Politik | Interview

“Typisch Südtiroler Deutsch”

“Die Übersetzung der Fragestellung zum Verfassungsreferendum ist falsch”, sagt Senator und Verfassungsrechtler Francesco Palermo. Doch gröbere Probleme sieht er nicht.
Francesco Palermo
Foto: Twitter/Council of Europe

salto.bz: Herr Palermo, die Fragestellung für das Verfassungsreferendum am 4. Dezember wurde offensichtlich falsch ins Deutsche übersetzt. Was bedeutet das?
Francesco Palermo: Also erstens wird deutlich, dass das Zwei-Kammer-System tatsächlich Probleme schafft (lacht). Scherz beiseite – die Übersetzung ist falsch. Es müsste natürlich “Parlamentarier” heißen. Der Fehler, der hier unterlaufen ist, ist ein typischer Fehler des Südtiroler Deutsch.

Wie meinen Sie das?
Sinngemäß ist natürlich klar, was mit der Fragestellung gemeint ist. Das Problem ist vielmehr terminologischer Art und darauf zurückzuführen, dass im Südtiroler Deutsch der Begriff “Abgeordnete” als Synonym für “parlamentari” verwendet und verstanden wird.

Nun fragen sich viele: Wer ist für die Übersetzung der Fragestellung für den 4. Dezember zuständig?
Das ist eine gute Frage. Wenn es um Landesgesetze (wie etwa bei der Flughafenbefragung im Juni, Anm. d. Red.) geht, ist natürlich das Land zuständig. In diesem Fall sollte jedoch der Staat dafür sorgen, weil es sich ja schließlich um Staatsgesetze handelt. Die Quelle müsste in der Regel – wie für den italienischen Text – ein Dekret des Staatspräsidenten sein. Die Übersetzung ist ja eigentlich nur ein zusätzlicher Dienst für einen Teil des Landes, wo Deutsch offiziellen Charakter hat.

Das heißt, der Fehler ist in Rom passiert?
Der Fehler, der gemacht wurde, ist wie gesagt ein typischer Fehler des Südtiroler Deutsch. Wer ihn nun genau gemacht hat, weiß ich nicht. Aber er wurde offensichtlich einfach übernommen.

Ein harmloser Ausrutscher? Andreas Pöder sieht das ja nicht so und spricht sogar davon, dass die Südtiroler Bürger “belogen” würden.
Nun ja, an sich ist das, was hier passiert ist, nicht so unproblematisch. Die deutsche Sprache hat in Südtirol offiziellen Charakter und deswegen müsste man mit den Übersetzungen schon aufpassen. Und es stimmt schon: Wenn man den Text wortwörtlich übersetzt, sieht die Verfassungsreform gerade keine Reduzierung der Abgeordneten vor. Aber wer die Materie rechtlich vertiefen will, dem sei gesagt, dass die Senatoren auch Abgeordnete sind.

Wollen Sie jetzt zusätzlich Verwirrung stiften?
Das ist rechtsgeschichtlich begründet. Während die Abgeordneten “nur” Abgeordnete – also “onorevoli” – sind, sind die Senatoren formell “onorevoli senatori”. Also wenn ich im Senat abstimme, dann steht auf der Stimmkarte “onorevole senatore”. Es geht hier um ganz kleine juridische Feinheiten. Und wenn man an diesen rechtlichen Details feilen will, könnte man schon behaupten, dass die Übersetzung trotzdem stimmt.

Das heißt, es ist alles in Ordnung?
Hier wurde ein Fehler gemacht. Aber ich glaube, dass das ganz einfach richtig zu stellen geht.

Es ist noch Zeit dafür, sagen Sie?
Ja, ja, natürlich. Es ist auch gut, dass der Fehler jetzt ans Licht gebracht wurde. Damit ist die notwendige Zeit da, um das gleich zu lösen.

Vor dem 4. Dezember?
Auf jeden Fall. Die Wahlzettel sind ja noch nicht gedruckt.

Herr Pöder sieht das anders. Er sagt, da die Frist zur Veröffentlichung der Wahlkundmachung bereits abgelaufen ist, sei keine Änderung mehr möglich. Sie hingegen sagen, entscheidend ist der Wortlaut der Fragestellung auf den Stimmzetteln?
Natürlich. Es gibt ein Rechtsinistitut, das eine “rettifica degli errori materiali” vornehmen kann. Wenn kein inhaltlicher sondern eben nur ein solcher materieller Fehler vorliegt, kann das ganz einfach von Amts wegen richtig gestellt werden. Das geht auf alle Fälle, und sollte auch gemacht werden. Um sicher zu gehen, dass die Wahlzettel richtig gedruckt werden.

Könnte das Referendum in Südtirol verschoben werden?
Das geht natürlich nicht. Beziehungsweise bin ich keinesfalls der Meinung, dass so ein materieller Fehler eine Verschiebung der Abstimmung nur in Südtirol möglich machen könnte. Aber um die Sache richtig zu machen, muss die amtliche Übersetzung korrigiert und die Wahlzettel aufgrund der neuen, richtigen Übersetzung gedruckt werden können.

Sollte die Richtigstellung nicht erfolgen und die Stimmzettel mit der falschen Übersetzung gedruckt werden, wäre damit ein Grund für einen Rekurs gegeben?
Das könnte man schon versuchen, aber dann stellt sich die nächste Frage: Bei wem? Das Verwaltungsgericht Rom hat gerade eben einen ganz ähnlichen Rekurs zurückgewiesen und gesagt, es steht mir nicht zu, über den Wortlaut der Fragestellung zu befinden, weil ihn ein anderes Gericht (das Kassationsgericht, Anm. d. Red.) und auch der Staatspräsident bereits gutgeheißen haben.

Es gibt also keine Möglichkeit, das Referendum beziehungsweise das Ergebnis im Nachhinein anzufechten?
Theoretisch wäre es möglich, vielleicht indirekt über einen Richter, damit dieser dann die Sache an den Verfassungsgerichtshof verweist. Aber das ist eine rein theoretische Sache. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie es auf gerichtlichem Weg weitergehen könnte.

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gorgias Fr., 21.10.2016 - 17:11

Die Quelle müsste in der Regel – wie für den italienischen Text – ein Dekret des Staatspräsidenten sein. Die Übersetzung ist ja eigentlich nur ein zusätzlicher Dienst für einen Teil des Landes, wo Deutsch offiziellen Charakter hat. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Hier sieht man dass das Deutsche dem Italienischen nicht gleichgestellt ist, so wie in manch anderen autonomen Regionen weltweit mit eigener Lokalsprache. Übrigens bei Landesgesetzen ist der italienische Text im Zweifelsfall immer entscheidend.

Fr., 21.10.2016 - 17:11 Permalink
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Daniele Menestrina Fr., 21.10.2016 - 21:24

Also, mir hat man beigebracht, dass die Abgeordneten "deputati" und nicht "onorevoli" sind. Letzteres sei einfach eine Höflichkeitsform oder Schmeichelei, aber durch keine Bestimmung wie auch immer vorgesehen. Mich interessiert hier jetzt nicht, die "arrampicata sugli specchi" vom onorevole senatore Palermo zu widerlegen, sondern einfach nur zu wissen, ob das, was mir geläufig war, auch so stimmt. Kann mir da jemand weiterhelfen?

Fr., 21.10.2016 - 21:24 Permalink