Politik | Wahlgesetz

Reform gelungen - Demokratie tot?

Florian Kronbichler und Riccardo Fraccaro kritisieren das neue Wahlgesetz: Das Rosatellum bis schmälere die Einflussnahme der Wähler und zementiere die Macht der SVP.
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Foto: Pixabay

Unterschiedlicher könnten die Reaktionen der Südtiroler Parlamentarier auf die endgültige Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes durch den Senat am gestrigen Donnerstag (26. Oktober) wohl kaum ausfallen. Es sei zwar nicht “die absolut beste Regelung”, kommentiert Karl Zeller, aber das Rosatellum bis sei “sicher besser als die derzeit geltende Regelung” und “ungleich minderheitenfreundlicher als jenes, das 2013 zur Anwendung gekommen ist”, versucht der SVP-Senator das Positive am neuen Wahlgesetz, mit dem voraussichtlich im Frühjahr 2018 die Parlamentswahlen bestritten werden, zu sehen. Als “Totschlag für die Demokratie was Südtirol betrifft” und “schlecht für den Staat insgesamt” bezeichnet hingegen der Kammerabgeordnete Florian Kronbichler (Articolo 1-MDP) das neue Wahlgesetz.

 

Rosatellum bis – was steht drin?

In einer ausführlichen Stellungnahme erklärt Karl Zeller, was das Rosatellum bis, das für beide Parlamentskammern gleichermaßen gilt – mit sich bringt:

“Das Gesetz sieht vor, dass rund ein Drittel der Sitze im Parlament, d.h. 232 der 630 Abgeordneten und 109 der 315 Senatoren, in Ein-Personen-Wahlkreisen, also mit Mehrheitswahlrecht gewählt werden, der Rest im Verhältniswahlsystem in Mehrpersonenwahlkreisen.
Im Einerwahlkreis ist der Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt und es gibt keine Wahlhürde. Für einzelne Listen ist eine Drei-Prozent-Hürde auf Staatsebene vorgesehen, bei Listenverbindungen liegt die Hürde für den Einzug ins Parlament bei 10%, wobei aber nur Listen Sitze erhalten, die mindestens 3% der Stimmen auf sich vereinen. Mit dieser Regelung soll die chronische Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft verhindert werden. Es wird zudem eine Geschlechterquote eingeführt, wonach kein Geschlecht mehr als 60% der Kandidaten/innen stellen darauf.
Der Stimmzettel enthält die Kandidaten/innen im jeweiligen Einerwahlkreis, die Listenzeichen der Parteien, die diese/n unterstützen und die Namen der Kandidaten für die Sitze, die im Verhältniswahlrecht vergeben werden.”

 

Und in Südtirol?

“Es ist gelungen”, erklärt Zeller, “für die Region Trentino-Südtirol und die Minderheiten eine Sonderregelung einzubauen: In der Region Trentino- Südtirol wird es 6 Einpersonen-Wahlkreise sowohl für den Senat als auch für die Abgeordnetenkammer geben, also im Verhältnis mehr als im restlichen Staatsgebiet. Von diesen Wahlkreisen befinden sich je 3 in Südtirol. Die 3 Einerwahlkreise im Senat bestanden auch schon bisher und sind eine Folge der Paketmaßnahme 111, also einer völkerrechtlichen Verpflichtung; hier ändert sich also nichts. Neu sind die 3 Einerwahlkreise in der Kammer, die aufgrund der im Juni erfolgten Annahme des Antrags der FI-Abgeordneten Biancofiore und des 5 Sterne-Abgeordneten Fraccaro von 4 (laut dem derzeit in Kraft stehenden Mattarellum-System) auf 3 reduziert werden.
Die Liste der Minderheit kann (muss aber nicht) Koalitionen mit gesamtstaatlichen Listen eingehen und hat die Möglichkeit auch im Falle einer Koalition in bestimmten Wahlkreisen alleine anzutreten.
In der Kammer werden die restlichen 5 Sitze auf proportionaler Basis in Mehrpersonenwahlkreisen vergeben, im Senat der siebte der Region laut Verfassung zustehende Sitz.
Für Minderheiten gilt zudem eine Sonderregelung, wonach deren Listen nicht 3% der Stimmen auf Staatsebene erreichen müssen, sondern es genügt, 20% auf regionaler Ebene zu erreichen oder zwei Wahlkreise zu gewinnen.”

 

Zellers Zuspruch und Achammers Aufatmen

Warum die SVP für das Rosatellum bis gestimmt hat, erklärt Karl Zeller folgendermaßen: “Es werden auch in der Kammer Einerwahlkreise eingeführt, wobei für diese keine Sperrklausel gilt; damit ist die Vertretung der Minderheit in beiden Häusern des Parlaments in Zukunft garantiert und zwar auch dann, wenn die Liste der Minderheit nicht die Hürde von 20% in der Region erreichen sollte. Außerdem wird der Zugang für Minderheitenlisten zu den Sitzen im Verhältniswahlrecht (5 in der Kammer, 1 im Senat) erleichtert, weil auch die Wahl von 2 Kandidaten in den Einerwahlkreisen ausreicht. Ein starke Vertretung der Minderheit in Rom ist für die Zukunft also gewährleistet.”

Aufatmen beim SVP-Parteiobmann. “Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 muss nicht mehr mit zwei völlig verschiedenen, nicht koordinierten Systemen gewählt werden. Das hätte die Regierungsbildung weiter erschwert”, ist Philipp Achammer überzeugt. Er bezeichnet das Rosatellum bis als “gutes Wahlgesetz, das die Vertretung der Minderheiten gewährleistet” und dankt den SVP-Parlamentariern für ihren Einsatz in Rom.

 

Kronbichlers Kritik und Fraccaros “feudo”

Das neue Wahlgesetz sei weder gut noch gerecht noch demokratisch, wettert indes Florian Kronbichler. Er sieht die Bürger “jeder wirklichen Wahl beraubt”, weil sie kaum Einfluss darauf haben, welche Kandidaten sie in das Parlament entsenden wollen, so Kronbichler. Während man im PD, aus dessen Reihen der Vorschlag für das Rosatellum bis kommt, die Wähler gestärkt sieht, winkt Kronbichler ab: “Nach dem Prinzip ‘Friss oder stirb’ werden sie mit einem einzigen Kreuzchen am Stimmzettel anzeichnen können, was ihnen von den jeweiligen Parteizentralen an Kandidaten vorgesetzt wird.”

“Für Südtirol”, fährt Kronbichler fort, “wird der Sammelpartei SVP per Wahlgesetz der Status einer Einheitspartei sowjetischen Gedenkens zuerkannt”. Vielmehr als die Vertretung der Minderheiten garantiere das Rosatellum bis der Minderheitenpartei, sprich der SVP “nicht nur den Alleinvertretungsanspruch über die deutsche und ladinische Sprachminderheit”, sondern erlaube ihr, “mit ihrem Stimmenreservoir die italienischen Kandidaten für beide Kammern zu konditionieren. Es muss demnach nur noch – so die SVP ihre Wahl erlaubt – von Parlamentariern FÜR die Italiener und nicht länger von Parlamentariern DER Italiener Südtirols gesprochen werden. Das ist wahlpolitischer Kolonialismus und verdirbt die Kultur des ethnischen Friedens im Land”, schimpft der Kammerabgeordnete.

Sein Trentiner Kollege von den 5 Stelle tut es Kronbichler gleich. “Questa legge elettorale è una truffa, la peggiore che si potesse immaginare, perché è antidemocratica e non favorisce governabilità né rappresentatività, stimmt Riccardo Fraccaro zu. “Wir werden erneut ein Parlament voller Vertreter haben, die von den Parteien nominiert wurden und die einzig ihren capibastone (Bezeichnung für lokale Mafiachefs in Kalabrien, Anm.d.Red.) und nicht den Bürgern hörig sind”, schreibt Fraccaro in einer Aussendung. Im Trentino und in Südtirol bevorteile das Rosatellum bis darüber hinaus “in eklatanter Art und Weise” die Lokalparteien, was er für “inakzeptabel” hält, so Fraccaro. Das Rosatellum bis spricht den Bürgern Rechte ab, um sämtliche Entscheidungen in die Hände der Parteien zu übergeben. Und vor allem wandelt es Trentino und Südtirol in ein Lehen von PD-PATT-SVP (“feudo di Pd-Patt-Svp”) um.” Gleich wie Kronbichler kritisiert der Trentiner 5-Sterne-Abgeordnete, dass die Wähler künftig an der Urne kaum Einflussmöglichkeiten auf die Kandidaten haben, die schließlich im Parlament sitzen werden: “Erreicht eine Liste die Drei-Prozent-Hürde nicht, gehen alle Stimmen, die sie bekommen hat, an die Koalition, mit der sie antritt – ein Mischmasch aus anderen Parteien, die vielleicht ein komplett anderes Programm vertreten als jenes, das der Wähler unterstützen will. Er weiß nicht, an wen seine Stimme geht!”

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Karl Trojer Fr., 27.10.2017 - 17:58

Demokratie ermöglicht die "Vertrauensfrage", sie als undemokratisch, als diktatorisch zu beschimpfen ist undemokratisch. Wenn mehr als 200 Abstimmende mit "ja" und weniger als "50" mit "nein" stimmen, so ist dies eine demokratische Wahl. Dass Vertrausenfragen meist als letzte ratio eingesetzt werden, hängt wohl oft damit zusammen, dass im Parlament zu viel "geplodert" wird und öfters versucht wird, damit Beschlussfassungen taktisch zu verhindern.

Fr., 27.10.2017 - 17:58 Permalink
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Sell Woll Fr., 27.10.2017 - 20:49

Ob ein Wahlgesetz mit Vertrauensfrage durchzupeitschen verfassungsmäßig ist ist zweifelhaft. Inhaltlich haben Kronbichler und Fraccaro vollkommen recht. Ihre Partei gibt mit diesem Wahlgesetz das Land der Rechten preis und das nur um mit weniger Stimmen mehr Sitze als M5S zu erhalten. Schämen Sie sich für ihren Parteichef!

Fr., 27.10.2017 - 20:49 Permalink