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Politik | Italien

Parteien stellen sich auf Neuwahlen ein

Was passiert in Italiens politischer Szene nach dem Urteil des Verfassungsgerichts?

Das von Matteo Renzi gewünschte Italicum hat nur ein Jahr überlebt. Das Verfassungsgericht hat das Wahlrecht gestutzt, noch bevor es angewandt werden konnte. Das Urteil und seine Begründung liegen im Wortlaut nicht vor, die Details werden erst in einigen Wochen bekannt. Quintessenz der Entscheidung:  Der Mehrheitsbonus bleibt bestehen, die Stichwahl wird abgeschafft. Damit haben die 13 Richter eine surreale Situation geschaffen.  Wer die 40 Prozent-Hürde schafft, bekommt einen Bonus  von 340 Sitzen, mit dem er regieren kann. Nur: Dieses Ziel liegt klar außer Reichweite - für alle Parteien.

Seit Jahren schaffen selbst Wahlsieger gerade mal ein Drittel der Stimmen. Im Parlament haben sich drei Blöcke gebildet:  Mittelinks, Mitterechts und Protestparteien. Von 40 Prozent sind alle weit entfernt. Nach letzten Umfragen kann der Partito Democratico mit 31,7 Prozent der Stimmen rechnen, M5S mit 28,3, die Lega mit 13,6 und Forza Italia mit 11,1. Alle anderen liegen unter fünf Prozent.

M5S muss Verurteilung Raggis befürchten

Deshalb erstaunt es, dass die Entscheidung der Richter von den Anti-System-Parteien mit Jubel aufgenommen wurde. Beppe Grillo übt sich wie stets im Größenwahn:  "Il premio di maggioranza del 40 % é il nostro obbiettivo (sic) per governare. Ci presenteremo agli elettori come sempre senza fare alleanze con nessuno."  Wie die Bewegung von 28 auf 40 Prozent kommen will, erklärt Grillo nicht. Die unausweichlich scheinende Verurteilung der römischen Bürgermeisterin Virginia Raggi wegen abuso d'ufficio e falso dürfte die Begeisterung für die Fünfsterne-Bewegung eher dämpfen. Raggi überlegt sogar einen gerichtlichen Vergleich mit reduzierter Strafe, um nicht unter das Severino-Gesetz zu fallen, das für zweieinhalb Jahre die Bekleidung öffentlicher Ämter verbietet.

Euphorie bei den Protestparteien

Während Protestparteien wie M5S, Lega und Fratelli d'Italia nach dem Urteil der Verfassungsrichter euphorisch nach sofortigen Neuwahlen rufen, ist die Begeisterung bei den anderen Parteien durchaus gedämpft. Matteo Renzi plädiert für Neuwahlen im Juni, doch seine Partei ist gespalten. Die Minderheit um Pier Luigi Bersani tritt für eine reguläre Beendigung der Legislatur ein. Außerdem wächst die Popularität von Premier Paolo Gentiloni: In nur zwei Wochen ist sie um vier Punkte gestiegen. Kein plausibler Grund, um ihn heimzuschicken. Von Silvio Berlusconi weiß man, dass er kein Befürworter rascher Neuwahlen ist. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts werden Kammer und Senat mit unterschiedlichen Wahlrechten gewählt. Staatspräsident Mattarella hat an die Parlamentarier appelliert, die beiden Systeme zu harmonisieren.  Dem Aufruf werden sie eher halbherzig folgen. Dass sie imstande sind, sich auf ein neues Wahlrecht fürden Senat zu einigen, darf bezeifelt werden.

Ein Umstand ist nach dem Urteil unumstößlich klar: Italien kann in Zukunft nur von Koalitionen regiert werden. Das nährt die Befürchtung der großen Parteien, von den kleinen erpresst zu werden. Und im Partito Democratico lässt  der Gedanke an eine neue Allianz mit Berlusconis Forza Italia und den Kleinparteien der Mitte wenig Begeisterung aufkommen.

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Toni Ladurner Fr., 27.01.2017 - 12:29

Warum die Probleme, die das italienische Wahlrecht verursacht, nicht mit dem Vorschlag des belgischen Forschers David Van Reybrouck überwinden, den er in seinem Buch "Gegen Wahlen" formuliert? Seine These: Um die Probleme der Demokratie zu lösen, muss man zurück zum Ursprung, das Neue im Alten finden. Man könnte die Volksvertreter wieder durch Losentscheid ermitteln - wie in Athen vor 2500 Jahren (siehe das Dossier der ZEIT vom 19. Januar 2017: "Zur Wahl steht: Die Demokratie").

Fr., 27.01.2017 - 12:29 Permalink