Wirtschaft | Sparkasse

"Eine Welt ist zusammengebrochen"

Fünf Stunden Blut, Schweiß und Tränen und eine positive Nachricht: Die schlechteste Bilanz in der Unternehmensgeschichte der Südtiroler Sparkasse ist abgesegnet.

Wie schaffe ich es Menschen bei der Stange zu halten, die wie einer von vielen wütenden Sparkassen-Aktionären 2008 im Gefühl eines sicheren Investments Aktien um knapp 370 Euro erworben haben – und heute auf Papieren sitzen, die laut letzter Bewertung gerade einmal 125 Euro wert sind? Diese Herkulesaufgabe hatte die Führungsspitze der Südtiroler Sparkasse am Dienstag Abend im bis auf den letzten Platz besetzten Saal des Auditoriums Haydn zu bewältigen. Ganze fünf Stunden lang dauerte eine der wohl anstrengendsten Vollversammlungen in der 160-jährigen Geschichte des größten Südtiroler Kreditinstitutes. Schließlich stand nicht nur die Absegnung einer Katastrophen-Bilanz mit einem Verlust in Höhe von 231 Millionen Euro auf der Tagesordnung. Des weiteren musste sich der Verwaltungsrat von seinen Aktionären die Ermächtigung holen, die erst im November genehmigte Kapitalerhöhung  von 150 Millionen Euro auf 270 Millionen Euro auszuweiten.

Vor allem bot die Vollversammlung den Miteigentümern des Instituts eine willkommene Gelegenheit, ihren Frust und ihre Enttäuschung loszuwerden – nicht zuletzt nach der letzten Hiobsbotschaft über die weitere Abwertung der Sparkasse-Aktien auf 125 Euro . „Zum Glück erlebt mein Vater nicht mehr, was mit seinen Aktien passiert ist“,  erklärte beispielsweise eine Meraner Aktionärin. Umsicht, Vorsicht, Vertrauenswürdigkeit: Unter diesen Vorzeichen hätte ihre Familie das eigene Geld seit jeher der Südtiroler Sparkasse anvertraut. Nun dagegen sei diese Welt zusammengebrochen. „Und ich frage mich, ob dies tatsächlich nur ein Produkt der Weltwirtschaftskrise und mehrerer kleiner oder einiger großer Fehlentscheidungen ist – oder vielleicht auch Arroganz, Überheblichkeit und mangelndes Verantwortungsgefühl der Entscheidungsträger dabei gewesen sind“, fragte die Aktionärin.

"Ich spreche von Herzen..."

Harter Tobak, dem der Sparkasse-Präsident davor sein ganzes Repertoire an Überzeugungskraft entgegengesetzt hatte. Viel fehlte nicht, und Gerhard Brandstätter hätte auch noch seine Krawatte abgelegt, um seinen Aktionären seine Nähe, Ehrlichkeit und eigene Enttäuschung zu signalisieren. „Lassen wir das Protokoll zur Seite“, erklärte er gleich zu Beginn seiner Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede. „Ich spreche von Herzen und mit Gefühl zu Euch.“  Ausführlich erzählte er von einem ersten Jahr als Sparkasse-Präsident, das bereits in der ersten Verwaltungsratssitzung mit einer Inspektion der Börsenaufsichtsbehörde Consob begonnen hatte.  Krisensitzungen bis Mitternacht und an Wochenenden, die Trennung vom bisherigen Top-Management, die Beauftragung des Beratungsunternehmens McKinsey mit einer neuen Unternehmensstrategie, die erneut überraschende Kontrolle durch die Banca d’Italia im Herbst: Das sind nur einige der Eckpunkte eines Jahres, das auch Vize-Präsident  Carlo Costa als das härteste seiner bisherigen beruflichen Laufbahn bezeichnete.

Deutlicher als je zuvor ließ Brandstätter auch durchblicken, dass die „gravierenden strategischen Fehler“, für die nun teuer zu zahlen ist, während der zehnjährigen Präsidentschaft seines Vorgängers Norbert Plattner entstanden sind.  Das Gros der Problem-Kredite, für das nun gewaltige Rückstellungen in Höhe von insgesamt 650 Millionen Euro bereit stehen, sei in den Jahren 2007 bis 2010 vergeben worden, sagte Brandstätter. „Dazu kommen einige nicht nachvollziehbare Immobilieninvestitionen im Zeitraum 2004 bis 2011.“  Der Sparkasse-Präsident und ehemalige Stiftungs-Präsident bemühte sich aber auch zu unterstreichen, dass bis 2013 weder bei der Bank noch bei ihrer Haupteigentümerin Stiftung einsehbar gewesen sei, welches Gewitter sich zusammenbraute. „Immerhin hat die Bank zwischen  2003 und 2013 117 Millionen an Dividenden ausgeschüttet“, erinnert er.

Zeiten, die sich die Aktionäre im zweiten dividendenlosen Jahr klarerweise wieder zurückwünschen.  Auch hier legte sich Gerhard Brandstätter mächtig ins Zeug, um die Machbarkeit der Sanierung zu demonstrieren. „Jeder Tag ist ein neuer Tag“, lautete der philosophische Teil seiner Ausführungen. „Wir können zwar nicht korrigieren, was in der Vergangenheit passiert ist, aber wir können daraus lernen und optimieren.“ Die freudigste Botschaft in dieser Hinsicht sei - dramaturgisch perfekt - noch am Dienstag Vormittag über die Bühne gegangen. Um 9 Uhr in der Früh habe die Bankführung das OK aus Rom für die Kapitalerhöhung erhalten. Bereits um 15 Uhr habe die Stiftung Sparkasse 120 Millionen Euro überwiesen. Zwei Drittel ihres Anteils an der Kapitalerhöhung, dank der die Sparkasse nun wieder sämtliche Vorgaben der Europäischen Zentralbank erfülle – „und der Buchwert der Aktie sofort wieder zu steigen beginnt“, wie Brandstätter in Aussicht stellte.

"Nur ein Produkt der Weltwirtschaftskrise und mehrerer kleiner oder einiger großer Fehlentscheidungen– oder war da vielleicht auch Arroganz, Überheblichkeit und mangelndes Verantwortungsgefühl der Entscheidungsträger dabei?"

Italienweit führend sei die Bank aufgrund der von der Banca d’Italia diktierten rigiden Vorgaben nun auch im Bereich der Risikorückstellungen, unterstrich der Sparkasse-Präsident. Immerhin sei die Wertberichtigungsquote auf Problemkredite nun von 32 auf 43 Prozent erhöht worden – „und ich bin überzeugt, dass wir aus diesen Rückstellungen einiges zurückholen werden.“  Gleichzeitig werde ein rigoroses Sparprogramm gefahren, mit dem bereits heuer 10 Prozent der Kosten eingespart würden. Erreicht werden kann dies allen voran über den Abbau eines im internationalen Vergleich aufgeblähten Personalstocks, der sozialverträglich über Frühpensionierung abgewickelt wird.  Erste Eckpunkte des neuen Strategieplans, die im Auditorium Haydn vorgestellt wurden: eine Konzentration auf die Kerngebiete Südtirol und Trentino, mehr Dienstleistungen, mehr Beratung, mehr Produkte.  Die Unternehmenskredite sollen vor allem in den Expansionsgebieten stark zurückgefahren werden. Doch auch insgesamt sollen die Kreditportfolios stärker differenziert werden, kündigte Gerhard Brandstätter an. „Weniger Bauträger, weniger Immobilien, mehr Kleinbetriebe, mehr Private“,  lautet das Motto.  

66 Millionen Euro hat die Südtiroler Sparkasse 2014 jenseits der millionenschweren Rückstellungen verdient. „Wenn uns die Wirtschaftslage ein wenig unterstützt, kehrt die  Bank wieder in die Gewinnzone zurück“, lautet Brandstätters Versprechen. Doch hat er die Aktionäre damit überzeugt? Dem Verbund der Kleinaktionäre geht die Reform bislang zu wenig weit, und auch die Schlange an Rednern vor der Genehmigung der Bilanz war rekordverdächtig lang. Dennoch kassierte Brandstätter auch bei der umstrittensten Maßnahme, der Ermächtigung für die weitere Kapitalerhöhung, eine Mehrheit von 99,8 Prozent.  Ein endgültiges Urteil über den Erfolg seiner Performance wird man bei der Sparkasse frühestens ab Juni haben: Dann nämlich soll es mit der  Vorbereitungen für die restliche Kapitalerhöhung ernst werden, die spätestens im September über die Bühne gebracht werden soll. Wie viele der mehr als 700 Aktionäre mitziehen, die am Dienstag im Auditorium Haydn anwesend waren? Die Meraner Aktionärin, die dort ihre Enttäuschung am Podium kundgetan hatte, verweigerte zumindest bei der Abstimmung am Dienstag symbolisch ihre Zustimmung. „Erst muss nun einmal  das Vertrauen wieder zurückgewonnen werden.“