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Revolutionäre Großmutter

Die Großmutter des Fernsehsprechers und Journalisten Zeno Braitenberg hat vor 100 Jahren den revolutionären Geist der Münchner Räterepublik mitgeprägt. Ein heikler Fall.
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Foto: upi

salto.bz: Im Jahr 2019 erinnert die Geschichtsschreibung mitunter an die Münchner Räterepublik vor 100 Jahren. Ihre Großmutter, Irene Mermet, hat die turbulenten Jahre davor und danach an der Seite des revolutionären Journalisten und Schriftstellers Ret Marut gewirkt. Was wissen Sie dazu?

Zeno Braitenberg: Erstaunlicherweise sehr wenig. Die Geschichte meiner Großmutter ist eine, die zwar immer wieder ein Thema war, aber den geheimnisvollen Schleier, den sich meine Großmutter nach ihrer Trennung von Ret Marut in der zweiten Hälfte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zugelegt hatte, hatte seine Wirkung gezeigt und über Jahrzehnte seine Wirkung bewahrt. Meine Großmutter Irene starb 1956, also 8 Jahre vor meiner Geburt. Ich habe sie also selbst nie kennen gelernt, aber die ganze geheimnisvolle Vorgeschichte ihres Lebens bevor sie in die USA kam, immer unglaublich spannend gefunden. Sicher ist: die Eltern meiner Mutter waren für mich immer ein besonders spannendes Thema. Und im echten Leben bin ich noch immer von den Büchern umgeben, die meine Großmutter meiner Mutter vermacht hat. Eine schöne Bibliothek, die auch wegen der Reise, die diese Bücher hinter sich haben, eine besondere Aura hat. Einige von diesen Büchern kamen ja tatsächlich von Deutschland über Mexiko in die USA und schließlich nach Meran.


Der wahre Name der rätselhaften Figur Ret Marut, ident mit dem später als B. Traven bekannt gewordenen Schriftsteller, war lange nicht bekannt. Mittlerweile weiß man, dass es sich um den Metallfacharbeiter und Gewerkschaftssekretär Otto Feige handelt. Welche Rolle spielte diese doch aufregende Geschichte im Leben ihrer Großmutter? Und im Leben ihrer späteren Familienangehörigen?

Ich glaube Marut/Traven/Feige spielten durchaus eine Rolle. Eher indirekt wohl, aber spürbar. Vor allem für meine Mutter und ihre Geschwister. Zwei Schwestern und ein Bruder, von denen meine Mutter die älteste war. Ich habe auch den Eindruck, dass meine Großmutter vor allem mit meiner Mutter über ihre Zeit in Deutschland gesprochen hat. Allerdings immer mit dieser Hybris des Geheimnisvollen und nie mit ganz vollständigen Informationen. Tatsache ist, dass auch mein amerikanischer Onkel und die Tanten in ihrem Leben immer in eine besonders undurchsichtige Stimmung verfielen, wenn wir sie auf ihre Mutter ansprachen. Das geht nicht nur mir so, sondern auch meinen Cousins. Das hat das Geheimnisvolle natürlich umso mehr geschürt. Und die Neugierde.


In den hektischen Revolutionstagen der München Räterepublik waren Marut und Mermet gezwungen am 1. Mai 1919 abzutauchen, kurz vor seiner standrechtlichen Erschießung durch ein Feldgericht der Weißgardisten. Marut und Mermet flohen zunächst ins Rheinland. 1923 waren sie dann ganz verschwunden…

Ja. In ihrem Staatsbürgerschaftsantrag für die USA – also nach der Trennung von Marut, als sie schon meinen Großvater John kennen gelernt hatte - hatte meine Großmutter Köln als Geburtsort angegeben. Übrigens musste sie auf dieser Staatsbürgerschaftserklärung auch zusichern, dass sie mit Deutschland nichts mehr zu tun haben wolle. Standardmäßig und als Vordruck musste man sich da für die amerikanische „way of life“ verpflichten und anderen politischen Systemen abschwören. Für meine Großmutter sicher keine schwierige Sache, denn sie war ja doch das Gegenteil von dem, was in Deutschland nach den 20er Jahren kam. Die wirklich spannende und undurchsichtige Zeit meiner Großmutter ist dabei aber sicher die Zeit in Mexiko, also bevor sie meinen Großvater kennen lernte. Es gibt ja Traven-Forscher, die die Frage aufgeworfen haben, wie Traven so schnell nach seiner Ankunft in Mexiko so viel über das Land erfahren konnte. Denn es dauerte nur wenige Wochen bis er mit seinen ersten Erzählungen, die in Mexiko spielen, herauskam. In meiner Phantasie ist es so, dass meine Großmutter schon vor ihm in Mexiko war und ihm geholfen hat, während Traven noch in Großbritannien auf eine Ausreisemöglichkeit wartete. Vielleicht half sie ihm sogar als Autorin. Denn schreiben konnte sie. Auch hier: in ihren Einreisedokumenten gab sie als Beruf „Lehrerin“ an, davor scheint sie mal in einer Eigenerklärung als Musikerin auf. Aber sie war auch Journalistin, eine selbstbewusste Frau und, so sagt man, eine hervorragende Erzählerin…..

 

Ihre Großmutter taucht Mitte der 1920er Jahre in den Vereinigten Staaten auf. Beginnt dort ein völlig neues Leben…

Ich habe erst vor kurzem mal auf einer amerikanischen Suchmaschine für Ahnenforschung recherchiert. Eine sehr gut gemachte Plattform mit digitalisierten Einreisepapieren, die weit zurück gehen. Und siehe da: ich fand sowohl das Einreisedokument meiner Großmutter in die USA aus dem Jahr 1926, als auch ihren Staatsbürgerschaftsantrag aus dem Jahr 1933, den sie zusammen mit meinem Großvater stellte, als sie schon drei ihrer vier Kinder bekommen hatte. Übrigens sehr spät für die damalige Zeit. Als meine Mutter geboren wurde, war meine Großmutter Irene schon 37. Und noch was war bei meiner Recherche aufregend: 10 Monate bevor meine Mutter auf die Welt kam, taucht meine Großmutter auf einer Passagierliste eines Schiffes auf. Am 22. September 1928. Ankunft in Boston. Wohin sie gefahren war und mit wem sie sich getroffen hatte…..ein Geheimnis.

Und wer weiß: vielleicht finde ich ja doch noch den Nachweis, dass B. Traven weder Marut noch Feige war, sondern einfach meine Großmutter.

Immer wieder gingen Journalisten auf Spurensuche nach Ret Marut und Irene Mermet. Der bekannte Journalist Gerd Heidemann reiste sogar bis nach Südtirol, besuchte ihre Mutter auf der Zenoburg in Meran. Was suchte er dort? Wohl nicht nach der ersten Abbildung eines Tiroler Adlers…

Ja, auch das ist eine erstaunliche Geschichte Schließlich ist Heidemann doch derselbe Mann, der später mit dem Einkauf der gefälschten Hitler-Tagebücher fragwürdige Bekanntheit erlangte. Er war wohl einer, dem das potentiell Aufregende einer Geschichte wichtiger war, als deren Wahrheitsgehalt. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter von Heidemann nicht besonders angetan war. Meine Mutter hatte ja nach ihrem Studium selbst auch als Journalistin gearbeitet und hatte ein Gefühl dafür, ob jemand seriös war oder nicht. Was Heidemann bei meiner Mutter suchte? Vermutlich Originalmanuskripte von Traven. Wer weiß, vielleicht hätte man welche schreiben und ihm verkaufen können. Das ist um Himmels willen natürlich nicht ernst gemeint.

 

Der berufliche Weg des Stern-Journalisten Gerd Heidemanns erinnert an den Fall des Spiegel-Journalisten Claas Relotius. Heidemann drehte sogar eine mehrteilige Dokumentation zu Marut/Traven. In dem mittlerweile überholten Doku-Krimi für Literaturliebhaber lässt er sich von falschen Fährten leiten und belegt sie – wie wir heute wissen – mit viel Fantasie. Sie kennen diese Filme?

Leider nein. Ich werde mir aber mal die Filme von Heidemann besorgen, auch wenn ihnen der Ruf voraus eilt, nicht besonders viel Wahrheit zu enthalten. Online gibt es sie leider nicht. Dafür gibt es diese sehr schöne Doku der BBC, die ja dann auch erstmals den Namen Feige für Traven ins Spiel bringt und den Zusammenhang mit Traven auch letztendlich nachweisen kann.

Ich glaube, dass das Vertuschen irgendwann einfach zu einer Gewohnheit wird. 

Sie gehen manchmal auf Spurensuche zu Marut/Mermet? Der Fall des unbekannten Schriftstellers, der im „Busch von Mexiko“ die wahre Realität festhält, hat in den letzten 100 Jahren nicht nur viele Historiker, Kultur- und Literaturwissenschaftler beschäftigt. Sogar Hollywood hat B. Traven verfilmt…

Ja, immer wieder juckt es mich. Schließlich geht es um einen Autor mit einer Auflage von zig Millionen. Die Zeit ist da Fluch und Segen zugleich. Denn es wird natürlich immer schwieriger, Dokumente oder gar Schriftstücke aus der Zeit vor der Einreise meiner Großmutter in die USA zu finden. Aber ich gebe nicht auf. Und wer weiß: vielleicht finde ich ja doch noch den Nachweis, dass B. Traven weder Marut noch Feige war, sondern einfach meine Großmutter. Schließlich legte Taven ja immer sehr viel Wert darauf, sich nie persönlich mit einem Verleger zu treffen. Lag das am Ende daran, dass Traven eigentlich eine Frau war? Auch das ist aber natürlich keine ernste Theorie.

 

Was ist von Irene Mermets revolutionärer Zeit geblieben? Weshalb hat sie ebenfalls versucht diese Geschichte zu vertuschen?

Gute Frage. Ich glaube, dass das Vertuschen irgendwann einfach zu einer Gewohnheit wird. Das scheint sich auch durch das spätere Leben meiner Großmutter zu ziehen. Und auch meine Mutter hatte diese Art, manchmal auch aus erster Person etwas zu erzählen, das zwar nicht stimmte, aber als Geschichte irgendwie gut war. Und sicher ist: meine Großmutter hatte in den 20er Jahren und durch ihre Beteiligung oder zumindest Involvierung in die revolutionären Kreise im Sog von Rosa Luxemburg und Ret Marut und die daraus folgende Verfolgung allen Grund, mit Schweigen, Geheimnissen und Vertuschungen gut umgehen zu können.

Die journalistische Tätigkeit Ihrer Großmutter hat auch Ihren beruflichen Lebensweg bestärkt?

Ja, ich denke schon. Die Lust zu erzählen auf jeden Fall. Die Bereitschaft, sich aufzulehnen und etwas kritisch zu hinterfragen auch. Vielleicht ein bisschen weniger die Lust zu vertuschen. Das würde zu meinem Job nicht passen.