Politik | Interview

“Das neue alte italienische Übel”

Ist die Inhouse-Vergabe der A22-Konzession noch zu retten? Karl Zeller ist skeptisch und zeigt den Fünf-Sterne-Populismus hinter der Blockade von Minister Toninelli auf.
Karl Zeller
Foto: Report

Karl Zeller hat es geahnt. Eine Woche nach den Parlamentswahlen vom 4. März blickte der Ex-Senator der sich abzeichnenden Regierung zwischen Fünf Sterne Bewegung und Lega gelassen entgegen.“Das einzige Fragezeichen ist die Brennerautobahn.”
Knapp neun Monate später scheint das Fragezeichen größer und größer zu werden. Weil Transportminister Dario Toninelli (Fünf Sterne) darauf pocht, dass der vom Staat bestimmte Präsident im Kontrollorgan der neuen Inhouse-Gesellschaft BrennerCorridor AG ausschlaggebend sein soll, verzögert sich die Unterzeichnung der Vereinbarung, mit der die A22-Konzession für 30 Jahre an eine rein öffentlich geführte Gesellschaft gehen soll.
Überrascht wirkt Karl Zeller nicht, als salto.bz bei ihm, der zwei Jahrzehnte auf den 30. November 2018 – an dem Tag hätte die Vereinbarung unter Dach und Fach sein sollen – hingearbeitet hat, nachfragt.

salto.bz: Herr Zeller, ist nun das eingetreten, was Sie befürchtet haben?

Karl Zeller: In Rom ist es leider so, dass man sich nicht freuen braucht bevor man die letzte Hürde nicht genommen hat. Die größten Gefahren lauern auf den letzten Metern. Das sieht man hier wieder. Nachdem wir sämtliche positiven Gutachten, die für Inhouse-Vergabe der Konzession erhalten haben – was nicht einfach war –, hat Toninelli jetzt wieder das herausgezogen, was immer schon der alte Traum des Infrastrukturministeriums war. Nämlich zu sagen, schon gut, wir geben euch die Autobahnkonzession, aber kommandieren tut Rom. Wir haben den jeweiligen Regierungen immer schon gesagt, das kommt nicht in die Tüte.

Dasselbe sagt jetzt Landeshauptmann Arno Kompatscher. Er setzt darauf, gemeinsam mit den Präsidenten der Regionen Veneto und Friaul und dem neuen Trentiner Landeshauptmann – allesamt Lega-Vertreter – den Fünf-Sterne-Minister zur Vernunft zu bringen. Die Bereitschaft, auf den Koalitionspartner in Rom Druck auszuüben, scheint da zu sein. Ist die Lega der Rettungsanker für die A22-Konzession?

Die Bereitschaft ist da, ja, und das ist auch richtig. Aber das Problem ist, dass im Infrastrukturministerium ein Minister der Fünf Sterne sitzt – und noch dazu was für ein Minister! Mit einem Lega-Vertreter an seiner Stelle wäre es leichter.

Ihre Sympathie für Danilo Toninelli scheint sich in Grenzen zu halten?

Er ist der Minister mit den meisten Fettnäpfchen mittlerweile. Zumindest hat er jetzt verstanden, dass der BBT noch nicht gebaut ist – das ist schon ein großer Fortschritt… Aber ein Herr Toninelli, der zuerst eine Aussendung verschickt und sagt, alles in Ordnung, Brüssel hat das Ok gegeben, bis 30. November wird unterzeichnet und der jetzt sagt, in einem paritätischen Gremium hat der Präsident, den der Staat ernennt, die ausschlaggebende Stimme – das passt genau in das Konzept dieser Regierung, das ist Fünf Sterne!

Jetzt werden die Widersprüche einer populistischen Bewegung sichtbar, die den Menschen viel vorgemacht hat und jetzt draufkommt, dass die Sachen, die sie vorgegaukelt hat, in der Wirklichkeit nicht zu halten sind.

Es werde mit dem Ministerium “keine Einigung um jeden Preis” geben, hat Landeshauptmann Kompatscher am Wochenende gesagt. Sehen Sie eine Basis, um Minister Toninelli zum Umdenken zu bewegen?

Schauen Sie, ich bin mit Sicherheit derjenige, der am längsten an der Sache dran war. Ich habe mit dem damaligen Autobahnpräsidenten Ferdinand Willeit vor 21 Jahren begonnen, daran zu arbeiten, habe vor einem Jahr das letzte Gesetz dazu gemacht. Ich hoffe, dass man noch weiterkommt.

Falls die Inhouse-Vergabe platzt, würde der Staat die A22-Konzession europaweit ausschreiben.

Wenn das Ganze so gehandhabt wird, wie es Toninelli jetzt will, ist für die Brennerautobahn und für die betroffenen Gebietskörperschaften eine Ausschreibung fast besser. Es wäre zwar ein Riesen-Schaden für den Staat und die Allgemeinheit, aber bitte…

Für den Landeshauptmann wäre eine Ausschreibung nicht das schlimmste aller Szenarien. Er geht davon aus, dass die Brennerautobahn AG eine solche Ausschreibung so gut wie sicher gewinnen würde.

Die Brennerautobahn kann selbst an der Ausschreibung teilnehmen und versuchen zu gewinnen – das wäre natürlich die beste Hypothese. Eine zweite Hypothese ist, dass ein privater Konzern mitmacht und dann als nächster Konzessionär der Brennerautobahn AG die gesamten Anlagen ablösen muss – die Autobahngesellschaft hat einen enormen Wert.

Und gut gefüllte Kassen: Unter Ihrer und der Federführung des damaligen Autobahnpräsidenten Willeit wurde 1997 ein Eisenbahnfonds eingerichtet, in dem ein Teil der Mauteinnahmen der A22 landen, um die Eisenbahn zu finanzieren.

Genau. Heute haben wir die Kontrolle über die Brennerautobahn, die sehr viel an Einnahmen abwirft und wir haben die Kontrolle über den Fonds mit derzeit über 650 Millionen Euro, die für die Eisenbahn zweckgebunden sind.

Bei einer Inhouse-Vergabe müssten diese Gelder für den Bau des Brennerbasistunnels und dessen Zulaufstrecken verwendet werden – laut dem Einvernehmensprotokoll, das Anfang 2016 unterzeichnet wurde, insgesamt über 1,6 Milliarden Euro in 30 Jahren. Was passiert mit dem Fonds im Falle einer Ausschreibung?

Die 653 Millionen Euro können sich die Aktionäre der Brennerautobahngesellschaft unter sich aufteilen.

 

 

Was passiert bei einer Ausschreibung mit den Investitionsplänen, die im Raum stehen? An die Inhouse-Konzessionsvergabe ist zum Beispiel der Bau der Umfahrung von Bozen gekoppelt, ebenso zwei Milliarden Euro für infrastrukturelle Eingriffe auf der A22: die dynamische Fahrspur zwischen Bozen Süd und Verona, die dritte Fahrspur zwischen Verona und Modena etc. Diese Vorhaben wären bis auf weiteres blockiert?

Nicht nur blockiert, die macht man gar nicht mehr. Kein privater Bieter wird die Umfahrung von Bozen bauen. Gerade deshalb ist die Ausschreibung ein riesiger Schaden für die öffentliche Hand – auch für den Staat. Unser Angebot bei den Verhandlungen um die Inhouse-Vergabe war, dass, alles, was diese Autobahn erwirtschaftet, in öffentliche Infrastrukturen investiert werden soll – ohne dass Dividenden ausgezahlt werden, wie es das Hauptinteresse eines eines privaten Konzerns ist, der bei einer Ausschreibung mitmacht. Man sieht es ja bei Autostrade per l’Italia und den anderen Gesellschaften, die im Zuge der Privatisierung entstanden sind: Der Aktionär verdient sich eine goldene Nase daran und versucht so wenig wie möglich in Sicherheit, in Lärmschutzwände, in Umfahrungen etc. zu investieren. Weil er sagt, das interessiert mich nicht, weil mir das keine Dividenden bringt.

Gerade deshalb hat es sich die Regierung nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua eigentlich zum obersten Ziel gesetzt, die Autobahnen wieder in öffentliche Hände zu übergeben.

Ja. Aber gleichzeitig kann sie nicht von uns verlangen, dass wir ihr Vorhaben akzeptieren: Zu sagen, die öffentlichen lokalen Körperschaften haben jahrelang sicher etwas Gutes gemacht, aber jetzt kommen wir und bestimmen. Das kann man nicht akzeptieren!
Die A22-Aktionäre haben damals mit Romano Prodi in großer Weitsicht ein nach wie vor modernes Konzept entwickelt: Entgegen geltendem EU-Recht haben wir gesagt, wir legen Geld beiseite, verzichten darauf, uns Dividenden auszuzahlen – die 653 Millionen Euro im Eisenbahnfonds sind nichts anderes als die Dividenden, auf die die Aktionäre zwischen 1998 und 2017 verzichtet haben – und zwar weil es höhere Ziele zu finanzieren gilt: Umweltschutz, zukunftsweisende Infrastrukturprojekte. Aber dem Staat reicht das nicht.

Das kommt irgendwo einer Enteignung gleich. Ohne dass der Staat einen Euro dafür zahlt.

Ist das die Message von Minister Toninelli?

Dem Staat ist es nicht genug, dass der heutige Konzessionär bereit ist, auch in Zukunft auf alle Dividenden zu verzichten und alles, was diese Autobahn erwirtschaftet, in den Brennerbasistunnel und in andere Infrastrukturprojekte, die positiv für die Öffentlichkeit sind, zu investieren. All das genügt dir als Staat nicht, sondern du sagst: Jetzt bestimme ich! Und zwar nicht nur die Investitionspläne – also mir Staat reicht nicht, dass du, Brennerautobahn, mir zusagst, die Umfahrung von Bozen zu bauen –, sondern ich will jetzt auch noch konkret Jahr für Jahr bestimmen, wie dein Haushalt aussieht. Und ich will bestimmen, wer die Mitglieder in deinem Verwaltungsrat sind. Das kommt irgendwo einer Enteignung gleich. Ohne dass der Staat einen Euro dafür zahlt.

Interpretieren Sie das Verhalten von Minister Toninelli als Beweis für die Autonomiefeindlichkeit, die Sie den Fünf Sternen nachsagen?

Nein, mit Autonomie hat das wenig zu tun. Das ist mehr ein Zeichen der Geisteshaltung dieser Leute. Die zeigt auch die Aussendung der Trentiner 5-Sterne-Mandatare gestern (Montag, Anm.d.Red.). Darin sagen sie, wir wollen den BBT eigentlich gar nicht, wir wollen ganz andere Sachen.

Die Fünf Sterne bocken bei der A22-Konzession, um den BBT zu verhindern?

Die Fünf Sterne sind aus ideologischen Gründen gegen schnelle Züge und Tunnels, wahrscheinlich auch gegen Flugzeuge. Ich weiß ja nicht, wie sie die Menschen transportieren wollen – sie sollen wohl weiterhin mit dem Auto fahren… Das ist zwar die Geisteshaltung einer Minderheit. Die aber bildet das Wählerpotential der Fünf Sterne, auch im Trentino, wo ja einer der Minister, Riccardo Fraccaro, herkommt. Das Problem jetzt ist folgendes: Die Fünf Sterne sind nun an der Regierung und können nicht mehr anderen die Schuld zuschieben oder jeden Blödsinn behaupten. Denn die Leute wollen jetzt Resultate sehen.

Wo die Populisten am Werk sind, kann sich schnell alles radikal ändern.

Wer die Fünf Sterne gewählt hat, weil sie gegen große Infrastrukturprojekte waren, erwartet sich, dass sie entsprechend liefern?

Jetzt werden die Widersprüche einer populistischen Bewegung sichtbar, die den Menschen viel vorgemacht hat und jetzt draufkommt, dass die Sachen, die sie vorgegaukelt hat, in der Wirklichkeit nicht zu halten sind. Und genau deshalb passieren jetzt diese Sachen wie mit der Konzession. Einerseits unterschreibt der Minister vor ein paar Monaten in Bozen ein Protokoll für den BBT. Das aber passt seinen Wählern in Trient nicht – die schreiben geharnischte Dinge, also ändert der Minister seine Meinung. Da er aber nicht ganz offen sagen kann, er ist gegen BBT, macht er es eben anders. Beim BBT selbst haben die Fünf Sterne blöderweise nichts gefunden, da haben sie halt jetzt das herausziehen müssen, dass der Staat das Sagen haben will. Wobei es nicht der Staat ist, sondern der derzeitige Minister der Fünf Sterne – und was die am schnellsten gelernt haben, ist, die Posten aufzuteilen. Jetzt will man im Verwaltungsrat der neuen Autobahngesellschaft seine Leute unterbringen und noch dazu die eigenen Wähler in Trient beruhigen – indem man sagt, die Investitionspläne machen wir und dadurch, dass wir eine Mehrheit haben, garantieren wir euch, dass wir den BBT nicht bauen oder wir die Investitionen der Brennerautobahn in Radwege oder sonst was umleiten, was der Klientel halt passt. Das ist das Spiel, das hier läuft. Nichts Neues, nur schlimm, weil es alles wieder blockiert.

Werden sich die Probleme rund um die A22-Konzession in irgendeiner Weise auf die Regierungsbildung auf Landesebene auswirken?

Sicher ist das eine große Sache, aber die Fünf Sterne haben sich schon beim ersten Treffen durch ihre Beleidigungen selbst von jeglicher Beteiligung ausgeschlossen. Sie haben vermutlich keine Lust, weder uns noch der Lega irgendeinen Gefallen zu machen. Das ist das Problem…

Dass andererseits die Lega die Konzession als Druckmittel verwenden könnte, um in Südtirol an die Regierung zu kommen – nach dem Motto, wir helfen euch in Rom, ihr setzt uns dafür in die Landesregierung –, schließen Sie aus?

Ich weiß nicht, ob sie das liefern können. Derzeit haben die Fünf Sterne doppelt so viele Stimmen im Parlament wie die Lega und inwieweit die Lega irgendetwas versprechen kann, was einen Minister der Fünf Sterne angeht… weiß ich nicht. Dazu kommt natürlich die große Versuchung, die alle in dieser Regierung haben: all das, was die vorherige Regierung gemacht hat – und mag das noch so gut und positiv sein – kaputt zu machen. Das ist nicht neu, sondern das alte italienische Übel, das jetzt aber in verstärkter Form zutage tritt – denn das ist ja die Regierung des “cambiamento” und alles wird mit Misstrauen beäugt, auch wenn es gut ist.

Es wird noch viel Wasser die Etsch hinunter fließen bis die Autobahnfrage definitiv zu unseren Ungunsten geklärt ist.

Zusammengefasst: Toninelli wird nicht nachgeben und Südtirol und das Trentino werden sich dem Diktat aus Rom nicht beugen. Es wird also unweigerlich zur Ausschreibung der Konzession kommen?

Wir waren ganz kurz vor dem Ziel – und das tut mir am meisten Leid, auch für den Landeshauptmann, der sich in der Sache sehr eingesetzt hat. Aber leider gibt es in diesen Zeiten, wie wir sie haben, keine Sicherheit mehr. Wo die Populisten am Werk sind, kann sich schnell alles radikal ändern. Und da bin ich ganz beim Landeshauptmann: An diesem Punkt ist die Ausschreibung für uns besser.

Damit wären Ihre Arbeit und Ihre Bemühungen aus zwei Jahrzehnten am Ende umsonst gewesen.

Kann schon sein. Aber das kann einem in der Politik passieren. Das Schlimmste ist sicher, wenn du 20 Jahre lang an einem Projekt arbeitest und es dann scheitert. Das würde mir natürlich irrsinnig Leid tun, aber vielleicht kommt ja wieder eine andere Regierung… Vor einigen Jahren schien schon einmal alles verloren. Vor sechs, sieben Jahren war die Ausschreibung schon am Laufen und wurde dann gekippt. Und das ist das nächste, was wir tun werden: Wir werden die Ausschreibung natürlich anfechten – wie es jeder scheidende Konzessionär machen würde. Rekurs einlegen, das kann nicht nur ein Herr Gatterer, das können andere auch. Es wird noch viel Wasser die Etsch hinunter fließen bis die Autobahnfrage definitiv zu unseren Ungunsten geklärt ist.