Wirtschaft | Dolomiten-Pässe

Die Chance der Schließung

Wenn wir nicht einsehen, dass die Schließung der Dolomiten-Pässe eine Chance und keine Tragödie darstellt, dann verpassen wir eine große Wirtschaftsmöglichkeit.
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Das Sellajoch nicht zu sperren, nicht einmal für ein paar Stunden, bedeutet, eine enorme Chance für den Tourismus nicht zu nutzen. Ich sage das als Hotelier. Gleichzeitig zeigt es auch fehlende Verantwortung und fehlendes Zuständigkeitsgefühl für die Pflege unserer eigenen Natur, unserer eigenen Heimat.

Die Großartigkeit der Dolomiten ist einzigartig und paradox. Einerseits schnurren wir in ihrem Angesicht zu ganz kleinen und unbedeutenden Menschlein zusammen, andererseits nehmen wir in ihnen eine Größe wahr, die in der Ewigkeit des Momentes unseres Lebens ganz zu uns gehört. Diese Größe nicht zu verstehen, zu akzeptieren und zu verinnerlichen ist ein schwerer Fehler. Sie lässt uns kurzsichtig und verbohrt zurück; wir sind nicht mehr in der Lage, dem raschen Paradigmenwechsel im touristischen Gastgewerbe zu folgen. Wenn wir die neuen Codes nicht zu entschlüsseln lernen, bleiben wir als Analphabeten auf der Strecke. Und als Analphabeten sind wir den kräftigen Winden des Marktes und der globalen Wirtschaft ziemlich wehrlos ausgesetzt. 

So wie Internet zu den wenigen Erfindungen der Menschheit gehört, die der Mensch selbst nicht richtig versteht (Erich Schmidt), so können wir auch sagen, dass die Bedeutung reduzierten Verkehrs auf den Dolomitenpässen zu den wenigen Dingen gehört, welche die lokale Politik nicht im geringsten verstanden hat. In unserer hochtechnologischen Zeit, in der wir Fotos und Gedanken ins Netz und unser Ego zur Schau stellen, in der wir unsere Freunde und vermeintliche Freunde virtuell kennenlernen, hat uns gleichzeitig eine irre Lust ergriffen, aus dieser als zu stark empfundenen Schnelllebigkeit wieder auszusteigen. Wir entwickeln eine neue Achtsamkeit gegenüber unserer Ernährung und unserem Verhältnis zur Natur, wir entwickeln einen neuen Lebensstil.

30 Jahre sind vergangen, seit vier Freunde an einem Bartresen und mit Sicherheit ohne den Wunsch, die Welt zu verändern, ein ganz besonderes Radrennen ins Leben gerufen haben, die Maratona dles Dolomites. Kaum jemand sonst glaubte damals daran; die meisten hielten diese vier Freunde für verrückt. In diesem Sommer wird die Königsetappe des Giro d’Italia auf der Maratona-Strecke verlaufen, mit Start in Alpaga und weiter nach Arabba, wo sie dann die Spur der Maratona aufnimmt. Eine Ehre, die uns stolz macht und uns wieder einmal klar erkennen lässt, dass der Radsport in den Dolomiten das werden kann, was im Winter mit der Sella Ronda der Skisport ist. Dürfen wir denn an so eine Zukunft nicht glauben? Natürlich erfordert ein derart ehrgeiziges Ziel ganz gewaltige gemeinsame Anstrengungen. Es erfordert die Fähigkeit, auf lokaler Ebene im Team zu arbeiten und vorausschauend die unserem Gebiet innewohnenden Ressourcen zu nutzen. Es ist ein Ziel, das deutlich einschneidendere und bedeutendere Auswirkungen haben kann, nicht nur was Umwelt und Wirtschaft betrifft, sondern auch in sozialer und kultureller Hinsicht.

Sehen wir uns nur die vielen schönen Radveranstaltungen an, die es bereits gibt, vom Würzjoch (Börz-Plose Bike Day am 26. Juni) bis hin zum Sella Ronda Bike Day – Erfolgsevents, die seit Jahren stattfinden. Oder sehen wir uns, wie viele Leute aufs Grödner Joch hochradeln wollen, auf das Pordoijoch, um sich dann kurz auf drei komplett flachen Kilometern zu erholen, bevor es mit einer durchschnittlichen Steigung von über 12% auf den furchterregenden Fedaia-Pass hochgeht. Klar, dass die Lust auf ein wenig Coppi- und Bartali-Feeling kombiniert mit der Tatsache, dass man statt Trinkflaschen heute mehr Instagram-Fotos herumreicht, eine enorme Chance bedeutet: Der Radfahrer radelt, bleibt stehen und sieht sich um. Der Motorradfahrer dröhnt, beschleunigt und rast davon. Der Unterschied ist gewaltig. Wer ihn nicht begreift, ist wirklich dumm. Weltweit ist der Radsport dabei, unser Art der Fortbewegung und des Urlaubmachens radikal zu verändern; wenn wir das nicht begreifen, verschließen wir uns großen neuen Möglichkeiten für das Wirtschaftssystem der Dolomiten. Es würde bedeuten, dass Millionen von Radfahrern ihre Ferien in anderswo verbringen und – zu Recht – behaupten, dass auf unseren Straßen einfach zu viel Verkehr herrscht. Zu viel Krach. Zu viel Gestank.

Wir sind auf dem besten Wege, eine Riesenchance zu verpassen. Und wir verpassen sie aus fehlender Courage. Vielleicht wissen unsere Bürgermeister nicht, dass ohne ein bisschen Mut, ohne Veränderungswillen, ohne Gefühl für einen Ort, der zum UNESCO-Erbe der Menschheit gehört, ohne Projekte und Pläne all die großen Veränderungen, die gerade stattfinden, zum Nachteil gereichen können. Zum Nachteil derer, welche diese Veränderungen nicht als Chance begreifen. Wenn wir so weitermachen, werden wir auf unseren verstopften Straßen das Schlusslicht im Tourismus bilden, während die andern glücklich einer rosigen Zukunft entgegenradeln. 

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pérvasion Fr., 11.03.2016 - 11:30

Mit der Forderung nach Schließung der Pässe bin ich grundsätzlich sehr einverstanden. Grundsätzlich. Die Dolomitenpässe schließen aber auch einen kleinen und sehr fragilen Sprach- und Kulturraum wie den ladinischen zusammen. Man muss hier sehr vorsichtig sein. Es ist, als würde man den SüdtirolerInnen deutscher Muttersprache vorschlagen, den Brenner ganz zu schließen (für Auto und Zug). Allein schon die Ankündigung von Grenzkontrollen ruft hier große und nicht unberechtigte Ängste hervor. Im Fall der Dolomitenpässe wäre es wichtig, sofort an einer leistungsfähigen Bus- und dann auch an einer Bahnverbindung (Tunnel?) zu arbeiten. Zeitweise Sperrungen sind wahrscheinlich leichter verkraftbar, als vollständige. Vielleicht könnten Einheimische (aus den ladinischen Gemeinden) von der Sperrung (zumindest teilweise) ausgenommen werden. Die genaue Lösung habe ich nicht, aber die Bedenken zur Schließung einfach vom Tisch zu fegen ist mir ein wenig zu simpel. Vorsicht ist angesagt.

Fr., 11.03.2016 - 11:30 Permalink