Politik | Referendum 2022

Zwei Welten

Am Sonntag sind die Südtirolerinnen und Südtiroler zur Volksabstimmung aufgerufen. Es geht dabei um eine Grundsatzfrage: Wie weit soll die direkte Demokratie gehen?
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Foto: upi
Wer am kommenden Sonntag zur Wahlurne schreitet, der oder die wird einen Stimmzettel mit einem Text ausgehändigt bekommen, der für Normalsterbliche kaum zu verstehen ist.
Die offizielle Fragestellung lautet:
 
"Stimmen Sie dem Gesetz betreffend „Änderung des Landesgesetzes vom 3. Dezember 2018, Nr. 22, ‚Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung‘ und des Landesgesetzes vom 8. Februar 2010, Nr. 4, ‚Einrichtung und Ordnung des Rates der Gemeinden‘“ zu, welches vom Landtag am 11. Juni 2021 verabschiedet und im Amtsblatt der Region Nr. 27 vom 8. Juli 2021 veröffentlicht worden ist?"
 
Darunter gibt es zwei Möglichkeiten sein Kreuz zu machen: Ja oder Nein.
Aber um was geht es wirklich?
Der Bozner Verfassungsrechtler und Universitätsprofessor Francesco Palermo fasst das Ganze Rai Südtirol gegenüber mit einem Satz zusammen: „Es geht um das grundsätzliche Verständnis der direkten Demokratie: Wollen wir, dass die Bürger mehr direkt entscheiden oder soll sich weiterhin mehr der Landtag mit bestimmten Themen befassen und darüber entscheiden.
 

Der Grund für die Abstimmung

 
2018 hat der Landtag das Gesetz zur Direkten Demokratie verabschiedet. Diesem Gesetz 22/2018, eingebracht von Magdalena Amhof und Josef Noggler (beide SVP), sowie Brigitte Foppa (Grüne) waren ein langer partezipativer Prozess und eine kontroverse Diskussion vorausgegangen. Am Ende einigte man sich auf einen gemeinsamen Kompromiss.
Doch nach Inkrafttreten diese Gesetzes, das zentral die Volksbefragungen regelt, brandete vor allem von Regierungsseite Kritik an einigen Punkten dieses Gesetzes auf.
Deshalb brachten der damalige Landtagspräsident Josef Noggler und die SVP ein neues Landesgesetz ein, dass vom Landtag am 11. Juni 2021 verabschiedet und am 8. Juli 2021 im Amtsblatt veröffentlich worden ist. Es ist eine Art „Korrektur“ des ursprünglichen Gesetzes zur Direkten Demokratie.
 
 
Dieses Noggler-Gesetz wird jetzt einer Volksabstimmung unterworfen. Demnach werden der Wähler und die Wählerin gefragt, ob sie für dieses neue Gesetz sind.
 

Die bestätigende Volksabstimmung

 
Der Kernpunkt dieser Entscheidung liegt vor allem in einem Punkt.
Mit dem Landesgesetz zur Direkten Demokratie 22/2018 wurde ein Passus eingeführt, den man mit dem Begriff „bestätigende Volksabstimmung“ umschreiben kann.
Die Regelung sieht vor, dass jedes Gesetz, das vom Südtiroler Landtag nicht mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet wird (also 24 Stimmen) im Nachhinein einer Volksabstimmung unterworfen werden kann.
Stellen 300 Bürgerinnen und Bürgern einen Antrag zur Abhaltung einer Volksabstimmung, tritt das Gesetz nicht unmittelbar in Kraft. Werden in der Folge 13.000 Unterschriften gesammelt, wird eine Volksabstimmung über das Gesetz abgehalten. Das Gesetz tritt erst dann in Kraft, wenn bei der Volksabstimmung das Ja gewinnt.
Diese Bestimmung wurde 2021 mit dem Noggler-Gesetz abgeschafft. Das Hauptargument für diesen Schritt zurück: 300 Personen könnten damit Landesgesetze allein durch den Antrag zur Volksabstimmung rund ein halbes Jahr lang blockieren.
 
 
Die Befürworter dieser Regelung und des ursprünglichen Gesetzes von 2018 halten dagegen: Um das zu verhindern, muss die politische Mehrheit die politische Minderheit nur an der inhaltlichen Ausarbeitung der Gesetze teilhaben lassen oder sich mit Teilen der Opposition im Landtag einigen. Dann schafft man bei allen wichtigen Gesetzen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag.
 

Das Büro

 
Mit dem ursprünglich 2018 verabschiedeten Gesetz zur Direkten Demokratie wurde das Büro für politische Bildung eingerichtet. Es handelt sich um eine überparteiliche Institution, dem ein Verwaltungsrat und ein wissenschaftlicher Beirat vorsteht. Dieses Büro wurde damals beim Landtag angesiedelt.
Mit der Noggler-Reform 2021 wurde diese Institution aber nachhaltig verändert. In dem Gesetz, über das am Sonntag abgestimmt wird, sind zwei mögliche Modelle enthalten.
Das politische Büro wird künftig bei einem wissenschaftlichen Institut angesiedelt werden. Vorgeschlagen wird dabei etwa das Minderheiteninstitut der EURAC.
Vor allem aber soll es nicht mehr von einem überparteilichen Verwaltungsrat, in dem alle Fraktionen des Landtages vertreten sind, und einem wissenschaftlichen Beirat begleitet werden, sondern von einer Verbindungstelle des Landtages.
 
 
 
Diese Verbindungsstelle soll das Bindeglied zwischen dem Büro für politische Bildung und dem Präsidium des Landtages sein. Wobei im Gesetz steht, dass das Präsidium des Landtages im Hinblick auf die Verbindungsstelle weisungsbefugt ist.
Die Kritiker dieser Regelung verweisen vor allem auf eine Tatsache.
Das Präsidium des Landtages besteht aktuell aus 6 Abgeordneten des Landtages. 5 Präsidiumsmitglieder gehören der politischen Mehrheit und nur ein Mitglied der politischen Minderheit an.
 

Die Information

 
Entscheidend bei der Volksabstimmung ist die öffentliche Information für die Wählerinnen und Wähler. Deshalb wird in beiden Gesetzen zur Direkten Demokratie vorgeschrieben, dass bei Volksabstimmungen alle Haushalte eine ausgewogene Information mit den Pro&Contra‘s erhalten.
Der Unterschied aber liegt in der Frage, wer diese Broschüre erstellt und wie darin gewichtet wird.
Im ursprünglichen Gesetz (2018) leitete das Büro für politische Bildung die Erstellung der Informationsbroschüre, indem beide Seiten vertreten waren. Die Redaktion erfolgte im Konsens über die Inhalte. Auch alle Landtagsfraktionen konnten zu gleichen Teilen ihre Meinungen kundtun.
 
 
Nach dem Noggler-Gesetz (2021) wird künftig das Redaktionsteam vom Landtagspräsidium eingesetzt, indem beide Seiten vertreten sind. Sprachgruppen, Geschlechtervertretung und Verhältnis zwischen Mehrheit und Opposition müssen berücksichtigt werden.
Die Landtagsfraktionen können ihre Meinung in der Broschüre aber unter Berücksichtigung ihrer Stärke kundtun. Das heißt: Jene Partei mit den meisten Sitzen im Landtag bekommt auch den meisten Platz in der Informationsbroschüre.
 

Die Sprachgruppensensibilität

 
In dem ursprünglichen Gesetz (2018) gibt es eine Sonderbestimmung für das dreisprachige Südtirol. Die sogenannte Bestimmung zur „Sprachgruppensensibilität“.
Wird festgestellt, dass das Thema einer Volksabstimmung die Rechte einer der drei Sprachgruppen betrifft, so tritt ein besonderer Mechanismus in Kraft.
Für die Gültigkeit des Ergebnisses der Volksabstimmung braucht es dann neben der einfachen Mehrheit der Abstimmenden, auch die Mehrheit in den Gemeinden, in denen die „sensible“ Sprachgruppe die Mehrheitsbevölkerung darstellt.
Zum Beispiel: Wenn ein Thema für die ladinische Sprachgruppe als „sensibel“ angesehen wird, dann muss bei der Volksabstimmung das Ja nicht nur in Südtirol gewinnen, sondern auch in allen ladinischen Gemeinden.
Diese Sonderbestimmung soll verhindern, dass die eine Sprachgruppe die anderen in ihren Angelegenheiten einfach überstimmt.
Mit dem Noggler-Gesetz (2021) wird diese Bestimmung zur Sprachgruppensensibilität jetzt abgeschafft.
 

Die Kommission

 
Auch die Einsetzung der Kommission für die Abwicklung von Volksabstimmungen (die sogenannte „Richterkommission“) wird in den zwei Gesetzen völlig anders geregelt.
Ursprünglich wurde die Kommission erst nach der Einbringung des Antrages auf eine Volksabstimmung eingesetzt. Die Mitglieder wurden von der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Präsidenten und der drei Gerichtsbarkeiten (Landesgericht, Verwaltungsgericht und Rechnungshof) ernannt.
 
 
Das neue 2021er Gesetz sieht vor, dass die Kommission zu Beginn der Legislatur ernannt wird und die Mitglieder durch Auslosung bestimmt werden. Dafür werden von den drei Gerichtsbarkeiten Dreiervorschläge übermittelt.
 

Der Bürgerrat

 
Mit dem Amhof-Foppa-Noggler-Gesetz wurde auch der sogenannte Bürgerrat eingeführt. Die Abhaltung des Bürgerrates konnte von 300 Bürgerinnen und Bürger beantragt werden. Die Planung und Durchführung lag beim Büro für politische Bildung. Der Bürgerrat lief in drei Stufen ab, setzte sich aus 12 Personen zusammen, die alle Alters- und Sprachgruppen und beide Geschlechter vertraten, und die eineinhalb Tage lang beraten. Die Ergebnisse mussten öffentlich kundgetan werden.
Mit dem Noggler-Gesetz soll der Bürgerrat entweder vom Landtagspräsidium bei Bedarf eingesetzt werden oder auf Antrag von 300 Bürgerinnen und Bürger. Die praktische Abhaltung wird mittels Durchführungsverordnung geregelt, die das Präsidium des Landtages erlässt.
 

Kein Quorum

 
Die Wählerinnen und Wähler werden sich demnach am Sonntag zwischen diesen beiden Gesetzen entscheiden müssen. Wer mit Ja stimmt, der oder die spricht sich dafür aus, dass das 2021 vom Landtag erlassene Gesetz in Kraft tritt.
Wer mit Nein stimmt, der oder die spricht sich dafür aus, dass das ursprüngliche vom Landtag 2018 erlassene Gesetz in Kraft bleibt.
Gewinnt das Nein, bleibt das ursprüngliche Gesetz zur Direkten Demokratie von 2018 aufrecht. Gewinnt das Ja, so treten jene Abänderungen in Kraft, die das Noggler-Gesetz von 2021 eingeführt hat.
Bei dieser Abstimmung gibt es kein Quorum. Die Volksabstimmung ist demnach unabhängig von der tatsächlichen Wahlbeteiligung gültig. Die einfache Mehrheit der Stimmen entscheidet.