Gesellschaft | Salto Gespräch

„Im Internet läuft es mies ab“

Kommentare auf Onlineforen nehmen oft beleidigende Töne an. Um Netzdebatten sachlicher zu gestalten haben Alexander Schneider und Christian Meter eine Software entwickelt
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Foto: Alexander Schneider/Christian Meter

Zurzeit geistern zwei Themen durch den öffentlichen Diskurs: Political Correctness und Cancel Culture. Dabei geht es unter anderem um die Frage: Wie gestaltet man Netz-Debatten sachlich und respektvoll, ohne dabei unliebsame Nutzer mundtot zu machen oder zu tief in die Privacy einzugreifen? Auch SALTO verfällt immer wieder in die Diskussion darüber, wie umgehen mit Kommentaren und Usern. Zuletzt kam das Thema auf, als im Land darüber geredet wurde, die Förderbeiträge an das Verbot von Anonymität im Netz zu knüpfen. Die beiden Informatikern Dr. Alexander Schneider und Dr. Christian Meter beschäftigt das Thema ebenso. Gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Mauve erforschen sie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, warum es „so mies abläuft im Internet“ und wie man die Debattenkultur im Netz verbessern kann. Ihre Lösung: Eine Software, die sachlichere Argumente und übersichtlichere Kommentarbereiche ermöglicht.

 

Salto.bz: Ihr erforscht, warum Menschen an Diskussionen im Netz teilnehmen. Was sind Faktoren, die Menschen dazu bringen, online einen Artikel zu kommentieren?

Alexander Schneider: Unser Fokus liegt auf Diskussionssoftware. Also wie können wir Menschen anhand von Software dazu bringen, mehr und besser zu diskutieren? Erfahrungsgemäß gibt es drei große Ansporne, um online zu kommentieren: Zum einen ist es die Korrektur von Fehlern. Also wenn Menschen etwas als falsch empfinden, das muss nicht unbedingt objektiv ein Fehler sein, dann haben sie große Motivation, etwas dazu zu schreiben. Ein zweiter wichtiger Grund ist für viele Menschen, ihre Meinung in die Welt zu tragen, sich selbst darzustellen. Und dann gibt es noch einen Anteil an Menschen, die der Sache wegen diskutieren wollen und an sachlichen Argumenten interessiert sind.

Christian Meter: Was uns auch interessiert ist, welchen Wert diese Diskussionen für Journalisten haben, und wie wir durch Technik diesen Wert strukturiert erfassen können. Wir hatten daher Kontakt mit einigen Medien, um Einblick in deren Praxis zu erhalten.

Welchen Wert können denn Nutzerkommentare für Medien haben?

AS: Der offensichtliche Wert ist natürlich, dass man dadurch erfährt, was die Leser am Thema, über das der Artikel berichtet, bewegt. Meist ist es aber schwer, die Diskussionen zu quantifizieren oder den Kern davon zu verstehen, denn man verliert schnell den Überblick, insbesondere bei zahlreichen Kommentaren. Mit Software kann man sie mathematisch strukturieren und graphisch darstellen. Somit kann man auf den ersten Blick sehen: Wie oft wurde ein Argument genannt? Welche sind besonders kontrovers, welche werden angenommen und wie hängen die einzelnen Argumente zusammen?

CM: Unsere These war, dass es Journalisten interessiert, was Leser so schreiben, um dann vielleicht die Artikel ein bisschen danach auszurichten. Wir horchen uns daher in verschiedenen Medien ein wenig um. Dabei haben wir aber festgestellt, dass das weniger oft der Fall ist. Das liegt unserer Meinung daran, dass Onlinedebatten zu unübersichtlich verlaufen. 

 

Ein Argument sollte nicht nur weiter oben landen, weil es zuerst abgegeben wurde, sondern die Qualität des Beitrags sollte eine Rolle spielen. Dabei kann Software helfen.

 

Wie genau wollt ihr online Debatten besser gestalten?

CM: Wir haben uns gedacht, wenn wir die Argumente anders aufbereiten können, können wir vielleicht einen neuen Wert solcher Onlinedebatten schaffen. Durch die graphische Darstellung kann man übersichtlich sehen, was genau gesagt wurde, welche Teile des Beitrags besonders häufig attackiert wurden, welche hingegen angenommen wurden. Daraus können Medien einfacher Schlüsse ziehen. 

AS: Diese Graphik kann auch als Moderationsinstrument benutzt werden. Wenn man sich zum Beispiel nur die kontrovers diskutierten Argumentationsstränge anzeigen lässt, bei denen womöglich polarisierende Beiträge dabei sein könnten, kann man entsprechend fokussiert dort moderieren. Es ging uns aber vor allem auch darum, NutzerInnen zu helfen, einen Überblick über die Diskussion zu bekommen. Ein Medium wie The Guardian zum Beispiel hat oft zu einem Beitrag mehrere Hundert bis Tausend Kommentare. Ein Nutzer kann natürlich nicht alle davon lesen. Das führt zu einem Teufelskreis, weil dann meist nur die oberen Kommentare gelesen und bewertet werden. Doch ein Argument sollte nicht nur weiter oben landen, weil es zuerst abgegeben wurde, sondern die Qualität des Beitrags sollte eine Rolle spielen. Dabei kann Software helfen.

 

 

Ihr habt es schon angesprochen, Online Debatten laufen selten sachlich ab.  Woran liegt das?

AS: Ich glaube, das ist ein Symptom von der Art, mit der man heute im Internet diskutieren kann. Man kann Kommentare nur der Reihe nach abgeben und das führt dazu, dass der Überblick fehlt, und man dann schnell abdriftet vom Thema. Meist behält man dann nur mehr einzelne Beiträge im Kopf, anstatt eine Übersicht der Debatte, und das wiederum bestärkt diese Blasenbildung und Grabenkriege. Durch diese Spaltenstruktur ist es auch schwierig sich auf einen spezifischen Punkt eines Kommentars zu beziehen und ihn zu kritisieren. Stattdessen fallen dann eben pauschale Sätze wie „du redest Schwachsinn."

Bei listenförmigen Kommentarspalten fehlt der Überblick, man driftet schnell ab vom Thema. Das bestärkt diese Blasenbildung und Grabenkriege und es fallen schnell mal Sätze wie "Du redest Schwachsinn"

Eure Lösung für eine sachlichere Debatte heißt „Dialogbasierte Online Argumentation“. 

CM: Genau, das ist der Ansatz. Dazu haben wir mehrere Tools entwickelt. Jenes, das wir für Online-Zeitungen entworfen haben nennt sich „Discuss“, also „Diskutieren“ auf englisch. Diese Software ermöglicht es Usern, eine Textstelle des Artikels zu markieren, und sich mit einem spezifischen Argument darauf zu beziehen. Der Computer erfasst dann diese Aussage und die Begründung dazu. Andere Nutzer können sich dann wiederum mit einem Kommentar auf das spezifische Argument beziehen. Die Software kann zudem die Argumentationsstruktur anhand von Pfeilen graphisch darstellen. Gibt es dann eine Diskussion zu einer anderen Textstelle des Artikels, wird ein zweiter graphischer Zweig aufgemacht.

 

 

AS: Die Argumente werden sozusagen in Relation zueinander gesetzt. Das System fragt einen Nutzer auch, was genau ihn am Kommentar, auf das er sich bezieht, stört. Also ist es die Begründung oder die Aussage an sich? Dadurch kann man nicht einfach den ganzen Kommentar beiseite fegen oder die Person direkt kritisieren. Durch den Fokus auf spezifische Argumente ist die Debatte losgelöster von der Person, die kommentiert, Beleidigungen sind somit schwerer einzubringen. Unser Tool schlägt den Nutzern dann auch ähnliche Argumente vor, auf die man sich beziehen kann, ohne sich einsam durch den ganzen Kommentargeschwulst schlagen zu müssen. Dieser „Wir-Fokus“ trägt dazu bei, dass die Angriffslust der Leute sinkt und man sachlicher bleibt.

Durch den Fokus auf spezifische Argumente ist die Debatte losgelöster von der Person, die kommentiert, Beleidigungen sind somit schwerer einzubringen.

Und wie funktioniert eure Software „Discuss“, habt ihr sie bereits getestet?

CM: Wir haben im letzten Winter eine Studie mit unserem ersten Prototyp durchgeführt. Eine Testgruppe diskutierte nach altem Muster: Also mit listenförmigen Kommentarspalten. Die andere diskutierte mit unserem dialogbasierten Tool. Dabei konnten wir feststellen, dass der Diskurs im dialogbasierten Diskutieren sachlicher wird, während Studierende, die mit Kommentarspalten diskutierten, sich schnell gegenseitig beleidigten. 

Wie kann man die richtige Balance finden zwischen respektvollem Umgang miteinander im Netz und Meinungsfreiheit? Viele Medien debattieren zurzeit, ob es in Ordnung ist, „unmoralische“ Kommentare zu löschen oder bestimmte User zu blockieren.

AS: Dafür gibt es bereits Algorithmen, die bestimmte Eigenschaften eines Textes automatisch erkennen können. Also zum Beispiel Beleidigungen, sexistische oder rassistische Aussagen. Man nennt es „Text Sentiment Analyse“. Die New York Times arbeitet soweit ich weiß gerade an einem solchen Tool zur Moderation ihrer Kommentarspalten. Wo da genau die Grenze definiert werden soll, ist natürlich schwer zu sagen. Meiner Meinung nach kann man Beiträge, die offensichtlich nicht zur Debatte beitragen und beleidigend sind, schon löschen.

Es wäre schön, die schweigende Mehrheit, die oft gerade wegen der polarisierenden Kommentare sich aus den Debatten raushält, wieder abzuholen.

CM: Vor ein paar Jahren haben wir ein sogenanntes Dezentrales Kommunikationssystem entwickelt und an der Uni getestet. Dabei konnte die Community selbst entscheiden, ob der Beitrag unangemessen ist, und demokratisch abstimmen, ob er abgeschaltet werden soll oder nicht. Die Leserschaft konnten sich durch ihre Beiträge Punkte erspielen, durch die sie an der Moderation und Abstimmung teilnehmen konnten. Dies kam sehr gut an, sie waren dann fast nur mehr am Moderieren und Abstimmen.

Ein weiteres kontroverses Thema sind Pseudonyme. Würde ein Verbot der Anonymität Leute davon abhalten, sich an Debatten im Netz zu beteiligen?

AS: Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die nicht anonym unterwegs sind, dazu neigen, sich der Meinung der Community anzupassen. Da wird eine ausgewogene Debatte schwer. Ich denke, mit einer vernünftigen Moderation erreicht man mehr. 

Warum ist für euch als Informatiker gerade dieses Thema relevant?

CM: Weil es so mies abläuft im Internet! Wenn man sich anschaut was da für Fake News kursieren, was für Hass und Hetze stattfindet, wäre es einfach schön, dass man ein bisschen sachlicher an Debatten herangehen kann. Und vor allem, dass man auch diese schweigende Mehrheit, die oft gerade wegen der polarisierenden Kommentare sich aus den Debatten raushält, wieder abholen kann. 

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gorgias So., 16.08.2020 - 03:56

>Diese Software ermöglicht es Usern, eine Textstelle des Artikels zu markieren, und sich mit einem spezifischen Argument darauf zu beziehen. Der Computer erfasst dann diese Aussage und die Begründung dazu. Andere Nutzer können sich dann wiederum mit einem Kommentar auf das spezifische Argument beziehen. Die Software kann zudem die Argumentationsstruktur anhand von Pfeilen graphisch darstellen. Gibt es dann eine Diskussion zu einer anderen Textstelle des Artikels, wird ein zweiter graphischer Zweig aufgemacht.<

Das setzt aber voraus, dass Kommentatoren die Disziplin und den Willen besitzen Teststellen zu markieren und darauf zu antworten. - Wenn man bedenkt, dass hier einige schon überfordert sind Ihre Antwort an der richtigen Stelle zu posten, dann kommt mir das Ganze sehr utopisch vor.

>Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen, die nicht anonym unterwegs sind, dazu neigen, sich der Meinung der Community anzupassen. Da wird eine ausgewogene Debatte schwer. Ich denke, mit einer vernünftigen Moderation erreicht man mehr<
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Gibt es doch Klarnamenkomentatoren, die einer Mehrheitsmeinung zustimmen und dissidente Positionen ablehnen. Auch ist der Drang zum virtue signalling sehr gross. Group think fordert nicht anregende Debatten sondern begünstigt (denk)faule Kompromisse.

>Vor ein paar Jahren haben wir ein sogenanntes Dezentrales Kommunikationssystem entwickelt und an der Uni getestet. Dabei konnte die Community selbst entscheiden, ob der Beitrag unangemessen ist, und demokratisch abstimmen, ob er abgeschaltet werden soll oder nicht. Die Leserschaft konnten sich durch ihre Beiträge Punkte erspielen, durch die sie an der Moderation und Abstimmung teilnehmen konnten. Dies kam sehr gut an, sie waren dann fast nur mehr am Moderieren und Abstimmen.<
Hat da remand das Rad neu erfunden? Oder von was unterscheidet sich dieses System von reddit? - Nebenbei hat sich auf reddit der Meinungskorridor sehr verengt. - Reddit erfüllt sicher kein Beitrag die Gräben zwischen den Demokraten und Republikanern (reddit ist halt ziemlich USA lastig) zu überwinden, sondern ist mehr und mehr einem politischen Lager zuzuordnen.

So., 16.08.2020 - 03:56 Permalink
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Mart Pix So., 16.08.2020 - 18:59

Ui, da werden viele Kommentatoren hier zittern, hehe.
Spaß beiseite, es ist gut, Qualität zu fördern. Werden Hass-, bash- und inhaltslose Postings zurückgestellt, ändert sich auch dessen Kultur.

So., 16.08.2020 - 18:59 Permalink