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Für eine „bessere“ Welt kämpfen...

In Teil II des Interviews mit Margherita Zander spricht die Wissenschaftlerin über ihre Studien und ihre Studienzeit. Und über ihren Blick nach Südtirol aus der Ferne.
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Foto: Margherita Zander

Salto.bz: Sie waren Teil der sogenannten 1968er? Wie haben Sie die Bewegung erlebt?
Margherita Zander: Ich kam im Oktober 1968 aus Südtirol zum Studium nach Bonn. Zu diesem Zeitpunkt war die 68er-Bewegung bereits voll in Gang. Ich war zunächst politisch ziemlich ahnungslos und hatte einigen Nachholbedarf, um mich überhaupt orientieren zu können. Das dauerte etwas, aber schon bald schloss ich mich einer linken Gruppierung an, wie sie sich im Anschluss an die 1968er Bewegung an den Unis etablierten. Der Geist der 68er war in diesen Gruppierungen noch sehr präsent, auch wenn die Spontaneität und das etwas Anarchische allmählich verloren gingen, womit ich aber weiterhin sympathisierte.

Ich habe in dieser Zeit Erfahrungen in verschiedenen politischen Bewegungen gesammelt, die letztlich dann nach der Gründung der Grüner Partei dort aufgegangen sind. Geprägt hat mich sicherlich auch die Entscheidung, meinen Sohn in einen „anti-autoritären“, in der Folgezeit aber „repressionsfreien“ Kinderladen unterzubringen. Dort fanden viele Diskussionen zwischen Eltern und Betreuerteam statt, die sich nicht nur auf Erziehungsfragen bezogen, sondern auch das politische Engagement beförderten. In dieser Zeit sind viele Freundschaften entstanden, die bis heute gehalten haben.

Was ist davon heute geblieben, 50 Jahre danach? Bei Ihnen persönlich? In Ihrem Umfeld?
Eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Ich würde sagen, geblieben ist ein politisches Engagement, das nach wie vor eher links zu verorten ist. Die Lektüre entsprechender Informationsquellen, die Beteiligung an Unterschriftensammlungen, Stellungnahmen und Petitionen, die Unterstützung jeglichen Engagements gegen die Ungerechtigkeiten in dieser Welt. Im persönlichen Umfeld gibt es auch diejenigen, die noch auf die Straße gehen, wenn es darum geht, Aktionen gegen rechts zu unterstützen oder Ähnliches.
Geblieben sind eine kritische Haltung gegenüber Autoritäten und der Wunsch, für eine „bessere“ Welt zu kämpfen, wo immer das ansteht.

Sie haben sich in den 1980er Jahren auch weiterhin politisch engagiert...
Ja, ich war in der Friedens-, Umwelt- und Frauenbewegung engagiert. Es war dieses Engagement, das mich mit den Grünen sympathisieren ließ. Obwohl ich für die GRÜNE Bundestagsfraktion gearbeitet habe, bin ich jedoch nie Parteimitglied geworden. Das lag mir nicht und mich störten vor allem die Flügelkämpfe und das bald schon deutlich werdende Machtstreben Einzelner, da dies der ursprünglichen Idee der Rotation und des damit intendierten Wechsels der Machtpositionen widersprach.

Armut ist ein gesellschaftliches Problem und muss dementsprechend auch mit politischen Mitteln bekämpft werden. Solange dies jedoch nicht geschieht, weil die Politik hier versagt, sind all jene, die mit diesen Kindern beruflich befasst sind, dazu aufgerufen, solchen Kindern zu helfen, damit sie die ihnen innewohnenden Kräfte entfalten können.

Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind „Kinderarmut“ und die Fragestellung der Resilienzförderung. Dazu haben Sie auch immer wieder Publikationen auf den Buchmarkt gebracht. Zwei Schwerpunkte, die immer aktuell sind?
Zum einen geht es mir darum, mich immer wieder in die öffentliche Diskussion einzubringen, wie sehr das Aufwachsen in Armut die kindliche Entwicklung in allen Lebensbereichen hemmt. Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass auch arme Kinder stark sein können und über entsprechendes Entwicklungspotenzial verfügen, welches durch gezielte Förderung geweckt werden könnte. In diesem Sinne plädiere ich dafür, die seelische Widerstandskraft (=Resilienz) dieser Kinder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern.
Ich möchte jedoch nicht missverstanden werden: Armut ist ein gesellschaftliches Problem und muss dementsprechend auch mit politischen Mitteln bekämpft werden. Solange dies jedoch nicht geschieht, weil die Politik hier versagt, sind all jene, die mit diesen Kindern beruflich befasst sind, dazu aufgerufen, solchen Kindern zu helfen, damit sie die ihnen innewohnenden Kräfte entfalten können. Nach meiner Erfahrung, wie schwer es ist, politisch etwas zu bewegen, wollte ich zumindest mit forschungsbasiertem Fachwissen ein Sprachroher für arme Kinder gegenüber der Politik sein, zumal sich unsere Wohlstandsgesellschaften immer weniger am Faktum der Armut zu stören scheinen.
Indem ich Kinderarmut zu meinem Forschungsthema gemacht habe, möchte ich auch etwas zurückgeben – gewissermaßen als Dank dafür, dass es mir selbst gelungen ist, mit Hilfe wohlmeinender Menschen meine Herkunft hinter mir zu lassen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was es bedeutet Resilienz zu entwickeln und was zugewandte Menschen dazu beitragen können.

Südtirol ist heute ein reiches Land. Armut herrscht eher in den Köpfen der Menschen, die nie genug Geld und Wohlstand haben wollen. Was sagt die Forschung dazu?
Ich gebe Ihnen Recht, dass Südtirol mittlerweile ein reiches Land ist. Dies gilt auch für Deutschland, wo ich lebe und forsche. Dennoch stagniert dort die Zahl der von Armut betroffenen Kinder schon seit langem auf erschreckend hohem Niveau, wenn sie nicht gar noch weiter steigt. Wo Reichtum ist, ist auch Armut, und ich weiß, dass das auch für Südtirol zutrifft. In Vorbereitung auf dieses Interview wurde ich auf ein Referat von Hermann Atz aufmerksam, der zusammen mit Tobias Troger eine empirische Untersuchung zu „Kinderarmut in Südtirol“ vorgenommen hat. Die Untersuchung legt das Hauptaugenmerk auf Alleinerziehende, legt aber auch nahe, dass Haushalte von Familien mit mehreren Kindern und von Migranten armutsgefährdet sind; darin sehe ich eine Parallele zur Situation in Deutschland. Laut ASTAT war für 2015 mit immerhin ca. 18.000 armutsgefährdeten Kindern unter 15 Jahren in Südtirol zu rechnen. Anlässlich des Europäischen Jahres zur Armutsbekämpfung ist in der Reihe „Südtirol hilft“ auch eine offizielle Broschüre der Landesregierung zur Thematik veröffentlicht worden, der zufolge 17% der Südtiroler Einwohner armutsgefährdet sind. Damit liegt Südtirol knapp unterhalb des europäischen Durchschnitts. Diese Zahlen stehen dafür, dass deutlicher Handlungsbedarf angesagt ist. Und gerade in einer relativ reichen Region ist damit zu rechnen, dass sich Armut versteckt.

Gibt es noch typisch Südtirolerisches in Ihrem Leben?
Natürlich beschäftigt man sich mit zunehmendem Alter wieder mehr mit seinem Lebenslauf und damit auch mit der Kindheit. Man kehrt auf diese Weise zu Orten der frühen Jugendzeit zurück. Diese alten Plätze bekommen einen neuen Stellenwert, und manches möchte man noch klären. Zunächst, als ich in jungen Jahren Südtirol verließ, um in Deutschland zu studieren, bin ich wegen der gemachten Ausgrenzungserfahrungen zu meiner Herkunft, also zu Südtirol, auf Distanz gegangen. Nicht jedoch zu jenen Menschen, die mir geholfen haben, meinen eigenen Weg zu finden. Ihnen bin ich bis heute in tiefster Dankbarkeit verbunden, allen voran meiner Ziehmutter, der unendlich gütigen Geiser-Mutter, die leider längst schon verstorben ist. Diese Menschen – seien es meine nichtleiblichen Geschwister, Schulfreundinnen oder Lehrerinnen – bilden auch heute noch die Brücke, die mir eine spätere Wiederannäherung an Südtirol ermöglicht hat. Auch mein jetziger zweiter Mann, der Lyriker und Essayist Martin Roemer, hat mir nicht zuletzt durch sein Interesse für meine Wurzeln dabei geholfen, mich mit meinen Ursprüngen auszusöhnen.

 

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Karl Trojer Di., 16.01.2018 - 09:26

Dieser Pasus "Laut ASTAT war für 2015 mit immerhin ca. 18.000 armutsgefährdeten Kindern unter 15 Jahren in Südtirol zu rechnen. Anlässlich des Europäischen Jahres zur Armutsbekämpfung ist in der Reihe „Südtirol hilft“ auch eine offizielle Broschüre der Landesregierung zur Thematik veröffentlicht worden, der zufolge 17% der Südtiroler Einwohner armutsgefährdet sind." erschreckt mich ! Wie kann es sein, dass in einem in jeder Hinsicht so reichen Land wie Südtirol soviel Armut, insbesonder auch bei Kindern vorliegt ? Freiwillge Hilfsorganisationen bieten viel Hilfe an, doch muss die Politik hier massiv und dringend angemessene Verbesserungen einbringen. Abgesehen von der Behebung physischer Not, sind Kinder in Armut vor allem in ihrem Selbstwert gefährdet und oft boshaftem Mobbing ausgeliefert. Dabei geht es um das Erleben von Würde ! In unserer vom Konkurrenzkampf und Stress gepeitschten Zivilisation wird Würde leicht als fremdbestimmt vermittelt und erfahren : ich bin wertvoll (würdig), wenn ich von Anderen gelobt werde, und unwürdig, wenn ich getadelt werde. Würde ist aber weder gebbar noch nehmbar; Würde kommt dem Menschen zu als Mensch ! Bei Kindern den Selbstwert zu wecken und zu fördern ist m.E. die primäre Aufgabe von Erziehern und Gesellschaft.
Karl Trojer, Terlan

Di., 16.01.2018 - 09:26 Permalink