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„Ich nenne es TomTom-Effekt“

Der Agrarwissenschaftler und Biolandwirt Felix Prinz zu Löwenstein über Lobbyisten in der Landwirtschaft, Glyphosat, Gentechnik und die Zukunft der Landwirtschaft.

Prinz Löwenstein
Foto: Privat
Zebra: „Lobbyismus“ wird in der Gesellschaft nicht sehr gut angesehen. Man sagt, dadurch würden politische Entscheidungen manipuliert?
 
Felix Prinz von Löwenstein: Das passiert nicht, wenn jedem klar ist, wo sein Platz ist. Die Einen sind im Parlament, die Anderen im Vorraum dazu. Das sind die Lobbyisten. Wenn diese Aufteilung klar stimmt, funktioniert es. Politiker*innen brauchen ein Gegenüber in der Gesellschaft und in der Wirtschaft, um verstehen zu können, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben. Das ist wichtig für die Demokratie. Das Problem mit Lobbyismus entsteht, wenn die Lobbyisten direkt im Parlament sitzen. Sowas haben wir mitunter auch in der Landwirtschaft. Dann gerät die Demokratie unter Druck. Das finde ich schlecht, aber dass es die Lobbyisten als solche gibt, ist notwendig.

Sie sagen, Sie sehen Ihren Werdegang und Ihre Ausbildung heute kritisch. Wie kommt das?
 
Mir wurde das Bild vermittelt, Landwirtschaft und Agrarchemie seien voneinander untrennbar. Ich habe meine Ausbildung mit der festen Überzeugung abgeschlossen, dass man draußen gegen die verfeindete Natur nur mit Hilfe von Monsanto, Syngenta und wie sie alle heißen, überleben kann. Ich fürchte, dass sich diesbezüglich bis heute nicht viel geändert hat.

Warum verändert sich so wenig?
 
Wer sich im Laufe seiner Tätigkeit als Landwirt nicht die Frage stellt, was der Einsatz von Chemie verursacht, der denkt: „Wow, das funktioniert ja prima.“ Durch solche Hilfsmittel können wir viele Dinge einfach ignorieren. Ich kann dank Chemie die Fruchtfolge vernachlässigen und im Extremfall folgt dann Mais auf Mais auf Mais. Die Folgen lassen sich durch Pestizide reparieren. Das Wissen um eine humusaufbauende Fruchtfolge wird überflüssig. Ich nenne es den TomTom-Effekt: Wer häufig Navigationssysteme nutzt, denkt immer weniger über den Streckenverlauf nach und vernachlässigt den Orientierungssinn… bis man dann gar nicht mehr weiß, wie die umliegenden Orte heißen, oder wo man überhaupt gerade ist. So ist es in der Landwirtschaft und in anderen Berufen: Wenn Fähigkeiten nicht genutzt werden, gehen sie verloren. Das wird unterstützt, wenn bereits bei der Ausbildung die Prospekte der Agrarchemie als Unterrichtsmaterial auf dem Tisch liegen und Großkonzerne die Rechnung beim Uniaperitif bezahlen.

Entsteht so Abhängigkeit?
 
Bis zu einen gewissen Punkt, ja. Das kann im Extrem ziemlich weit gehen. Ich saß neulich mit einem jungen Landwirt aus Norddeutschland auf dem Podium. Er hat 45 Hektar Land und 40.000 Masthähnchen. Er bekommt die Hähnchen von derselben Firma, die ihm das Futter liefert. Dieselbe Firma schickt ihm die Fänger, reinigt den Stall und vermarktet das Endprodukt. Anschließend kommen die neuen Hähnchen wieder von dieser Firma und der Kreislauf beginnt von vorn. Was den Landwirt zum Unternehmer macht, ist rein die Tatsache, dass er das Risiko trägt. Wenn der Gewinnbeitrag pro Hähnchen von 0,16 Euro auf 0,14 Euro sinkt, hat er nur noch eine Möglichkeit: zur Bank gehen, Geld leihen, noch einen Stall bauen. Wer häufig Navigationssysteme nutzt, denkt immer weniger über den Streckenverlauf nach und vernachlässigt den Orientierungssinn
Wenn Landwirt*innen derart von Großkonzernen abhängig sind, verlieren sie ihre Entscheidungsspielräume.
In Frankreich nimmt sich laut Statistiken jeden zweiten Tag ein Landwirt das Leben. Die wirtschaftliche Not, die Ausweglosigkeit und die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung machen sie zu einer gefährdeten Berufsgruppe.

Wenn wir heute über zukunftsfähige Landwirtschaft sprechen, führt kein Weg am Thema „Glyphosat“ vorbei. Es wird europaweit heiß diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
 
Ich finde es wichtig, dass wir darüber sprechen. Glyphosat ist ein Wirkstoff, den man in vielen Pflanzenschutzmitteln findet. Das berühmteste ist Roundup von Monsanto. Die Substanz greift das System der Photosynthese an und zerstört jede grüne Pflanze, es ist also ein Totalherbizit. Gleichzeitig hat Monsanto gentechnisch Pflanzen gezüchtet, die gegen diesen Wirkstoff resistent sind. Das macht Unkrautbekämpfen dort, wo Gentechnik erlaubt ist, sehr einfach.
 
 
Wo liegt dann das Problem?
 
Das wird am Beispiel Argentinien ersichtlich: Hier werden auf rund 20 von insgesamt 34 Millionen Hektar Agrarfläche Sojabohnen angebaut. Die Folge: Auf der gesamten Fläche wächst keine andere Pflanze mehr. Sie brauchen nicht Biologie zu studieren, um zu verstehen, dass das ein Problem für die biologische Vielfalt ist. Ich finde es deshalb nicht richtig, dass die Diskussion um Glyphosat nur an möglichen Gesundheitsrisiken festgemacht wird. Was ist mit den weitaus problematischeren Auswirkungen auf Biodiversität und Boden? Hierzu gibt es jede Menge Studien, die beweisen, dass Glyphosat auch schädlich für Regenwürmer ist und sich insgesamt negativ auf Mikroorganismen im Boden auswirkt. Nicht umsonst ist Glyphosat auch ein patentiertes Antibiotikum.

Was ist mit anderen Pestiziden?
 
Es gibt ein grundsätzliches Problem mit allen chemisch-synthetischen Pestiziden: Wir hantieren im offenen System „Natur“ mit Stoffen, die da nicht hingehören. Wir wissen nur wenig über die Wirkung dieser Stoffe im feinstofflichen Bereich oder über die Kombinationswirkung der vielen verschiedenen Wirkstoffe, die wir mittlerweile in Böden und in der Nahrung vorfinden. Die Zulassungstests im Labor sind nur wenig aussagefähig. Dort schwimmt etwa die Kaulquappe wohlgenährt und stressfrei herum und hält so einiges aus. In der Natur hat sie aber Fressfeinde, Hunger und Temperaturstress. Die Schadwirkungen in der freien Natur sind dort bis zu 100 Mal größer. Die eigentliche Wirkung solcher Substanzen ist nicht abschätzbar. Wir müssen daher versuchen, mit möglichst wenig davon auszukommen.
Die entscheidende Frage ist: Was steht auf der Einkaufsliste?
Die Landwirtschaft muss die Welt ernähren – eine „Herkulesaufgabe“. Könnte uns auch eine schonendere Landwirtschaft ausreichend mit Lebensmitteln versorgen?
 
Das Wort „Welternährung“ mag ich nicht. Es suggeriert, dass irgendjemand die Welt ernährt. Wir reden jedoch von 7,5 Milliarden Menschen, von denen ein sehr großer Anteil selbst Landwirt*innen sind. Eigentlich beherrschen kleinbäuerliche Strukturen das Bild. In Asien ist das – wie hier in Südtirol – gar nicht so anders: Die durchschnittlich bewirtschaftete Fläche beträgt circa 1,4 Hektar. Das sind die Menschen, die Nahrung für ihre Mitmenschen produzieren. Die Aufgabe, für eine wachsende Bevölkerung genügend Nahrung herzustellen, ist natürlich groß und sie ist punktuell besonders schwierig. Wir können nicht sagen: „Lasst uns so intensiv wie möglich produzieren. Die Nebenwirkungen sind egal solange wir genug produzieren“. Dann nehmen wir der nächsten Generation die Produktionsgrundlagen und das ist keine nachhaltige Lösung.

Was dann?
 
Wir wissen, dass Menschen nicht hungern, weil zu wenig Nahrung produziert wird, sondern weil sie keinen Zugang dazu haben. Indien ist ein gutes Beispiel: Global betrachtet, ist es das Land mit den meisten hungernden Menschen, gleichzeitig aber auch einer der größten Reisexporteure. Nur haben viele Menschen dort nicht genug Geld, um Reis zu kaufen. Wi r produzieren weltweit zweieinhalb Mal so viele Nahrungskalorien wie wir eigentlich brauchen. Ungefähr die Hälfte davon schafft es gar nicht auf unsere Teller. Allein das zeigt, dass die Frage nach den verfügbaren Nahrungsmitteln nicht mit der Produktionsmenge zusammenhängt, sondern mit dem Zugang zu Lebensmitteln. Hier müssen wir auch den Fleischkonsum ansprechen: 40 Prozent des Weltgetreides landet im Futtertrog. In Deutschland sind es sogar 60 Prozent. Wenn also die gesamte Weltbevölkerung auch nur drei Viertel so viel Fleisch essen würden wie wir in Europa, dann wäre für die Menschheit überhaupt kein Getreide mehr übrig. Weniger Wegwerfen und ein Fleischkonsum, wie er für uns gesund wäre – das ist der Schlüssel, nicht die Steigerung der Produktion.
Weniger Wegwerfen und ein Fleischkonsum, wie er für uns gesund wäre – das ist der Schlüssel, nicht die Steigerung der Produktion.
Kommen wir zurück zur ökologischen Produktion: Könnten die benötigten Mengen also gedeckt werden?

Eine große Metastudie aus den USA hat erst kürzlich dargestellt, dass der Ertrag aus Ökolandwirtschaft im Verhältnis zu industrieller Landwirtschaft bei 80 zu 100 liegt. Die Differenz ist nicht gravierend. Deshalb eindeutig: ja! Es wäre möglich die gesamte Weltbevölkerung mit Lebensmitteln aus nachhaltiger Landwirtschaft zu ernähren.

Die Sorge vieler Menschen ist, dass ökologisch angebaute Produkte teurer sind.
 
Bioprodukte kosten mehr. Sie sind aber nicht teurer. Die wahren Kosten der meisten Produkte im Supermarkt spiegeln sich nicht im Preis wieder. Ein Beispiel: Sie kaufen ein Brathähnchen aus dem Tiefkühlregal um 2,69 Euro. Glauben Sie wirklich, dass das Produkt nur 2,69 Euro kostet? Die Antwort ist nein. Was wir nicht bedenken – und auch nicht bezahlen – ist die Verunreinigung des Grundwassers, der Verlust der Biodiversität, die Luftverschmutzung usw. In Wahrheit begleichen wir diese Kosten über andere Posten und überlassen das Problem unseren Nachkommen.
Das Problem mit Lobbyismus entsteht, wenn die Lobbyisten direkt im Parlament sitzen. Sowas haben wir mitunter auch in der Landwirtschaft.
Ist es nicht asozial für eine Landwirtschaft zu plädieren, durch die Nahrungsmittelpreise steigen?
 
Es wäre eine sehr schlechte Idee, Sozialpolitik zu Lasten der Umwelt zu betreiben. Denn schließlich sind es arme Menschen, die als erste unter Umweltschäden leiden. Denken wir etwa an die Folgen des Klimawandels. Höhere Preise für landwirtschaftliche Produkte müssen nicht zu höheren Ausgaben für Nahrungsmittel insgesamt führen – wenn die Ernährungsweise verändert wird. 

Gibt es Staaten, die bereits dahingehend Politik betreiben?
 
Ja, Dänemark zeigt uns, dass es funktioniert: 2007 hat die Stadtverwaltung von Kopenhagen entschieden, dass bis 2015 alle öffentlichen Küchen zu 90 Prozent biologische Lebensmittel einsetzen müssen. Das sind 66.000 Mahlzeiten täglich. Spannend an der Geschichte war die Bedingung, dass es nicht mehr kosten durfte. Das ist ja auch die Rahmenbedingung für die meisten privaten Haushalte. Die Rechnung ging auf, weil wesentlich weniger Fleisch und Fertigprodukte aufgetischt wurden, umso mehr frische Ware. Außerdem landete weniger im Abfall. Das ist nachhaltig, gesund und zeigt, dass sich jeder Mensch ökologische Nahrung leisten kann, wenn die Ernährung entsprechend angepasst wird. Die entscheidende Frage ist: Was steht auf der Einkaufsliste?

Dennoch haben sich in den vergangenen Jahren die Fronten gehärtet: Die Mauern zwischen Bevölkerung, ökologischer und konventioneller Landwirtschaft sind höher geworden. Wie können wir dem entgegnen?
 
Die Landwirtschaft muss sich der Diskussion um die Probleme ihrer Wirtschaftsweise stellen. Wenn sie das nicht tut, wird die Diskussion ja nicht beendet. Sie findet dann nur ohne sie statt. Und letztlich wird über den Kopf von uns Bäuerinnen und Bauern hinweg entschieden. Wenn wir uns aber beteiligen, dann können wir erklären, dass sich nicht alles von heute auf morgen ändern kann. Und wir können zusammen mit der Gesellschaft die Wege der Veränderung so beschreiten, dass alle mitgehen können. Dadurch gewinnen wir Planungssicherheit und – was noch wichtiger ist – wir gewinnen Vertrauen zurück.
 

Interview: Verena Gschnell, Simon Profanter

 
 
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Sepp.Bacher Mi., 05.06.2019 - 22:52

Super Interview und sehr aufschlussreiche Aussagen und Informationen!
Ich erlaube mir, zwei Aussagen gegenüber zu stellen: "Und letztlich wird über den Kopf von uns Bäuerinnen und Bauern hinweg entschieden." dazu Folgendes - Das wird in Südtirol nicht so schnell passieren, weil die Bauern-Lobby viel stärker ist!
Werden durch „Lobbyismus“ politische Entscheidungen manipuliert?
"Das passiert nicht, wenn jedem klar ist, wo sein Platz ist. Die Einen sind im Parlament, die Anderen im Vorraum dazu. Das sind die Lobbyisten. Wenn diese Aufteilung klar stimmt, funktioniert es. Politiker*innen brauchen ein Gegenüber in der Gesellschaft und in der Wirtschaft, um verstehen zu können, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben." Da fehlt mir, dass Politiker, wenn sie sich so selbstverständlich bei Lobbyisten informieren und sich beraten lassen, sie auf jeden Fall auch die Gegenstimmen der Verbraucher und Umweltschützer anhören müssten. Das passiert aber kaum oder überhaupt nicht!

Mi., 05.06.2019 - 22:52 Permalink
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Peter Gasser Do., 06.06.2019 - 21:11

“Ja, Dänemark zeigt uns, dass es funktioniert: 2007 hat die Stadtverwaltung von Kopenhagen entschieden, dass bis 2015 alle öffentlichen Küchen zu 90 Prozent biologische Lebensmittel einsetzen müssen“:
... und bei uns werden mitten im Südtiroler Apfelmeer in Plastik verpackte Obstspalten mit dem LKW von auswärts in öffentliche Schulen gebracht.
Ist das nicht irre?

Do., 06.06.2019 - 21:11 Permalink