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Politik | Politischer Streit

Im Tollhaus der römischen Politik

Die erwarteten Neuwahlen im Juni sind wieder vom Tisch. Und in den zwei stärksten Parteien PD und M5S fliegen die Fetzen. Ein Sittenbild italienischer Politik.

Die für Intrigenspiele und Ineffizienz bekannte italienische Politik gewährt angeödeten Zuschauern dieser Tage eine Sondervorstellung. Während Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi von einem Fehltritt zum nächsten stolpert, fliegen im Partito Democratico förmlich die Fetzen. Und Matteo Renzi trägt sich mit der Absicht, als Parteichef zurückzutreten.

Virginia Raggi ist einen weiteren Stadtrat los. Der für Urbanistik zuständige Paolo Berdini sorgte mit abschätzigen Äusserungen über die Bürgermeisterin für einen Eklat. Sie sei unvorbereitet, habe sich mit einer Bande umgeben und sei mit dem von ihr beförderten Salvatore Romeo liiert. Während Beppe Grillo umgehend eine Liste mit "43 Erfolgen Raggis" publizierte, gärt es in der Basis der Bewegung. Die zurückgetretene Umwelt-Stadträtin Paola Muraro erklärte, im Kapitol gebe es einen "Bandenkrieg": "Mi pare abbia perso di vista il bene comune". Aus einer Umfrage der römischen Tageszeitung Il Messaggero geht hervor, dass die Hälfte ihrer Wähler Raggi nicht mehr die Stimme geben würden.  Das hindert Luigi Di Maio freilich nicht daran, einen Wahlsieg seiner Bewegung anzukündigen: "Per noi il 40 per cento é possibile. Andremo al governo e chiederemo a Renzi quanti soldi ha nelle sue fondazioni."

                                                                                     Verzicht auf vorzeitige Neuwahlen

Das klägliche Niveau der politischen Auseinandersetzungen ist ganz vom Vorwahlklima geprägt. Dabei verdichten sich die Anzeichen, dass es gar keine vorgezogenen Neuwahlen geben wird. Neben Grillo und Salvini gilt vor allem Matteo Renzi als Befürworter rascher Neuwahlen im Juni. Damit stösst er nicht nur in seiner Partei auf Widerstand, sondern auch bei Premier Paolo Gentiloni und Staatspräsident Mattarella, die keine Notwendigkeit sehen, das Parlament vorzeitig aufzulösen.

Im Partito Democratico wächst der Druck auf Renzi, möglichst rasch einen Parteitag abzuhalten, bei dem es zur Generalbrechnung kommen soll. Dem könnte sich Matteo Renzi, der sich nicht "auf kleiner Flamme weichkochen" lassen will, durch einen geschickten Gegenschlag entziehen: auf der Sitzung der Parteileitung am 13.Februar könnte er seinen Rücktritt als Parteichef ankündigen und damit die Strategie seiner Gegner durchkreuzen.  Dass jemand von seinem Amt zurücktritt, um wenige Wochen später wieder für dasselbe Amt zu kandidieren, demonstriert augenfällig die skurrilen Pirhouetten italienischer Politik.  Denn Renzi will möglichst rasch Vorwahlen abhalten - ein Vorhaben, das von seinen Widersachern im PD kategorisch abgelehnt wird. Bersani:  "Non vogliamo gazebarie, ma il congresso." 40 PD-Senatoren haben indessen ein Dokument unterschrieben, in dem sie sich gegen vorzeitige Neuwahlen aussprechen und die Fortsetzung der Regierung Gentiloni bis zum Frühjahr 2018 befürworten.

Es muss bezweifelt werden, ob die zerstrittenen Parteien sich vor dem Sommer auf ein neues Wahlrecht einigen können, das unterschiedliche Mehrheiten in Kammer und Senat verhindert. 18 Gesetzentwürfe liegen bereits vor, zehn davon stammen aus den Reihen des PD. Weitere sind bereits angekündigt.   Die Töne der politischen Auseinandersetzung werden rauer. Der Corriere della sera definiert Italiens Politik am Samstag als "un gigantesco bar sport: "Nel nostro dibattito pubblico sono saltate regole elementari di convivenza, tolleranza ed educazione minima".  Inhalte sind in dieser alltäglichen Schlammschlacht offenbar Nebensache. Der apulische Präsident Michele Emiliano wettert, der Partito Democratico sei zum "partito dei finanzieri, banchieri e dell'establishment" verkommen: "Il renzismo é finito." Er könnte sich freilich täuschen. Beim Parteitag, dessen Termin noch nicht feststeht, wird sich der Ex-Premier heftiger Attacken erwehren müssen. Doch seine Mehrheit wird auf 70 Prozent geschätzt.

Neben Emiliano wollen sich auch der toskanische Präsident Rossi und Roberto Speranza vom linken PD-Flügel um die Nachfolge Renzis bewerben. Eine Spaltung der Partei ist nicht ausgeschlossen. Massimo D'Alema gibt sich überzeugt, dass ein neue Linkspartei bei Wahlen "mindestens 10 Prozent erreichen könnte". Nach Umfragen müsste sie sich jedoch mit drei Prozent begnügen.

Der jämmerliche Zustand, in dem sich der Partito Democratico befindet, offenbarte sich vor wenigen Tagen in Genua, wo die Partei ihre Mehrheit im Gemeinderat einbüsste und Bürgermeister Marco Doria wenige Monate vor den Gemeindewahlen den Verzicht auf eine weitere Kandidatur ankündigte. Die Partei steht ohne Nachfolger da.

                                                           "Campo progressista" - eine Alternative ?

An einer neuen politischen Kraft bastelt indesssen der ehemalige Mailänder Bürgermeister Giuliano Pisapia. Ihm schwebt keine Partei vor, sondern ein "campo progressista: "Un progetto del tutto nuovo, che nasce con una grandissima ambizione: offrire altro, rivoluzionare la politica, cambiarla nel profondo. Vogliamo unire storie e percorsi diversi e costruire una casa comune." Keine Partei also, sondern eine Art Föderation, die eine Koalition mit dem Partito Democratico eingehen könnte. Unterstützt wird Pisapia von Kammerpräsidentin Laura Boldrini. Die Hälfte der in Spaltung begriffenen Sinistra Italiana ist bereits ins neue Projekt eingestiegen.  "Pisapia ist der neue Prodi", jubelt Gad Lerner.

Auch zwischen Renzi und Regierungschef Gentiloni gibt es erste Konflikte. Der Premier ist verärgert über einen von zahlreichen PD-Parlamentariern unterzeichneten Antrag, der einen Verzicht auf Steuererhöhungen fordert. Doch längst weiss man, dass der von der EU ultimativ geforderte Bilanzausgleich mit neuen Steuern auf Benzin und Zigaretten finanziert werden soll.

Streit gibt es auch in der Lega. Der triftige Grund: Matteo Salvini will dem Gründer Umberto Bossi eine weitere Kandidatur verweigern. In diesem Fall würde Silvio Berlusconi einspringen und  dem 75-jährigen nach sieben Legislaturen einen Listenplatz bei Forza Italia anbieten. Berlusconi blickt optimistisch auf den Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte, der in den kommenden Monaten seinen Rekurs positiv behandeln könnte. Damit wäre auch für den 81-jährigen der Weg zu einer neuerlichen Kandidatur frei. Zum Wohle Italiens - versteht sich.