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Die Spur der Sonne

Die Arunda-Ausgabe Nr. 25 von 1989 beschäftigen sich Lucio Giudiceandrea und Rosina Ruatti mit den Sonnenuhren in Südtirol - mit Sonne, Licht, Schatten und Zeit.
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Und ein Astronom sagte:

Meister, was ist mit der Zeit?

Und er antwortete:

Ihr wollt die Zeit messen,

die maßlose und unermessliche.

Nach Stunden und Jahreszeiten

wollt ihr euren Wandel richten

und sogar den Lauf des Geistes lenken ...

 

… ist nicht die Zeit wie die Liebe,

ungeteilt und ungezügelt?

Doch wenn ihr in eurem Denken

die Zeit in Jahreszeiten messen müsst,

lasst eine jede Jahreszeit

all die anderen umfassen.

Und lasst das Heute

die Vergangenheit mit Erinnerung umschlingen

und die Zukunft mit Sehnsucht.

 

Khalil Gibran

 

Könnten wir sie aus dem Weltall betrachten, so würden wir unsere Erde als eine im fortwährenden Wechselspiel von Licht und Schatten eingefangene Kugel erleben. Und dieses Wechselspiel erzeugt den Tag und die Nacht, gleichsam die elementarste Unterteilung der Zeit. Schon allein die Qualität des von der Sonne herrührenden Lichts ermöglicht eine aproximative Einschätzung der Zeit. Wir sprechen ja auch vom grellen Licht der Mittagssonne, vom warmen Licht kurz vor Sonnenuntergang, vom klaren Herbstlicht usw., Unterscheidungen, die der Zeitbestimmung dienen. Eine dieser Praktiken überlebt auch noch im Raum Tirol, wo sie unter dem Begriff „Stoaßloch“ bekannt ist. Besonders in Schenna bei Meran ist noch häufig von diesem „Stoaßloch“ die Rede, das nichts anderes ist, als der tiefste Einschnitt in der Berglandschaft des westlichen Horizonts. Zweimal im Jahr, im März und im September, geht die Sonne genau in dieser Kerbe unter, und für den Bauern bedeutet dies, dass es an der Zeit ist, mit bestimmten Arbeiten zu beginnen.

Im März ist es die Festigung der Weinbergsäulen, die ins Erdreich „gestoßen“ werden. Wie in diesem Fall ist eine direkte Beobachtung der Sonne nur zum Zeitpunkt ihres Untergangs möglich, wenn ihr gedämpftes Licht eine Feststellung ihres genauen Standortes zulässt. Dagegen lässt das stark blendende Licht der Mittagsstunden eine solche direkte Beobachtung der Sonne nicht zu. Ihre Wanderung durch den Himmel kann dann anhand des Bewegungsablaufes der Schatten festgehalten und gemessen werden, denn die Schatten reproduzieren ja im kleinen Maßstab und in umgekehrter Richtung die Parabel, die unser Fixstern tagtäglich beschreibt. Die Schattenbewegungen selbst vermitteln bereits ein Empfinden des Dahinfließens der Zeit. Die herkömmliche philosophische Hypothese setzt den Ablauf der Zeit in Zusammenhang mit der Bewegung im Räumlichen. Indem sie sich verkürzen und verlängern, Richtung und Ausmaß ändern, verweisen die Schatten unweigerlich auf ein Vorher und ein Nachher, das heißt auf eine zeitliche Abfolge, innerhalb der diese Veränderungen stattfinden.

Dieser Zusammenhänge wird man sich bereits in frühesten Zeiten und nahezu bei allen Kulturvölkern voll bewusst. Einen sehr erwähnenswerten Hinweis dazu finden wir bei Plinius, im zweiten Buch seiner „Naturalis Historia“. Über die Phänomene des Himmels berichtend, zitiert er einen Geographen im Gefolge Alexanders des Großen, der von Gegenden in Indien erzählt, an denen der Große Wagen nicht sichtbar ist und an denen es auch keine Schatten gibt. „Diese Orte“, schreibt Plinius. „werden Askia -ohne Schatten- genannt, und an ihnen werden keine Stunden gezählt.

 

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Greta Karlegger Di., 06.01.2015 - 07:41

"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz. "

Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft - Kapitel 34

Di., 06.01.2015 - 07:41 Permalink
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Sebastian Felderer Di., 06.01.2015 - 09:03

Greta, ich denke, der Hirtebub im Bild hat sich das viel einfacher gemacht, als es Kant tut. Ich halte es mit ersterem, weil ich es leichter erfasse.

Di., 06.01.2015 - 09:03 Permalink