Umwelt | welche zukunft?

Mittelweg statt Mittel weg

Null Pestizide ist keine Lösung, sagt der Agrarwissenschaftler Alexander Pfaff. Er plädiert für eine ernst gemeinte Debatte und Mut zu Innovation in der Landwirtschaft.
Rapsanbau
Foto: Pixabay

“Definitiv, Pflanzenschutzmittel sind in den meisten Fällen keine harmlosen Substanzen und setzen einen verantwortungsvollen Umgang voraus.” Doch allein seine Wortwahl zeigt die differenzierte Herangehensweise von Alexander Pfaff: Der Agrarwissenschaftler aus Hessen spricht von “Pflanzenschutzmitteln”, nicht von “Pestiziden” oder “Giften” – zwei Begriffe, die sich im Titel einer Publikation wiederfinden, die vorige Woche in Deutschland vorgestellt wurde. Und die neben breitem Medienecho auch Kritik und Empörung ausgelöst hat: der “Pestizidatlas 2022”. Die Zielsetzung der Verfasser ist klar. Hinter dem Pestizidatlas stehen die den Grünen nahe Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND und der deutsche Ableger des Pestizid-Aktionsnetzwerks PAN. Die drei Organisationen wollen mit “Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft”, so der Untertitel des Pestizidatlas, die mannigfaltigen negativen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln aufzeigen und stellen konkrete Forderungen an die Politik. Damit lösen sie breites Medienecho aus – genauso wie Empörung. Der Industrieverband Agrar spricht von “teils fragwürdigen Zahlenspielen” im Pestizidatlas. Man wirft den Autoren eine “Kampagne gegen den Pflanzenschutz” vor.

Nach der Präsentation des Pestizidatlas zeigt sich ein Bild, das in Südtirol nur allzu gut bekannt ist: festgefahrene Positionen und verhärtete Fronten, die insbesondere zwischen Verfechtern der konventionellen Landwirtschaft und jenen verlaufen, die im Bio-Anbau die einzige Alternative für ein nachhaltiges Agrarsystem sehen. “Diesen Dualismus kennen wir in Deutschland zur Genüge”, bestätigt Alexander Pfaff. Der Forscher blickt selbst mit einiger Skepsis auf den jüngsten Pestizidatlas. Allerdings begnügt er sich nicht damit. Neben fachlichen Beanstandungen bringt er Vorschläge vor, wie Konflikte, die sich rund um Pflanzenschutzmittel abspielen, abseits von oft ideologisierten und emotionalisierten Diskussionen – man denke an den “Malser Weg” und “Pestizidtirol” – angegangen und gelöst werden könnten. Und macht sich zugleich für “den nachhaltigsten Mittelweg” stark.

 

Nachschlag- und -denkwerk

 

Der Pestizidatlas ist heuer zum ersten Mal erschienen (hier die pdf-Datei zum Download). In 19 Kapiteln werden Entwicklungen, Zusammenhänge und Folgen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln auf Natur, Mensch und Tier in Deutschland und der Welt aufgezeigt. Einige zentrale Stellen:

  • der Einsatz von Pestiziden ist zwischen 1990 und 2017 weltweit um 80 % gestiegen, vor allem in Südamerika (+143,5 % zwischen 1999 und 2019)
  • aktuell werden global ca. 4 Millionen Tonnen Pestizide im Jahr ausgebracht
  • in Europa enthalten 93 % der Gemüse- und Obstproben Rückstände von 226 Wirkstoffen
  • jährlich sind 385 Millionen Menschen auf der ganzen Welt von Vergiftungen durch Pestizide betroffen
  • darüber hinaus wirkt sich der Einsatz von Pestiziden in eklatantem Ausmaß negativ auf die Biodiversität und Gewässer aus
  • auf der anderen Seite wächst der internationale Pestizidmarkt, der immer mehr von immer weniger, großen Unternehmen dominiert wird

“Der Verlust der Artenvielfalt weltweit, aber auch in Deutschland ist dramatisch und kann nur gestoppt werden, wenn der Einsatz von Ackergiften deutlich reduziert wird”, sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt bei der Vorstellung des Pestizidatlas am 12. Jänner. Gemeinsam mit Heinrich-Böll-Sttiftung und PAN Germany fordert der BUND von der deutschen Bundesregierung, eine “Pestizidwende” einzuleiten. Darunter ein Exportverbot von Pestiziden, die in Europa verboten sind, in Länder mit niedrigeren Umweltstandards.

 

Nicht nur Lob

 

Volle Zustimmung für die Arbeit hinter und die Forderungen im Pestizidatlas kommt von Umweltschützern und Bündnis 90/Die Grünen. Die Grünen stellen in der Ampel-Koalition mit SPD und FDP sowohl den Landwirtschaftsminister (Cem Özdemir) als auch die Umweltministerin (Steffi Lemke) und besetzen damit Schlüsselpositionen. Die Grünen Bundestagsfraktion sichert vollen Einsatz zu, um “umweltfreundliche Alternativen zu chemisch-synthetischen Pestiziden zu unterstützen und den Nationalen Aktionsplan Pestizide zu einem echten Reduktionsprogramm weiterzuentwickeln”. Unterzeichnet haben das Statement die langjährige Grüne Umweltpolitikerin und Ex-Bundesministerin Renate Künast sowie Karl Bär. Der ehemalige Agrarreferent am Umweltinstitut München wurde bei den Bundestagswahlen vergangenen September für die Grünen ins deutsche Parlament gewählt. Der “Pestizid-Prozess”, den Landesrat Arnold Schuler, die Südtiroler Obstwirtschaft und über 1.300 hiesige Apfelbauern wegen der “Pestizidtirol”-Kampagne im Sommer 2017 gegen Bär angestrengt haben, läuft indes am Bozner Landesgericht weiter – weil ein einziger Landwirt, anders als die restlichen Kläger, seine Anzeige nicht zurückgezogen hat.

 

Dass der Pestizidatlas nicht nur Lob erfährt, war zu erwarten. Noch am Tag der Veröffentlichung des 54-seitigen Werks geht der Industrieverband Agrar IVA mit einer gesalzenen Stellungnahme an die Öffentlichkeit. Darin heißt es: “Statt, wie versprochen, neue Daten und Fakten zur aktuellen Entwicklung zu präsentieren, fallen die Autoren des Reports zurück in Kampagnen-Reflexe und konstruieren aus altbekannten Vorwürfen und teils fragwürdigen Zahlenspielen ein Zerrbild des Pflanzenschutzes in der Landwirtschaft.” Als Beispiel zieht der IVA die Zahl von 385 Millionen Menschen heran, die laut Pestizidatlas jährlich eine Pestizidvergiftung erleiden. “Statistisch würde also weltweit etwa jeder 20. Mensch einmal im Jahr erkranken – wie kommt es zu dieser unglaublichen Zahl? Basis dafür ist eine einzige Schätzung, die bezeichnenderweise von PAN-Aktivisten selbst erstellt und von keiner wissenschaftlichen Fachinstitution geprüft wurde.” Insgesamt weise die Publikation “zahlreiche Unstimmigkeiten, Unsauberkeiten und methodische Mängel” auf, befindet die IVA.

 

Der Wunsch nach Sauberkeit und Transparenz

 

Zu einem ähnlichen Schluss ist Alexander Pfaff gekommen. Er stammt aus Hessen und hat in Göttingen Agrarwissenschaften und Crop Protection studiert. Im Gespräch mit salto.bz legt Pfaff Wert darauf, vorauszuschicken, dass er dieses als Forscher führt und nicht stellvertretend für seine Arbeitgeber spricht. Ab 2016 war er für das Julius Kühn Institut tätig, aktuell arbeitet Pfaff am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in der Abteilung Pflanzenschutz. Nebenei stellt er seine Dissertation fertig, in der er sich unter anderem mit Methoden beschäftigt, wie die Tomatenrostmilbe ohne Pflanzenschutzmittel bekämpft werden kann.

Seine erste Reaktion nach Lektüre des Pestizidatlas sei gewesen: “Wenn man, wie ich, wissenschaftliche Maßstäbe anlegt, muss man sagen: Da wurde an vielen Stellen sehr unsauber gearbeitet”, gesteht Pfaff. Derselben Auffassung ist seine Fachkollegin Kathrin Grahmann. In einem aktuellen SPIEGEL-Online-Interview erklärt die Agrarforscherin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, warum sie “die zentrale Kennzahl in dem Bericht irreführend” findet. “Dort geht es um die Wirkstoffmengen, also die Menge aktiver Wirkstoffe in Tonnen, wobei es sich eigentlich um die Absatz- bzw. Verkaufsmengen handelt. Wie viel davon tatsächlich verwendet wurde, wissen wir nicht.” Grahmann und Pfaff sind sich zudem einig: Diese Zahl gibt weder Aufschluss über die tatsächlichen oder möglichen Umweltauswirkungen noch über die Risiken der Mittel. Pfaff veranschaulicht seine Kritik anhand eines Beispiels, das er auch auf Twitter teilt:

Im Pestizidatlas sei verabsäumt worden, die Risiken und Umweltauswirkungen der angeführten Wirkstoffmengen zu quantifizieren – obwohl an einer Stelle sogar ein Ansatz dafür genannt werde, bemängelt Pfaff. Er nennt eine weitere Stelle, die er kritisch betrachtet: “Beim Anstieg der verkauften Wirkstoffmengen wird außer Acht gelassen, wie viele Ackerflächen seit dem Referenzjahr 1990 hinzugekommen sind, schon allein deshalb, weil es mehr Menschen gibt, die Nahrung brauchen. Es landen heute also nicht, wie der Pestizidatlas suggeriert, zwangsläufig viel größere Wirkstoffmengen auf den bestehenden Äckern, sondern es wird einfach auf deutlich mehr Fläche Ackerbau betrieben.”

Obwohl er sich gewünscht hätte, dass die Wissenschaft von vornherein mehr in die Erstellung des Pestizidatlas eingebunden und “etwas gründlicher recherchiert” worden wäre, kann Alexander Pfaff der Publikation einiges abgewinnen. Grundsätzlich – “es ist ja die Aufgabe der Umweltbewegung und -organisationen, Diskussionen anzustoßen, ohne sie wären wir heute beim Verbraucher- und Umweltschutz wohl nicht so weit, wie wir sind” – und inhaltlich. Unter anderem teilt er die im Pestizidatlas geäußerte Kritik an der Datenlage zu den tatsächlich ausgebrachten Pflanzenschutzmengen. “Diese Daten stehen nicht umfänglich für die Forschung zur Verfügung. Dabei könnten sie zu einem detaillierteren Bild beitragen, wie sich Pflanzenschutzmittel in unserer Umwelt verhalten.” Sein Vorschlag: Die Daten aus dem Spritzbuch, in dem deutsche Landwirte genauso wie ihre Südtiroler Berufskollegen jede Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dokumentieren müssen, digital und zentral sammeln und anonymisiert der Forschung bereitstellen.

 

Weniger ja – aber wie?

 

Dass der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft reduziert werden muss, ist mittlerweile common sense. Nur die Frage Wie? bleibe allzu oft unbeantwortet, sagt Pfaff. Dabei gebe es an einigen Stellen noch ungenutztes Potential – Stichwort: Verunkrautung. “Unkräuter unterscheiden sich sehr deutlich darin, wie stark sie mit der ‘gewünschten’ Kulturpflanze um Nährstoffe und Licht konkurrieren”, erklärt Pfaff und verweist auf ein Positionspapier des Fachbeirates “Nachhaltiger Pflanzenbau” des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit dem Titel: “Mehr Verunkrautung wagen”.
“Unkräuter, die kaum Konkurrenz darstellen und gleichzeitig einen hohen Wert für nützliche Insekten haben, könnten ohne signifikante Ertragsverluste bis zu einem gewissen Maß toleriert werden”, so Pfaff.

 

Er erinnert, wozu Pflanzenschutzmittel eigentlich da sind: “Ihre wichtigste Funktion ist, Ertragsverluste zu verhindern und für eine gewisse Ertragssicherheit zu sorgen.” Einfach ganz darauf zu verzichten und in der Breite auf umstellen, greift dem Agrarwissenschaftler hingegen zu kurz. “Fakt ist, dass jede Form der Landwirtschaft in unterschiedlicher Intensität externe Kosten verursacht, sprich, negative Auswirkungen auf die Umwelt hat”, stellt der Agrarwissenschaftler klar. Bio-Anbau braucht dabei mehr Fläche, um dieselben Erntemengen zu erzeugen wie im konventionellen Anbau. “Mit einem angepassten Pflanzenschutzmittel zum richtigen Zeitpunkt kann ich Schäden an den Pflanzen vermeiden. Somit benötige ich deutlich weniger Fläche, um die gleiche Menge zu ernten.” Als Beispiel nennt Pfaff den Raps. “Der Anbau von Ökoraps in Deutschland macht gerade etwa 0,5 % der Gesamtanbaufläche aus. Hauptgrund dafür ist die Ertragsunsicherheit und die im Schnitt deutlich geringeren Erträge, bedingt durch Schadorganismen, die ohne Pflanzenschutzmittel schwer zu kontrollieren sind.”

Hier wird einer der vielen landwirtschaftlichen Zielkonflikte deutlich: Mehr Fläche beanspruchen und dafür weniger intensiv bewirtschaften oder intensiv bewirtschaften und mehr Fläche für unberührte Ökosysteme bewahren? “Ohne Pflanzenschutzmittel würde ich ca. 30 % weniger ernten und bräuchte ca. 43 % mehr Fläche, um die gleiche Menge zu erzeugen”, rechnete Peter Breunig jüngst vor. Er lehrt als Professor für Marketing und Marktlehre an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und ist wie Alexander Pfaff Mitglied des Öko-Progressiven Netzwerks, das die Plattform “Progressive Agrarwende” betreibt. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, “das dualistische Lagerdenken in Bio gegen konventionell zu überwinden”, erklärt Pfaff, “und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, wie die Agrarwende hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft mit dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik gelingen kann”.

 

Weg mit der rosa Brille

 

Wie sieht ein nachhaltiges, also ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvolles bzw. verträgliches Agrarsystem aus? Und kann ein solches in jedem Land der Welt gleich funktionieren? “Ich würde sogar so weit gehen und sagen, zu Ende gedacht kann es nur in allen Ländern der Welt gleichzeitig funktionieren”, steht für Alexander Pfaff fest. Doch die Voraussetzungen fehlen. “Hier in der EU haben wir im internationalen Vergleich sicherlich mit die höchsten Umweltstandards. Gleichzeitig werden die Preise für Agrarrohstoffe in der Regel auf internationalen Märkten gebildet. Unsere hiesigen Landwirte sind also oft einem hohen Preisdruck ausgesetzt. Nationale Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion hätte sicher deutlich positive Auswirkungen auf die hiesige Biodiversität. Dies geht aber auf Kosten des Ertrages und damit sind wir wieder in einer Situation, in der wir mehr importieren müssen, auch aus Ländern mit geringeren Umweltstandards. Oft hört man an dieser Stelle dann das Scheinargument ‘Ach das macht überhaupt nichts, wir müssen weniger Lebensmittel wegwerfen und weniger Fleisch essen, dann kommen wir auch mit flächendeckendem extensiven Anbau aus.’ Leider ist das nur die halbe Wahrheit, sowohl beim Fleischkonsum als auch bei der Lebensmittelverschwendung tut sich nämlich seit Jahren zu meinem Bedauern fast gar nichts. Die Antwort auf die Frage, wie das erreicht werden soll, bleibt hierbei grundsätzlich immer aus. Peter Breunig hat dies kürzlich sinngemäß gut zusammengefasst: Wenn wir nur noch große SUV zulassen und dies damit rechtfertigen, dass alle einfach deutlich weniger fahren und es sich deshalb nicht negativ auf die CO2-Bilanz auswirken wird, ist das zu kurz gedacht. Es wird nicht funktionieren.”

Was es brauche, seien regional angepasste Maßnahmen und den Mut der Politik, den Agrarsektor sowohl für den Erhalt und die Förderung der Biodiversität als auch für Verluste aufgrund von extensivem Anbau finanziell zu unterstützen. “Landwirtinnen und Landwirte haben die gesellschaftliche Aufgabe, hochwertige Lebensmittel in ausreichender Menge zu produzieren. Zugleich wird von ihnen die Pflege und Hege der Natur mit erwartet. Dafür brauchen sie ein Mandat und Entlohnung.” Große Chancen für ein nachhaltiges Agrarsystem, das auch mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommt, sieht Pfaff in der Digitalisierung – diese könne dazu beitragen, Pflanzenschutzmittel “wesentlich effizienter und nur dort, wo wirklich benötigt, einzusetzen” – und neuen gentechnischen Züchtungsmethoden, die resistentere und effizientere Pflanzen hervorbringen würde. “Leider wird dieser Fortschritt oft kritisch gesehen”, bedauert der Wissenschaftler. Manchmal wirke es so, “als würden jegliche Innovationen abgelehnt, wenn sie nicht einer bestimmten romantischen Idee von Landwirtschaft entsprechen”.

Um eine tatsächliche Veränderung des Status Quo in der Landwirtschaft herbeizuführen – dass es eine solche braucht, ist wohl unumstritten –, plädiert Pfaff für einen offenen, kritischen und durchaus auch kontroversen Dialog. Dem dürfe sich keiner der Player, weder Umweltverbände, Wissenschaft oder Wirtschaft verschließen. Und an die Politik, sich “ein breites Feld an Meinungen einzuholen bevor Entscheidungen getroffen werden”. “So lange das geschieht, bin ich optimistisch.”

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Ludwig Gruber Mo., 24.01.2022 - 10:06

Und die, die glauben, dass zB der Biolandbau nur eine Hobbyform der Landwirtschaft ist, möchte ich bitten, endlich richtig zu rechnen.
Die konventionelle Intensivlandwirtschaft versorgt einen Großteil der Bevölkerung mit "günstigen Lebensmitteln" weil die Rechnung falsch läuft.
Allein die Umweltschäden, die diese Landwirtschaft verursacht, sind vier Mal so hoch, wie der Wert der Produkte.
Pro Jahr werden in Deutschland Produkte im Wert von € 21 Mrd erwirtschaftet und Schäden in der Höhe von € 90 Mrd verursacht.
Die Konzerne und die Bauern kommen für diese Zerstörung unserer Lebensgrundlagen nicht auf. Seit Jahrzehnten nicht.
Quelle: https://www.bcg.com/de-at/press/14november2019_PM_Landwirtschaft_DE

Mo., 24.01.2022 - 10:06 Permalink
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Peter Gasser Mi., 26.01.2022 - 07:33

Antwort auf von Josef Fulterer

Bei einer Anrechung der verursachten Schäden (durch Autofahren, nicht gedämmte Häuser, Strom aus Kohle und Gas, Wärme aus Kohle und Gas, Umweltzerstörung in der dritten Welt, Frohn- und Sklavenarbeit für Billigkonsum) stellt jeder, auch Sie, seine Lebensweise um.
Nicht der Bauer konsumiert die Lebensmittel, die er auf diese Art und Weise billig für die Gesellschaft erzeugen MUSS.
Die Gesetze, was und wie vom Landwirt produziert wird, gibt die Gesellschaft vor.
.
Zur Zeit ist, auf Ihr Argument hin bezogen, die Erzeugung von Energie (Wärme und Strom) das wesentlich dringendere Problem: aber WIR wollen nach wie vor billige Energie, billige Wärme, billige Mobilität; dann auch billige Lebensmittel.
.
Diese Verantwortung auf einen einzigen Berufsstand abzuwälzen, mutet skurril an.
.
Ich erinnere nachmals an die Ablehnung des Verbotes von mit Pflanzenschutzmitteln erzeugten Produkten in der Volksbefragung in der Schweiz: das sind die Fakten.
Warum macht man keine solche Volksbefragung bei uns? Aus Angst vor der bitteren Realität, die sich dann schonungslos zeigen würde?

Mi., 26.01.2022 - 07:33 Permalink
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Stefan S Mi., 26.01.2022 - 15:44

Antwort auf von Peter Gasser

"Warum macht man keine solche Volksbefragung bei uns?"
Die Frage ist rein hypothetisch und auch obsolet. Die erste und letzte Volksbefragung in der EU war zum Thema Zeitumstellung und hatte wieviel Beteiligung? Ein nationaler Alleingang würde eine enorme Wettwerbsverzerrung nach sich ziehen. Wenn man aber regionale Anreize für eine ökologische und biodiverse Landwirtschaft anbieten würde könnte man mit einem Alleinstellungsmerkmale sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wovon auch der Tourismus aber vor allem die Bevölkerung profitieren würde. Weil eines ist sicher, früher oder später und dann gezwunger Maßen werden wir dem Klimawandel Rechnung tragen müssen.
"durch Autofahren, nicht gedämmte Häuser, Strom aus Kohle und Gas, Wärme aus Kohle und Gas, Umweltzerstörung in der dritten Welt, Frohn- und Sklavenarbeit für Billigkonsum"
Das eine schließt das andere nicht aus, es ist aber sehr schwach für jede Diskussion mit den Finger auf andere Ungerechtigkeiten und Versäumnisse hinzuweisen. Hier geht es um Landwirtschaft und bestimmt nicht darum -> "Diese Verantwortung auf einen einzigen Berufsstand abzuwälzen, mutet skurril an."

Mi., 26.01.2022 - 15:44 Permalink
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Peter Gasser Do., 27.01.2022 - 08:55

Antwort auf von Stefan S

Es ist nach wie vor schade, dass sich der Dialog nicht mit den wichtigen Inhalten des Artikels auseinandersetzt:

https://www.salto.bz/de/comment/101951#comment-101951

Sie schreiben: “Ein nationaler Alleingang würde eine enorme Wettwerbsverzerrung nach sich ziehen”: ja und? Wettbewerbsverzerrung für wen? Den Handel? Den Zwischenhändler? Um diese sorgen Sie sich? Dieselbe “Wettbewerbsverzerrung” würde auf lokaler Ebene geschehen, DAS sorgt Sie nicht?
Ein Beispiel aus dem eigenen Erleben: Ein mir bekannter Landwirt erzeugt regional nachhaltig ökologisch Rindfleisch, und versucht, es zu den Produktionskosten lokal zu verkaufen. Aufgrund der Bevölkerung und der Touristen im Tal (Umgebung Bozen) müsste es lokal 1 bis 2 Schlachtungen pro Woche geben: es gibt nur 1e im Monat - und er muss diese Art der Produktion mangels Ansatz aufgeben. DAS ist die aktuelle Wirklichkeit, auf freiwilliger Basis. Der Konsument will billig, regional, ökologisch, tiergerecht bleiben (ohne gesetzliche Regelung) Lippenbekenntnis.
Ich zeige mit meinem vorhergehenden Kommentar nicht “auf andere”, sondern AUF UNS, AUF UNS ALLE, und binde die Landwirtschaft in die Gesellschaft ein. Wer am Absatz vorbei produziert, verschwindet vom Markt: so wie das oben beschriebene regional, nachhaltig und artgerecht erzeugte Rindfleisch.
Wie kann man vom Landwirt freiwillige Umstellung auf mehr Betriebsrisiko und höhere Erzeugerkosten verlangen, ohne gleichzeitig bereit zu sein, diesem Produkt gesellschaftlich durch entsprechende gesetzliche Regelung das “Alleinstellungsmerkmal” zu geben?
Noch immer werden Lebensmittel beworben mit 1,98 Euro statt 2,20 Euro, und nicht mit “nachhaltig, ökologisch, tiergerecht”, weil der Handel genau weiß, welches Attribut kaufentscheidend ist.
Unsere Landwirtschaft ist eingebunden in unsere Gesellschaft - und deren Spiegel. Schauen Sie hinein in den Artikel, und beginnen wir den sachlichen Dialog, ohne Ideologie, ohne Missionierung, ohne Schuldzuweisung an einzelne; betrachten wir Ursache, mögliche Wirkung, Lösungsansätze, und REGELN wir dies fair für Erzeuger, Handel, Konsumenten.

Do., 27.01.2022 - 08:55 Permalink
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Stefan S Do., 27.01.2022 - 13:11

Antwort auf von Peter Gasser

"Es ist nach wie vor schade, dass sich der Dialog nicht mit den wichtigen Inhalten des Artikels auseinandersetzt:"
Wie ich schon, und auch andere Kommentatoren, dargelegt haben sind Pflanzenschutzmittel nur ein Baustein für eine dringend benötigte Ökowende in der Landwirtschaft. Es ist wesentlich zu kurz gesprungen einfach nur die Pestizide zu verbieten ohne z.B. die Biodiversität auszubauen. Gute Beispiele gibt es genügend wie die Ertragssicherheit auch mit weniger oder auch gar keinen hochchemischen Pflanzenschutzmitteln erreicht wird.
"Wie kann man vom Landwirt freiwillige Umstellung auf mehr Betriebsrisiko und höhere Erzeugerkosten verlangen, ohne gleichzeitig bereit zu sein, diesem Produkt gesellschaftlich durch entsprechende gesetzliche Regelung das “Alleinstellungsmerkmal” zu geben?"
Genau dafür braucht es die Subventionen (Anreize der Politik) wie ich bereits erwähnt habe.
"Ein Beispiel aus dem eigenen Erleben"
Ohne Ihren Bekannten jetzt zu Nahe treten zu wollen ist es aus der Ferne natürlich schwierig zu beurteilen aus welchen Gründen das angestrebte Umsatzziel Ihres Bekannten nicht erreicht wurde. Bei näherer Betrachtung ergeben sich oftmals vielschichtige Gründe welche durch eine gute Marktanalyse wahrscheinlich zu erkennen gewesen wären. "Nur" ein qualitativ gutes Produkt anzubieten ist in der heutigen globalisierten Wirtschaft garantiert zu wenig.
"Noch immer werden Lebensmittel beworben mit 1,98 Euro statt 2,20 Euro, und nicht mit “nachhaltig, ökologisch, tiergerecht”, weil der Handel genau weiß, welches Attribut kaufentscheidend ist."
Nicht der Handel sondern die Lebensmittelkonzerne und deren Lobbyisten verhindern eine eindeutige Kennzeichnung für den Kunden, gute Biozertifikate werden durch schlechte Biozertifikate kontakariert weil die Politik nicht bereit ist hier eindeutige Richtlinien zu setzen.
"Unsere Landwirtschaft ist eingebunden in unsere Gesellschaft - und deren Spiegel."
Das sehe ich nicht so, es ist ein Spiegel von über 20 Jahren teilweise fehlgeleiteter Subventionspolitik mit allen seinen Auswirkungen wie z.B. Lobbyismus, ein Lobbyismus welcher immer nur die Gewinnmaximierung der jeweiligen Konzerne in den Vordergrund spielt und Nachhaltigkeit nur kennt wenn es sich positiv in der Handelsbilanz der jeweiligen Konzerne wiederspiegelt. Wie leider in vielen anderen Branchen auch, entwickelt sich der Lebensmittelmarkt immer mehr zu einem Oligopol. Sobald ein zartes regionales erfolgreiches Pflänzchen erblüht wird es von den großen geschluckt. Habe heute noch den schönen, mittlerweile, alten Biekrug von Greiter im Schrank.
Bestes und mittlerweile schon sehr altes Beispiel für diese Entwicklung. Und mittlerweile wurde die Brauerei Forst ja auch schon von einem bekannten Großunternehmen geschluckt. Ähnliche Entwicklungen sind auch im Biolebensmittelmarkt zu beobachten.

Do., 27.01.2022 - 13:11 Permalink
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Klaus Griesser Mi., 26.01.2022 - 18:58

Ok, Herr Pfaff, sagen wir in Zukunft "ESM=Ertragsschutzmittel" statt "PSM=Pflanzenschutzmittel", wenigstens wäre das wirklichkeitsgetreuer. Die Pestizide dienen in Wirklichkeit der Methode, Monokulturen anzulegen, damit industrialisiert angebaut werden kann und zwar - sonnst zahlt sich's nicht aus - monokulturell, in möglichst große Flächen.
Ohne Rücksicht auf die Artenvielfalt (Bodenlebewesen, Bienen, Schmetterlinge, Vögel, Mücken, Pilze). Ohne Rücksicht darauf, was die Verbraucher dann zu verarbeiten haben und in die Organe lagern müssen.
Momentan ist das eine ertragssichernde, gesundheits- und umweltschädliche, subventionierte Massenproduktionsweise mit günstigen Marktpreisen.
Doch wenn die Artenvielfalt immer weniger stimmt, wird auch die natürliche Bodenfruchtbarkeit immer dürftiger. Also am Ende keine nachhaltige Ertragssicherheit, natürlich auch nicht nachhaltig für Artenvielfalt und Gesundheit für die Verbraucher.
Und last but not least: die hohen CO2-Emisssionen bei der Herstellung u der zugehörigen Panzele-Giftsprüh-Methode.

Mi., 26.01.2022 - 18:58 Permalink
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Stefan S Mi., 26.01.2022 - 20:22

Antwort auf von Klaus Griesser

"Doch wenn die Artenvielfalt immer weniger stimmt, wird auch die natürliche Bodenfruchtbarkeit immer dürftiger. Also am Ende keine nachhaltige Ertragssicherheit, natürlich auch nicht nachhaltig für Artenvielfalt und Gesundheit für die Verbraucher."
Genau so einfach ist es!
*Daumenhoch*

Mi., 26.01.2022 - 20:22 Permalink
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Profil für Benutzer Ludwig Gruber
Ludwig Gruber Do., 27.01.2022 - 07:43

Antwort auf von Klaus Griesser

Genau so ist das, Klaus.
In Deutschland wird dir dann aber sofort erklärt, dass niemand Monokulturen anbaut, weil eine Monokultur wäre die selbe Nutzpflanzenart über Jahre auf der selben Fläche. Und selbstverständlich wechselt man die Früchte (zwar auf Schlägen mit hunderten Hektaren und mit weniger als 1% Fremdpflanzen...).
Im Forum sind auch Auftragsschreiber - klingt nach Bauernbund - aktiv, die sich mit den drei Klassiker in die Diskussion bringen:
1. Absender diskreditieren: Kritik darf nur äußern, wer beweisen kann, dass er heilig und ohne Makel ist.
2. Erkanntes Problem mit anderen relativieren, oder mit Schlimmerem vergleichen. Nur wenn alle mit täten, macht eine Lösung Sinn (hier sind es andere Branchen/Verursacher)
3. Eigene Rolle kleinreden: was kann ich schon tun, was können wir schon ändern?

Do., 27.01.2022 - 07:43 Permalink