Gesellschaft | Erhebung

Wie war das Leben im Lockdown?

Vertrauen ging verloren, Werte gewannen an Bedeutung, der Alkoholkonsum ging zurück: Wie hat die Ausgangssperre die Südtiroler und ihren Lebensstil verändert?
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Foto: Pexels/Anna Shvets

Wie hat das Coronavirus und die daraus folgende Krisensituation samt Lockdown die Menschen im Land und ihre Gewohnheiten verändert? Dieser Frage ist das Landesstatistikinsitut ASTAT gemeinsam mit dem Forum Prävention nachgegangen und hat in den Monaten Mai und Juni eine Stichprobenerhebung durchgeführt. 2.140 Bürgerinnen und Bürger haben den Fragebogen beantwortet.

Ein Ergebnis springt gleich ins Auge: Es hat einen deutlichen Vertrauensverlust gegeben. Insbesondere in die Politik und die Medien. Zugleich haben Werte wie Freiheit und Autonomie an Wert gewonnen.

 

Gute Stimmung und wechselnde Gefühle

 

93% der Befragten im Alter von 14-80 Jahren, die nicht allein leben, gaben an, dass sich zusammenlebende Personen während der Ausgangssperre genügend oder sehr viel gegenseitig unterstützt haben. Für 86% war die Stimmung im Haus entspannt und für ebenso viele gab es kaum oder gar keine Konflikte. 79% bezeichneten die häusliche Stimmung als nicht stressig.

Die häusliche Stimmung wurde von älteren Menschen positiver wahrgenommen als von den Jüngeren. Ebenso wurde sie auch von Haushalten ohne Kinder positiver eingeschätzt als von Haushalten mit Kindern. Außerdem ist der Anteil der Personen, die die häusliche Stimmung während der Ausgangssperre als kooperativ, angenehm, nicht konfliktreich und wenig stressig empfanden, größer ist, je mehr Platz in den Häusern pro Kopf zur Verfügung stand.

In der Rangfolge der Gefühle, die die Südtiroler während der Ausgangssperre am meisten begleitet haben, steht die Sorge (43%, aber 50% bei den Personen mit Kindern) an erster Stelle, gefolgt von Hoffnung (35%), Unsicherheit (34%, aber 42% bei den Personen mit Kindern) und Freude (für kleine Dinge wie ein Lächeln oder einen Spaziergang, 33%). Bei den Jüngsten (14-24-Jährige) stand Langeweile (48%) an erster Stelle.

Insgesamt deuten die Daten darauf hin, dass Männer die Zeit der Einschränkungen etwas positiver erlebt haben als Frauen.

 

Welche Werte und wo ist das Vertrauen?

 

Die persönliche Autonomie ist für 43% der Befragten wichtiger geworden als vor der Ausgangssperre. Es folgen zwischenmenschliche Solidarität (41%), Gesundheit (40%), Bewegungsfreiheit (39%, aber 49% bei den Stadtbewohnern), wirtschaftliche Sicherheit (39%) und Familie (37%).

Beim Vertrauen erzielten die politischen Organe das schlechteste Ergebnis: 38% der Befragten geben an, dass sie aufgrund der Maßnahmen gegen die Pandemie weniger Vertrauen in die Politik haben. Auch das Vertrauen in die Ordnungshüter und die religiösen Einrichtungen ist gesunken. Das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung ist hingegen unverändert geblieben.

Das Vertrauen in die Medien ist bei 34% der Bevölkerung gesunken, bei 7% gestiegen und bei 60% unverändert geblieben, mit einem negativen Gesamtergebnis.

 

Sowohl in Bezug auf die Institutionen als auch auf die Medien ist das Vertrauen bei den Männern stärker gesunken als bei den Frauen. Der Rückgang ist bei den jungen Menschen insgesamt stärker als bei den älteren, mit Ausnahme der Gesundheitsversorgung, bei der das Vertrauen der 14- bis 24-Jährigen leicht gestiegen ist.

 

Gesündere Ernährung

 

28% haben während der Ausgangssperre ihre Ernährungsgewohnheiten geändert, 39% ernährten sich bewusster als zuvor. 78% gaben an, wie üblich gegessen zu haben, 9% weniger als üblich und 13% mehr als üblich. Viele nahmen aus Langeweile oder aus reiner Lust mehr Nahrung zu sich, wenige aus Traurigkeit oder Angst. 65% hielten ihr vorheriges Gewicht, 12% verloren Gewicht und 23% nahmen zu.

Im Durchschnitt wurden mehr Obst und Gemüse, Süßwaren und frische Lebensmittel (Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte usw.) und Mehlprodukte (Brot, Nudeln usw.) gegessen als zuvor. Der Verbrauch von Wurstwaren, vorgekochten oder tiefgefrorenen Produkten, Konserven und salzigen Snacks ging zurück.

78% änderten ihr Kaufverhalten in Bezug auf die Qualität der gekauften Produkte nicht, 18% achteten mehr als zuvor auf die Qualität und 4% weniger. Auf die Angebote achteten 75% beim Einkaufen wie zuvor, 15% haben mehr darauf geachtet und 10% weniger. 43% der Haushalte haben zu Hause Brot gebacken und 31% Vorräte angelegt. Nur wenige Haushalte (6%) hatten oft zu wenige Lebensmittel zu Hause und nur sehr wenige haben viele Lebensmittel weggeworfen.

 

Weniger Alkohol

 

Im Durchschnitt wurde mehr Wasser und mehr Kaffee oder Tee getrunken als zuvor. Der Konsum von kohlensäurehaltigen Getränken, alkoholischen Getränken und Obstsäften ging zurück.

In Bezug auf den Alkoholkonsum geben 61% der Personen an, dass sie ihre Gewohnheiten während der Ausgangssperre nicht geändert haben, 26% haben ihren Alkoholkonsum reduziert und 13% haben mehr getrunken. Der Alkoholkonsum während der Ausgangssperre war daher niedriger als vor dem Gesundheitsnotstand. Insbesondere die 14- bis 24-Jährigen haben weniger Alkohol als üblich getrunken – 42%. Der Anteil derjenigen, die mindestens wöchentlich Alkohol konsumieren, fiel von 53% auf 19%.

Der Anteil der 14- bis 80-Jährigen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, ist während der Ausgangssperre von 57% auf 36% gesunken. Der Anteil der täglichen Konsumenten bei den 25- bis 64-Jährigen ist jedoch von 5% auf 10% gestiegen.


Mehr freie Zeit und mehr Online-Shopping

 

55% der Befragten hatten während der Ausgangssperre mehr Freizeit als üblich, 30% wie zuvor und 15% weniger als üblich. Männer und Jugendliche hatten aufgrund der Einschränkungen häufiger mehr Freizeit als Frauen und ältere Menschen.

In ihrer Freizeit sahen die Befragten hauptsächlich fern (40%), putzten das Haus (36%), kochten (35%) und erledigten kleine Arbeiten (Reparaturen, Gartenarbeiten, Heimwerken usw., 33%).

46% der Befragten haben in den zwei Monaten der Ausgangssperre im Internet eingekauft. Dieser Wert ist höher als die Schätzung des Prozentanteils der Online-Käufer aus früheren Erhebungen: Im Frühjahr 2019 gaben 31% der 14- bis 80-Jährigen an, in den drei Monaten vor der Erhebung Produkte im Internet gekauft zu haben.

Bei den Männern (49%) war der Anteil der Online-Käufer während des Lockdowns etwas höher als bei den Frauen (43%). Die aktivsten Online-Käufer im März und April 2020 waren die 25- bis 44-Jährigen (63%) und die 14- bis 24-Jährigen (62%), gefolgt von den 45- bis 64-Jährigen (41%). Am wenigsten haben die 65- bis 80-Jährigen (14%) online gekauft.

 

Fit gehalten?

 

Während des Lockdowns haben sich 33% der Südtirolerinnen und Südtiroler – unter Einhaltung der Verordnungen – regelmäßig körperlich oder sportlich betätigt. (Vor der Pandemie waren es 46%.) 31% – gegenüber 17% in der Zeit vor dem Lockdown – haben sich überhaupt nicht körperlich betätigt.

54% der 14- bis 80-Jährigen waren der Ansicht, dass ihre körperliche Verfassung durch die Covid-19-Beschränkungen nicht beeinträchtigt wurde. 38% gaben an, dass sie sich weniger fit fühlen als zuvor. Wenige (8%) haben ihre körperliche Verfassung während des Lockdowns verbessert.

 

Zufrieden mit Heimarbeit und Fernunterricht?

 

27% der unselbstständig Beschäftigten arbeiteten im Smart Working (21% immer und 6% zeitweise), 42% an ihrem üblichen Arbeitsplatz oder anderswo, aber nicht zu Hause. 22% befanden sich während des gesamten Zeitraums, 6% während eines Teils des Zeitraums in der Lohnausgleichskasse. 11% arbeiteten einen oder mehrere Tage nicht, weil sie im Urlaub waren, und 7% wegen Krankheit oder anderer Beurlaubungen.

Von den selbstständig Beschäftigten arbeiteten 49% wie üblich und 21% von zu Hause aus. 34% haben für die gesamte Dauer des Lockdowns die Tätigkeit eingestellt, 6% zeitweise. 4% arbeiteten aufgrund von Krankheit, Urlaub oder anderen Gründen einen oder mehrere Tage nicht.

Die Zufriedenheit mit Smart Working ist ziemlich hoch. Auf einer Skala von 1 bis 10 liegt die Durchschnittsnote der Beschäftigten, die während des Lockdowns Erfahrungen damit gemacht haben, bei 6,8 (Männer 7,1, Frauen 6,5). 47% zeigten sich sehr zufrieden (Note von 8 bis 10), 26% waren ziemlich zufrieden (Note 6 oder 7), 17% wenig zufrieden (Note 4 oder 5) und 11% überhaupt nicht zufrieden (Note 1 bis 3).

13% der Smart Worker hatten während der Ausgangssperre eine nicht angemessene Internetverbindung und 14% hatten ungeeignete Geräte. 4% hatten Schwierigkeiten aufgrund mangelnder digitaler Kompetenzen. 25%, d.h. einer von vier Smart Workern, hatte mindestens eines der drei Probleme.

60% der Ober- und Berufsschüler sind mit dem Online-Unterricht ziemlich oder sehr zufrieden. Unter den Universitätsstudenten steigt der Anteil der Zufriedenen auf 78%. 80% der Schüler und Studierenden verfügten über eine ausreichende oder mehr als ausreichende Internetverbindung, um am Online-Unterricht teilzunehmen. Andererseits hatten 20% Probleme mit der Netzwerkverbindung.

 

Der Kommentar von Peter Koler und Raffaela Vanzetta (Forum Prävention)

 

“Der allgemeine Blick auf die Ergebnisse lässt den Eindruck entstehen, dass die Phase der Isolation und die damit verbundenen Einschränkungen und Herausforderungen von einem großen Teil – zwischen Sorge und Hoffnung, Freude und Unsicherheit – recht gut gemeistert wurden.

(…)

An Wertschätzung gewonnen haben auch die durch die Schließung stark eingeschränkten Grundrechte persönliche Autonomie und Bewegungsfreiheit. Dass bei vielen das Gefühl von Unsicherheit aufkam, hat auch damit zu tun, dass die einschränkenden Maßnahmen öfters verlängert wurden und lange kein sicherer Endtermin feststand.

Bereits vorher benachteiligte und in der Erhebung erkennbare Bevölkerungsgruppen waren in der Phase des Lockdowns allerdings größeren Belastungen und Schwierigkeiten ausgesetzt: Es handelt sich dabei um die Familien – deren Bedürfnisse in einem gesellschaftlichen Diskurs auch vorher weniger wahrgenommen wurden – und um die Jugend, die auch im gesellschaftliche Normalmodus praktisch nie in Entscheidungsprozesse einbezogen wird.

(…)

Für die nächste Zeit und die kommenden Phasen wird es von hoher Wichtigkeit sein, dass bei der Bevölkerung die Krisenkompetenz gestärkt wird. Das gelingt, indem Unterstützung zur Selbsthilfe angeboten wird und vertrauensstärkende Maßnahmen gesetzt werden. Auf psychologischer Ebene muss der Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit unterstützt werden. Das hilft den Menschen, ihre eigenen Fähigkeiten zu aktivieren und Lösungskompetenzen anzuwenden.

Familien und junge Menschen muss dabei ein besonderes Augenmerk zukommen. Wie es gelingen kann, junge Menschen in gesellschaftliche Prozesse mehr einzubinden und so Identifikation zu schaffen, wird eine besondere Herausforderung sein, um einen generationenübergreifenden Gesellschaftsvertrag garantieren zu können.”

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Priska Spitaler Mi., 22.07.2020 - 15:11

Und schon wieder wurden die Bewohner der Alten- und Pflegeheime vergessen, die unter dieser Situation immer noch sehr leiden. Ich werde nicht müde, darauf aufmerksam zu machen.

Mi., 22.07.2020 - 15:11 Permalink