Gesellschaft | #GeorgeFloyd

„Wie ein Watschen ins Gesicht“

Bozen schloss sich am Montag der europaweiten Protestwelle gegen den systemischen Rassismus an, der nicht nur in den USA zum traurigen Alltag gehört.
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Foto: Julia Tappeiner

Die Stimmung war friedlich. Und sehr emotional. Unter den ca. 250 Menschen, die sich am gestrigen Montag auf dem Waltherplatz versammelt hatten, um ihren Unmut gegenüber dem systemischen Rassismus auszudrücken, der zurzeit in den USA und von dort aus in der ganzen Welt hohe Protestwellen schlägt, waren viele Betroffene. In ihren Gesichtern zeigten sich Wut und Frustration über eine Ungleichheit, die ihnen im 21. Jahrhundert immer noch täglich wiederfährt. Aber die Gesichter sprachen auch von Hoffnung. Und sie sprachen von Dankbarkeit dafür, dass über diese jahrhundertelange Problematik nun so offen gesprochen wird. „Endlich trauen sich die Leute, auf die Plätze zu gehen. Ich danke allen Italienerinnen und Italienern, die mit uns gemeinsam heute hier sind,“ erzählt Emilita, bewegt von der großen Unterstützung. Die dreifache Mutter kam vor dreißig Jahren aus Guinea-Bissau nach Italien und hatte keinen leichten Start: „Meine Kinder haben viel durchgemacht in der Schule, aber ich konnte sie nicht verteidigen, weil ich die Sprache noch nicht sprach. Wir blieben daher immer still“, erinnert sich Emilita. Damals traute sie sich nicht, bei italienischen Mitmenschen um Hilfe zu bitten. Erst als sie ihren Ehemann kennenlernte, einen Italiener, der sie unterstützte, fand sie den Mut, ihre Stimme zu äußern: „Ich bitte alle, die nicht Opfer von Rassismus sind, uns Opfern zu helfen, um endlich diesen Frieden zu finden, den wir seit Jahrhunderten suchen. Das kann nur mit der Unterstützung aller gelingen.“

 

Doch der Weg dorthin ist lang. Rassismus in der Schule treibt auch dreißig Jahre später noch sein Unwesen, berichtet ein Mädchen, das sich ebenfalls auf dem Waltherplatz unter die Menge gemischt hat: „In der Mittelschule wurde ich immer wieder mit meiner Hautfarbe konfrontiert, das N-Wort ist oft gefallen“, erzählt die junge Pustererin. „Viele meinen es bestimmt nicht böse, aber sie sollten sich bewusst sein, dass es Menschen verletzt.“ Sie ist deshalb froh, dass sich Menschen überall auf der Welt gegen Rassismus wehren, „weil man sich mit dem Thema oft alleine fühlt“.

Meine Kinder haben viel durchgemacht in der Schule, aber ich konnte sie nicht verteidigen, weil ich die Sprache noch nicht sprach. Wir blieben daher immer still

Gerade wird diese Einsamkeit durchbrochen: Bereits am Samstag hatten sich mehrere europäische Länder den Anti-Rassismus Protesten angeschlossen, die vor einigen Wochen im US-amerikanischen Bundesstaat Minneapolis entfacht waren, nachdem der Afroamerikaner Georg Floyd von einem weißen Polizisten getötet wurde. Es war nicht bloß einer der vielen Fälle von rassistisch durchtränkter Polizeigewalt gegen schwarze Staatsbürger, sondern es war jener Fall, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und so wurde der Name #GeorgeFloyd zum weltweiten Symbol im Kampf gegen den systemischen Rassismus. Am gestrigen Montag schließlich riefen mehrere italienische Städte dazu auf, sich der Protestwelle anzuschließen. 

In Bozen organisierte der senegalesische Aktivist Papadam Diop die Anti-Rassismus Kundgebung: „Wir wollen die Regierung dazu aufrufen, Verantwortung zu übernehmen. Sie muss das Problem des Rassismus an der Wurzel anpacken, bevor es bei uns so weit kommt, wie in den USA.“ Papadam beunruhigt die Entwicklung der letzten Jahre in Italien: „Immer öfters fallen rassistische und xenophobe Slogans von Politikern, zwecks politischer Propaganda. Die Politik muss verstehen, dass Italien jetzt ein multiethnisches Land ist, so wie Frankreich oder England. Wir befinden uns in der Globalisierung!“ Doch diese Entwicklung sei in Italien noch nicht angekommen, beklagt der Aktivist. Während man in Frankreich oder England zum Beispiel für Diskriminierung am Wohnungsmarkt saftige Strafen kassiere, sagten Immobilienvermittlungen vielen Eingewanderten hier direkt ins Gesicht, dass man an sie keine Wohnungen vermiete: „Sie wollen uns zwar für Arbeiten im Feld, und für Arbeiten auf den Baustellen. Aber in ihren Häusern wollen sie uns nicht. So etwas ist für uns wie ein Watschen ins Gesicht“, so Papadam. Der Aktivist, der in seiner Jugend mit dem nationalen Karateteam Senegals durch die Welt reiste, kam vor 19 Jahren nach Italien. „Ich lebte zwei Jahre lang in der Illegalität, bis ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekam.“ Der Familienvater weiß daher, was die jungen Männer am Bahnhof durchmachen und engagiert sich in verschiedenen Integrationsprojekten. Er bietet Asylsuchenden eine Perspektive zum Beispiel durch Sportkurse am Bahnhofspark oder multikulturelle Kochabende, um einen Dialog zwischen Einheimischen und Asylsuchenden herzustellen. Die Gesellschaft müsse Verantwortung übernehmen, und nachdenken, bevor man Dinge wie „Italia agli italiani“ laut ausrufe. Dafür brauche es Orte der Begegnung.

Politiker müssen verstehen, dass Italien jetzt ein multiethnisches Land ist. Doch sie wollen uns zwar für Arbeiten im Feld, aber in ihren Häusern wollen sie uns nicht

Für Papadam ist Italien mittlerweile ein zweites Zuhause geworden, erzählt er: „Senegal ist in meinem Herzen, weil es meine Heimat ist. Italien liebe ich, weil es mich aufgenommen, und mir das gegeben hat, was mir fehlte: Eine Arbeit, eine Würde und Autonomie.“ Für seine Kinder will er dieselbe Perspektive aber mit weniger Hindernissen dazwischen: „Wir haben viel durchgemacht, als Einwanderer. Wir wollen aber, dass unsere Kinder nicht dieselbe Diskriminierung erleben müssen. Ein Leben ist nicht mehr wert, wie ein anderes, wir sind alles Menschen und sollten alle dieselben Rechte haben.“

 

 

Dafür tritt die Protestmenge am Bozner Walterplatz ein. Und sie war bunt in jeglicher Hinsicht. Schwarz und Weiß, aber auch Jung und Alt haben sich versammelt, um für dieselbe Sache einzutreten. Und so war auch die Boznerin Gerda Gius von der Bewegung „Omas gegen rechts“ mit einem Plakat vertreten. Sie fordert die Leute auf, in Kontakt mit Mitmenschen anderer Herkunft zu treten, anstatt sie von vornherein aufgrund ihrer Hautfarbe zu kategorisieren. Die Politik habe leider mit der Integration versagt, beklagt die „Oma gegen Rechts“, aber im Kleinen könne jeder bei sich selbst anfangen, indem er seine eigenen Vorurteile kritisch hinterfrage: „Bis zu einem gewissen Grad, ist es oft unvermeidbar, dass man rassistisch ist, denn es beginnt ja schon damit, dass man eine Nation pauschal für etwas verantwortlich macht oder kategorisiert. Doch es gibt verschiedene Stufen von Rassismus.“

Es ist nicht fair, dass ganze Generationen, die wissen, Italiener zu sein, es nicht zeigen können. Ich kenne vierzehn jährige Jungen mit Migrationshintergrund, die eine Carbonara besser zubereiten können, als jeder Römer. Und doch sagen sie uns, wir gehören nicht dazu?

Das sehen nicht alle so. Es ist häufig genau jener „Alltagsrassismus“, der oft als harmlos und verzeihlich gilt, bei dem angesetzt werden muss. So berichten viele Betroffene davon, wie verletzlich und respektlos es sein kann, wenn etwa Leute einem ungefragt in die Haare greifen, weil der „Afro ja so cool ist“. Häufig legitimierten Politiker aus dem Mitte-Rechts-Lager mit der Entschuldigung, nicht wirklich „rassistisch“ zu sein, oder nicht zum „extremen rechten Lager zu gehören“, rassistische Aussagen, beklagt ein Teilnehmer der Proteste in Bozen namens Issa: „Ich möchte, dass alle Formen von Rassismus verurteilt werden. Man kann nicht sagen, dass einer mehr rassistisch ist, wie ein anderer.“ Issa bezeichnet sich selbst als „Kind der Globalisierung“. Geboren in St. Moritzing in Bozen, von einer italienischen Mutter und einem senegalesischen Vater, hatte er sein ganzes Leben mit Rassismus zu kämpfen. Er erinnert sich, wie er als kleiner Junge mit seinem Vater auf der Straße oft von der Polizei aufgehalten und nach den Dokumenten gefragt wurde. Und das, obwohl seine Familien ein Leben lang in Südtirol lebt. „Das, was in den USA passiert ist mit Georgie Floyd, betrifft auch Italien. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei Hand anlegt, nicht nur bei Schwarzen, auch bei anderen Ausländern.“ Den jungen Mann schmücken zwei auffallende Tattos hinter beiden Ohren: ein Umriss des italienischen Stiefelstaats, und einer des afrikanischen Kontinents. Auf die Frage nach den Tattoos leuchten seine Augen, ein bisschen vor Stolz, aber auch ein bisschen aus Ärger: „Ich bin Italiener. Und ich bin stolz darauf. Aber es ist nicht fair, dass ganze Generationen, die wissen, Italiener zu sein, es nicht zeigen können.“ So auch sein Vater, der jahrelang kämpfen musste, um eine Staatsbürgerschaft zu erhalten. „Wir sind alle stolz darauf, Italiener zu sein. Aber der Staat sagt uns, wir gehören nicht dazu? Ich kenne vierzehnjährige Jungen mit Migrationshintergrund, die eine Carbonara besser zubereiten können, als jeder Römer!“ Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft weder die Fähigkeit, eine Carbonara gut zu kochen, noch die Hautfarbe ausschalgebend sein wird, jemanden mit Respekt und mit den gleichen Menschenrechten zu behandeln, wie alle anderen.

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Karl Egger Di., 09.06.2020 - 08:40

Es wäre höchste Zeit die Entfernung aller faschistischen Denkmäler (sowie Straßennamen und Ehrenbürgerschaften) zu fordern, besonders von jenen, welche die sinnlosen Gräueltaten in Äthiopien bis heute verklären und glorifizieren. Aber da wird man in Italien wohl eher auf Gramit beißen, das Geschichtsverständnis ist hier ja brkanntermaßen ein wenig unterschiedlich als anderswo...

Di., 09.06.2020 - 08:40 Permalink
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Manfred Gasser Di., 09.06.2020 - 19:20

Antwort auf von Karl Egger

Vielleicht wäre es aber auch höchste Zeit, bei sich selbst anzufangen, mit kleinen Schritten, offenen Augen und erhobenen Hauptes auf die "anderen" zuzugehen, und dabei stört auch kein Denkmal.
Denn so könnte man vielleicht langsam ein wenig die Mauern im Kopf entfernen, das scheint mir wichtiger als die Mauern einiger Denkmäler zu entfernen.

Di., 09.06.2020 - 19:20 Permalink
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Karl Egger Mi., 10.06.2020 - 08:13

Antwort auf von Manfred Gasser

Das eine schließt ja das andere nicht aus. Oder hätten Sie den selben Rat auch jenen Demonstranten gegeben, welche in den USA Konföderiertendenkmäler entfernt haben? Aber hier ist man seit jeher kreativ, wenn es darum geht für den Erhalt socher Devotionalien zu plädieren, deren Entfernung längst überfällig ist.

Mi., 10.06.2020 - 08:13 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser So., 14.06.2020 - 16:54

Antwort auf von Karl Egger

Hätte ich, denn das gewaltsame Entfernen von Denkmälern ist kein Zeichen gegen Rassismus, sondern viel mehr ein Zeichen von Wut und Hass auf irgendwen, oder irgendwas. Und das sind keine stabilen Grundpfeiler im Kampf gegen Rassismus.

So., 14.06.2020 - 16:54 Permalink
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Karl Trojer Di., 09.06.2020 - 09:52

Diese Darlegungen von Frau Julia Tappeiner treffen einen argen Makel unserer Gesellschaft, den Mangel an gegenseitigem Respekt und an Wertschätzung der Verschiedenheiten. Wer einen zukunftsfähigen Frieden will, muss menschenfreundlich handeln. Die rasche, unbürokratische Integration von Flüchtlingen und die Anerkennung der Staatsbürgerschaft für hier geborene Kinder ist dafür unerlässlich. Fordern wir den Präsidenten des Europäischen Parlaments David Sassolo mit vielen e-mails ([email protected]) auf, dass die EU allen Gemeinden und Städten unverzüglich die Möglichkeit bietet, eine von diesen festzulegende Anzahl von Flüchtlingen bei sich aufzunehmen, wenn sie garantieren für deren Lebensunterhalt und Arbeitsplatzbeschaffung aufzukommen.

Di., 09.06.2020 - 09:52 Permalink
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Hartmuth Staffler Di., 09.06.2020 - 12:34

Diözesanbischof Ivo Muser hält jedes Jahr eine Messe für die Carabinieri und faschistischen Schwarzhemden-Milizen, die im verbrecherischen Vernichtungskrieg gegen Äthiopien gefallen sind. Vielleicht sollte man auch einmal an die Äthiopier denken, die umgebracht wurden, nur weil sie angebliche einer "minderwertigen Rasse" angehörten.

Di., 09.06.2020 - 12:34 Permalink
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Andergassen Thomas So., 14.06.2020 - 22:59

Ein Thema wird vorgekaut und die Menschen laufen wie Schafe hinterher. Gestern CO2, heute Rassismus. Im Glauben für die gute Sache, aber unfähig selbst zu denken, geben wir uns der Illusion hin frei zu sein. Dabei sind wir steuerbarer denn je.

So., 14.06.2020 - 22:59 Permalink