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Wie integriert Südtirol?

Ghita Benkirane kam vor 4 Jahren von Marokko nach Naturns. Deutsch mochte sie anfangs gar nicht. Heute sieht es anders aus. Eine außergewöhnliche Integrationsgeschichte.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: (c) pixabay

In Naturns duftet es nach arabischem Essen. 200 BürgerInnen der Gemeinde haben sich um den großen Tisch versammelt und bewundern neugierig die fremden Speisen. Aufgetischt haben sie 17 Familien, unter anderem aus Marokko, Syrien und Tunesien. Sie haben in Naturns ihre zweite Heimat gefunden und wollen mit der Einladung zum „orientalischen Abend“ die Dorfgemeinde besser kennen lernen, einen Austausch zwischen den Kulturen fördern.

Das war 2018. Die Idee zu dem Event hatte Ghita Benkirane, die ein Jahr zuvor mit ihrem Mann und 2 Kindern nach Naturns gezogen war. Seit dem Event sind die 35-jährige Marokkanerin mit ihrer Familie, genauso wie die anderen arabischstämmigen Familien, ausgezeichnet in der Dorfgemeinschaft integriert. Das Geheimnis, um aus der anfänglichen Isolation einer Zugezogenen zu kommen? Ghita, dessen Namen man „Rita“ ausspricht, sagt dazu: "Um sich nicht ausgeschlossen zu fühlen, muss man die Sprache des Ortes lernen. Nur dann, erhalte ich den nötigen Respekt von den Leuten. Das ist die Basis für eine gute Integration."

 

Als Ghita nach Südtirol kommt, spricht sie keine der Landessprachen. Denn in ihrer Heimat, wo sie als Chefsekretärin an der medizinischen Fakultät der Universität von Marokko arbeitet, reichen ihre Sprachkenntnisse in arabisch, französisch und englisch. Auch weil sie ihren Traumjob aufgeben muss, um ihre Familie in Südtirol zu vereinen, fällt ihr der Umzug nicht leicht. Mittlerweile fühlt sie sich hier aber zuhause. Jetzt führt sie in fließendem Italienisch ein Interview; und vor Kurzem hat sie ihre erste mündliche Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden.

Diese Prüfung wird von der Dienststelle für die Zwei- und Dreisprachigkeitsprüfungen in Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle für Integration angeboten. Sie können entweder in deutsch oder italienisch absolviert werden und sind ab 2023 Voraussetzung, um weiterhin Kinder- und Familiengeld des Landes ansuchen zu können.

Ghita hätte diese Prüfung nicht gebraucht, weil ihr Mann, der seit vielen Jahren in Südtirol arbeitet, bereits die italienische Staatsbürgerschaft erhalten hat. Er hat somit Anrecht auf Familiengeld. Dennoch wollte sie diese Gelegenheit nicht verpassen, ihr Deutsch auf die Probe zu stellen. „Es ging mir vor allem darum, mir den letzten Schubs zu verpassen. Ich verstand Deutsch, wenn ich im Kino Filme schaute. Ich verstand es, wenn ich Leute um mich herum sprechen hörte. Aber mir fehlte der letzte Mut, um auch wirklich zu sprechen.“ Diese Prüfung habe ihr die Kraft gegeben, weiter an ihrem Deutsch zu arbeiten und es gut zu lernen. Ihr Traum: Ein B2 Niveau zu erreichen.

Mit der Note "sehr gut" aus der Prüfung zu gehen war eines der schönsten Erlebnisse für Ghita. Selbst ihr Sohn war so stolz auf die Mutter, dass er es am nächsten Tag sofort freudig seiner Lehrerin berichtete.

Dabei fiel Ghita der erste Deutschkurs, den sie bei ihrer Ankunft besuchte, nicht leicht: „Die deutsche Sprache und ich – wir waren anfänglich keine guten Freunde“, erinnert sie sich und lacht. Ihr Mann riet ihr daraufhin, italienisch zu lernen, das ihr aufgrund ihres Studiums auf französisch leichter fiel. Sie konzentrierte ihre Energie also darauf und erreichte durch verschiedenste Sprachkurse schließlich ein solides B2 Niveau.

Doch Ghita wollte Deutsch nicht aufgeben und startete einen zweiten Versuch. Und diesmal klappte es, denn sie begleitete die richtige Motivation: „Ich habe in der Zwischenzeit Freunde gefunden, die deutsch mit mir sprechen. Sie sind sogar Patin und Pate meiner Kinder geworden, und so lernen auch sie deutsch. Das hilft sehr und gibt mir Freude, die Sprache zu lernen.“ Sie ist besonders dankbar für ihre Freundschaften, sowie die Bewohner von Naturns, die ihr geholfen haben, Anschluss in der Gemeinde zu finden.

Ich bin besonders dankbar für meine Freundschaften, sowie die Bewohner von Naturns, die mir geholfen haben, Anschluss in der Gemeinde zu finden.

Ghitas Beispiel zeigt: mit genug Motivation, Tatendrang und Optimismus können sich Menschen aus anderen Ländern ein ausreichendes Sprachniveau aneignen, um mit der Gemeinschaft vor Ort in Kontakt zu treten.

Ghita betont, wie wichtig es ist, nicht nur allein zuhause Vokabeln auswendig zu lernen, sondern sich am Leben zu beteiligen, und dabei die Sprache zu lernen. So arbeitete sie als Animateurin für das französische Sprachcafé von Alpha-Beta. Zwei Mal in der Woche engagiert sie sich in der Gemeinde und verteilt Kleider an Bedürftige bei der „Kleiderstube Wilma.“ Vor allem dort hat sie ihr Deutsch verbessert. „Am ersten Tag war ich wie versteinert und konnte den Mund nicht aufmachen. Mittlerweile verstehe ich das meiste, und kann sogar selbst Fragen auf Deutsch stellen“, erzählt Ghita begeistert. Am meisten freut sie, dass sie dort, neben dem Hochdeutsch aus ihren Kursen, den Südtiroler Dialekt aufschnappen kann.

Sie weiß, das Sprachenlernen ist für MigrantInnen nicht immer leicht. Manche ihrer FreundInnen, so erzählt sie, haben noch nie eine Schule besucht. Sie waren vor der mündlichen A2 Prüfung dementsprechend aufgeregt. Doch das Bestehen der Prüfung war für sie eine umso größere Befriedigung und Bestätigung, dass auch sie es schaffen können.

Diese kleinen Momente der Motivation sind für Ghita die Basis für ein erfolgreiches Sprachenlernen. Menschen, die nach Südtirol ziehen rät sie, solche Momente zu suchen. Zum Beispiel, indem man sich bei Integrationsveranstaltungen mit anderen Menschen austauscht, und die Freude spürt, in der Sprache kommunizieren zu können. Perfektion sei dabei von niemandem gefordert, im Gegenteil: „Wenn die Leute sehen, dass ich mich bemühe, ihre Sprache zu sprechen, dann ist es egal, dass ich Fehler mache. Sie freuen sich trotzdem“, erzählt Ghita.

Ein Erfolgsmoment gab Ghita eine besonders starke Motivation: Sie und einige ihrer FreundInnen ersuchten die Gemeinde Naturns, für die Kinder der arabischstämmigen Familien einen Arabischkurs zu organisieren. Die Gemeinde sagte zu, die Kinder lernen jetzt einmal in der Woche das arabische Alphabet. Das Entgegenkommen bekräftigte Ghita nochmal darin, gut Deutsch und Italienisch zu lernen, denn, so Ghita: „Ohne die nötigen Sprachekenntnisse, hätten wir uns nie direkt an die Gemeinde wenden, und diesen Kurs für unsere Kinder anstoßen können.“