grenzzaun am Brenner aus, nur: was man mit Grenzen generell anstellen soll, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Für einen dramatischen Einstieg in die Debatte sorgte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit): Die Südtiroler Landesregierung müsse sich in dieser Stunde „auf das schlimmste aller Szenarien vorbereiten“, um zu verhindern, dass es angesichts der Flüchtlingskrise „zum Chaos kommt“. „Was nun einsetzt, ist ein Wettlauf mit der Zeit“, sagte der Landtagsabgeordnte. Tirol brauche jetzt „keine Parteien, sondern Politiker.“

Auf die parteipolitische Ebene brachen die Debatte Andreas Pöder (BürgerUnion) und Alessandro Urzì (L'Alto Adige nel Cuore) herunter. Pöder warf der rot-schwarzen Regierung in Wien, die die Wiederaufnahme der Grenzkontrollen am Brenner verfügt hat, eine „verfehlte Flüchtlingspolitik“ vor. Südtirol werde „von der Schutzmacht Österreich ausgegrenzt“ und „von der eigenen Landesregierung im Stich gelassen“. „Die Brennergrenze ändert nichts am Flüchtlingsproblem, aber für uns Südtirol ändert sich mit dieser Grenze alles“, erklärte der Unionsabgeordnete.

Auch Alessandro Urzì nahm den Partito Democratico aufs Korn und sich dabei kein Blatt vor den Mund: Angesichts der Unfähigkeit von Premier Matteo Renzi, dieser „arroganten Rotznase“, könne man Österreich keinen Vorwurf machen, wenn es jetzt die Grenzen dicht mache. „Auch ich wünschte, es gäbe den Grenzzaun am Brenner nicht“, sagte Urzì dann an die Adresse der deutschen Opposition. Man könne jedoch nicht gegen die Grenze am Brenner sein und im selben Atemzug eine Grenze in Borghetto herbeisehnen.

Riccardo Dello Sbarba von den Grünen wandte sich ebenfalls gegen das Grenz-Denken: „Es irritiert mich, wenn Leute ständig davon reden, dass wir uns auf der falschen Seite der Grenze befinden. Das bedeutet nämlich im Umkehrschluss, dass wir plötzlich für die Grenze wären, wenn wir bloß auf der richtigen Seite stünden.“ Seine Kollegin Brigitte Foppa warnte davor, „Grenzen weiterzuschieben und damit das Problem weiterzureichen“. Sie brach für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Lanze, die als erste Politikerin Europas aufgehört habe, das Flüchtlingsproblem zu leugnen, und endlich damit angefangen habe, „nicht über das Ob (wir Flüchtlinge aufnehmen, Anm. d. Red.), sondern über das Wie“ laut nachzudenken. „Was wir nicht aushalten, ist die Vorstellung, dass sich Europa verändert“, erklärte Foppa. Es nutze aber nichts, dieses Faktum zu leugnen und zu verdrängen.

Eine Wortmeldung zu mangelnder Konsequenz in Grenz-Fragen kam auch von Landesrat Philipp Achammer (SVP): “Man kann nicht einerseits fordern, dass die Grenze am Brenner weg kommt, andererseits aber von Eigenstaatlichkeit für Südtirol reden“, denn Eigenstaatlichkeit bedeute das Ziehen neuer Grenzen, sagte Achammer. Er verwies auf den Claus-Gatterer-Preisträger 2015 Dietmar Telser, dessen Online-Reportage „Der Zaun“ die tatsächlichen Probleme hinter der Grenzzaun-Debatte aufzeige. Dazu zähle, dass es für viele Flüchtlinge „keine legalen Wege gibt, um einen Asylantrag zu stellen“. Weltweit gebe es rund 60 Millionen Flüchtlinge, Europa habe derzeit rund eine Million aufgenommen. Es müsse möglich sein, diese Situation zu bewältigen.

Landesrat Richard Theiner (ebenfalls SVP) bedauerte, dass die Flüchtlingsdebatte den Nationalisten in Ungarn und anderswo „gewaltigen Auftrieb“ gegeben habe, und fand deutliche Worte in Richtung USA: „Mir wird schlecht, wenn ich mir anhöre, was der Präsidentschaftskandidat Donald Trump von sich gibt.“ Für Österreich, das „vor dem Hintergrund einer drohenden Wahlniederlage bei der erstbesten Gelegenheit die Grenzen dichtmacht“, können in Theiners Augen „keine mildernden Umstände“ gelten.

Für die SVP ergriff auch Fraktionssprecher Dieter Steger das Wort, der staatstragende Töne anschlug: Die Flüchtlingskrise könne „gerade für die Europaregion Tirol eine große Chance sein, mit einer Stimme über die Grenzen hinweg zu sprechen.“ Jeden berühre das Elend der Flüchtlinge emotional, sagte Steger, doch „leider müssen wir nun den Kopf einschalten“ und vernünftige Lösungen finden, die nicht nur im Interesse der Flüchtlinge seien, sondern auch im Interesse der lokalen Bevölkerung.

Ulli Mair von den Freiheitlichen hakte hier ein: „Dieter Steger hat gesagt, wir müssen leider den Kopf einschalten. Ich sage: hoffentlich schalten wir bald den Kopf ein!“ Sie habe „vollstes Verständnis für Österreich“, das mit der Wiederaufnahme der Grenzkontrollen seine oberste Aufgabe wahrnehme: „den Schutz der heimischen Bevölkerung“. Südtirol müsse reagieren, wolle es nicht „die Zerstörung unserer Heimat durch Invasoren“ mit ansehen müssen. Auch ihr Parteikollege Pius Leitner fand milde Worte für das österreichische Grenzmanagement: „Ich begrüße diese Maßnahme nicht, aber ich verstehe sie“, sagte er. „Wir verhalten uns derzeit wie jemand, der in einem Kondominium wohnt und die Wohnungstür zusperrt, die Haustür aber offen lässt.“ Zur Flüchtlingsproblematik sagte Leitner, man dürfe nicht „Menschenrechte und Wirtschaftsflucht verquicken“: „Sich ein besseres Leben zu wünschen, ist legitim, aber kein verbrieftes Recht.“

Roberto Bizzo (PD) fand ebenso wie Landesrat Florian Mussner (SVP) lobende Worte für die Art, wie Landesrätin Martha Stocker (SVP) die Flüchtlingskrise angepackt hat. Zur österreichischen Entscheidung, die Grenzen dicht zu machen, erklärte Bizzo: "Wer Schengen aussetzt, sollte auch aus der Eurozone hinausfliegen."

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gorgias Mi., 02.03.2016 - 20:11

Das Schengenabkommen wird damit nicht aufgehoben, die Verträge sehen Grenzkontrollen für eine begrenzte Zeit als Möglichkeit vor.

Mi., 02.03.2016 - 20:11 Permalink