Politik | Gastkommentar

Was für Glück wir hatten!

Eine politisch-philosophische Nachbetrachtung zur Abwahl von Donald Trump und über die Herausforderungen an Joe Biden.
US-Wahlen
Foto: Josh Carter on Unsplash

Als Donald Trump vor vier Jahren den Wahlkampf gegen Hillary Clinton gewann, da war es, als zöge ein Schatten über unsere Welt. Diese irrlichternde Gestalt, die sich als Anti-Establishment-Figur präsentiert hatte, stand für alles, was bis dahin als dumm, schmutzig, unehrlich, abstoßend, mit einem Wort: unmöglich gegolten hatte. Dass diese Clownsfigur nicht nur als Präsidentschaftskandidat ernst genommen wurde, sondern am Ende als US-Präsident sogar ernst genommen werden musste, war nicht nur ein globaler Schock, es war definitiv das Zeichen, dass sowohl die moderne Demokratie als auch traditionelle gesellschaftliche Werte sich in einer ernstzunehmenden Krise befanden. Jetzt ist Donald Trump abgewählt worden, an seiner statt wird Barack Obamas ehemaliger Vizepräsident Joe Biden das Ruder der Macht im Weißen Haus übernehmen. Dass Biden keinen Erdrutschsieg einfuhr, ist jedoch ein starkes Indiz dafür, dass die Krise nicht überwunden ist, die Umwälzung der Werte nicht vollzogen.

 

Werte - Wahrheit - Wirklichkeit

 

Donald Trumps Sieg vor vier Jahren drohte, die USA von einem globalen Vorbild für moderne Demokratie in eine Witzfigur zu verwandeln. Vladimir Putin wusste damals sehr genau, warum er Trump unterstützte und nicht Hillary Clinton. Trump als US-Präsident verursachte genau jenes internationale Machtvakuum, das er brauchte, um weiter ungestört seine großrussische Agenda zu verfolgen.

Jenseits aller geopolitischen Folgen hatte Trumps seinerzeitiger Sieg weitreichende gesellschaftliche Folgen. Obwohl er sich gerne als erfolgreicher Unternehmer darstellte, war er bis zu seinem Wahlsieg über Hillary Clinton eigentlich nur auf einem Feld erfolgreich gewesen: dem der Unterhaltung. Die Reality-TV-Show "The Apprentice" bescherte ihm seine einzigen sicheren und stabilen Einkünfte. Die brauchte er auch, um die Verluste aus seinen Immobilienunternehmen auszugleichen. 

Die Filmindustrie ist der Inbegriff dessen, was sich in den letzten vier Jahren rasch zu einem dunklen Schlagwort etablierte: "Alternative Realitäten", aus denen in Trumps Präsidentschaft sehr bald schon "Alternative Fakten" wurden. Früher nannte man sie schlicht und einfach Lügen ...und schämte sich ihrer, war man ein halbwegs anständiger Mensch. 

Trump verkörperte die Tatsache, die der Psychologe Paul Watzlawick in seinem Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" beschrieben hat: Entscheidend ist nicht, was wahr ist, sondern was als wahr empfunden oder anerkannt wird. Für Watzlawick war die Wirklichkeit nie eine objektiv feststellbare Tatsache (worin ihn sowohl die moderne Physik als auch die Pluralität der Postmoderne bestätigen), sondern eine Übereinkunft, die in interpersonaler Kommunikation entsteht. Einfach ausgedrückt: Wirklichkeit entsteht aus zwischenmenschlichem Austausch.

Die Menschheits- und Politikgeschichte ist so voller Beispiele von Realitätsschaffung durch Propaganda-Missbrauch, dass es zwecklos ist, ihre traurige Geschichte groß auszubreiten. Ob es die alten Römer waren, die mittelalterlichen Päpste, die Sklavenpolitik der jungen USA, die Nazis, die Sowjetrussen, oder Geschäftsleute zu allen Zeiten: überall und zu allen Zeiten sind Realitäten gebogen worden ...bis sie irgendwann einmal barsten und als das enthüllt wurden, was sie immer schon gewesen waren: noch nicht einmal Seifenblasen, gefüllt mit noch nicht einmal heißer Luft, nämlich leere Worthülsen.

Und doch hatten sie Macht entfaltet: altrömische Senatoren zu Diktatoren gemacht, Menschen auf Kreuzzüge geschickt, Juden in Gaskammern umgebracht und Bürger auf allen Erdteilen unter ebenso grausame wie sinnlose Diktaturen gezwungen, oder zu sinnlosem Konsum verführt.

 

Donald Trump hat außer einer außergewöhnlichen Zähigkeit bisher nur ein einziges Talent gezeigt: überzeugend zu reden bzw. in seinem Falle überzeugend zu lügen. Andere Fähigkeiten oder Kompetenzen zeigte er nicht.

In stabilen Zeiten wäre er irgend ein Ärgernis gewesen, wie es etwa Warren G. Harding war (US-Präsident 1921-23), aber Trump kam in dem Moment zum Zuge, als die sich zuschärfende Klimakrise und die mit ihr verbundene soziale und wirtschaftliche Gesellschaftskrise die US-amerikanische Bevölkerung stärker als je zuvor verunsichert hatte.

Donald Trump brachte ins hohe Amt des Präsidenten keinerlei Führungsqualitäten mit. Aber er hatte verstanden, dass seine rüpelhafte, grobe, verlogene Art von vielen Menschen als besonders direkt und ehrlich missverstanden wurde - und zögerte nicht, diese Masche zu perfektionieren.

Denn wir alle, wenn wir ehrlich sind, werden feststellen, dass jeder von uns gewisse Trump-Züge in sich trägt. Nur gesellschaftliche Konvention, Rücksicht, die Aussicht auf daraus erwachsende Nachteile, und manchmal - selten genug - etwas Anstand, hindern uns daran, diesem Dämon die Zügel schießen zu lassen.

Donald Trump hingegen machte mit der Eroberung des Weißen Hauses schlechtes Benehmen salonfähig. Einmal an der Macht, konnte er straflos twittern und rüpeln, was und wie er wollte. 

 

Krisenzeit und Führungsschwäche

 

Zu seinem und unser aller Glück hatte er keine darüber hinaus gehenden Ambitionen. Er wollte einfach nur ins Weiße Haus und dort nach Lust und Vergnügen die öffentliche Aufmerksamkeit und politische Immunität genießen. Im Grunde ähnelte er damit mehr einem der unfähigeren spätrömischen Kaiser als einem modernen Staatsmann.

Was passiert, wenn akute Krise, staatsmännische Unfähigkeit und populistisches Talent zusammenkommen, ist in der Corona-Krise vor der ganzen Welt offenkundig geworden: eine humanitäre Tragödie und eine beispielslose wirtschaftliche und soziale Krise. Seine Antwort auf die Black-Lives-Matter-Proteste waren ebenso gewalttätig-hilflos wie die aller schwachen Autokraten vorher, nur nicht ganz so blutig.

Bereits George W. Bush war ein Beispiel dafür, dass schwache, inkompetente Charaktere in einer solchen herausragenden Machtposition in Krisenzeiten mehr sind als das Ärgernis, das sie in stabilen, ruhigen Zeiten darstellen. Bush versäumte es, frühzeitig auf den Klimawandel zu reagieren - im Gegenteil: Er leugnete ihn. Er reagierte schwach und charakterlos auf die Anschläge des 11. September 2001, vertiefte die gesellschaftlichen Gräben in den USA und verursachte indirekt die Weltwirtschaftskrise 2008/09 mit.

Donald Trump setzte dem Ganzen die Krone auf. Man muss ihm zugute halten, dass er keinen Krieg vom Zaun brach, aber unter ihm setzte eine gefährliche politische und gesellschaftliche Destabilisierung ein, die in Zukunft verhängnisvolle Früchte getragen hätte. Denn nicht nur machte er noch in ganz anderer Weise als Bush die USA zum Gespött der Weltöffentlichkeit, er förderte und bestärkte durch sein schlechtes Beispiel Bosheit und Hass in der Gesellschaft. Das gilt nicht nur für seine Anhänger, sondern auch für die, die sich über ihn lustig machten und ihn bekämpften.

Immerhin wurden nun die gemäßigteren und progressiveren liberalen Schichten hinreichend aufgerüttelt, um den zugegebenermaßen eher uncharismatischen Greis Joe Biden zu wählen. Biden wird die USA nicht aus der Krise führen können, aber er kann seinem Land vielleicht ein wenig von der Würde und dem Vorbildcharakter zurückgeben, von dem es in den letzten Jahren so viel verloren hat. Gleichzeitig kann er - vielleicht - den Weg bereiten hin zu einer tatsächlichen Reformerpersönlichkeit, die auf die herrschende globale Krise richtig reagieren wird. Die heranrollende Klimakrise ist eine solche globale Herausforderung. 

 

Neofaschismus und Klimakrise

 

Die heranrollende Klimakrise bedeutet einen Kampf an mindestens drei Fronten:

Die erste Front ist die, an deren Anfang wir gerade stehen: die Dekarbonisierung unserer Zivilisation in all ihren vielen Facetten und Ausprägungen, und zwar weltweit. Das betrifft die Energieerzeugung, den Verkehr, die Industrie, die Wirtschaft, die Kommunikation und die Nahrungsproduktion, kurz: unser ganzes Leben. Diese Veränderung bringt, je rascher sie vollzogen wird, einen umso größeren sozialen Druck mit sich. 

 

Die zweite Front wird die sozialen Daumenschrauben weiter anziehen: die steigenden Temperaturen weltweit, verbunden mit dem nach wie vor voranschreitenden Bevölkerungswachstum, werden durch Dürre und Naturkatastrophen irgendwann die Nahrungsmittelversorgung gefährden. Der steigende Meeresspiegel wird Landflächen verschlingen und sowohl Nahrungsmittelanbau als auch Siedlungsraum zerstören. 

Diese beiden Fronten entladen sich in einer dritten Front, der politischen:

Soziale Not, sozialer Druck, fördern den Wunsch nach starker Führung. Sie weckt den in uns allen vorhandenen Wunsch, unsere Probleme, unser Leid, unsere Not nach außen hin zu kompensieren. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind nichts anderes als der kollektive Reflex, die Wurzel unserer Probleme im Fremden zu sehen und nicht in uns. Schuld sind immer die anderen, nicht wir selber. Das ist einer der Hauptschlüssel zum Erfolg populistischer Irrlichtgestalten wie Donald Trump.

Wir können von Glück reden, dass die heutigen politischen Vertreter des Neofaschismus einerseits vor allem ihr eigenes Wohlergehen im Sinne haben und kein übergeordnetes Ziel, und andererseits die globale Krise noch nicht schwer genug ist.für einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft.

Der ehemalige Sprecher der AfD Christian Lüth hat es in einem sich unbelauscht wähnenden Moment in folgendem Satz zusammengefasst: "Je schlechter es Deutschland geht, umso besser für die AfD." Das gilt nicht nur für Deutschland und die AfD, das gilt auch für den Neofaschismus und die ganze Welt. 

 

Ein Appell

 

Donald Trump war zu selbstbezogen und schwach, um als unheiliger Dämon der Vernichtung in die Geschichte einzugehen wie Adolf Hitler. Eher wird er als kuriose Fußnote enden, wie ein Caligula.

Kleingeister mit populistischem Talent wie Donald Trump, H.C. Strache oder Matteo Salvini sind indes die gefährlichen Wegbereiter möglicher charismatischer, faschistoider Führergestalten, die in einer immer chaotischer werdenden Welt unsere heutige globale Weltkultur in einen dritten Weltkrieg stürzen könnten. So ist es ein Glück, dass ein moderater US-Präsident wie Joe Biden in den USA nun das nötige Gegenwicht zu jener destruktiven Geisteshaltung bildet, die sich seit Jahren immer stärker aufschaukelt.

Joe Biden dürfte zu alt sein, um mit der USA als globalem Vorbild die Welt durch die kommenden Herausforderungen zu schiffen. Dazu bräuchte es Visionäre, die in der heutigen Weltpolitik schmerzhaft fehlen. Visionäre, die nicht nur die Gefahren durch den Klimawandel klar erkennen, sondern auch jene übermenschlichen Energien entwickeln, wie sie die großen Geister der Menschheitsgeschichte ausgezeichnet haben. 

Aber Joe Biden kann den Weg bereiten. Ob es jemand wie Kamala Harris wird oder doch eher eine Alexandria Ocasio-Cortez, bleibt abzuwarten. Doch das Beispiel von Greta Thunberg zeigt: Es gibt sie, die Visionäre, jetzt ist die richtige Zeit für sie. Und es sieht so aus, als würden es vor allem Visionärinnen werden.

 

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Hans Knapp Mi., 11.11.2020 - 22:54

Ja, die Herausforderungen sind riesig, und der Mensch ist im tiefsten Grund ein Gefühls- und erst dann ein Vernunftwesen. Deswegen, glaube ich, können visionäre Menschen große Wirkungen ausüben. Hoffen wir auf menschenfreundliche Visionär*innen - und vergessen dabei nicht unseren alltäglichen Part.

Mi., 11.11.2020 - 22:54 Permalink
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Karl Trojer Do., 12.11.2020 - 10:38

Ich denke, dass die Kombination Biden-Harris eine durchaus gelungene sein kann. Trump entwickelt sich zum Kriminellen, der ob seiner Blockade von zielführenden covid-19-Maßnahmen, tausende von Toten verursacht. Gerichte müssten ihn sofort zur Seite schaffen und zur Rechenschaft ziehen. Wenn Trump weitere 7 Wochen so fahrlässig weitermachen kann wie derzeit, dann wird es für Biden und Harris schwierig werden.

Do., 12.11.2020 - 10:38 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 12.11.2020 - 16:04

Ich sag mal so, um die USA der letzten 50-60 Jahre als Staat mit Vorbildcharakter zu definieren, braucht es schon viel Mut, und einen getrübten Blick auf die Dinge. Und wenn man dann noch über Bush herzieht, ohne eine einziges Wort über die vielen Fehler von Biden´s Ex-Chef zu verlieren, muss man schon beide Augen verschliessen.
Was die Kritik an Trump, und seinesgleichen betrifft, bin ich ganz beim Schreiber, aber bitte etwas obiektiver. Die USA sind schon lange keine Vorbild für eine demokratische Gesellschaft mehr, und das liegt nicht nur an den republikanischen Präsidenten der letzten Jahre, eher liegt es am total ungezügelten Kapitalismus, oder um es in den Worten des hier öfter schreibenden Herrn Franz Haller zu sagen, das "Geldsystem" regiert in den USA, und nicht nur dort, und da gibt es leider wenig Raum für Demokratie.

Do., 12.11.2020 - 16:04 Permalink