Politik | Wahlen/Elezioni 23

„Warum will jemand in die Politik?“

Vor einigen Monaten trat die „Mitte der SVP“ medienwirksam an die Öffentlichkeit. Doch wo bleibt diese Stimme angesichts der politischen Zerfallserscheinungen?
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Foto: Seehauserfoto
Salto.bz: Frau Stocker, im vergangenen April haben Sie gemeinsam mit Landesrat Arnold Schuler die Strömung „die Mitte“ aus der Taufe gehoben, mit dem Ziel, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der SVP zu schaffen. Ist Ihnen dies gelungen?
 
Martha Stocker: Die Zielsetzung einer derartigen Initiative kann immer nur eine langfristige, wie umfassende sein, wir arbeiten an unserem Auftrag, die Ausgewogenheit der Mitte zu thematisieren und voranzubringen.
 
 
Worin besteht konkret der Auftrag?
 
Der Auftrag besteht darin, für Gerechtigkeit für Mensch und Umwelt und eine Politik, die den Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppierungen sucht, einzustehen. Dies ist Ausdruck einer Haltung, die von Sonderinteressen absieht und sich stets die Frage stellt, ob die eigene Handlungsweise für die gesamte Gesellschaft gut ist oder eben nicht, und zwar im Sinne eines demokratischen Ausgleichs – auch gegen Partikularinteressen.
 
 
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Martha Stocker bei der Vorstellung der Initiative „Die Mitte“: „Die Zielsetzung einer derartigen Initiative kann immer nur eine langfristige, wie umfassende sein.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
 
 
Wie möchten Sie diesen demokratischen Ausgleich erreichen? Mit der Etablierung einer „neuen“ Gesprächskultur?
 
Idealerweise sollten wir auf eine Grundzielsetzung aufbauen können, die das Beste für alle, Mensch und Umwelt, anstrebt. Verständlicherweise ist es schwierig, eine Einigung mit Menschen oder Gruppierungen zu finden, wenn diese Grundvoraussetzung nicht gegeben ist, wenn zum Beispiel eine Lobby möglichst viel für sich will, ohne die Auswirkungen auf andere ins Kalkül zu ziehen. Wenn aber die Grundvoraussetzung eint, ist es Auftrag von allen, in Gesprächen, Abwägen von Argumenten eine Einigung zu finden. Ich glaube, es muss wieder stärker bewusst werden, dass man auf dieser Welt nur gut leben kann, wenn diese Grundvoraussetzung von allen geteilt wird. Die Haltung „Ich möchte möglichst viel für mich oder meine Gruppierung haben und der Rest interessiert mich nicht“ wird mit Sicherheit zu keinem guten Ende führen.
 
 
Die Haltung „Ich möchte möglichst viel für mich oder meine Gruppierung haben und der Rest interessiert mich nicht“ wird mit Sicherheit zu keinem guten Ende führen.
 
 
Sie haben sich einen sehr programmatischen Namen mit „Die Mitte“ gegeben, vor dem Hintergrund wachsender Extrempositionen drängt sich die Frage auf, wo die Mitte der Gesellschaft bleibt bzw. wer ihr Sprachrohr ist. Wie nehmen Sie diese Situation wahr?
 
Das Wahrnehmen, dass in der heutigen Gesellschaft sich stärker jene Gehör verschaffen, die auch Extrempositionen einnehmen, die Partikularinteressen vertreten, hat uns die Notwendigkeit unserer Plattform aufgezeigt. Dies vor allem auch deswegen, weil es unserer Ansicht nach immer noch eine starke Mitte in der Gesellschaft gibt, die eine Stimme auch gegenüber lautstarken Extrem-Positionierungen, die oft ohne Maß und Mitte erfolgen, braucht. Hier geht es nicht nur um eine Position der Mitte allein, es geht auch um den Bestand der Demokratie. Und dafür ist es auch notwendig, dass darauf geachtet wird, dass unser Wohlstand möglichst vielen zu Gute kommt, denn wenn sich die Wohlstands-Schere nicht mehr schließt, sondern im Gegenteil immer weiter auseinanderklafft, so ist auch das für die demokratiepolitische Entwicklung eines Landes nicht gut – das gilt im Übrigen nicht nur für Südtirol, sondern für alle Länder, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.
 
 
Martha Stocker
Martha Stocker: „Die jungen Menschen sind vielfach von einem starken Idealismus getragen und daher muss alles getan werden, um ihnen Möglichkeiten zu bieten, dieses idealistische und konkrete Engagement einzubringen.“ (Foto: Facebook/Martha Stocker)
 
 
 
Vor allem auch wegen der Jugend ist diese Strömung gegründet worden. Aber: Der ehemalige SVP-Jugendvertreter Daniel Rella ist zur Liste JWA übergewechselt, Lea Casal zu den Grünen, der SVP-Kandidat der Jungen Generation, David Frank, beklagt sich wiederum, dass er, der nicht von mächtigen Verbänden unterstützt wird, kaum eine Chance hat, sich einzubringen. Wie will die Mitte da Ausgleich schaffen?
 
Das Problem, das David Frank aufwirft, ist ja gerade eines der zentralen Anliegen unserer Plattform. Genau jenen Personen, die nicht von Lobbys oder Verbänden oder Organisationen innerhalb der Partei unterstützt werden, muss die Möglichkeit gegeben werden, sich einzubringen bzw. sich stärker einzubringen. So können sie gleichzeitig als „Scharniere“, als verbindendes Element in einer großen Partei und zur Gesellschaft hin fungieren. Die jungen Menschen sind vielfach von einem starken Idealismus getragen und daher muss alles getan werden, um ihnen Möglichkeiten zu bieten, dieses idealistische und konkrete Engagement einzubringen. Dies kann aber nicht nur Aufgabe einer Gruppe sein, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche, die letztendlich in der Überzeugung fußt, dass nur das unsere Demokratie in Frieden und Freiheit stärken kann.
 
 
Nicht nur Jugendvertreter prangern an, dass ihre Meinungen in der SVP zuwenig gehört werden, sondern auch Thomas Widmann, der mit seiner eigenen Liste zu den Landtagswahlen antritt. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
 
Wie ich vorher bereits angesprochen habe, ist die Bereitschaft, miteinander zu reden, sich auszutauschen und auch sich zusammenzuraufen, in unserer Partei durchaus gegeben. Voraussetzung für ein konstruktives Austauschen und Miteinander ist aber auch, dass es den schon angesprochenen Grundkonsens gibt. Wenn es diesen nicht gibt, Partikularinteressen bestimmend sind, dann wird es schwierig.
 
 
Wenn es keinen Grundkonsens nicht gibt, Partikularinteressen bestimmend sind, dann wird es schwierig.
 
 
 
Ist in diesem Fall das Verständnis verloren gegangen, dass die Interessen der Partei die eigenen überwiegen?
 
Es ist in der Tat die alles entscheidende Frage: Warum will jemand in der Politik? In der Beurteilung der Politiker wird dies eine Rolle spielen. Kann man von der berechtigten Annahme ausgehen, dass der oder die in der Politik ist/dorthin will, weil ihr/ihm das Allgemeinwohl am Herzen liegt oder etwas anderes?
In der Vergangenheit hat es durch historisch naheliegende Gründe einen Grundkonsens in der Gesellschaft und damit auch in der Partei gegeben. Primäres Ziel war es, für die deutsche und ladinische Minderheit und damit auch im Land für alle Gerechtigkeit zu schaffen. Das war der Kitt des Gesamtinteresses, der alles zusammengehalten hat. Dieses Ziel ist nun scheinbar erreicht, deshalb wird die Notwendigkeit der Einigkeit von vielen nicht mehr gesehen.
 
 
 
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Martha Stocker: „Bereits vor einiger Zeit habe ich erklärt, dass ich der Meinung bin, dass die SVP ihre Position halten wird.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Der SVP fehlen die gemeinsamen Ziele?
 
Gemeinsame Ziele wären genug vorhanden, wie beispielsweise eben der soziale Ausgleich. Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, mitgenommen zu werden. Diese Ziele wird auch grundsätzlich jede/r mittragen, hapern tut es dann an der Umsetzung. Es führt aber meines Erachtens nichts daran vorbei, einen Grundkonsens für Gerechtigkeit für Mensch und Umwelt zu schaffen Natürlich wird man dabei in der Umsetzung immer auf die eine oder andere Schwierigkeit stoßen. Die Fragen, die man sich aber immer stellen müssen lauten: „Ist das für alle Menschen eine gute Lösung? Ist das für die Zukunft, auch im Einklang mit der Natur, eine gute Lösung?“ Dies gäbe uns die Zielsetzungen vor und sie sind auch ein wesentliches Anliegen, das die „Mitte“ voranbringen möchte.
 
 
Werden Sie zukünftig stärker an die Öffentlichkeit treten und für diese Anliegen werben?
 
Die Gruppe der „Mitte“ wird das auf jeden Fall tun. Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, ist eine langfristige, die letztendlich auf dem Grundanliegen fußt, die genannte Verpflichtung in Verantwortung für dieses Land, für die Menschen in diesem Land wahrzunehmen und damit die Demokratie zu stärken.
 
 
Wenn so vieles zerfleddert und so vieles unsicher ist, dann glaube ich schon, dass man sich letztendlich an das hält, bei dem man weiß, was man hat – auch wenn man nicht immer oder mit allem einverstanden war.
 
 
Prognosen gehen davon aus, dass die SVP bei den Landtagswahlen weitere Sitze verlieren wird und möglicherweise mit zwei Parteien eine Koalition anstreben muss. Schwarzmalerei aus Sicht der SVP?
 
Bereits vor einiger Zeit habe ich erklärt, dass ich der Meinung bin, dass die SVP ihre Position halten wird. Ich werde mich jeder weiteren Prognose enthalten, die Unwägbarkeiten, die es zu bedenken gäbe, können sich auch anders auswirken als von einigen prognostiziert. Warten wir die Wahlen ab und reden wir anschließend über mögliche Koalitionen.
 
 
Die SVP könnte von der Angewohnheit des Menschen profitieren, sich in unsicheren Zeiten an das Bekannte und Bewährte zu halten …
 
Das spiegelt auch meine Prognose schlussendlich wider. Wenn so vieles zerfleddert und so vieles unsicher ist, dann glaube ich schon, dass man sich letztendlich an das hält, bei dem man weiß, was man hat – auch wenn man nicht immer oder mit allem einverstanden war.
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rotaderga Mo., 04.09.2023 - 05:35

Zu abgehoben, zu viele Wörter ohne auch nur annähernd die Probleme der Südtiroler Gesellschaft zu erkennen - geschweige klar zu benennen.
Das bleibende Dilemma der Selbstgefälligkeit der Kandidaten aller Reihen, die Unterwürfigkeit vor Lobbys und Verbänden sowie Medien.
Aber nein, man palavert von Mitte und ignoriert bzw. diskriminiert alles außerhalb der eigenen Denkweise als links- und rechtsextrem.
Es wird wieder eine Entscheidung mit Bauchgrimmen.

Mo., 04.09.2023 - 05:35 Permalink
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Josef Fulterer Mo., 04.09.2023 - 06:02

Antwort auf von rotaderga

Gerade zu Marthas besten Zeiten in der Politik, wurden die tollen Residenzen der Marionetten-spielenden Verbände mit zu viel Geld a u f - g e m ä s t e t, um den Wählern die Rekordzahlen von Vorzugsstimmen ab zu luchsen und damit die Probleme zu schaffen, die S I E nun mit der neu erfundenen M I T T T E lösen will.

Mo., 04.09.2023 - 06:02 Permalink
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Florian Hinteregger Mo., 04.09.2023 - 08:36

Bezeichnend auch, dass die Südtiroler Verbände Partei ein altes Politross aus dem Pensionsstall holen muss, um das Projekt der Mitte zu vertreten. Gibt es keine Landtagskandidaten bei der SVP, die es einigermaßen glaubwürdig verkaufen könnten?

Mo., 04.09.2023 - 08:36 Permalink
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△rtim post Mo., 04.09.2023 - 09:28

Es stimmt zwar, Macht kann auch bedeuten, nichts machen zu müssen. Aber gar nicht darauf einzugehen, was Kritiker, Gegner, Berater und andere wieder und wieder anführen, ist auf Dauer auch nicht unbedingt klug. Die SVP ist samt Spitzenpersonal zu lange schon im sog. Kompatscher-Achhammer-Modus. Nur. Anders als Merkel hat Kompatscher sich nicht an seinen angekündigten politischen Rückzug für 2023 gehalten. Die Kohärenz macht den Unterschied.
Ebenso wenig wurde etwas von seiner Ankündigungspolitik der Reform umgesetzt. Heute heißt das Schlagwort "Nachhaltigkeit", mit dem er vor den Wahlen Handlungsfähigkeit beweisen will.
Mittlerweile geht es längst nicht mehr um rechts von der Mitte in der SVP (vgl. ff, 34-2023). Die sind längst bei den Freiheitlichen, Süd-Tiroler Freiheit u.a. Es geht um die fehlende zentrale Leerstelle in der politischen Mitte Südtirols selbst. Das hat M. Stocker auch erkannt, wenn auch spät.
Es ist neben dem Scheitern der Erneuerung der Mitte auch die zunehmende Erkenntnis des Mittelstandes heute, sich das Leben im eigene Land immer weniger leisten zu können (vgl. R. Benedikter, Dolomiten 5./6.Aug.2023).
Was es 2023 so dringend bräuchte, wäre eigentlich die den SVP-Wählern und Wählerinnen 2013 von LH Kompatscher und OM Achammer versprochene neue SVP und Politik bzw. eben sonst eine Liste, die für die Mitte der dt./lad. Bevölkerung ein wählbares Angebot darstellt. Das sind grundlegende Volksgruppen- und Bürgerrechte und qualitativ hoher Bürgerservice in der eigenen Sprache statt gruppenbezogener Ungleichwertigkeit im Alltag.
Ein „Naturgesetz“ Volkspartei zu wählen gibt es nach zehn Jahren Politik (neuer) Beliebigkeit, der Einzelinteressen, der Selbstdemontage und des massiven Legitimationsverlustes wohl nicht mehr. Auch weil sich die Frage stellt:
Wie glaubwürdig sind Kompatscher und Achammer noch, die die national-rechtsextremen Brüder Italiens vor kurzem als Gefahr für ganz Italien und das Südtirol bezeichneten und nach den röm. Parlamentswahlen 2022 trotz beschworener Brandmauer diese in vorauseilender Andienerei nicht nur gleich normalisierten, sondern diese für die aus dem Widerstand entstandene SVP kurzerhand sogar als anschluss- und koalitionsfähig betrachten?
Mal schauen, ob die "Grünen" oder doch noch Team K (trotz dessen Absage an die SVP) die Rolle der Erfüllungsgehilfen auf Zeit zusammen mit den national-rechtsextremen Brüdern Italiens nach den Wahlen im Herbst übernehmen.
Die anderen dt./lad. Listen bleiben wohl auch weiterhin ausgeschlossen. So zumindest die Vorhersage, auch des LH Kompatschers im RAI- Sommerinterview v. 31.08.23.

Mo., 04.09.2023 - 09:28 Permalink
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Herta Abram Mo., 04.09.2023 - 11:56

Sehr schöne Worte!
Klimapolitisch würde dies dann bedeuten:
Gestaltung aus politischer Verantwortung heißt, die nach Fachexpertisen notwendigen Maßnahmen zeitnah einzuleiten, welche dem Gemeinwohl und dessen Schutz dienen. Da spielt eine "Mehrheit" eigentlich keine Rolle, wenn aufgrund weltweit einhelliger Empfehlungen von Fachleuten gegen die Erderwärmung schnell etwas geschehen muss – auch wenn manche dazu nicht applaudieren.
Da spielt die Verantwortung, dem Land und vor allem kommenden Generationen gegenüber, eine Rolle.

Mo., 04.09.2023 - 11:56 Permalink