Gesellschaft | in memoriam

Die Kerkerlehrerin

Ein Nachruf auf Franca Berti.
Franca Berti
Foto: Stadtgemeinde Bozen

„Wir brauchen moderne Strukturen und dürfen uns nicht drauf beschränken, Menschen in unmenschliche Paläste zu sperren. Ein Versuchsgefängnis brauchen wir, mit verschiedenen Wohneinheiten, in denen die Häftlinge sich ihr Leben selber gestalten können.“ So beschrieb Franca Berti neulich in der Straßenzeitung zebra. ihre Vorstellung von einem guten Gefängnis für Bozen. So idealistisch, so wirklichkeitsfern, und wohlgemerkt: ohne einen Funken Hoffnung, dass das Projekt zum neuen Gefängnis in Bozen-Süd dieser Vorstellung auch nur annähernd entsprechen werde.

Franca Berti ist diesen Dienstag, 15. März, gestorben. Die 68-Jährige brach Montagabend in den Armen ihres Lebensgefährten Claudio Fabbrici zusammen. Es war Hirnschlag. Die Boznerin mit dem scharf geschnittenen Gesicht, dem gestrengen Blick und dem rotblondem Schopf war eine sehr öffentliche Frau. Sie war diplomierte Pädagogin, aber eigentlich Psychologin, nur gab es diesen Doktortitel zu ihrer Studienzeit in Italien noch nicht. Im Hauptberuf Lehrerin, wurde Berti schon früh vom Schulamt mit Sonderaufgaben, Kommissionen und Koordinierungen aller Art betraut. Kamen Neuerungen auf die Schule zu, und solche gab’s mit jedem wechselnden Unterrichtsminister, die Berti war stets die Testperson dafür. Sie war die Reform-Frau. Und sie war politisch, aktiv im Partito democratico. Zweimal wurde sie in den Bozner Gemeinderat gewählt, und ein drittes Mal rückte sie in diesen nach. Es war unter Bürgermeister Spagnolli, und Franca Berti war zeitweise sogar Sprecherin ihrer Parteifraktion.

„Povera illusa!“, hat ihr der jetzt 90-jährige Bruno Bertoldi regelmäßig geantwortet, Franca Berti sagte drauf, genauso regelmäßig: „Povero deluso te!“ 

Wofür sich Franca Berti in nachhaltiger Erinnerung halten wird, das war nicht die Lehrerin (an der Dante-Schule) und nicht die Gemeinderätin, das war ihr Engagement für die Häftlinge im Bozner Gefängnis. Sie war die Kerker-Lehrerin, und das nicht nur. „La Berti“, so hieß sie drinnen, begann dort als Grundschullehrerin. So was gab es vor zwanzig Jahren noch: Junge Männer, die im Kerker ihre in Freiheit nicht gemachte Grundschule nachholten. Und zusammen mit den Häftlingen, so drückt sich eine Kerker-Führungskraft aus, „machte auch la Berti ihre Karriere“. Sie organisierte Mittelschulkurse, wurde Leiterin sämtlicher Fortbildungskurse im Kerker, das italienische Schulamt (die Gefängnis-Agenden bleiben in Südtirol traditionell immer dem italienischen Teil der Verwaltung überlassen) ernannte Berti offiziell zur Koordinatorin aller Bildungsinitiativen für die Via Dante 28/A – einerlei, ob diese vom Land, von der Gemeinde, von Alpha-Beta oder der Upad bedient und bezahlt wurden. Franca Berti gehörte zum Bozner Gefängnis noch lang über ihre Pensionierung als Lehrerin hinaus. Die Gemeinde Bozen ernannte sie zur „Referentin für die Rechte der Gefangenen“. Dieses Amt behielt sie über ihre Gemeinderatszeit hinaus und bis zu ihrem Tod.

Franca Berti war für die Häftlinge im Bozner Gefängnis über zwanzig Jahre lang die „maestra“, die einer alten Berufsauffassung von Lehrerin nach „alles können muss“. Sie war für die Häftlinge der Kontakt nach außen und für die Leute in der Stadt „die Frau für alle Kerker-Angelegenheiten“. Dass sie das vornehmlich für die italienische Bevölkerung war, entspricht halt Südtiroler Verhältnissen. Der Alto Adige brachte den plötzlichen Tod gleich am Tag danach groß auf der Titelseite – „Bolzano in lutto“ –, das Schwesterblatt Dolomiten erst einen Tag später als Notiz einspaltig innen. Uns Deutsch-Südtirolern sind eher die Kümmerer Bruno Bertoldi und Karl Fink vertraut. Die beiden, inzwischen offiziell ausgedient, de facto aber doch auf Lebzeit dort, tun ihren Dienst im Auftrag der Vinzenzvereinigung und also ehrenamtlich. Berti tat ihn hauptberuflich und hatte nie Scheu, dafür ein Gehalt zu nehmen. Alles andere wäre ihr als gewerkschaftsfeindliches Verhalten vorgekommen. „Es ist Arbeit“, pflegte sie zu sagen.

Sie war die Kerker-Lehrerin, und das nicht nur. „La Berti“, so hieß sie drinnen.

Das war freilich nicht der einzige Unterschied zwischen den Freiwilligen-Zwillingen Bertoldi-Fink und der beruflichen Berti. Die beiden kümmern sich um die Häftlinge, so wie sie sind, in dem Kerker, so wie er ist. Sie waren die Kummerkästen im Knast. Mehr gebraucht als geachtet, auf einer Stufe mit dem Pater Peter, dem früheren Gefangenenseelsorger. Sie schafften „Persönliches“ (von Unterwäsche über Turnpatschen bis Rauchzeug) herbei und schmuggelten auch allerhand Nicht-Vorgesehenes „hinein“, soweit es von der Gefängnisleitung großzügig übersehen wurde. Bruno Bertoldi und Karl Fink waren Caritas und Blitzableiter für mindestens zwei Generationen Bozner Gefängnisinsassen.

Dem gleichen Ideal verpflichtet, aber von ganz anderem Dienstverständnis die Berti. Sie tat Dienst. Sie „die Lehrerin vom Kerker“ zu heißen, empfand sie nicht grad für beleidigend, aber doch für unzureichend. Sieht man das Gefängnis als geschossenes System, so verstand Berti sich als dessen Bildungsreferentin, zumindest als ihre eigene Schulamtsleiterin. Einmischung von außen oder auch nur von der Gefängnisdirektion duldete sie ungern. Was drinnen zu lehren, fortzubilden oder auch nur zu unterhalten war, das beanspruchte sie selber zu verstehen

Die Kerkerlehrerin Franca Berti verstand sich als Volksanwältin ihrer „Schüler“, und zwar als gestrenge. Im Zweifelsfall schon im Interesse der ihr Anempfohlenen, aber stets sehr gemäß dem eigenen besonderen Ideal. Dieses war, den Geist des Artikels 27 der Verfassung ernst zu nehmen, wonach die Gefängnisstrafe der „Wiedererziehung des Verurteilten“ zu dienen habe. Verständlich, dass solche Art „Fürsorge“ von Häftlingen, die andere Vorlieben verfolgten als Ordnung und Gerechtigkeit, nicht jederzeit geschätzt wurden. Diese wandten sich dann mit ihren Anliegen an die „Guten Hirten“ Fink und Bertoldi. Selbst die erwiesen sich dann aber in der Regel als machtlos. Bei der Gefängnisdirektorin war Intervention möglich, bei der Berti, angeblich, „umsonst“. Die habe immer gesagt, dann müsse dieses Gefängnissystem überwunden werden. „Povera illusa!“, hat ihr der jetzt 90-jährige Bruno Bertoldi regelmäßig geantwortet. Franca Berti sagte drauf, genauso regelmäßig: „Povero deluso te!“ 

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Karl Trojer Fr., 19.03.2021 - 11:29

Dem Florian Kronbichler meinen Dank für dieses Andenken ! Ich habe Frau Berti im PD als eine sehr engagierte, kompetente und faire Person schätzen gelernt. Ihren Lebensgefährten Claudio Fabbrici wünsche ich Trost aus den guten gemeinsamen Zeiten mit Franca und eine gute Zukunft !

Fr., 19.03.2021 - 11:29 Permalink