Chronik | Tenti Prozess

„Sie war sehr aufgeregt“

Abteilungsdirektor Wilhelm Palfrader hat vor Gericht die Rolle von Katia Tenti im Dalle-Nogare-Deal detailliert nachgezeichnet. Ein klarer Punktesieg für die Anklage.
Nur einmal verlässt Wilhelm Palfrader an diesem Vormittag die Ebene der reinen Fakten. „Mir ist vorgekommen“, sagt der langjährige Direktor der Abteilung Wohnbau nachdenklich, „dass das Wobi das Vorgehen als klare Einmischung gesehen hat“.
Es ist einer der wenigen Momente an diesem Vormittag, in denen sich der Beamte im Zeugenstand eine persönliche Einschätzung erlaubt. 
Drei Stunden lang steht Wilhelm Palfrader am Dienstag im Schwurgerichtssaal im Prozess gegen die ehemalige Ressortdirektorin Katia Tenti und den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare Rede und Antwort.
Der amtierende Wobi-Direktor, der von 2009 bis 2016 die Landesabteilung Wohnbau leitete, zeichnet sich dabei durch seine Nüchternheit, sein Detailwissen und seine Klarheit aus. Obwohl von der Staatsanwaltschaft wie auch von den Verteidigern in die Mangel genommen, verwickelt sich der leitende Landesbeamte nicht einmal in einen Widerspruch.
 

Glaubwürdiger Zeuge

 
Der leitende Staatsanwalt Giancarlo Bramante lässt Wilhelm Palfrader noch einmal detailliert die aktive und entscheidende Rolle nachzeichnen, die Katia Tenti beim Deal und die Ausschreibung von 100 Mittelstandswohnungen in der Bozner Reschenstraße gespielt hat. Damit beginnt sich jene Geschichte, die Bramante und sein Chefermittler - der ROS-Beamte Alessandro Fontana - anhand der Akten und beschlagnahmten Dokumente dem Gericht bereits dargelegt haben, mit Leben zu füllen.
Wilhelm Palfrader bestätigt durch seine Aussage an diesem Vormittag alle wesentlichen Punkte der Anklage. Er tut das aber, ohne die eigene Verantwortung auf andere abzuwälzen, ohne Katia Tenti offen zu belasten und ohne Sympathien oder Antipathien durchscheinen zu lassen. Unaufgeregt erzählt hier einer, der bei den entscheidenden Schritten Kraft seines Amtes dabei war, was in den Jahren zwischen 2011 und 2014 passiert ist.
 
Allein die Art der Darstellung verleiht diesem Zeugen entscheidende Glaubwürdigkeit in diesem Prozess. Wobei der Inhalt der Palfrader-Aussage an diesem Tag weit mehr als nur ein Punktesieg für die Anklage ist.
 


Der brachliegende Wobi-Grund

 
Gleich zu Beginn der Palfrader-Aussage kommt ein Skandal zur Sprache, den Salto.bz vor fünfeinhalb Jahren öffentlich gemacht hatte. Das Wobi hatte 2001 in der Reschenstraße ein Grundstück angekauft, um darauf Wohnbauten zu errichten. Das Grundstück wurde aber bis heute nicht verbaut und befindet sich immer noch in der Hand des ursprünglichen Besitzers, der darauf weiter seine Äpfel anbaut.
Wilhelm Palfrader erklärt vor Gericht, wie er in einem Schreiben am 15. Dezember 2011 den zuständigen Landesrat Cristian Tommasini und dessen Ressortdirektorin Katia Tenti auf diese absurde Situation aufmerksam gemacht hatte. „Ich habe von beiden bis heute keine Antwort auf mein Schreiben erhalten“, erklärte Palfrader.
Der langjährige Abteilungsdirektor bestätigte dann auch, dass Katia Tenti bei mehreren Lokalaugenscheinen des Landes und der Gemeinde zur Ausweisung der 100 Mittelstandwohnungen anwesend war, wo sie eigentlich nichts zu suchen hatte. Selbst Palfrader war dabei nicht anwesend.
 
Wilhelm Palfrader bestätigt auch, dass der Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare im späten Frühling 2010 bei ihm war, um sich nach dem Stand der Ausschreibung für die Mittelstandswohnungen zu erkundigen. Weil er ihm nichts sagen konnte, schickte der Abteilungsdirektor den Bauunternehmer zu Katia Tenti weiter. Wochen später kam es dann zum Treffen Dalle Nogare -Tenti.
Es dürfte auch der Beginn einer privaten Bekanntschaft gewesen sein, die wenig später zu einer Beziehung zwischen Tenti und Dalle Nogare führte. „Tenti hat mir nie etwas darüber gesagt“, erklärt Wilhelm Palfrader im Zeugenstand. Er habe erst aus den Zeitungen erfahren, dass die Ressortdirektorin und der Bauunternehmer sich zeitweilig eine Wohnung geteilt hatten.
 

Die Änderungen

 
Nach Auffassung der Anklage, die von den beschlagnahmten Dokumenten und Abhörungen untermauert wird, gibt Katia Tenti im August 2013 den Entwurf für die Ausschreibung der 100 Wohnungen an den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare weiter, der an der Ausschreibung teilnehmen und sie denn auch gewinnen wird.
Die Ermittler haben bereits bei früheren Verhandlungen in diesem Prozess die Weitergabe und den Weg der Dokumente detailliert nachgezeichnet. 
Das Wohnbauinstitut übermittelt an den zuständigen Amtsdirektor Wilhelm Palfrader den Entwurf für die Ausschreibung von 100 Mittelstandswohnungen in Bozen/Reschenstraße. Palfrader leitet den Entwurf umgehend an seine Vorgesetzte Tenti weiter. Die Ressortdirektorin schickt den Ausschreibungstext von ihrer Amtsadresse auf ihren privaten E-mail-Account. Wenig später lädt Tenti den Ausschreibungstext dann auf den Dalle-Nogare-Laptop herunter. Von dort wird das Dokument auf einen Stick kopiert und am Firmensitz Dalle Nogares mehrmals ausgedruckt. Auf den Ausdrucken finden sich handschriftliche Änderungen.
 
Einige Wochen später wird der Ausschreibungstext dann von Tenti an die zuständigen Ämter retourniert. Mit genau jenen entscheidenden Änderungen, die allesamt zum Vorteil des privaten Bauunternehmers sind.
Wilhelm Palfrader bestätigt vor Gericht, dass die Änderungen ihm von Katia Tenti vorgelegt wurden und er sie dann ans Wobi übermitteln musste. „Alle Änderungen, die hier aufscheinen, wurden mir von Katia Tenti weitergeleitet“, sagt der Beamte, als ihm die Originaldokumente vorgelegt werden.
 

Das Schnellgutachten

 
An diesem Mittwoch wird aber auch eine andere absurde Geschichte genauer beleuchtet.
2011 hatte man bereits eine Ausschreibung zum Bau der 100 Mittelstandswohnungen in Bozen durchgeführt: Dabei hatten die zuständigen Landesbehörden alle angeboten Grundstücke als urbanistisch ungeeignet erklärt. Darunter auch das Mair-Defranceschi-Areal, das Dalle Nogare & Co angeboten hatten. Die Ausschreibung ging deshalb leer aus. Gegen diese Einstufung zogen die Grundbesitzer und im Hintergrund der Bauunternehmer vor Gericht. Sie verloren aber in Bozen und auch in Rom.
Wilhelm Palfrader beschrieb deshalb seine Verwunderung darüber, dass zwei Jahre später bei einer neuen Ausschreibung genau dieses Grundstück und Projekt Wiederauferstehung feiern sollten. Auch das Rechtsamt der Gemeinde Bozen sträubte sich dagegen und erklärte, dass das nicht gehe.
Der ehemalige Abteilungsdirektor erklärte im Zeugenstand, dass sich Katia Tenti Anfang Dezember 2013 zuerst an die Leiterin der Landesrechtsamtes Renate von Guggenberg wandte, damit diese eine Gutachten abgebe, das dem Dalle Nogare Projekt ermögliche, an der Ausschreibung teilzunehmen. Guggenberg verwies aber auf ihren Mitarbeiter für Urbanistikfragen, Fabrizio Cavallar.
Katia Tenti ersuchte Palfrader, mit zu Cavallar zu gehen, um ihm das Ansinnen zu erläutern „Wir sind um 7.30 Uhr zu Cavallar hingegangen“, erinnert er im Zeugenstand, „und um 9 Uhr hat er uns bereits das fertige Gutachten gemailt“. Es war natürlich zu Gunsten des privaten Bauunternehmers. Noch am selben Tag schickte es Tenti an die zuständige Bozner Stadträtin weiter.
 

Tentis Einflussnahme

 
In einem Punkt hat Wilhelm Palfrader mit seiner Aussage aber Katia Tenti auch deutlich entlastet.
Sie war sehr aufgeregt“, beschreibt der Abteilungsdirektor den Gemütszustand der Ressortdirektorin, als die Carabinierisondereinheit ROS bei ihr und Dalle Nogare sowie in den Landesämtern Durchsuchungen machte und Dokumente und Datenträger beschlagnahmte.
Die Ermittler haben SMS, Telefonabhörungen und Zeugenaussagen zusammengetragen, die nahelegen, dass die Ressortdirektorin mehrere Landesbedienstete und Wobi-Funktionäre vor und nach ihrer Anhörung durch die Ermittler zu Aussprachen getroffen hat. Die Anklage geht vom einem Versuch der Zeugenbeinflussung aus.
Tenti hat sich nur erkundigt“, sagte Palfrader auf Nachfrage der Verteidiger Fabrizio Francia und Carlo Bertacchi, „aber sie hat niemals versucht, mich zu beeinflussen oder mich zu einer Falschaussage zu bewegen“.
Dies gelte auch für eine fünfseitige schriftliche Abhandlung, die Palfrader zusammen mit Tenti zusammengestellt habe, um den gesamten Ablauf des Falles chronologisch zusammenzufassen.
 
Die Verteidiger Tentis und Dalle Nogares tun sich schwer an diesem Tag, den Aussagen des Zeugen zu widersprechen. Deshalb geht man einen anderen Weg. Fabrizio Francia und Carlo Bertacchi versuchen darzulegen, dass Tenti nur im Auftrag von Landesrat Cristian Tommasini gehandelt habe. Tommasini habe vor den Landtagswahlen 2013 unbedingt das Projekt der Mittelstandswohnungen umsetzen wollen.
Wilhelm Palfrader ist auch hier zurückhaltend und bestätigt Tommasinis politisches Interesse, man merkt aber, dass der ehemalige Abteilungsdirektor nicht daran glaubt, dass der PD-Politiker hinter den konkreten Handlungen von Katia Tenti steht.
 

Brisante Abhörung

 
Dieser Punkt wird in diesem Prozess aber noch zur Sprache kommen, wenn Christian Tommasini in den Zeugenstand treten wird.
Denn am Dienstag wurde vom Vorsitzenden Richter Carlo Busato auch der weitere Prozesskalender festgelegt. Der Richtersenat will spätestens Ende Februar 2019 zu einem Urteil kommen. Am 14. Jänner 2019 sollen die Angeklagten Katia Tenti und Antonio Dalle Nogare angehört werden. Dalle-Nogare-Verteidiger Carlo Bertacchi kündigte heute an, das sein Mandant aber „mit größter Wahrscheinlichkeit“  von seinem Recht Gebrauch machen werde, die Aussage zu verweigern.
Am 1. Februar 2019 werden dann fünf Zeugen der Verteidigung aussagen. Unter ihnen Christian Tommasini. Danach geht das Verfahren mit den Plädoyers von Anklage und Verteidigung in die entscheidende Phase.
Kurz vor Weihnachten wird aber noch ein besonders brisantes Dokument in diesen Prozess Eingang finden. Die Ermittler haben am 29. Mai 2013 ein knapp 30-minütiges Telefongespräch zwischen Katia Tenti und dem ehemaligen Bozner Oberstaatsanwalt und heutigen Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Cuno Tarfusser, abgehört und mitgeschnitten.
Am Dienstag wurde eine Sachverständige vereidigt, die das Telefongespräch niederschreiben wird. Diese Abschrift wird am 18. Dezember 2018 in einer kurzen Verhandlung in die Akten aufgenommen werden.