Gesellschaft | Sanität

Widmanns Wende

Sanitätslandesrat Thomas Widmann hat jetzt sehr geschickt seinen Standpunkt und seine Pläne dargelegt. Dabei hat er auch die SVP-Linie in Sachen Kleinspitäler korrigiert.
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Foto: LPA/Peter Daldoss
Dieser Mann braucht keinen Pressesprecher.
Thomas Widmann weiß, wie man eine Pressekonferenz hält. Der Saal in der Gesundheitshochschule „Claudiana“, der den Charme eines besser desinfizierten Klassenraums versprüht, ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Politiker, Journalisten, Gewerkschaftsspitzen, Ärztinnen und einige bekannte Unternehmer aus dem Sanitätsbereich sind da. Neun Monate lang hat der neue Sanitätslandesrat mehr oder weniger geschwiegen. Jetzt, auf dieser Pressekonferenz, wird der SVP-Politiker erstmals öffentlich zum Zustand des Südtiroler Gesundheitswesens Stellung nehmen.
Es ist ein Feuerwerk, das Thomas Widmann an diesem Donnerstagvormittag verbal abbrennen lässt. 45 Minuten lang redet er, dabei wechselt er spielend und unaufgesetzt zwischen Deutsch und Italienisch. Zur Dekoration sitzt sein Ressortdirektor Günther Burger neben ihm. Unterstützt von ein paar Slides ist das keine Pressekonferenz, sondern schon eher ein Lehrstunde über Südtirols Sanität.
Widmann stellt dabei seine Sicht der Dinge und seine Pläne vor. Er macht es nicht oberlehrerhaft, sondern fast schon jovial und kumpelhaft. Immer wieder streut er persönliche Erlebnisse, Anekdoten und Einschätzungen ein.  Widmann verwendet dabei eine einfache, verständliche Sprache und vermeidet bewusst jeden polemischen Ton und jeden politischen Seitenhieb. 
„Ich möchte Ihnen heute ein anderes Bild der Südtiroler Sanität malen“, sagt der SVP-Politiker zu Beginn seiner Ausführungen. Was danach kommt, ist aber nicht reine Schönfärberei, sondern eine geschickt austarierte Mischung aus dem nüchternen Aufzeigen problematischer Zustände, dem bewussten Auslassen anderer Problemfelder und der zur Schau gestellten Überzeugung, etwas ändern zu können.
Widmann engt das Minenfeld Sanität auf ein paar wenige, aber zentrale Baustellen ein. Damit kann er viele Problematiken, auf die er keine Antwort hat, ausblenden. Der SVP-Landesrat geht davon aus, zu wissen, was den Menschen unter den Nägeln brennt. Und genau das sind die Bereiche, in denen er anpacken will. Mit einigen wenigen, aber - so sein Credo - konkreten Maßnahmen und Änderungen.
 
 

Die Rundreise

 
Ich habe in den vergangenen Monate eine Rundreise durch Südtirols Gesundheitssystem gemacht“, erklärt Thomas Widmann sein bisheriges Schweigen. Dann liefert er einen subjektiven Reisebericht ab. Dabei bettet er das Südtiroler Gesundheitswesen zuerst national und international ein. Ein gescheiter Schachzug und ein Vergleich, bei dem Südtirols Sanität besser dasteht, als dies viele wahrnehmen möchten. Widmann rattert dabei Zahlen und Statistiken herunter, die nicht leicht zu widerlegen sind.
 
 
Wir alle haben ein auch durch die Medien verzerrtes Bild der Südtiroler Sanität, sagt der Landesrat dann. Der Blick gehe immer nur auf die Krankenhäuser, die Wartelisten und die Notaufnahmen. Südtirols Gesundheitswesen sei aber weit mehr. Dazu gehören auch die Dienste der Basisärzte, die Apotheker und vor allem die Gesundheitssprengel. Gerade dort aber funktionieren die Dienste ausgezeichnet. „Das sagen die Leute überall“, meint Widmann und legt eine Leistungsbilanz und Kennzahlen zum Krankentransport, den Verschreibungen und dem Hauspflegedienst vor, die beeindruckend sind.
Gleichzeitig streut er in das Loblied aber auch ganz bewusst Misstöne ein. Er spricht offen Dinge und Bereich an, in denen es nicht funktioniert. „Wir stehen in vielen Dingen an“, sagt Thomas Widmann „und hier müssen wir neue Lösungen suchen“.
 

Die Wartezeiten

 
Eines der Hauptprobleme in der Sanität sind die langen Wartezeiten. Auf der Pressekonferenz wiederholte Thomas Widmann dabei das, was er bereits vor Wochen in der Landesregierung gemacht hatte. Er legte eine genaue Liste aller Abteilungen mit den Wartezeiten vor. Gekennzeichnet mit Farben. Rot steht dabei für alle Abteilungen, in denen man mehr als 100 Tage warten muss.
Laut Informationen von salto.bz soll Einigen in der Landesregierung beim Anblick die Kinnlade heruntergefallen sein. Ähnlich war die Reaktion auch gestern, als über die ellenlange und vor allem blutrote Liste gescrollt wurde.
Widmann: „Wir müssen diesen unhaltbaren Zustand in den Griff bekommen“. Es soll ein Pilotprojekt zur Reduzierung der Wartezeiten in den Fachgebieten Dermatologie, Augenheilkunde, HNO und Magnetresonanz starten. Durch eine bessere Arbeitsteilung zwischen den drei Abteilungen sollen mittelfristig die Wartezeiten wesentlich verkürzt werden. Widmann erklärtes langfristiges Ziel: Alle prioritären Visiten sollen innerhalb von 10 Tage gemacht werden können.


Notaufnahme Bozen

 
Auch das bekannte Pulverfass „Erste Hilfe“ am Krankenhaus Bozen soll entschärft werden. „Wir wollen die Wartezeit bis Ende 2020 dort halbieren“, gibt der Landesrat ein ehrgeiziges Ziel vor. Derzeit betrage die durchschnittlich Wartezeit in der Notaufnahme 3,5 Stunden. Diese soll mindestens um 1,5 Stunden reduziert werden. „Das ist hoher europäischer Standard“ sagt Widmann.
 
 
Erreichen will man das durch strukturelle Veränderungen. Bereits im April wurde ein Servicepoint des ärztlichen Bereitschaftsdienstes im Bozner Krankenhaus eröffnet. Im Herbst 2019 kommt ein Ambulatorium für die Grundversorgung hinzu. Ab 1. Dezember soll zusätzlich die Kostenbeteiligung für unangemessene Zugänge greifen. Außerdem will man innerhalb des Jahres 2020 im Sprengel am Loew-Cadonna-Platz in Bozen (Quirein), später auch im Sprengel Unterland, ein sogenanntes Bezugszentrum Gesundheit und Soziales (UCCP, "unità complessa di cure primarie") schaffen.
 

Die Kleinspitäler

 
Schön verpackt in diese Pressekonferenz servierte Thomas Widmann aber auch einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Regierungspolitik und der SVP-Politik in Sachen Kleinspitäler. Nachdem die Volkspartei jahrelang und auch bei den Wahlen für ihre Sanitätspolitik in der Peripherie Prügel bezogen hatte, leitet der Sanitätslandesrat jetzt eine politische Wende ein.
Auf einer Slide unter dem Titel „Aufwertung der Grundversorgung im Territorum“ sind an diesem Vormittag Bilder der Krankenhäuser Innichen, Sterzing und Schlanders zu sehen. Die Botschaft ist klar. „Diese Krankenhäuser dürfen nicht in Frage gestellt werden“, meint Widmann. Im Gegenteil: Der Landesrat spricht von einer geplanten „Festigung der kleinen Spitäler“. Wobei man dabei auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Einzugsgebiete eingehen muss.
Spätestens in diesem Moment fragt sich: War da nicht etwas? Gab es nicht Fackelumzüge, Parteiaustritte, Drohungen und Wahlverluste?
Thomas Widmann dreht die SVP-Gesundheitspolitik in Sachen Kleinspitäler um 180 Grad. Der SVP-Wahlkampfleiter der letzten Landtagswahlen weiß genau, warum seine Partei, aber auch das Land diese Richtungsänderung nötig haben.
 

Ein Strategiewechsel

 
Anhand von Daten und Zahlen deutet Thomas Widmann aber auch einen grundsätzlichen Strategiewechsel in der Südtiroler Sanität an. Etwa im Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Sanität.
92,2 Prozent der Leistungen im Südtiroler Sanitätswesen werden öffentlich finanziert. 5,1 Prozent gehen an konventionierte Einrichtungen und nur 2,1 Prozent an die Privaten. In der Lombardei liegt das Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Sanität bei 60 zu 40 Prozent. Italienweit liege der Durchschnitt bei 71,8 Prozent. „Ich glaube, dass wir darüber nachdenken müssen, in Zukunft mehr Extraleistungen einzukaufen“, sagt der Landesrat.
 
 
Ebenso stehe der Sanitätsbetrieb vor einer anderen riesigen Herausforderung. 29,8 Prozent der Patienten leidet an mindestens einer chronischen Erkrankung. Diese aber binden 76,1 Prozent der Mittel im Gesundheitswesen. Laut Widmann müsse man auch über dieses Verhältnis nachdenken.
Auf Nachfrage von salto.bz spricht der Landesrat dann auch den gordischen Knoten des einheitlichen EDV-Systems an. „Hier gibt es noch viel zu tun, ich hoffe aber, dass wir in zwei Jahren endlich so weit sind“.
Thomas Widmann liefert auf der Pressekonferenz nicht das typische Politiker-Geschwafel ab. Seine Analyse ist der professionell vorbereitete Auftritt eines Marketingfachmanns, der es schafft, selbst ein etwas lädiertes Produkt wieder zum Strahlen und vor allem an den Mann und an die Frau zu bringen.
Das zeigt sich auch an diesem Donnerstagvormittag. Als der Landesrat seine Ausführungen beendet, brandet - für eine Pressekonferenz völlig unüblich - breiter Applaus im Saal auf.
Der organisierte Fanclub steht.
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Sepp.Bacher Do., 08.08.2019 - 20:46

Mir gefällt, dass Widmann klar differenziert, was gut läuft und was schlecht. Denn mit nur immer alles schön reden, wie es Kompatscher in der Regel tut, löst man keine Probleme. Mir scheint, dass Widmann die ganze Angelegenheit sehr professionell angeht und wahrscheinlich auch gute Mitarbeiter hat. Und das ist in dieser verfahrenen Situation - zumal in Bozen - auch notwendig.
Was Bozen betrifft, wird er - und wahrscheinlich auch der Landeshauptmann - ein Tabuthema angehen müssen und das wird nur in Kooperation mit den politischen Vertretern der italienischen Volksgruppe möglich sein: das Verhältnis und die Kooperation zwischen Italienern und Deutschen. Dazu gehört auch, dass die Zweisprachigkeit der Ärzte garantiert wird oder zumindest, dass der Patient auch einen Arzt seiner Muttersprache wählen kann!

Do., 08.08.2019 - 20:46 Permalink
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G. P. Do., 08.08.2019 - 20:51

"Rot steht dabei für alle Abteilungen, in denen man mehr als 100 Tage warten muss. Laut Informationen von salto.bz soll Einigen in der Landesregierung beim Anblick die Kinnlade heruntergefallen sein."

Aha, das bedeutet wohl, sie regieren zwar das Land, wissen aber nicht was abläuft bzw. wie es dem Volk ergeht ...

Do., 08.08.2019 - 20:51 Permalink
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Alexandra Kienzl Do., 08.08.2019 - 23:29

"29,8 Prozent der Patienten leidet an mindestens einer chronischen Erkrankung. Diese aber binden 76,1 Prozent der Mittel im Gesundheitswesen. Laut Widmann müsse man auch über dieses Verhältnis nachdenken."
Ich gehe mal davon aus, dass die Betroffenen auch lieber nicht krank wären.

Do., 08.08.2019 - 23:29 Permalink
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Peter Gasser Fr., 09.08.2019 - 06:44

Antwort auf von Alexandra Kienzl

Alkohol weg, Zucker weg, Tabak weg, Drogen jeder Art weg, Heizung weg, Autoabgase weg, asoziale Zeitgenossen weg, Alterung weg (in 99% der Zeit des homo sapiens starben 99% der Individuen vor dem 40. Lebensjahr)... da wird man sich einiges vornehmen müssen, da bleibt kein Stein auf dem anderen...
(die Aufzählung ist unvollständig)

Fr., 09.08.2019 - 06:44 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 09.08.2019 - 09:15

Antwort auf von Alexandra Kienzl

@ Alexandra K.
Man müsste wissen, was Widmann mit dieser Aussage meint? Aber ich glaube - und das als Betroffener (Herz-Kreislauf) - dass man über dieses Tabu-Thema reden soll! Zum Beispiel der gesellschaftliche "Zwang", dass die Leute immer älter werden müssen. Warum kann man einem alten Menschen im Falle von Krebs außer einer teuren Operation oder Therapie die Alternative anbieten, es auch sein zu lassen. Früher oder später wird er eh sterben müssen. Aber er kostet weniger. Oder zum Beispiel ins Auge fassen, wenn jemand den Sterbens-Wunsch äußert, kontrolliert die Lebens-erhaltenden Medikamente abzubauen und so ein früheres Sterben zu ermöglichen!?

Fr., 09.08.2019 - 09:15 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 09.08.2019 - 10:42

Antwort auf von Sepp.Bacher

Das ist ein sehr heißes Thema, das Sie da ansprechen. Wenn die Gesellschaft sich damit auseinandersetzen sollte, was ja der erste logische Schritt sein muß, wird es kein leichtes sein die Menschen davon zu überzeugen, dass früheres Sterben auch Vorteile haben kann, für alle Beteiligten.

Fr., 09.08.2019 - 10:42 Permalink