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Wie groß ist der Leerstand in Südtirol?

Umfassende Daten zum Leerstand in Südtirol gibt es noch keine. Es geht jedoch um Größenordnungen, die man nicht mehr vernachlässigen darf, sagt Ulrich Höllrigl.
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Foto: LPA
Im Jahre 2013 haben der Südtiroler Bauernbund und der Gemeindenverband den Verband „Plattform Land“ ins Leben gerufen, der vier Jahre später in einen Verein umgewandelt wurde. Darin eingebunden sind verschiedene Wirtschafts- und Sozialverbände sowie Vertreter der Jugend und der Senioren. „Wir versuchen die gesamte Bandbreite der Akteure im ländlichen Raum in unserer Mitgliederstruktur abzubilden“, erklärt Ulrich Höllrigl, Geschäftsführer von Plattform Land. Zu den Zielen gehören, den ländlichen Raum lebendig zu erhalten bzw. noch lebendiger zu gestalten sowie das hohe Niveau an Lebensqualität, das im Vergleich zu anderen Alpenregionen in Südtirol erreicht werden konnte, zu halten. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt, der sogar statutarisch festgehalten ist, betrifft die intelligente Flächennutzung, und Flächennutzung hängt wiederum unmittelbar mit dem Thema Leerstand zusammen.

 

 

 

„Mit intelligenter Flächennutzung verfolgen wir das Ziel, nach Möglichkeit den bereits vorhandenen Bestand zu nutzen“, erklärt Höllrigl. Wurde dieses Vorgehen früher als „Braun vor Grün“ bezeichnet, läuft es heute unter dem Namen „Innenentwicklung statt Außenentwicklung“. Gemeint ist damit, dass, solange es andere Möglichkeiten gibt, möglichst nicht auf der grünen Wiese gebaut werden soll. Der Grund dafür ist relativ einfach: Die möglichen bebaubaren Flächen in Südtirol sind nicht nur endlich, sondern im Vergleich zur Gesamtfläche auch relativ gering. Laut ASTAT können in Südtirol nur rund 5,5 % der Landesfläche potentiell besiedelt werden. „Je mehr wir davon versiegeln, desto weniger bleibt übrig“, so Höllrigl, der erklärt, dass es sich bei diesen Flächen vorwiegend um Grünland für die landwirtschaftliche Produktion handelt, aber auch um Naherholungs- und Freizeitgebiete oder Flächen, die für das ökologische Gleichgewicht von großer Bedeutung sind. Im Bewusstsein, dass mit den verfügbaren Ressourcen schonend und sparsam umgegangen werden muss, hat die Plattform Land im Jahr 2017 ein Pilotprojekt gestartet, an dem sich bisher 21 Gemeinden beteiligt haben. Etwa zur gleichen Zeit wurde in den verschiedenen politischen Ausschüssen und Gremien über das neue Gesetz für Raum und Landschaft diskutiert, welches im Juli 2020 in Kraft getreten ist.

 

Je mehr wir davon versiegeln, desto weniger bleibt übrig.

 

„Als Plattform Land haben wir darauf hingearbeitet, dass im neuen Landesgesetz eine Leerstandserhebung verpflichtend vorgesehen wird, mit dem Ziel, eine Grund sparende Entwicklung zuzulassen. Wirtschaftliche Entwicklung und Wohnraum sind für den ländlichen Raum sehr wichtig, aber wir sind der Überzeugung, dass der Bestand stärker genutzt werden soll“, betont der Geschäftsführer. Der erste Schritt auf diesem Wege besteht in einer Erhebung der Leerstände sowie in der Schaffung für mehr Bewusstsein und Sensibilität zu diesem Thema. Wie Höllrigl berichtet, seien viele Bürgermeister, deren Gemeinden am Pilotprojekt teilgenommen haben, davon überzeugt gewesen, dass in ihren Gemeinden kaum Leerstände vorhanden wären. Nach der Erhebung sei den politisch Verantwortlichen jedoch aufgefallen bzw. bewusst geworden, wie viel an Leerstand tatsächlich in ihren Gemeinden vorhanden war. In die Erhebung wurden nicht nur vollkommen leerstehende Gebäude, sondern auch Gebäude, die nur teilweise leer stehen, und Flächen, die nicht ihrer Widmung entsprechend genutzt wurden, aufgenommen. Ursprünglich hätte sehr behutsam und sensibel auch das Leerstandsrisiko erhoben werden sollen, sprich Wohnraum, von dem man ausgehen konnte, dass er aufgrund fehlender Erben oder anderer Gründe in absehbarer Zeit leer stehen würde. Von der Einführung dieser Kategorie wurde jedoch abgesehen, da ohnehin in gewissen Zeitabständen ein Monitoring durchgeführt werden soll, anhand dessen man Entwicklungen und Tendenzen ablesen kann.

 

 

„Gemeinsam mit der Landesverwaltung ist es uns gelungen, einen Erhebungsbogen für den Leerstand zu entwickeln, welcher zum Standard in sämtlichen Südtiroler Gemeinden geworden ist“, erklärt Höllrigl. In besagtem Erhebungsbogen kann die Zweckbestimmung der Bauwerke, der Gebäudetyp und nähere Angaben zum Gebäude wie beispielsweise das Baujahr, der Zustand und das Vorhandensein einer Bindung angeführt werden, weiters die urbanistische Gebiets- und Flächennutzung, die Art des Leerstandes bzw. vollständig, teilweise oder ungenutzte gewidmete Fläche sowie der betroffene Gebäudeteil (Keller, Erdgeschoss usw.). Die Leerstandserhebung kann über das Programm GOffice digital erhoben werden, womit nicht nur die Gemeindetechniker Zugang erhalten, sondern – sofern von der Gemeinde freigegeben – auch die sogenannten Kümmerer, welche für die Erhebung verantwortlich sind, die Daten zu den Leerständen direkt eingeben können. „Die Kenntnis um die Leerstände und deren Art ist für eine Gemeinde sehr wichtig“, zeigt sich der Geschäftsführer der Plattform Land überzeugt.

 

Die Kenntnis um die Leerstände und deren Art ist für eine Gemeinde sehr wichtig.

 

Daneben habe man im Laufe des Pilotprojektes aber auch die Erfahrung machen können, dass bei den Bürgern und Bürgerinnen ein großes Interesse für dieses Thema vorhanden ist, und zwar nicht nur darüber, wo sich die Leerstände befinden, sondern auch wie diese zukünftig genutzt werden können. Hierbei kommt der Gemeinde eine zentrale Rolle zu, denn sie kann nicht nur selbst als Eigentümerin von Leerständen betroffen sein, sondern sie könnte auch leerstehende Gebäude ankaufen, um diese einer neuen Nutzung zuzuführen. Als Beispiel nennt Höllrigl die Gemeinde Truden, in deren Ortszentrum sich ein seit Jahren leerstehender Hof befunden hat, der von der Gemeinde angekauft wurde, um dort Senioren- und Jugendwohnungen zu realisieren. Ein Ziel lautete, den Jugendlichen Wohnraum im Dorf zu ermöglichen und zu verhindern, dass sie in die Ballungsräume abwandern.

 

Nach der Erhebung folgt das Management

 

„Unsere Ziele beschränken sich nicht allein darauf, den Leerstand zu erheben, sondern gehen weiter Richtung Leerstands-Management“, erklärt Höllrigl. Die Bevölkerung soll dabei in die Überlegungen und Pläne, wie leerstehende Gebäude zukünftig genutzt werden können, miteinbezogen werden. Schlussendlich soll eine breite Diskussion über integrierte Dorfentwicklung stattfinden, in welcher verschiedene Nutzungsmöglichkeiten der Leerstände, sei es für private Wohnungen, Gewerbebetriebe bzw. Geschäfte für die Nahversorgung oder Basisdienste wie Arztpraxen, diskutiert werden.
Mittlerweile wird das Thema Leerstand und Flächenverbrauch auch von breiteren Bevölkerungsschichten wahrgenommen. Einen wesentlichen Beitrag dazu haben auch die Veranstaltungen geleistet, welche die Plattform Land zum Thema Innenentwicklung veranstaltet hat. Verschiedene Verbände, Vereine, Akteure und Bürgermeister wie auch Bürger wurden eingeladen, ihre Pilotprojekte vorzustellen, welche auf großes Interesse gestoßen sind. „Während das Thema Leerstand vor zehn Jahren noch kaum eine Rolle gespielt hat, machen sich nun sehr viele Entscheidungsträger Gedanken darüber, wie man den leerstehenden Bestand nutzen könnte bzw. noch besser nutzen könnte“, so Höllrigl.
 
 
Während das Thema Leerstand vor zehn Jahren noch kaum eine Rolle gespielt hat, machen sich nun sehr viele Entscheidungsträger Gedanken darüber, wie man den leerstehenden Bestand nutzen könnte.
 
 
Derzeit befinden sich viele Gemeinden im Prozess der Erstellung des Gemeindenentwicklungsprogrammes, in dessen Rahmen unter anderem die Leerstandserhebung verpflichtend vorgesehen ist. Neben anderen Akteuren bietet hierbei auch die Plattform Land Beratung und Unterstützung an. Wichtig sei jedoch, dass ein gemeinsamer Standard-Erhebungsbogen zur Verfügung stehe, welcher den Gemeinden erlaubt, ein Monitoring nach demselben Schema durchzuführen und das in weiterer Folge ermöglicht, Vergleiche zu ziehen und Trends aufzuzeigen. Auch beim Pilotprojekt lassen sich bereits einige Trends ablesen, erklärt der Geschäftsführer der Plattform Land. Zwar verfügten einige Gemeinden über mehr, die anderen über weniger Leerstände, dabei seien aber die Entfernung von den Zentren und fehlende wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten nicht unbedingt ausschlaggebend, allerdings habe man feststellen können, dass dort, wo die romanische Siedlungsform vorherrscht wie im Vinschgau und im Unterland, sprich wo die Dörfer kompakt errichtet wurden und die landwirtschaftlichen Flächen außerhalb davon liegen, die Leerstände relativ hoch sind. Insbesondere in einigen Vinschger Gemeinden ist in den Dorfkernen einiges an Leerstand vorhanden. Explizites Ziel der Landesregierung ist es, mit der „In-Wert-Setzung“ der Leerstände die Ortskerne neu zu beleben. Damit möchte man dem Trend, die Siedlungskerne zu verlassen und der Abnahme von Handels-Tätigkeiten und anderer Aktivitäten entgegen wirken.
 
 
In einer Pilotgemeinde standen so viele Wohnungen leer, dass, würde man diese neu bauen, man zwei Hektar Grund dafür benötigen würde.
 
 
„In einer Pilotgemeinde standen so viele Wohnungen leer, dass, würde man diese neu bauen, man zwei Hektar Grund dafür benötigen würde“, so Höllrigl, der erklärt, dass man hier von Größen spreche, die man nicht mehr vernachlässigen dürfe. Gleichzeitig müsse bedacht werden, dass gerade in Ortskernen die Wohnqualität nicht die ist, die man sich heute erwartet. Neben Einschränkungen hinsichtlich des Parkplatzes fehlen vielfach die Möglichkeiten, eine Terrasse oder einen Balkon zu erreichten. Auch das Thema Denkmalschutz sei bei einigen Gebäuden zu beachten. Trotz der Einschränkungen gebe es auch hier findige Architekten, welche tolle Lösungen präsentieren könnten. Bestes Beispiel dafür sei die kleinste Stadt Südtirols Glurns.
 
 

Das Wunder von Glurns

Ging der Trend vor einigen Jahren noch dahin, dass junge Familien außerhalb der Stadtmauern wohnen wollten, weil das Wohnen in der Stadt nicht hoch angesehen war, so hat die Gemeindeverwaltung mit ihren Maßnahmen eine Trendumkehr bewirkt. Gebäude wurden angekauft, auch solche, die unter Denkmalschutz stehen, und darin Wohnungen und Geschäfte realisiert. Zum Teil wurden die Liegenschaften selbst vermietet, zum Teil wurden diese an Wohnbaugenossenschaften übertragen, welche Umbaumaßnahmen und die Verwaltung übernommen haben. „Nun ist es wieder zum Trend geworden, innerhalb der Stadtmauern zu leben: Die Wege sind kurz und alle Infrastrukturen wie Geschäfte, Schulen, Kindergärten und Lebensmittelgeschäfte sind einfach zu erreichen. Das alles bedeutet eine hohe Lebensqualität, natürlich unter der Voraussetzung, dass Lösungen für die heutigen Ansprüche gefunden werden können“, so Höllrigl, der betont: „In Anlehnung an das Wunder von Mals haben wir diese positive Entwicklung als Wunder von Glurns bezeichnet.“
 
 
 
 
Nun möchte man einen Schritt weitergehen und sich nach der Leerstandserhebung und dem Management auch auf die Sanierung konzentrieren. „Wir als Plattform Land möchten uns nicht nur verbal für die Leerstand-Nutzung einsetzen, sondern wir möchten auch die Instrumente bereit stellen, damit dies umgesetzt werden kann. Deshalb haben wir im Rahmen des Projektes, das unter dem Namen ‚Shelter‘ läuft, auch einen Förderleitfaden entwickelt, der online abrufbar und kontinuierlich ajourniert wird“, erklärt Höllrigl. Darin sind die verschiedenen Fördermöglichkeiten aufgelistet wie auch deren Kumulierbarkeit. Es soll den Bürgern und Bürgerinnen, die sich mit dem Gedanken einer Sanierung tragen, ein Hilfsinstrument in die Hand geben.
 
 
Das Potential – zwar unterschiedlich je nach Gemeinde – ist grundsätzlich überall vorhanden, manchmal mehr und manchmal weniger.
 
 
Zusätzlich wurde im vergangenen Jahr mithilfe der Stiftung Sparkasse eine Sanierungsberatung ins Leben gerufen, in deren Rahmen sich Bürger und Gemeinden Informationen und Tipps hinsichtlich der Sanierung von Bestandskubatur holen können. Wie der Geschäftsführer von Plattform Land erklärt, wäre es wünschenswert, wenn die Landesregierung eine Fördermöglichkeiten für eine Sanierungsberatung beschließen würde. „Wir sind der Meinung, dass mit relativ geringen finanziellen Mitteln ein großer Effekt erzielt werden kann“, so Höllrigl, der betont, dass seiner Meinung nach eine südtirolweite Beratungsförderung zielführend und ein wichtiger nachhaltiger Schritt wäre, um eine stärkere Bestandsnutzung zu gewährleisten. „Das Potential – zwar unterschiedlich je nach Gemeinde – ist grundsätzlich überall vorhanden, manchmal mehr und manchmal weniger. Die vielen Gespräche, die ich mit den Bürgermeistern geführt habe, haben mir gezeigt, dass sie das Potential nicht nur erkennen, sondern auch nutzen wollen. Hier ist mittlerweile ein sehr hohes Bewusstsein entstanden. Einige Gemeinden gehen voran, die anderen werden folgen“, so Höllrigl.

 

 

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Hartmuth Staffler Di., 31.01.2023 - 13:55

In meiner Wohngegend gibt es ein Kondominium, in dem von insgesamt sechs Wohnungen zwei 5-Zimmer-Wohnungen seit vielen Jahren leerstehen, während eine 4-Zimmer-Wohnung zwar leersteht, aber derzeit ausgebaut wird, so dass vielleicht doch jemand einziehen wird. In meinem 6-Wohnungen-Kondominium steht nur eine Wohnung leer, allerdings auch schon seit mehreren Jahren. In einer 5-Zimmer-Wohnung lebt nur ein Mensch. Es gibt also tatsächlich sehr viel leerstehenden Wohnraum. Allerdings ist es viel zu einfach, sich vor der GIS zu drücken, weil die Gemeinden alle Augen und selbst die Hühneraugen zudrücken, jedenfalls in Brixen.

Di., 31.01.2023 - 13:55 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 04.02.2023 - 10:39

eine sehr lobenswerte Initiative. Wer mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs ist sieht den vielen Leerstand in Südtirols Gemeinden ohne viel Aufwand.

Sa., 04.02.2023 - 10:39 Permalink