Politik | Geplatzt

Allein in Innichen

Die SVP kündigt das Regierungsbündnis mit Bürgermeisterin Rosmarie Burgmann in Innichen auf. Ein Schlussstrich nach jahrelangen Vorwürfen und Misstrauensbekundungen.
Innichen
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

“Das Unmögliche ist wahr geworden.”
Es ist die Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2015 als Rosmarie Burgmann diese Worte ungläubig ins Telefon spricht. Mit 57 Prozent der Stimmen haben die Innichner sie zu ihrer neuen Bürgermeisterin gewählt. Sie, Vertreterin einer Bürgerliste, hat der SVP den Bürgermeistersessel abgeluchst. 

Nun hat das Edelweiß zurückgeschlagen: Am gestrigen Donnerstag verkünden die SVP-Vertreter von Innichen offiziell das Aus der Koalition mit Burgmann und ihrer Bürgerliste. Es ist das Ende einer Zusammenarbeit, die zunehmend wie eine Zwangsehe wirkte und von Anfang an unter keinem guten Stern stand.

 

Über Stock und Stein

Trotz ihres deutlichen Wahlsieges findet Burgmann nach den Gemeinderatswahlen im Mai 2015 keine gemähte Wiese vor. Im Gemeinderat behält nämlich die SVP die Oberhand. Sie stellt dank einem Wahlergebnis von 51,3 Prozent neun der 18 Gemeinderäte. Burgmanns Bürgerliste kommt auf sieben. Die restlichen beiden Sitzen entfallen auf die zwei oppositionellen Bürgerlisten Noi per San Candido-Wir für Innichen und Liste Intica.

Um regieren zu können, ist Burgmann auf die SVP angewiesen. Die lässt die Bürgermeisterin bis zuletzt zittern. In letzter Minute ringt man sich zu einem gemeinsamen Koalitionspapier durch. Rosmarie Burgmann weiß: “Es wird sicher eine harte Aufgabe, ich mache mir da keine Illusionen”, appelliert aber an den Bündnispartner, das Wohl der Bürger über Parteiinteressen und gekränkte Gemüter zu stellen.

Auf den holprigen Start folgt nicht etwa eine sanfte Spazierfahrt. Zahlreiche Schlaglöcher lassen die Regierungskoalition immer wieder von der Spur abkommen. An Reibereien fehlt es nicht. Die werden auch gern über die Medien ausgetragen. Wie etwa im Falle der Kapitalerhöhung der Drei Zinnen AG, an der sich die SVP unbedingt beteiligen will, Burgmann und ihre Bürgerliste hingegen nicht. Am Ende überstimmt die SVP “ihre” Bürgermeisterin im Gemeinderat. Eine Retourkutsche der SVP für das verlorene Bürgermeisteramt? “Jein”, hat Rosmarie Burgmann den Eindruck.

Vor allem an der Mobilität scheiden sich die Geister in der Koalition, die zunehmend ins Schwanken gerät. Mehrere große Projekte stehen in Innichen an: ein Mobilitätszentrum, die Einfahrt West, die Umgestaltung des Parkplatzes am Krankenhaus. Die SVP wirft der Bürgermeisterin und dem Mobilitätsreferenten ihrer Bürgerliste, Hans Schmieder, Untätigkeit vor. Das Ressort sei “schlecht verwaltet”, so die Kritik aus den Edelweiß-Reihen. Trotz zahlreicher Diskussionen findet man nicht zusammen. Im Gegenteil, die Töne werden rauer.

 

Auge um Auge...

Die Vertreter der Bürgerliste werfen der SVP vor, Beschlussanträge und Vorschläge nicht im Ausschuss oder Gemeinderat zu diskutieren, sondern gemeinsam mit der Parteispitze in Bozen auszuarbeiten.

Hans Schmieder unterstellt “einer Gruppe von SVP-Gemeinderäten, die gute Kontakte zum Parteiausschuss und zur Landesregierung beansprucht”, “politische Machtspiele” zu betreiben. Und dabei greife man zur Brechstange anstatt das Gespräch und Kompromisse zu suchen. Die Kritik geht in erster Linie an Peter Fuchs. Der SVP-Fraktionssprecher pflegt seit seiner Wahl zum Pusterer SVP-Bezirksobmann-Stellvertreter im Oktober 2017 einen engen Draht zur Parteiführung.

Die Vorwürfe aus der SVP klingen wie ein Echo: Die Bürgerliste zeige keinerlei Entgegenkommen, sondern setze im Gegenzug auf Alleingänge in Ausschuss und Gemeinderat. Selbst sei man “sehr bemüht” um eine funktionierende Zusammenarbeit, tue sich aber “sehr schwer”, so die Edelweiß-Vertreter.

 

Los von Burgmann

Die Entscheidung fällt schließlich Anfang dieser Woche: “Die SVP-Fraktion hat entschieden, die Koalition aufzulösen”, verkündet Gottfried Leiter am Donnerstag im Hotel Post, wo er als Gemeinderat und Innichner SVP-Ortsobmann gemeinsam mit weiteren lokalen Parteivertretern auf einer Pressekonferenz “die neue politische Situation in Innichen” erklären will. Anwesend ist auch Simone Wasserer, SVP-Vizebürgermeisterin. Viele und lange Diskussionen habe es mit dem Bündnispartner gegeben, sagt sie. Doch zu oft sei die SVP von Sitzungen und Informationsflüssen ausgeschlossen worden.

Man vermisst die Transparenz, die Rosmarie Burgmann beim Amtsantritt zugesichert hat. Ihr Regierungsstil sei “undemokratisch”, an der Kommunikation hapere es, heißt es am Donnerstag im Hotel Post nicht zum ersten Mal. Und als auch ein jüngster Forderungskatalog der SVP vor drei Wochen von der Bürgerliste abgeschmettert worden sei – es habe zwar eine Diskussion mit der Bürgermeisterin gegeben, aber “die Gegenseite” habe keine Kompromissbereitschaft gezeigt, meint Gottfried Leiter –, habe man in der SVP keine andere Möglichkeit gesehen als endgültig die Reißleine zu ziehen. Und der Bürgermeisterin offiziell das Vertrauen zu entziehen.

 

Noch wackelt sie nur

Die Koalition in Innichen ist geplatzt, Zurück soll es keines mehr geben. Die Entscheidung sei “sehr gut überdacht” und “ich sehe sie als fix”, sagt Gottfried Leiter am Donnerstag. Rücktritte aus dem Gemeinderat werde es keine geben, sichert er zu. Auch der Ausschuss wird wohl in seiner derzeitigen Zusammensetzung – zwei der sechs Referenten stellt die SVP – weiter bestehen bleiben. Aber die Bürgermeisterin und ihre Minderheitsregierung werden sich nun vor jeder Entscheidung darum bemühen müssen, die notwendigen Stimmen zusammenzubekommen.
“Wir werden von Fall zu Fall entscheiden, wie wir uns verhalten”, kündigt Gottfried Leiter an. Für ihn ist eine Zusammenarbeit “sehr wohl möglich”. Wohl auch deshalb, weil nur eineinhalb Jahre bis zu den nächsten Gemeinderatswahlen im Frühjahr 2020 fehlen. In der SVP dürfte kein Interesse daran bestehen, die Bürgermeisterin zu stürzen und jetzt Neuwahlen vom Zaun zu brechen.

Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob und wie es Rosmarie Burgmann gelingt, auf dem rutschigen politischen Innichner Parkett zu bestehen. Was sagt sie selbst am Tag, an dem ihr der Koalitionspartner abhanden gekommen ist? Traurig sei sie, und es falle ihr schwer, den Schritt der SVP zu verstehen, verrät Burgmann im Gespräch mit den Journalisten, die sie am Donnerstag im Rathaus aufsuchen. “Wir wussten beide, dass es nicht einfach werden wird”, meint sie Richtung SVP gewandt. Und “trotz aller Probleme bin ich nach wie vor überzeugt, dass es eine gute Zusammenarbeit gegeben hat”. Den Bürgermeistersessel will Rosmarie Burgmann vor 2020 jedenfalls nicht räumen. Auch wenn sie sich vor ihrem Wahlsieg vor gut drei Jahren nicht erträumt hätte, je darauf zu sitzen.

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Erwin Demichiel Mi., 29.08.2018 - 18:37

Parteien bzw. Parteilisten haben auf Gemeindeebene nichts zu suchen. Dass es auch anders gehen kann zeigt St. Ulrich. Dort ist es (zumindest teilweise) gelungen, diese sterile Logik zu verlassen. Hoffentlich sind die Ratsmitglieder dort auch auf menschlicher Ebene diesem neuen Weg gewachsen - es ist sicher keine leichte Sache und verlangt eine gewisse "Größe".

Mi., 29.08.2018 - 18:37 Permalink