Chronik | Justiz

Parteiisches Gericht

Richter Walter Pelino geht in einem Urteil mit der Überparteilichkeit der Bozner Verwaltungsrichter hart ins Gericht. Die Geschichte eines institutionellen Bumerangs.
Verwaltungsgericht
Foto: Othmar Seehauser
Walter Pelino lässt es an Deutlichkeit nicht fehlen.
Im Urteil des Richters für die Vorerhebungen (GIP) am Landesgericht Bozen heißt es:
 
„Es muss daher der Staatsanwaltschaft zugestimmt und gesagt werden, dass der an den Richtersenat gerichtete Vorwurf der Parteilichkeit (l'accusa di parzialità), so empörend er auch sein mag, bei einer konkreten Bewertung des Sachverhalts durch das Recht auf Verteidigung abgedeckt   und sich aus der gewählten Verteidigungsstrategie zu ergeben  scheint, wie fragwürdig diese auch sein mag.“
 
Pelino hat an diesem Montag ein Urteil hinterlegt, das für einen anderen Südtiroler Gerichtshof wie eine Watschn ist.
Im Mittelpunkt des Richterspruches steht das Verwaltungsgericht Bozen. Auf sieben Seiten stellt Pelino dabei ein Zeugnis aus, dass nicht nur schonungslos Schwachstellen und Missstände im System der Südtiroler Verwaltungsgerichtsbarkeit offenlegt, sondern auch das Verhalten des Richtersenates in einem bestimmten Fall als kritikwürdig rügt ("si espone ad una duplice critica").
Die Ironie der Geschichte dabei: Das Verwaltungsgericht hat sich diese amtliche Bloßstellung selbst eingebrockt. Ausgangspunkt war eine Eingabe der damaligen Gerichtspräsidentin Edith Engl an die Staatsanwaltschaft Bozen und an die Anwaltskammer gegen die Bozner Anwältin und Wirtschaftsberaterin Renate Holzeisen.
Diese Eingabe wurde jetzt aber zum Bumerang, der zumindest potentiell ein ganzes Gericht nachhaltig beschädigt.
 

Der Fall Morgante

 
Es geht dabei um ein Gerichtsverfahren, das einigen Staub aufgewirbelt hat.
Im November 2016 ernannte das Präsidium des obersten Richterrates des Rechnungshofes die römische Juristin Daniela Morgante zur leitenden Staatsanwältin am Bozner Rechnungshof.
Gegen die Ernennung rekurrierte die amtierende Staatsanwältin Alessia Di Gregorio vor dem Bozner Verwaltungsgericht. Der Grund: Morgante hatte bei der Ernennung den vorgeschrieben Zweisprachigkeitsnachweis nicht vorgelegt. Ihre Anwältinnen dabei: Michela Reggio d´Aci und Renate Holzeisen.
Das Bozner Verwaltungsgericht erklärt sich aber für nicht zuständig. Der Fall geht an das Verwaltungsgericht Latium. Dort aber wird das bestätigt, was die beiden Anwältinnen von Anfang behauptet haben: Das Verwaltungsgericht Bozen ist zuständig. Der Gerichtsfall muss in der Gerstburg neu aufgerollt werden.
 
 
Von Anfang werfen die beiden Anwältinnen Gerhard Brandstätter, dem Anwalt der Beklagten, im Verfahren vor, nur auf Zeit zu spielen. Und sie erheben auch den Vorwurf, dass das Bozner Verwaltungsgericht bei dem Spiel mitmacht. In ihrem Schriftsatz kritisieren sie dabei mehrere Entscheidungen und Maßnahmen des Gerichts hart. Sie sprechen offen von Verfahrensfehlern.
Der Gerichtsfall ist inzwischen abgeschlossen. Alessia Di Gregorio wurde die Klageberechtigung abgesprochen, Daniela Morgante hat den Zweisprachigkeitsnachweis nachgereicht und wurde von der Regierung im Sommer 2019  vorzeitig als italienische Vertreterin in ein Kontrollgremium der NATO nach Brüssel entsandt.
Für die Anwältin Renate Holzeisen aber hatte dieses Verfahren schwerwiegende Folgen.
 

Die Eingabe

 
Denn es passierte etwas, was für die Südtiroler Justizgeschichte bisher wohl einmalig ist.
Im Februar 2018 machte die Richterin Edith Engl in ihrer damaligen Funktion als Präsident des Bozner Verwaltungsgerichts eine Eingabe gegen Renate Holzeisen bei der Staatsanwaltschaft Bozen und der Südtiroler Rechtsanwaltkammer.
Der Vorwurf: Die Anwältin habe mit einigen Ausführungen in ihren Schriftsätzen nicht nur die anwaltliche Berufsethik verletzt, sondern auch das Gericht und die Richter verleumdet. Deshalb verlangt die Richterin, Anklage gegen Holzeisen zu erheben.
Dass man diese als einen bewussten und persönlichen Angriff auf Renate Holzeisen betrachten kann, wird durch ein Detail klar: Alle beanstandeten Schriftsätze und Aussagen wurden von Renate Holzeisen und Michela Reggio d´Aci  gemeinsam verfasst und unterschrieben. Die Präsidentin geht aber nur gegen Holzeisen allein gerichtlich vor.
 
 
 
Die ermittelnde Staatsanwältin Francesca Iovene kommt aber zu einem anderen Schluss. Sie verlangt beim Richter für die Vorerhebungen im Mai 2018 die Archivierung der Anzeige, weil „keine Straftat vorliege“.
Gegen dieses Ansinnen wehren sich aber gleich vier Verwaltungsrichter.
Im September 2018 legen Edith Engl, Terenzio Del Gaudio, Michele Menestrina und Lorenza Pantozzi Lerefors Berufung gegen den Archivierungsantrag der Staatsanwaltschaft ein. Sie lassen sich dabei von der Staatsadvokatur Trient vertreten.
Renate Holzeisen wird in diesem Fall vom renommierten Bozner Strafverteidiger Beniamino Migliucci verteidigt. Am 5. Juli 2019 fand die Verhandlung vor Vorerhebungsrichter Walter Pelino statt.
 

Das Urteil

 
Fast ein Jahr später hat Walter Pelino jetzt das Urteil hinterlegt. Der Richter für die Vorerhebungen archiviert die Strafanzeige gegen Renate Holzeisen. Mit der klaren Begründung, dass der Richtersenat in diesem Verfahren Schritte und Handlungen gesetzt hat, die an seiner Überparteilichkeit berechtigte Zweifel aufkommen lassen.
Pelino geht in seinem Urteil dabei von einem Rechtsgrundsatz aus.
 
„Per chiarire questo delicatissimo aspetto occorre partire dal principio cardine che soggiace all'attività giudiziaria in qualsiasi regime democratico: quello per cui il giudice deve non solo essere ma anche apparire imparziale, cioè non dar adito a illazioni sulla correttezza del proprio operare.“
 
 
Laut dem Bozner Richter gelte dieser Grundsatz ganz besonders für das Bozner Verwaltungsgericht. Denn in der Bozner Gerstburg gelten nach der Auffassung des Richters zwei Regeln, die es sonst nirgends im italienischen Gerichtssystem gibt.
 
  • Das Südtiroler Verwaltungsgericht ist das einzige Gericht Italiens, dass in seiner Gesamtheit politisch ernannt wird. (Die Hälfte der Mitglieder durch das Ministerratspräsidium, die andere Hälfte durch den Landtag);
  • Das Richterkollegium in den Prozessen besteht aus vier Richtern, und bei Stimmengleichheit zählt die Stimme des Präsidenten doppelt. Dieser Präsident wird zudem nicht nach Dienstalter oder nach seinen Verdiensten bestimmt, sondern im Rotationsverfahren.
Walter Pelino schreibt dazu im Urteil Nr. 2296/18:
 
„Queste peculiarità istitutive del TRGA di Bolzano lo espongono costantemente e inevitabilmente al potenziale sospetto che le sue decisioni possano essere condizionate dalle amministrazioni che quei magistrati hanno designato. Questo non per una qualche colpa dei magistrati che sono chiamati a farne parte, ma proprio per le modalità di nomina e funzionamento dell'istituzione.“
 
Und weiter:
 
„Questa unicità del TRGA di Bolzano e dei suoi componenti e i rischi cui tale sistema li espone devono perciò indurli ad una soglia di attenzione rafforzata, l'apparire imparziali se è fondamentale per tutti i magistrati lo è, a più forte ragione, per i magistrati inseriti in un tale meccanismo“.
 
Genau das sei nach Meinung des Richters in diesem Fall aber nicht passiert.
 

Unerklärliche Vertagung

 
Der Kern der Anschuldigungen, die Renate Holzeisen aufgeworfen hatte, war der Vorwurf, dass das Gericht die Verzögerungstaktik der Gegenseite unterstützt. Denn nach der Nichtzuständigkeit wurde zuerst eine Dringlichkeitsverfügung abgelehnt und dann im allerletzten Moment die für den 8. November 2017 angesagte Hauptverhandlung auf den 10. Jänner 2018 verschoben.
Renate Holzeisen und Michela Reggio d´Aci hatten vor allem gegen diese Verfügung der Präsidentin Edith Engl sowohl mündlich als auch schriftlich energisch protestiert.
Der Hauptgrund: Die Berufung Morgantes war ursprünglich nur für ein Jahr erfolgt. Ihr Auftrag wäre im Jänner 2018 bereits verfallen gewesen. Rein formal wäre damit aber auch der Streitgegenstand zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung hinfällig geworden.
In seinem Urteil teilt Richter Walter Pelino die Bedenken gegen diese Vorgangsweise der Verwaltungsrichterin Edith Engl:
 
Davvero poco comprensibili risultano la decisione del presidente del Tribunale amministrativo di rinviare ulteriormente l'udienza dopo che la stessa era stata, su istanza della ricorrente, anticipata all' 8.11.2017 e la tempistica con cui tale rinvio è stato comunicato“-
 
 
Engl hatte per Dekret einen Tag vor der Hauptverhandlung eine Vertagung um zwei Monate verfügt. Auf Antrag der Staatsadvokatur und der Morgante-Verteidigung. Dabei hatte das Verwaltungsgericht selbst bei der Ablehnung der Dringlichkeitsverfügung im Mai 2017 noch schriftlich erklärt, dass „es in diesem Fall angebracht sei, eine schnelle Entscheidung auch in der Sache zu treffen“. („In ogni caso opportuna una celere definizione della controversia di merito")
 
Pelinos Schlussfolgerung im Urteil ist deshalb eindeutig:
 
„La percezione che la parte e i suoi difensori potevano avere della gestione della procedura da parte del TRGA Bolzano era infatti che si stesse prendendo tempo e che si stesse attendendo la scadenza dell'incarico.“
 
Renate Holzeisens Kritik sei zwar „überzogen“, würde sich aber im gesetzlichen Rahmen des Rechts der Verteidigung bewegen. Denn die Vorwürfe der streitbaren Anwältin seien keineswegs aus der Luft gegriffen: Der Richter für die Vorerhebungen behauptet nicht, dass das Verwaltungsgericht parteiisch gehandelt habe - es habe aber auch nicht genug getan, um diesen Verdacht zu widerlegen.
Auch die Südtiroler Anwaltskammer scheint  die Angelegenheit ähnlich zu sehen: Nach Informationen von Salto.bz hat der Disziplinarausschuss der Anwaltskammer am vorvergangenen Montag ebenfalls die Archivierung des Antrages gegen Holzeisen verfügt.
Was bleibt, ist ein Südtiroler Verwaltungsgericht, dessen kritikwürdiges Verhalten jetzt in einem Gerichtsurteil bestätigt und festgehalten wurde.
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m s Mi., 01.07.2020 - 08:05

Ein skandalöses Verhalten des Verwaltungsgerichts Bozen! Dieses sollte und müsste Konsequenten haben. Unsere Institutionen sind teilweise zum schämen (v.a. für unsere politischen Vertreter die sie so eingerichtet haben bzw. nicht im Stande sind diese nach professionellen überparteilichen Kriterien zu organisieren). Ein politisch ernanntes Gericht, eine Volksanwaltschaft, die sich zwar so nennt aber eher eine zahnlose Mediationsstelle ist, die man nicht ernst nimmt (ohne Klagerecht wie z.B. in Ösrerreich) und und und. Respekt aber den Leuten die ihre Arbeit ernst nehmen und moralische Integrität zeigen.

Mi., 01.07.2020 - 08:05 Permalink
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△rtim post Mi., 01.07.2020 - 15:20

https://www.associazionemagistrati.it/doc/2896/non-si-punisce-unopinion…

Gegen die Feststellung dieses Untersuchungsrichters kann ja rekrutiert werden.
Übrigens: Die Bedingungen sind ja nicht nur für das Verwaltungsgericht Bozen anders als in Italien, sondern auch für die übrige Gerichtsbarkeit.
Schauen wir mal, ob es den Richter-innen am Verwaltungsgericht Bozen um die Sache geht und diese dagegen rekurieren.

Mi., 01.07.2020 - 15:20 Permalink
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Daniel Kofler Mi., 01.07.2020 - 18:28

Mich bring das eigentlich mehr zum Lachen. Da wird extra ein Gericht eingerichtet, das sich mit Streitfällen bezüglich der Amtsprachen Südtirols beschäftigten soll, und dann erklärt sich dieses Gericht bei genau so einer Streitfrage für nicht zuständig. Kann man sich nicht ausdenken.

Mi., 01.07.2020 - 18:28 Permalink
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Manfred Klotz Do., 02.07.2020 - 07:14

Wenn Sie mit "Justitia" die Gerechtigkeit meinen, kann ich das nicht beurteilen, denn die Faktenlage kennt jeder von uns nur aus Zeitungsberichten. Wenn ich von "Beteiligten" und "Gerichtsbarkeit" schreiben, dann meine ich damit die Menschen und das System.

Do., 02.07.2020 - 07:14 Permalink