Umwelt | Pflanzenschutzmittel

Concas Pestizid-Lektionen

Nun mischt auch ein bekannter Arzt in der Pestizid-Diskussion mit. Was der Bozner Psychiatrie-Primar Andreas Conca über gesundheitliche Folgen des Pflanzenschutzes weiß.
Andreas Conca
Foto: Sabes

salto.bz: Herr Conca, Sie haben erst unlängst bei einer Veranstaltung der Apothekerkammer über gesundheitliche Auswirkungen von Pestiziden referiert. Wie kommt ein Psychiater zu diesem Thema – über seinen Berufsalltag oder aus persönlichem Interesse?
Andreas Conca: Ich würde sagen über beides. Erstens bin ich verantwortlich für die Kinder- und Jugendpsychiatrie und zweitens arbeite ich seit Jahren auch mit Patienten aus dem neurologischen Bereich. Und das hat mich beruflich gerade in Südtirol dazu gebracht, Überlegungen über die Wirkung dieser Substanzen anzustellen. Gleichzeitig verstehe ich aber auch, wie komplex diese gesamte Situation ist. Auch, weil ich ein gebürtiger Malser bin ...

Dann kommt man um dieses Thema tatsächlich nicht herum ...
Genau. Und was noch dazu kommt, ist, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse gerade in unserem Bereich erst jetzt so langsam ans Tageslicht kommen.

Und was kommt da so ans Tageslicht? Kann man heute klar und unbestritten sagen, dass Pestizide die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen können?
Das kann man so sagen. Auf Basis von evidenzbasierten Aussagen aus der Literatur und auch der Ergebnisse, die uns aus der Forschung zur Verfügung stehen. Sie alle sprechen eindeutig dafür, dass es diese Auswirkungen geben kann und zwar zum Teil auch schwerwiegende.

Welche konkreten Auswirkungen auf die Gesundheit können Pestizide also zum Beispiel haben?
Die wichtigsten Bereiche sind sicherlich Fruchtbarkeitsstörungen, bestimmte Krebsformen, und dabei besonders der Blutkrebs, und Veränderungen im Schilddrüsenbereich. Die treten gerade bei Obstbauern ganz häufig auf. Und dann gibt es auch im Hirn neuronale Veränderungen, die durch diese Stoffe ausgelöst werden können. Man muss zum Beispiel wissen, dass in Frankreich im Jahr 2014 eine bestimmte Parkinson-Form zur Berufskrankheit von Obstbauern erklärt wurde. Wenn ein Staat solch eine Entscheidung trifft und ein ganzes Versicherungssystem mitträgt, dass eine Form des Parkinsons so eindeutig mit Pestiziden in Verbindung zu bringen ist, dass sie zur Berufskrankheit erklärt wird, muss man schon etwas in der Hand haben.

„Man weiß, dass diese Substanzen unter bestimmten Umständen eindeutig schädlich sein und mittel- bis langfristig auch gröbere Folgen haben können. Gleichzeitig wird dieser Schaden zumindest unmittelbar nicht wahrgenommen. Und man muss auch klar sehen, dass diese Substanzen letztendlich für viele Menschen im Land die Existenz garantieren.“

Hat man auch für Südtirol Vergleichbares in der Hand?
Nein, die Untersuchungen, die bislang in Südtirol gemacht wurden, haben nicht diese Verteilungen ergeben, die wir aus internationalen Studien kennen.

Also, sie zeigen zum Beispiel nicht auf, dass Südtiroler Bauern in intensiven Obstbaugebieten öfter an Krebs erkranken?
Genau. Wir wissen aber zum Beispiel, dass im Nonstal, in der Gegend von Molosco, bereits eine vermehrte Leukämieanfälligkeit bei Kindern nachgewiesen wurde. Und dort wurde ein bestimmter Zusammenhang mit dem Gebrauch von Pestiziden festgestellt. Im Nonstal hat man auch gesehen, dass es bei Menschen, die im Reinigungs- bzw. Aufbereitungsbereich über die Haut diesen Substanzen ausgesetzt sind, immer wieder zu Störungen der Schilddrüse oder Fruchtbarkeitsproblemen kommt. Auch wenn es natürlich immer noch Menschen gibt, die sagen, das ist ein Quatsch, während andere sagen, diese Folgen sind nachgewiesen.

Und was sagen Sie?
Es gibt da auf jeden Fall überdurchschnittlich häufig Zusammenhänge. Und man macht auch im Reagenzglas, also bei den sogenannten vorklinischen Untersuchungen, die Erfahrung, dass diese Substanzen unter bestimmten Umständen tatsächlich toxisch wirken. Doch dann stellt sich natürlich immer wieder die Frage: Warum erwischt es den einen und den anderen nicht? Als Antwort darauf bringe ich gerne das Beispiel von Helmut Schmidt...

Der ehemalige deutsche Bundeskanzler und leidenschaftliche Raucher Helmut Schmidt?
Ja, der einzige, der sogar bei Studiointerviews rauchen durfte. Nun, er ist trotzdem 96 Jahre alt geworden. Doch es steht nichtsdestotrotz außer Diskussion, dass Nikotin eine gewisse Toxizität hat. Also, wir wissen um die Schädlichkeit, wir wissen aber auch, dass nicht jeder, der raucht, automatisch krank wird.

Und ähnlich läuft es auch bei auch bei den Obstbauern?
Ja, das hat sich auch bei meinem Vortrag zu dem Thema gezeigt. Da stand dann irgendwann ein Bauer auf und sagte: Was Sie das erzählen, ist Quatsch, wir sind alle gesund in meiner Familie und haben nie etwas gehabt. Darauf hin hat sich eine Frau zu Wort gemeldet, und hat gemeint: Auch wir sind Obstbauern und wir hatten bereits drei Familienangehörige mit Parkinson und auch eine schwere Schilddrüsenerkrankung in der Familie. In dieser Realität bewegen wir uns eben. Von wissenschaftlicher Seite muss man aber sicher von der Hypothese ausgehen, dass es Menschen gibt, die darauf anfälliger sind als andere und demensprechend ist darauf zu achten.

„Ich würde es als sehr wichtig empfinden, wenn wir in der öffentlichen Diskussion endlich aus dieser Polarisierung von Verteufeln versus Verharmlosen herausfinden würden. Zum Beispiel, indem man alle aktuellen Erfahrungen und Erkenntnisse an einem Tisch zusammen bringt, um sich umsichtig mit dem Thema auseinanderzusetzen.“

Wird in Südtirol Ihrer Einschätzung nach genug darauf geachtet?
Ich beobachte, dass Bauern heutzutage sehr gut informiert sind und genau wissen, wann sie zu spritzen haben und welche Schutzmaßnahmen sie zu treffen haben. Es ist selbstverständlich, dass die Felder mit Kindern nicht betreten werden für mehrere Tage, wenn sie bestimmte Substanzen ausbringen. Es ist also ein Bewusstsein vorhanden, dass sie mit Substanzen hantieren, die eine bestimmte Schädlichkeit haben können. Auch wenn damit, wie gesagt, nicht automatisch verbunden sein muss, dass jeder vergiftet und krank wird. Aber es ist eben auch nicht harmlos.

Es geht aber nicht nur um die Gesundheit der Bauern selbst, sondern auch um Anrainer, Kinder in angrenzenden Schulhöfen, vorbeiwandernde Touristen...
Im Grund genommen gibt es ohnehin genaue Vorgaben, worauf zu achten ist, damit der Umgebung nicht geschadet wird. Natürlich ist es dann eine Frage der Disziplin des einzelnen, ob sie eingehalten werden. Hier sind unsere Kontrollmechanismen denke ich noch zu wenig  effizient, weil das Kontrollorgan die Gemeindepolizei ist und es da leicht zu bestimmten Interessenskonflikten kommen kann. Und zwar in beide Richtungen, es gibt dann auch Situation der Überkontrolle, in denen Nachbarn jemanden aus Bösartigkeit anzeigen. Das Thema ist einfach so sensibel, dass es in alle Richtungen ausgeschlachtet wird.

Doch es gibt selbst von wissenschaftlicher Seite sehr widersprüchliche Aussagen, wie sich beispielsweise auch bei der Diskussion um die Zulassung von Glyphosat zeigt. Letztendlich scheint sich dann jeder die Ergebnisse rauszupicken, die seinen Interessen oder seinem Weltbild am besten entsprechen.
Wir haben es hier mit einem typischen Ambivalenz-Konflikt zu tun. Man weiß, dass diese Substanzen unter bestimmten Umständen eindeutig schädlich sein und mittel- bis langfristig auch gröbere Folgen haben können. Gleichzeitig wird dieser Schaden zumindest unmittelbar nicht wahrgenommen. Und man muss auch klar sehen, dass diese Substanzen letztendlich für viele Menschen im Land die Existenz garantieren. Umso mehr ist das ein Grund, über Alternativen nachzudenken. Bislang werden allerdings nur vier Prozent der mit EU-Geldern finanzierten Agrarforschung für solch alternative Wege eingesetzt.

„Man muss zum Beispiel wissen, dass in Frankreich im Jahr 2014 eine bestimmte Parkinson-Form zur Berufskrankheit von Obstbauern erklärt wurde. Wenn ein Staat solch eine Entscheidung trifft und ein ganzes Versicherungssystem mitträgt, dass eine Form des Parkinsons so eindeutig mit Pestiziden in Verbindung zu bringen ist, dass sie zur Berufskrankheit erklärt wird, muss man schon etwas in der Hand haben.“

Bräuchte es Ihrer Einschätzung nach auch in Südtirol von politischer Seite noch mehr Unterstützung in diese Richtung?
Ich würde es als sehr wichtig empfinden, wenn wir in der öffentlichen Diskussion endlich aus dieser Polarisierung von Verteufeln versus Verharmlosen herausfinden würden. Zum Beispiel, indem man alle aktuellen Erfahrungen und Erkenntnisse an einem Tisch zusammen bringt, um sich umsichtig mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dabei könnte nicht nur der Landwirtschaftslandesrat eine führende Rolle einnehmen. Auch die Gesundheitslandesrätin und der Landeshauptmann selbst, als Wirtschaftslandesrat und Zuständiger für den Bereich Innovation,  wären hier gefragt. Schließich geht es bei dem Thema nicht nur um die Zukunft von zwei wichtigen Wirtschaftssektoren, also der Landwirtschaft und des Tourismus, es geht auch um Nachhaltigkeit, es geht um Innovation. Und hier bräuchte es für alle mehr Umsicht und Achtsamkeit statt einer defensiv-aggressiven Haltung.

Bislang  gab es in der Pestizid-Diskussion vor allem die beiden Lager Umweltschützer bzw. Bio-Bauern und Vertreter der konventionellen Landwirtschaft. Wäre es wichtig, dass sich mehr Menschen aus anderen Bereichen, wie nun Sie als Primar, einbringen?
Ja, das bräuchte es sicherlich. Wobei es schon viele Fachleute gibt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen und zwar weit intensiver als ich.

Doch auch Sie setzen sich forschungsmäßig damit auseinander?
Ja, mich interessiert vor allem der Aspekt der langfristigen Wirkung solcher Wirkstoffe. Es geht schließlich nicht nur darum, was wir nun zu uns nehmen, sondern auch darum, was an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Denn es gibt Hinweise, dass über das Blut auch Föten beeinflusst werden, vor allem in den Keimzellen, doch dass bestimmte dadurch ausgelöste Störungen erst in der dritten oder vierten Generation zum Vorschein kommen. Zu diesem Thema bemühen wir uns gerade ein Projekt auf die Beine zu stellen, das über mehrere Generationen gehen soll.

Was wollen Sie dabei untersuchen?
Wir starten im Moment mit einer recht einfachen Fragestellung, also anhand von bestehenden Krankheitsbildern erste Zusammenhänge zu suchen. Zum Beispiel schauen wir uns bei ADS-Kindern oder autistischen Kindern an, wie es deren Eltern und Großeltern geht. Und dann vergleichen wir solche Fälle in Gegenden, in denen es mehr bzw. weniger Pestizideinsatz gibt. Zumindest unsere ersten Hypothesen weisen dabei darauf hin, dass bestimmte Störungen dort, wo vermehrt Pestizide verwendet werden, häufiger vorkommen. Wir wissen zum Beispiel, dass im hinteren Passeiertal, wo weniger Pestizide eingesetzt werden als im Überetsch, auch eindeutig weniger Parkinson-Erkrankungen auftreten als im Überetsch.  

Doch damit ist noch kein Beweis erbracht, dass die Überetscher Parkinson-Fälle von Pestiziden verursacht wurden?
Nein, aber es ist jetzt einmal eine Spur, die wir weiter verfolgen. Auch im klinischen Alltag stellen wir immer die Frage, in welcher Gegend wohnen Sie, gibt es Hinweise dafür, dass ähnliche Erkrankungen schon in vorherigen Generationen auftraten. Also das Thema Pestizide ist für uns schon relevant, weil wir dann zum Beispiel auch konkrete Maßnahmen wie Immunsystemstärkungen oder Diätempfehlungen empfehlen können. Mich persönlich fasziniert es aber auch, weil es neben der Forschungsneugier mit sozialer Verantwortung zu tun hat, damit, wie über die eigene Zeit hinaus ethisch nachgedacht werden muss. Und das ist einfach ein hochinteressantes Thema.