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"Heimat ist Verantwortung spüren"

Die Obfrau des Südtiroler Heimatpflegeverbands Claudia Plaikner erklärt, warum "Heimat" für viele zwar kaum fortschrittlich klingt, aber Platz für Neues schaffen kann.
Claudia Plaikner
Foto: Heimatpflegeverband

Seit April 2017 ist Claudia Plaikner Obfrau des Heimatpflegeverbands Südtirol. Sie kennt den nostalgischen Beigeschmack, der sich vielen beim Wort “Heimat” auf die Zunge drängt. Die Olangerin engagiert sich für eine offene und wandelbare Heimat, die verschiedene Realitäten umfasst und sich auch neuen Strömungen nicht widersetzt. Gleichzeitig unterstreicht sie, wie wichtig es ist, den Wert des Bestehenden - Natur wie Kultur - zu erkennen und entsprechend zu schützen: durch Rechtssicherheit, die in Südtirol beim Natur-, Denkmal- und Ensembleschutz oft fehlt und ein gesteigertes Bewusstsein und Engagement vonseiten der Bevölkerung.

 

Salto.bz: Frau Plaikner, Sie sind Obfrau des Heimatpflegeverbands. Was ist das für Sie, Heimat?

Claudia Plaikner: Ein sehr umfassender, aber auch ein wandelbarer Begriff. Einerseits spielt der Begriff auf eine gewisse räumliche und inzwischen auch digitale Verortung an. Andererseits geht es aber auch um soziale Vernetzung und die Übernahme von Verantwortung für einen Ort. Dieser Ort muss nicht immer derselbe sein; man kann im Laufe eines Lebens ja auch mehrere Heimaten haben und Verantwortung dafür spüren und im besten Fall auch übernehmen.

Sie sprechen die Digitalisierung an: Glauben Sie dass durch Digitalisierung, wachsende Mobilität und Beschleunigung das konkrete Umfeld, in dem wir uns befinden, eine immer kleinere Rolle spielt?

Das stimmt sicher, man könnte heute auch von einer Weltenheimat sprechen. Aber ich glaube, dass es gerade deshalb immer wichtiger wird, zu wissen, woher man kommt und wohin man geht. Wurzeln sind wichtig, damit wir uns in einer großen Weltenheimat nicht verlieren. Dieses Bewusstsein kann auch bei jungen Menschen beobachtet werden, die vielleicht viele Jahre im Ausland verbringen, dann aber wieder gerne zurückkommen und auch eine gewisse Bindung zu jenem Ort fühlen, an dem sie eine Zeit ihres Lebens verbracht haben. Heimat hat also auch mit dem Raum zu tun, an dem wir uns befinden, mit ganz konkreten Örtlichkeiten.

Wie bringt sich der Heimatpflegeverband in diesen ganz konkreten Raum ein?

Wir beschäftigen uns natürlich vorwiegend mit Südtirol. Wir sind die Akteure vor Ort und kümmern uns um die Natur- und Kulturlandschaft hier, aber auch um den Menschen als Agierenden in diesem Raum. Mensch, Natur und Kultur, diese drei Aspekte müssen zusammenfließen. Das heißt aber nicht, dass sich der Verband nur um jene Aspekte kümmert, die immer schon ein Teil von Südtirol waren. Gerade in unserer Gesellschaft, in der es inzwischen auch viele Migrationsströme gibt, kann die Heimatpflege eine Möglichkeit sein, sich in einer neuen Heimat, die auch Südtirol heißen kann, zu finden.

Man kann im Laufe eines Lebens ja auch mehrere Heimaten haben und Verantwortung dafür spüren und im besten Fall auch übernehmen.

 

Das Schwerpunktthema des Heimatpflegeverbands ist in diesem Jahr die Baukultur in Südtirol. Welche Veränderungen haben sich hier in den letzten Jahren herauskristallisiert?

Hier hat sich sehr viel verändert. Wir sind in Südtirol in einem Land, in dem nach wie vor sehr viel gebaut wird - und das, obwohl der Baugrund sehr beschränkt ist. Vor allem in den Tourismusgebieten ist der Druck auf die Flächen enorm. Gleichzeitig muss historische Bausubstanz oft neuen und immer größeren (touristischen) Infrastrukturen weichen. Wir haben in den letzten Jahren einen relativ starken Verlust an historischer Bausubstanz feststellen müssen, wobei natürlich immer geprüft werden muss, welche Qualität die vorliegende Bausubstanz hat. Wir stellen uns nicht gegen jede neue Entwicklung oder gegen neue Architektur. Absolut nicht. Aber es gibt viele gute Beispiele - auch bei uns - wie historische Bausubstanz aufgewertet und auf Gebautem weitergebaut werden kann. Man kann eine historische Bausubstanz also gut in die Zukunft bringen.

Im Moment ist es jedoch eher so, dass immer mehr neue Flächen bebaut werden, gleichzeitig der Leerstand im Land aber grassiert. Ist die Gesetzeslage schuld?

Laut neuem Gesetz für Raum und Landschaft müsste der Leerstand ja erhoben werden. Es gibt einige Pilotgemeinden, in denen das bereits gemacht wurde und wo man effektiv sehen kann, wie viel Leerstand es in Südtirol gibt! Bevor neue Bauzonen ausgewiesen werden, muss der Leerstand aufgewertet werden. Ich glaube, dass dieses Prinzip - das im neuen Gesetz verankert ist - eine wichtige Grundlage für jegliche Weiterentwicklung im Land sein muss. Wir müssen der Zersiedeln und dem Bodenverbrauch einen Rigel vorschieben. Wenn wir in Zukunft eine Kultur- und Naturlandschaft haben wollen, müssen wir sehr rigide und sehr streng werden.

 

Das Problem besteht häufig darin, dass private Besitzer weder Mittel noch Interesse haben, die Gebäude für eine neue Nutzung zu sanieren. Wie können hier Anreize geschaffen werden?

Es braucht mehr Engagement vor Ort. Bisher haben die Gemeinden - bis auf die wenigen löblichen Ausnahmen - nichts getan. Die Gemeinden sind jetzt gefordert, durch Besteuerung, Verträge oder Fördermittel Anreize zu schaffen. Das neue Landesgesetz würde diese Initiative vonseiten der Gemeinden ja vorsehen. Es aber bereits jetzt Beispiele, wo sowohl die Gemeinde als auch das Land Förderungen ausschütten und wo das auch sehr gut funktioniert. Glurns zum Beispiel. Hier muss aber noch viel mehr getan werden.

Das neue Raumordnungsgesetz gibt relativ viel Verantwortung an die Gemeinden ab. Ist die Gemeinde hier der richtige Ansprechpartner?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist die Gemeindeautonomie etwas Gutes. Die Gemeinde vor Ort weiß am besten über Bedürfnisse und Entwicklungsziele eines Dorfes Bescheid. Gleichzeitig geht es aber häufig um viel Geld: Wenn in Zukunft Grund zur Bauzone erklärt wird, hat dieser natürlich einen viel höheren Geldwert als jener, der außerhalb der Siedlungsgrenzen liegt. Hier hätten wir uns gewünscht, dass das Land als letzte Instanz agiert. Vor Ort ist das relativ schwierig, auch deshalb, weil die Entscheidungsträger stark in Bedrängnis geraten. Wir haben uns als Heimatpflegeverband vehement dagegengestellt, dass die Ausweisung der Siedlungsgrenzen Gemeindethema ist.

Wie versucht der Heimatpflegeverband die Bevölkerung diesbezüglich zu sensibilisieren?

Das ist unser täglich Brot, damit beschäftigen wir uns ständig. Wir arbeiten gerade jetzt wieder an einigen Projekten, wo genau diese in Zukunft zu definierenden Siedlungsgrenzen eindeutig überschritten werden. Es handelt sich dabei oft um natürliche Siedlungsgrenzen wie Flussläufe, Straßen, Hanglagen und so weiter. Wenn diese natürlichen Grenzen überschritten werden, zeigen wir auf und versuchen auf Gemeinde und Landesebene einzugreifen.

Der Heimatpflegeverband hat sich in den letzten Monaten mehrmals gegen geplante Eingriffe in Natur und Landschaft ausgesprochen. Dabei handelt es sich auch um geschützte Gebiete - wie beim geplanten Speicherbecken in Puflatsch beispielsweise. Reicht hier der rechtliche Schutz nicht aus?

Das ist eine berechtigte Frage. Allein die Tatsache, dass diese Frage gestellt werden muss, spricht Bände. Ein rechtlicher Schutz müsste reichen. Wir haben, was den Natur- und Landschaftsschutz anbelangt, sehr gute Gesetze. Nur werden diese Gesetze immer wieder von der Politik selbst ausgehebelt. Naturschutzgebiete, Natura 2000 Gebiete, UNESCO Weltkulturerbe, Ensembleschutz, Denkmalschutz und so weiter fallen politischen Interessen zum Opfer. Das ist nicht in Ordnung. Die Politik muss die gesetzlich verankerten Regeln einhalten. Da ist nichts zu diskutieren. Diese Regeln müssen gelten und in Zeiten wie diesen muss der Natur Vorrang gegeben werden. Die Ökologie muss vor der Ökonomie stehen, wenn wir nicht definitiv gegen die Wand laufen wollen.

 

Der Begriff “Heimat” klingt in den Ohren vieler Menschen noch immer rückschrittlich.

 

Was auffällt, ist, dass sich bei Umweltorganisationen sehr viele junge Menschen beteiligen. Beim Heimatpflegeverband sind es nur wenige. Warum?

Einerseits hängt es mit der Geschichte des Verbands zusammen. Andererseits klingt auch der Begriff “Heimat” in den Ohren vieler Menschen noch immer rückschrittlich. Durch den flexiblen Heimatbegriff, den wir entwickelt haben, wäre aber absolut Platz für junge Menschen. Viele von ihnen sind in diesem Moment, aber mit anderen Themen beschäftigt, Ausbildung, Familie… Unser Engagement ist da vielleicht gerade nicht so relevant. Nichtsdestotrotz versuchen wir junge Menschen anzusprechen und arbeiten auch mit jungen Vereinen wie Fridays for Future zusammen. Nächstes Jahr wird unser Schwerpunktthema zudem “Jugend” sein. Dabei werden wir auch versuchen, in den Schulen wieder verstärkt aufzutreten.

Wie können sich Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Heimatpflege beteiligen?

Es wäre schön, wenn noch mehr Menschen aktiv werden könnten. Häufig herrscht das Gesetz der Trägheit; man will sich persönlich nicht zu bestimmten Themen äußern. Dafür braucht es natürlich ein bestimmtes Wissen und eine bestimmte Courage. Man eckt oft an und schwimmt auch mal gegen den Strom. Das ist nicht jedermanns Sache. Deshalb ist es für uns auch wichtig, wenn wir wissen, unsere Aufgabe im Sinne der Allgemeinheit auszuführen. Wir bekommen sehr viel positive Rückmeldung. Auch das ist Engagement, das uns freut.

 

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Klaus Griesser So., 28.11.2021 - 11:32

Treffende Gedankengänge von Frau Plaikner, finde ich, insbesondere was die reale Nichtberücksichtigung der Nachhaltigkeit in der Landesgesetzgebung betrifft . Ich gebe hier eine Aussage des Landesrates Schuler zur "Nachhaltigkeit" in der Landwirtschaft wieder wie ich sie wahrgenommen habe: Nachhaltig heißt, dass wir unseren Kindern und Kindeskindern Grund und Boden in gutem Zustand überlassen. Diese Aussage übergeht rücksichtslos den Umstand, dass durch jahrzehntelangen Gebrauch des Bodens als chemische Sondermüllmippe durch "konventionellen" Obstbau für eine (in meinen Augen häßliche) Monokulturlandschaft die in Jahrhunderten entstandenen Biome der Böden geschädigt werden, sodass ihre natürliche Fruchtbarkeit beständig abnimmt. Ganz abgesehen davon dass derselbe Landesrat immer wieder äußert, die in der industrialisierten Landwirtschaft notwendigerweise eingesetzten Pestizide seien harmlos für Mensch und Natur.
Privatwirtschaftlich verständlich, naturwissenschaftlich ein Frevel gegen Mensch, Natur und Umwelt.

So., 28.11.2021 - 11:32 Permalink
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Pasqualino Imbemba So., 28.11.2021 - 13:48

Antwort auf von Klaus Griesser

Weil es vielleicht in der ganzen Diskussion gefühlt mehr um Konservierung geht, als um eine Erörterung Südtirols im Weltgeschehen: Pandemie, Klimawandel, Flüchtlinge, Kriege, Digitalisierung... wo geht die "Heimat" hin, wie lange passen Lebensort und Vermarktung des Territoriums noch zusammen? Warum ist Südtirol nur ein geringer digital innovativer Arbeitgeber?

So., 28.11.2021 - 13:48 Permalink