Umwelt | Herdenschutzhunde

„Als Tierhalter alle Register ziehen“

Schafsrisse in Villnöss lassen die Diskussion um den Abschuss von Raubtieren wieder aufleben. Kurt Kußtatscher über andere Methoden, Herden zu schützen.
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Foto: Pixabay

Mitte Juli: In Villnöss werden sieben Brillenschafe gerissen. Brillenschafe sind eine für das Tal charakteristische Rasse und zudem vom Aussterben bedroht. Vielleicht waren Wölfe am Werk, vielleicht aber auch nicht. Dies bringt eine Diskussion zum Aufflammen, die seit einigen Jahren nicht ableben will: Bauern und anders Involvierte fordern den Abschuss der Raubtiere, Tierschützer fordern den Erhalt der nach langer Zeit wiederauftauchenden Jäger. In Südtirol wird viel diskutiert über Bär und Wolf und was mit ihnen zu tun ist. Doch es ist schwierig, eine für die Mehrheit akzeptable Lösung zu finden. Es gibt aber noch andere Methoden, eine Herde zu schützen, die außen vorgelassen werden, teils aus finanziellen Gründen, teils aus Trägheit. Hierbei handelt es sich um Herdenschutzhunde, speziell der Maremmanen-Schäferhund. Der „Maremmano“ ist eine italienische Hirtenhunderasse aus den Abruzzen. Über viele Generationen hinweg wurde dieser Hunderasse der Charakter angeeignet, selbstständig auf ihre Herde aufzupassen und diese gegebenenfalls zu beschützen. Maremmani werden von Geburt an mit Schafen, Kühen, Ziegen oder anderen Nutztieren großgezogen und sehen sich somit als Teil der Herde. Ursprünglich wurden sie in Apulien als Arbeitshunde eingesetzt. Auch heute werden sie noch nach wie vor für den Herdenschutz ausgebildet und entsprechend erzogen. Es gibt auch andere Herdenschutzrassen, wie zum Beispiel Pyrenäenberghunde oder Kangal- Hirtenhunde. Potentielle Raubtiere nähern sich Herdenschutzhunden nur ungern, da ein Kampf mit den großgebauten Aufpassern Verletzungen mit sich bringen können, die ein Überleben in der Wildnis erschweren. Heute findet man auch viele dieser Herdenschutzhunde als Modehunde in privaten Haushalten auf. Dort werden sie allerdings nicht als Arbeitshunde ausgebildet. Kurt Kußtatscher von der Organisation „Trifolium“, setzt seit fünf Jahren Maremmanen-Schäferhunde bei seiner Schafherde in Jenesien ein.

Salto.bz: Herr Kußtatscher, was macht einen Maremmanen-Schäferhund aus?

Kurt Kußtatscher: Vom Wesen her sind Maremmaner schwer zu erziehen. Es ist kompliziert, ihnen etwas beizubringen, da sie sehr selbstständig sind. Sie haben einen eigenen Charakter, einen eigenen Sinn und lassen sich nicht gerne vom Menschen unterwerfen. Es braucht so auch länger, einem Maremmaner Befehle zu lernen, die ein Hund einer anderen Rasse schnell verstehen würde. Sie sind selbstbewusste Hunde, die sozusagen ihren Kopf auch durchsetzen, wenn es darum geht etwas zu tun. Das bedeutet auch, dass ihr Handlungsmuster selbstständig ist, sie beschützen ihre Herde, sobald sich etwas ihnen Fremdes der Herde nähert. Die Ausbildung hilft dann, diesen Schutz in die richtige Bahn zu leiten.

Wissen Sie, auf wie vielen Almen in Südtirol Herdenschutzhunde anzutreffen sind?

In Südtirol kenne ich nur zwei, auf denen sie verwendet werden. Südtiroler Bauern wollen nicht Hunde haben, sie wollen keinen Herdenschutz betreiben.

Und wieso nicht?

Der Bauernbund ist dagegen und das Land fördert das Projekt ebenfalls nicht. Ein ausgebildeter Herdenschutzhund kostet einen Haufen Geld, der Unterhalt ist ebenfalls teuer. Man muss ihn ja auch füttern, der Maremmaner ist ein großer Hund, er wiegt um die 40 Kilo.

Auch die Weidekultur muss gegeben sein, damit man weiß, wie man die eigenen Nutztiere, also Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde, zu schützen hat.

Dadurch, dass es jetzt für über 100 Jahre keine Großraubwild mehr in Südtirol gegeben hat, hat man eigentlich die ganze Weide- und Hirtenkultur ziemlich stark vernachlässigt. Deswegen weigert man sich in Südtirol eher, wieder mit diesem Theater anzufangen, weil es Geld kostet.

Ist die Weidekultur in Südtirol noch gegeben?

Dadurch, dass es jetzt für über 100 Jahre keine Großraubwild mehr in Südtirol gegeben hat, wurde die ganze Weide- und Hirtenkultur ziemlich stark vernachlässigt. Deswegen weigert man sich in Südtirol, wieder mit diesem Theater anzufangen. Es kostet halt einiges an Geld. Wir haben keine großen Herden. Der Weidegang auf der Alm, der ein freier Weidegang ist, ist ebenfalls ein Teil davon. Das heißt praktisch, dass jedes Tier hinlaufen kann, wo es will. Der Hirte geht nur hinterher, um zu schauen wo das Tier ist. Ein Hirte allein schafft es kaum noch, die Tiere beieinander zu halten.

Inwiefern können Herdenschutzhunde zum Beispiel Wolfsattacken abwehren?

Für genau das sind sie eigentlich da. Es geht nicht mal unbedingt um Wolf, Bär oder Luchs. Der Maremmaner fühlt sich als Teil seiner Herde. Er verteidigt seine Herde vor allem, was fremd ist und sich ihr nähert.

Ich habe zum Beispiel Gänse gehabt, welche meine Hunde nicht kannten. Ich habe den Hunden die Gänse weder „vorgestellt“, noch habe ich ihnen zu verstehen gegeben, dass es meine Gänse sind. Die Hunde haben sie dann attackiert.

 

Für den Hund macht es also keinen Unterschied, ob der Feind Bär oder Gans ist?

Der Hund reagiert gleich, egal ob Katze, Ente oder Huhn. Es kann auch ein Mensch sein. Deshalb muss der Hund ausgebildet werden. Er muss sozialisiert werden. Es muss ihm beigebracht werden, dass der Mensch kein Feind ist. Er muss lernen, dass ein Radfahrer, der vorbeifährt, kein Feindbild ist. 

Was sind die Charakteristiken eines gut ausgebildeten Herdenschutzhundes?

Ein gut ausgebildeter Herdenschutzhund ist drei bis vier Jahre alt. Er muss an den Menschen, an Nutztiere und auch an Treibhunde gewöhnt sein. Er muss verstehen, dass dies keine Feindbilder sind. Das ist eben die Ausbildung, die einem Herdenschutzhund angelernt werden muss, damit es funktioniert. Ein ausgebildeter Hund kostet dann eben auch. Hundewelpen kosten nicht die Welt, die entsprechende Ausbildung aber schon. Da ist Arbeit und Zeit dahinter. Im Trentino gibt es mehrere dieser ausgebildeten Hunde.In Südtirol haben wir so gut wie nichts dergleichen.

Inwiefern hätte man die Schafsrisse in Villnöss verhindern können?

Verhindern kann man mit Sicherheit nichts, der Wolf ist sehr agil. Aber auch wildernde Hunde sind gleich gefährlich und somit nicht zu unterschätzen. Südtirol hat eben die Hirten- und Weidenkultur in den letzten 100 Jahren sehr vernachlässigt. Tun kann man nichts, aber man muss als Tierhalter alle Register ziehen, um die Herde zu schützen. Und da muss man mit der professionellen Wirtschaft zusammenarbeiten und die ganzen Rahmenbedingungen erfüllen, sodass dies auch möglich ist.

Was hätte man sonst im Vorhinein arangieren können?

Eine Alm finden, wo man mit genug Schafen und einem professionellen Hirten raufgehen kann. Der Hirte muss seine Aufgabe Tag und Nacht erfüllen. Er hält die Herde mithilfe von Treibhunden zusammen und integriert einen oder mehrere Herdenschutzhunde in die Herde.

Was wäre eine gute Anzahl an Herdenschutzhunden?

In der Regel gibt es in jeder Herde drei Hunde. Die Hunde haben auch eine Rangordnung unter sich. Ein Hund ist „der Wachsame“. Einer der Hunde ist der, der gemeinsam mit dem wachsamen Hund raus von der Herde geht und den Feind „attackiert“. Es ist keine Attacke, er stellt sich aber vor die Herde und beschützt diese. Der dritte Hund bleibt in der Herde und zieht mit dieser dorthin, wo es weniger gefährlich ist. Das wäre das Idealbild. Herden bestehend aus 1000 Schafen oder mehr können dann auch fünf und mehr Hunde haben. Die Anzahl der Hunde hängt ganz vom Gefahrenpotential, das in der jeweiligen Zone herrscht, ab. Natürlich ist es auch eine Frage der Herdengröße, ob es wirtschaftlich rentabel ist oder nicht.

Wo liegt der Unterschied zu früheren Schafsherden?

Unsere Schafe, das wären die Villnösser Brillenschafe oder auch die Bergschafe, haben den Herdentrieb nicht mehr wie ursprüngliche Schafsherden. Wenn sie aus dem Stall kommen, bleiben sie nur zum Teil beieinander. Sie lassen sich nicht gerne in große Herden integrieren. Deswegen braucht es einen Hirten, der mit seinen Treibhunden die Schafsherde aneinander gewöhnt und sie während der Sommerpause zusammenhält.

Inwiefern spielt hier die Wirtschaftlichkeit eine Rolle?

Diese Behirtung geht nicht mit zehn Schafen, dafür ist der Hirte zu teuer. Da sind 100 Schafe wahrscheinlich auch noch zu wenig. Es braucht mindestens 300 Schafe, damit sich die Hirtenarbeit finanziell trägt.

Man muss als Tierhalter alle Register ziehen, um die Herde zu schützen. Und da muss man mit der professionellen Wirtschaft zusammenarbeiten und die ganzen Rahmenbedingungen erfüllen, dass dies auch möglich ist.

Welche Aufgabe hat der Hirte dabei?

Der Hirte sollte in der Regel professioneller Herkunft sein. Hobbyhirten, zum Beispiel Pensionierte, Studenten, oder Interessierte, die auf der Alm leben wollen, haben keine Ausbildung und so meistens auch keine Treibhunde. Ohne Treibhunde ist man nicht im Stande, eine Herde zusammenzuhalten. Wenn man die Herde nicht zusammenhalten kann, was will dann ein Maremmano oder ein anderer Herdenschutzhund tun? Er hat kein Gruppengefühl, ein paar Tiere sind hier, ein paar Tiere sind dort. Er kann eigentlich gar nichts tun, um die Herde zu schützen.

Wissen Sie von Hunden, die in Südtirol momentan in Ausbildung sind?

Im Martelltal, im Stilfserjoch- Nationalpark befinden sich noch junge Hunde in Ausbildung. Diese professionell ausgerichteten Hunde kommen aus dem Trentino. Sie befinden sich im Nationalpark, weil sie dort am ehesten auf Bären, Wölfe oder andere Raubtiere treffen können. Noch befinden sie sich nicht bei einer Herde, erst Ende Sommer werden sie mit dieser integriert. Junge Hunde sind noch verspielt, sie laufen weg usw. Man muss ihnen noch beibringen, dass sie Teil einer Herde sind und bei dieser auch bleiben müssen. Momentan sind sie mt ein paar Schafen und Ziegen zusammen, sodass sie den Herdentrieb lernen.

Gibt es auch andere Methoden, Herden zu schützen?

Es gibt viele Herdenschutzvarianten und auch Organisationen, die sich damit beschäftigen. Herdenschutz kann, richtig ausgeführt, auch nur aus Hirten und Treibhunden bestehen. Auch mithilfe eines Elektrozauns kann eine Herde geschützt werden, dieser hält die Herde beisammen und Wölfe bei Bedarf fern. Der Herdenschutzhund bleibt aber die maximale Lösung.

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Karl Trojer Mi., 05.08.2020 - 10:24

Tierschutz setzt meines Erachtens voraus, dass :
- Wildtiere (Wölfe, Bären,...) nicht mehr Schutz erhalten als Haustiere (Schafe, Ziegen, Kühe, Esel,...)
- Wildtiere sich in den für sie typischen Freiräumen bewegen können.
Letzteres trifft im kleinräumigen, bis zur Baumgrenze bewirtschafteten Südtirol nicht zu. Deswegen ist hier der stete Konflikt zwischen Wild-und Haustieren unabwendbar; es sie denn, man fängt diese Wildtiere ein und bringt sie in Räume, die ihnen den erforderlichen Freiraum zur Verfügung stellen können.

Mi., 05.08.2020 - 10:24 Permalink
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Manfred Klotz Do., 06.08.2020 - 07:46

Antwort auf von Karl Trojer

Es sei denn, man versucht wenigstens Herdenschutzmaßnahmen entschieden umzusetzen und nicht nur "das geht bei uns nicht" zu sagen, weil es einfacher und billiger ist.
Das wäre so als ob eine Bank das Geld nur in einfachen Kästen deponiert, weil die billiger sind als ein Tresor. Dass das den "Raubtieren" (sprich Dieben) in die Hand spielen würde, ist klar.
Die Lösung liegt in der Mitte zwischen dem stärkeren Schutz der Nutztiere seitens der Besitzer und der Entnahme von tatsächlichen Problemtieren.

Do., 06.08.2020 - 07:46 Permalink