Wirtschaft | Landwirtschaft

Was bringt die Zukunft, Herr Dorfmann?

Wie viel Bio braucht Südtirol oder wofür soll die EU Bauern künftig unterstützen? EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann stimmt die Bauernbundmitglieder auf die Zukunft ein.
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Foto: Herbert Dorfmann

Salto.bz: Herr Dorfmann, Sie sollen Südtirols Bauern am Samstag Vormittag als Festredner auf der Landesversammlung des Südtiroler Bauernbundes auf ihre Zukunft vorbereiten. Auf den Punkt gebracht: Was kommt auf sie nach 2020 mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu?
Herbert Dorfmann:
Das ist derzeit noch nicht ganz einfach zu beantworten, weil wir noch ziemlich am Beginn der Debatte stehen. Ich bin selber Berichterstatter zum Thema im EU-Parlament. Es gibt aber sicher ein paar zentrale Herausforderungen, auf die man eine Antwort finden muss. Allem voran die  Finanzen. In vielen Gebieten Europas gibt es aber auch ein massives Nachwuchsproblem, das auch mit der Entwicklung des ländlichen Raum und der großen Attraktivität von großen Ballungsräumen für junge Menschen zu tun hat. Herausfordernd werden auch die Themen Innovation und technologische Entwicklung sowie Nachhaltigkeit sein.

Beginnen wir bei den Finanzen. Mittlerweile macht der Agrarhaushalt nur mehr rund ein Drittel des EU-Budgets aus. Wird er in der kommenden Periode weiter schrumpfen?
Die entscheidende Frage ist nicht, ob das Drittel zu halten ist, sondern die absolute Zahl. Klar ist, dass wir künftig im EU-Haushalt den Überschuss des Nettozahlers Großbritannien verlieren werden und gleichzeitig stets neue Aufgaben in Brüssel bestellt werden. Gerade in den Bereichen Außenpolitik, Grenzschutz oder Sicherheitspolitik sagt quasi täglich irgendein Mitgliedsstaat, was noch alles zu machen wäre. Netterweise gibt es aber bei diesen Forderungen oft wenig Bereitschaft, sich auch an ihrer Finanzierung zu beteiligen.

Das heißt, es gibt immer mehr Ausgaben und weniger Einnahmen – sprich es wird auch absolut gesehen weniger Geld für die Landwirtschaft zur Verfügung stehen?
Das werden wir so gut wie möglich versuchen zu verhindern. Es wird sicher nicht mehr werden, doch unser Ziel lautet, die heutigen Gelder zu halten. Und sollte es doch weniger werden, werden wir sicherstellen müssen, dass das Geld dann effektiv in benachteiligte Gebiete gelenkt wird und zumindest nicht bei uns in Südtirol gespart wird.

Von der Frage der Abwanderung ist Südtirol wohl weniger betroffen als andere Regionen. Wie sieht es mit Innovation und Technik aus?
Ich bin relativ sicher, dass uns in der Landwirtschaft in den kommenden zehn Jahren eine technologische Revolution bevorsteht. Ich sage immer, bevor ein Auto selbstfahrend durch die Stadt fährt, wird schon längst der Traktor selbstfahrend über die Äcker fahren, da dies technisch viel einfacher ist. Sprich: Wir werden auch in der Landwirtschaft selbstgesteuerte Maschinen bekommen, wird werden Präzisionslandwirtschaft bekommen und es wird darauf aufzupassen sein, dass sich dabei die Lücke zwischen großen und kleinen Betrieben nicht weiter vergrößert. Also, dass solch eine Technologie von großen Betrieben nutzbar ist, kleine aber keinen Zugang dazu haben und deshalb noch stärker zurückbleiben.

Droht sich hier auch eine Lücke zwischen großen landwirtschaftlichen Flächen in der Ebene und Bergregionen aufzutun, wo sich ein selbstfahrender Traktor vielleicht schwerer tut?
Der selbstfahrende Traktor ist als symbolisches Bild für diese Revolution zu sehen. Doch sie wird gerade Südtirol auch andere neue Möglichkeiten eröffnen. Zum Beispiel werden wir – ich hoffe relativ schnell – für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln, Dünger oder Wasser Maschinen haben, die uns erlauben, äußerst präzise vorzugehen. Damit kann man die Pflanzenschutzmittel wirklich genau dorthin bringen, wo man sie braucht.

Statt in Nachbars Garten – womit wir bei einem der wichtigsten landwirtschaftlichen Streitthemen der vergangenen Jahre sind. Wie wird es hierzulande weitergehen, kommt nun die große Bio-Wende?
Ich denke, dass wir in Südtirol in Fragen der Ökologie und Nachhaltigkeit immer einen Schritt voraus sein sollten, und damit meine ich jetzt nicht nur die biologische Landwirtschaft. Ein Apfel, ein Gemüse, eine Flasche Wein sind heute im Grunde nicht anders zu sehen als ein Auto. Wenn ich ein Prämiumhersteller von Autos bin, muss ich heute nachhaltige Autos produzieren, weil das als Teil der Produktqualität gesehen wird. Und dasselbe gilt für unsere landwirtschaftlichen Prämiumprodukte. Die müssen eben nicht nur gut schmecken oder schön verpackt, sondern auch möglichst nachhaltig sein. Und deswegen halte ich auch wenig von den Kontrapositionen, die es da immer wieder gibt.

"Beim Thema Glyphosat hat man mir nicht geglaubt und wird man mir wohl auch nie glauben, dass es bei der ganzen Diskussion um etwas anderes geht als um den Wirkstoff."

Bio gegen konventionell bzw. integriert, PestizidTirol....?
Ja, ich denke, dass sich auf der einen Seite die Umweltlobby auch einmal genauer anschauen müsste, was überhaupt wirklich in der Landwirtschaft passiert und welche Möglichkeiten es gibt. Anderseits muss man sich in der Landwirtschaft bewusst werden, dass die Forderung nach Nachhaltigkeit ein zentrales Element der Produktqualität ist, der man einfach nachkommen muss. Da geht es nicht einmal so sehr um die Frage, ob ich es mit der Umwelt besonders gut meine, sondern darum, dass der Konsument das heute als Qualitätselement verlangt.

Wie konkret kann Brüssel Bauern helfen, diesen Forderungen zu entsprechen?
Die gemeinsame Agrarpolitik kann viele Beiträge leisten und leistet sie auch heute schon, wenn wir zum Beispiel auf die Agrarumweltprogramme schaut. Und wenn Umweltauflagen vernünftig gemacht werden, im Sinne, dass sie tatsächlich vor Ort etwas bringen und zur Produktion von nachhaltigeren Produkten führen, dann sollten wir in Südtirol davor keine Angst haben. Denn einerseits brauchen wir sie als Prämiumhersteller wie gesagt ohnehin. Und anderseits fällt uns die Umsetzung auch leichter. In unseren typischen kleinen und familiengeführten Betrieben ist es weit einfacher, Impulse der Nachhaltigkeit zu setzen als in einem großflächigen Ackerbaubetrieb irgendwo in Europa. Das zeigt sich ja auch heute schon, wenn man sieht wie EU-Agrarumweltprogramme bei uns genutzt werden.

Doch entspricht die Produktionsweise in Südtirols Landwirtschaft heute schon Ihren Vorstellungen von Nachhaltigkeit?
Ich halte relativ wenig davon, wenn die Politik den Bauern unabhängig von den Märkten sagt, ihr müsst jetzt Bio-Bauern oder sonst was werden. Ich glaube an die Entscheidungsfreiheit der Bauern. Und darüber hinaus darf man nie vergessen , dass die Frage, wie viel Bio produziert wird, von der Kaufentscheidung der Konsumenten abhängt. Denn die Bauern sind ja nicht so blöd, etwas zu produzieren, das am Markt nicht abgenommen wird.

Doch die Nachfrage nach Bio ist stark gestiegen.
Aber es gibt leider auch in Südtirol viele KonsumentInnen, die besonders gut wissen, was die Landwirtschaft alles zu tun hätte. Doch sobald sie ins Geschäft gehen, treffen sie leider Kaufentscheidungen, die dann eben doch nicht ihrer Philosophie entsprechen. Aber nichtsdestotrotz muss klar sein, dass sich das Geld, das wir auf europäischer Ebene für Landwirtschaft ausgeben, zunehmend vor allem mit dem Element Nachhaltigkeit rechtfertigen lässt. Wir müssen den Steuer zahlenden BürgerInnen erklären, wofür wir den Bauern – salopp gesagt –ihr Geld geben. Und wenn man sich die Entwicklung seit der MacSharry-Reform im Jahr 1992 ansieht, sind die Umweltauflagen von Reform zu Reform gestiegen. Und es ist abzusehen, dass dies auch für die kommende Reform gelten wird.

Was bedeutet das für die Förderungen?
Ich denke schon, dass die EU die Biolandwirtschaft besonders fördern soll, aber das ist auch immer passiert. Andererseits muss man aber auch bei konventionell produzierenden Bauern sagen: Es gibt Auflagen wie Trinkwasserschutz oder die Einhaltung von Klimazielen, die sicher in Zukunft noch weiter steigen werden, und die müssen eingehalten werden. Wenn nicht, stellt sich die Frage, wieso die öffentliche Hand so einem Betrieb Geld geben soll.

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Zum Beispiel einen zu hohen Viehbesatz, also wenn jemand zu viele Tier pro Hektar hält. Mit welcher Begründung soll ihm die öffentliche Hand dann Geld geben? Für jede Zahlung gibt es eine Gegenleistung, und das Geld der Europäischen Union ist eben auch dafür da, dass wir die Vielfalt der Landschaft erhalten, Trinkwasser schützen, dass die Landwirtschaft einen Beitrag zum Klimaschutz leistet und so weiter.

Dafür braucht es aber auch Kontrolle...
Es gibt ja auch eine ganze Reihe von Regeln dafür. Ich wäre aber eher dafür einige wenige klare statt 100.000 verschiedene Regeln zu haben, die vor Ort umsetzbar sind und effektiv zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft führen.

Sie selbst sind in den vergangenen Jahren öfters in das Eck des Systemverteidigers gestellt werden – zum Beispiel in der Glyphosat-Diskussion oder auch als Sie Bioverbände mit der Aussage erzürnten, dass auch der Bioanbau nicht ohne Unkrautvertilgungsmittel auskomme. Fühlen Sie sich da missverstanden bzw. wie schwierig ist es, gleichermaßen die Interessen der konventionellen sowie der Bio-Landwirtschaft zu vertreten?  
Ich glaube, wer versucht Landwirtschaftspolitik zu machen, muss notgedrungen alle Sektoren der Landwirtschaft vertreten. Es wäre relativ absurd, wenn ich als Südtiroler Parlamentarier sagen würde, ich vertrete nur konventionelle oder Bio-Bauern.

Doch in manchen Fragen kann man nicht beiden Interessen gleichzeitig gerecht werden, wie man eben zum Beispiel auch bei Glyphosat sieht....
Beim Thema Glyphosat ist mir mittlerweile bewusst, dass ich in der öffentlicher Meinung mit meiner Botschaft nicht durchdringen werde. Was ich dort versucht habe zu sagen ist: Auf welcher Basis soll die Politik bei der Autorisierung von Pflanzenschutzmitteln entscheiden, wenn wir die wissenschaftliche Basis verlassen? Ob die Verpackung schön ist oder das Mittel gut schmeckt? Und was auch in Südtirol niemand geschrieben hat: Sobald unsere Agentur EFSA gesagt hat, dass mit Neonicotinoiden potentiell Bienen gefährdet werden könnten, war ich der erste, der gegen eine weitere Autorisierung solcher Pflanzenschutzmittel gestimmt hat - auch gegen den Widerstand von Kollegen, die es verteidigt haben. Denn wenn die Gefährlichkeit für Lebewesen von einer Agentur der Europäischen Union bestätigt wird, kann man nicht sagen: Die Bauern brauchen diese Mittel aber. Doch bei Glyphosat hat man mir nicht geglaubt und wird man mir wohl auch nie glauben, dass es bei der ganzen Diskussion um etwas anderes geht als um den Wirkstoff.

Um was geht es dann?
Hier geht es vor allem um den Hersteller...

...also um Monsanto...
Und es geht  darum – und wenn man es offen sagen würde, wäre es auch legitim –, dass kein Wirkstoff in der Welt so mit Gentechnik verbunden ist wie Glyphosat. Aber es wäre eben ehrlicher zu sagen, dass man keine Gentechnik will statt diesen Stellvertreter-Krieg gegen einen Wirkstoff zu führen. Abgesehen davon, dass Glyphosat ohnehin tot ist in der öffentlichen Meinung, selbst wenn er jetzt noch für weitere fünf Jahre autorisiert wurde.

"Ich sage immer, bevor ein Auto selbstfahrend durch die Stadt fährt, wird schon längst der Traktor selbstfahrend über die Äcker fahren."

Welche Visionen sehen Sie für Südtirol in den kommenden Jahren?
Ich halte zum Beispiel immer noch die alte Idee, einzelne Bio-Regionen zu schaffen, für sehr spannend.

Also etwa eine Bio-Region Vinschgau?
Ja, wenn auch vielleicht auf kleinerer Basis, vielleicht auch nur einzelne Täler.

Oder einzelne Dörfer wie Mals?
Ich wäre zum Beispiel sofort dafür, wenn es im Rahmen unserer Gemeinsamen Agrarpolitik Sonderfinanzierungen für Projekte geben würde, in denen sich Bauern und Gastwirte eines ganzen Dorfs oder Tals zusammentun, um ein Bio-Projekt zu machen. Solche Initiativen könnte man zumindest in den ersten fünf Jahren unterstützen, also bis das Kind dann selbst laufen gelernt hat.

Und solche Gebiete könnten dann auch den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel verbieten?
Wie bewegen uns hier noch auf sehr theoretischem Terrain. Aber klar, wenn man so etwas machen würde, müsste man das auf einem freiwilligen Agreement aufbauen. Da gibt es dann Geld für ein Gesamtprojekt, in dem sich verschiedene Akteure, auch über die Landwirtschaft hinaus, zusammenschließen, um nachhaltig zu wirtschaften. Über solche Dinge müssen wir in Europa unbedingt nachdenken, um den BürgerInnen auch vor Augen zu führen, dass ihr Geld mit konkretem Nutzen ausgegeben wird. In dem Sinne ist es auch an der Zeit, sich darum zu bemühen, in der öffentlichen Kommunikation diese ewigen Kontrapositionen zu vermeiden.

Also Diskussionen, wer die Guten und wer die Bösen sind, welche Bauern es richtig machen und welche nicht?
Die Bauern selbst haben ja lange zu dieser Diskussion beigetragen, indem konventionelle Bauern auf Bio-Bauern als Spinner herabgeschaut haben oder Bio-Bauern wiederum gemeint haben: Nur wir machen das Richtige. Heute sind diese Gegenpositionen in der Landwirtschaft selbst weitgehend aufgehoben, also ich finde, dass es diesbezüglich bereits ein ganz anderes Verständnis gibt als noch vor fünf Jahren.

Inwiefern?
Ich denke, dass ein Großteil der konventionell wirtschaftenden Bauern heute Respekt vor Bio-Bauern hat und es im Gegenzug auch bei den Bio-Bauern mehr Verständnis dafür gibt, warum nicht alle auf Bio umstellen. Dazu haben auch die Bio-Verbände ihren Beitrag geleistet in den letzten Jahren. Indem sie versucht haben, sich selber zu stärken statt über andere zu schimpfen. Und ich glaube, in diese Richtung müsste man in der Gesellschaft nun auch verstärkt gehen. Es gibt eben verschiedene Produktionsmethoden und der Konsument bestimmt mit seinen Kaufentscheidungen, in welche Richtung das Ganze geht. Wobei ich denke, dass schon heute auf der Hand liegt, dass der Bio-Anteil wachsen wird. Vor allem in einer Region wie Südtirol, die dabei eine so gute Ausgangsposition hat.