Chronik | Studie

Hot Spot mit Überraschungen

Erste Ergebnisse der Grödner Corona-Studie sind da. Das Virus könnte sich von Wolkenstein und über den Tourismus im Tal verbreitet haben. Herdenimmunität gibt es keine.
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Foto: Pixabay

Wie groß ist die Herdenimmunität in Gröden tatsächlich? Dieser Frage ging jüngst eine Studie von Sanitätsbetrieb, ASTAT, EURAC und Uni Innsbruck nach. Eine privat durchgeführte Testreihe mit 1.000 Antikörper-Schnelltests hatte im April bei 49 Prozent der Getesteten Antikörper festgestellt. Die Nachricht ging um die Welt. Nun aber muss sie deutlich revidiert werden: Von Herdenimmunität ist Gröden weit entfernt. Das zeigen erste Ergebnisse der Studie.

 

Die Studie

 

Insgesamt waren vom Statistikinstitut des Landes Südtirol (Astat) 2.958 Personen repräsentativ ausgewählt worden. Diese wurden dann eingeladenen, zwischen 26. Mai und 8. Juni an der Studie teilzunehmen. Schlussendlich haben 2.194 Personen der Einladung Folge geleistet, was einer Teilnehmerquote von rund 74 Prozent entspricht. Den Probanden wurde ein Nasen-Rachen-Abstrich für den PCR-Test sowie Blut für den Antikörper-Test entnommen.

 

Das Ergebnis

 

Ein erstes überraschendes Ergebnis zeigt, dass nur rund ein Viertel der Probanden in der Vergangenheit mit dem neuartigen Coronavirus in Kontakt gekommen war und nun Antikörper aufweist. Die nach Sensibilität und Spezifität korrigierte Seroprävalenz – also der Nachweis – für SARS-CoV-2-IgG-Antikörper liegt bei 26,86 Prozent.

“Wir sind also von einer Herdenimmunität auch im Grödnertal noch weit entfernt”, erklärt Studienleiter Michael Mian und Verantwortlicher der Onkohämatologischen Tagesklinik am Landeskrankenhaus Bozen bei der Präsentation der Ergebnisse am Mittwoch Vormittag. “Mit dem Virus in Kontakt gekommen sind weit weniger Personen als vermutet. Wenn das schon in einem so genannten ‘Hot Spot’ in Südtirol wie Gröden der Fall ist, lässt dies den Schluss zu, dass sich im Rest des Landes noch viel weniger mit dem neuartigen Virus infiziert haben.”

 

Unterschiede und Überraschung

 

Dabei gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Seroprävalenz beträgt bei den Frauen 24 Prozent, bei den Männern hingegen 28,7 Prozent. Auch zwischen den Gemeinden treten signifikante Unterschiede hervor: In St. Ulrich betrug die Seroprävalenz 23,2 Prozent, in St. Christina 27,7 Prozent und in Wolkenstein 31,1 Prozent.
Auch das berufliche Umfeld hatte Einfluss auf das Vorhandensein von Antikörpern. Bei Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, verfügten 27,26 Prozent über Antikörper. Bei im Tourismus Beschäftigte betrug der Anteil 31,59 Prozent und bei “inaktiven Personen” 23,01 Prozent.

“Die Durchseuchungsrate ist demnach im Talschluss höher als am Talbeginn. Auch bei den Beschäftigten im Tourismussektor ist eine höhere Durchseuchung festzustellen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Infektionswelle über diesen Kanal und vom Talschluss aus ihren Ausgang genommen hat”, so Mian.

 

Ein weiteres besonders interessantes Ergebnis ist, dass bis auf einen Befund mit zweifelhaftem (“dubbio”) Ergebnis alle Nasen-Rachen-Abstriche negativ waren. Keiner der rund 2.200 Teilnehmer und Teilnehmerin ist also akut an Covid-19 erkrankt. Demnach zirkuliert das Virus aktuell in den Grödner Gemeinden nicht oder kaum.
Keine statistisch signifikanten Differenzen konnten zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen, den verschiedenen Ausbildungsgraden sowie nach Anzahl der Familienmitglieder festgestellt werden.

 

Die Symptome

 

Die aufgetretenen Krankheitssymptome bei Personen mit positivem serologischen Test in den vergangenen Monaten waren:

  • Gliederschmerzen: 41,45%
  • Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn: 37,24%
  • Kopfschmerzen: 34,54%
  • Husten: 33,34%
  • Abgeschlagenheit: 32,05%
  • Halsschmerzen und/oder Schnupfensymptome: 30,75%
  • erhöhte Körpertemperatur von über 37,5 Grad Celsius an mindestens drei aufeinanderfolgender Tagen: 29,1%
  • gastrointestinale Beschwerden: 21,14%
  • Thoraxschmerzen: 11,28%
  • Atembeschwerden: 11,25%
  • Bindehautentzündung: 7,91%
  • erhöhter Puls: 3,7%

Im Vergleich zu Probanden mit negativem serologischem Test traten all diese Symptome signifikant häufiger auf. Die Dauer der genannten Symptome betrug im Median sieben Tage. Über die Hälfte der Probanden (54,3%) gaben an, die klinischen Symptome in der ersten Märzhälfte 2020 gehabt zu haben.

Von den positiv auf Antikörper getesteten Personen, die Symptome wahrgenommen hatten, hatten 62,1% den Sanitätsbetrieb nicht kontaktiert und also auch nicht informiert.– trotz der verschiedenen Möglichkeiten, die zur Verfügung gestanden hätten (Hausarzt, Landesnotrufzentrale, grüne Nummer und Notaufnahme der Krankenhäuser). Nur 17,29 Prozent der Personen mit einem positiven serologischen Test waren symptomfrei geblieben.

 

Und jetzt?

 

Eine detailliertere Auswertung der Daten – insbesondere hinsichtlich der immunisierenden Wirkung der festgestellten Antikörper – wird in den kommenden Wochen vorgenommen. Die Publikation der detaillierten Studie soll noch 2020 erfolgen und in die medizinischen Fachliteratur Eingang finden.

Partner in der Studie ist das Forschungszentrum Eurac Research: Die Forscher unterstützten die Mediziner des Sanitätsbetriebs bereits in der Planungsphase der Studie. Zudem wird die Biobank des Instituts für Biomedizin am Krankenhaus Bozen die Infrastruktur sein, in der die Blutproben aus den Grödner Tests für die kommenden zehn Jahre gelagert werden. Da es noch viele offene Fragen zu Covid-19 gibt, sei es äußerst wichtig, die Proben für zukünftige Forschungen aufzubewahren, hieß es am Mittwoch – etwa für immer zuverlässigere serologische Tests oder Studien, die genetische Merkmale mit der Entwicklung der Krankheit in Zusammenhang bringen. So können die Grödner Proben zu einer Ressource für die medizinische Forschung zu Covid-19 auf internationaler Ebene werden.

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Heinrich Zanon Mi., 17.06.2020 - 17:25

Endlich Zahlen, die Kopf und Fuß zu haben scheinen.
Höchst interessant der geringe Prozentsatz derjenigen, welche die Infektion symptomfrei durchgemacht haben sollten.

Mi., 17.06.2020 - 17:25 Permalink
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Georg Markart Mi., 17.06.2020 - 20:36

Als im April nach den privat durchgeführten Tests an 1000 Personen in Gröden das Ergebnis
bekannt wurde,daß fast 50% der Getesteten Antikörper aufwiesen, wurde Prof. Bernd Gänsbacher von Rai Südtirol befragt was er davon halte, er sagte laut seiner Einschätzung können es max 30% sein.
Lieber Bernd,auch hier hattest du recht,wie bei all deinen Ratschlägen und Antworten bei den Sendungen auf Rai Südtirol. (auch auf die Frage des Hias von Tanas)

Mi., 17.06.2020 - 20:36 Permalink
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Paul Schöpfer Do., 18.06.2020 - 09:16

Dank der Initiatoren der privaten Tests gibt es endlich Zahlen!

Sie haben nie den Anspruch einer wissenschaftlichen Studie gestellt, wurden von Gänsbacher ohne konkrete Argumente angegriffen. Nein, jetzt fällt es mir wieder ein. Gänsbacher hat gesagt "Besser nicht testen, statt schlecht testen". Ich vergleiche das mit dem Auto fahren. Also besser ohne Licht fahren, als mit schlechtem Licht fahren. Und genau das hat die Politik überall gemacht.

Die Zahlen kommen leider viel zu spät. Aber besser spät als nie und ohne die privaten Initiatoren wären diese Tests in Gröden nie durchgeführt worden. Deshalb mein Respekt und Dank.

Do., 18.06.2020 - 09:16 Permalink
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Peter Gasser Do., 18.06.2020 - 09:59

Antwort auf von Paul Schöpfer

“Aber besser spät als nie und ohne die privaten Initiatoren wären diese Tests in Gröden nie durchgeführt worden”:
Wie kommen Sie zu dieser eigenartigen Behauptung?
Diese Tests und Untersuchungen werden nun, da sie vorhanden sind und auch Zeit und Erfahrung da sind, überall in Europa durchgeführt.
Die Wissenschaft geht Ihren Weg, bei uns und anderswo, wir bewegen uns auf “normalem” Weg, ohne Helden hier und ohne Schurken da.

Do., 18.06.2020 - 09:59 Permalink
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Elisabeth Garber Fr., 19.06.2020 - 20:28

Auch Schweden ist weit weg von Herden-Immunität, weshalb die Forschung weltweit inzwischen dazu neigt, den Sonderweg als 'gescheitert' zu betrachten.

Fr., 19.06.2020 - 20:28 Permalink
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Peter Gasser Fr., 19.06.2020 - 20:30

Antwort auf von Elisabeth Garber

... und nicht nur die Forschung weltweit, nein, inzwischen auch die Schweden selbst.
Genauso wie sich auch der anfangs von so Vielen (auch hier)gelobte und angestrebte britische Weg als Katastrophe erwiesen hat. Johnson müsste eigentlich vor Gericht für das, was er da wissentlich angerichtet hat.

Fr., 19.06.2020 - 20:30 Permalink