Politik | Griechenland

Total "verkartet"

Nach dem Sieg beim Referendum über das Eurogruppen-Umschuldungs-Programm hat sich der griechische Ministerpräsident in eine Reihe von Fehlern verstrickt.

Wahrscheinlich gibt es das Verb "verkarten" nur in Südtirol, wo eine ausgedehnte "Watt-Spiel-Kultur" herrscht. Mir, als schlechter, weil extrem lustloser Kartenspielerin, die nur herangezogen wird, wenn der vierte oder sechste Spieler fehlt, wurde regelmässig - und zu recht - vorgeworfen, ich hätte mich " verkartet", beziehungsweise in eine Verliererposition gebracht.

Dieses Zeitwort fällt mir ein, wenn ich an die chaotische Verhandlungsführung der griechischen Regierung der letzten Tage im Schuldenstreit mit der EU denke.  

Den ersten grossen Fehler beging Alexis Tsipras, als er den von den Griechen im Referendum abgelehnten Eurogruppen-Vorschlag mit mininalen Änderungen dem Parlament in Athen zur Verabschiedung vorlegte.

Welchen Sinn dann ein Referendum hat, ist schleierhaft. Es sei denn, Tsipras wollte der deutschen Bundesregierung vor allem beweisen, dass er bei der Bevölkerung weiterhin grossen Rückhalt hat, obwohl ihn die Eurogruppe zum Scheitern bringen wollte. Das ist zwar legitim, doch in der dramatischen Lage , in der sich Griechenland nach der fünfjährigen Troika-Kur befindet, äusserst ungünstig.

Das sehr mittelmässige Reformprogramm, das in Athen verabschiedet und dann nach Brüssel geschickt wurde, hätte auch eine konservative Regierung vorlegen können. Dazu kommt, dass es für solche Reformen nicht sechs Monate lange Verhandlungen gebraucht hätte. Dieses rückblickend unproduktive Hin- und Her hat der ohnehin am Boden liegenden griechischen Wirtschaft den Todesstoss versetzt.

Über die Inkompatibilität zwischen neoliberalem Kapitalismus und einem mit marxistischen Elementen bestückten Sozialstaats-Modell habe ich schon mehrfach geschrieben. Beide Verhandlungspartner hätten sich  von Anfang an damit auseinandersetzen müssen. Braucht es neue Regeln in der Eurogruppe bezüglich der Wirtschaftsmodelle? Müssen Eurogruppen-Partner aus der EU gworfen werden, wenn sie die Austerität und den Neoliberalismus durch sozialstaatliche Modelle a la Syriza ersetzen  wollen? Ist der Wählerwillen eines Volkes (Syriza) stärker als das in der EU dominierende Wirtschaftsmodell oder umgekehrt?

Sicher ist: solange Griechenland in Brüssel Hilfsgelder und Unterstützung von den im eigenen Land abgewählten Neoliberalen will, muss es sich den Regeln dieses Wirtschaftssystems beugen, um weiteres Geld zu bekommen.

Das hat Tsipras letzendlich auch getan, als er ein verwässertes Reformprogramm vorlegte. Nur kommt es eben viel zu spät.

Der griechischen Linksregierung ist es gelungen, der EU und der Eurogruppe den Spiegel ihrer Widersprüche und Mängel vorzuhalten. Auch wurde allen Beteiligten bewusst, wie dringend die Verabschiedung einer zeitgemässen EU-Verfassung wäre. Der letzte vorliegende EU-Verfassungsentwurf war ja von den Franzosen in einem Referendum abgelehnt worden.  Damals ging man sehr glimpflich mit dem "Nein" um..

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ferdinand tessadri So., 12.07.2015 - 16:06

Es ist erfeulich zu sehen dass Frau Brugger nun auch Zweifel an den Führungsqualitäten des Herrn Tsipras hat. Nur ist das Schicksal eines Volkes kein Kartenspiel, wenn auch der Kumpan des Tsipras, dieser Varoufakis, den
Eindruck hinterlassen hat er passe besser an einen Spieltisch im Casino als an einen Verhandlungstisch, wo es um Handfestes geht. Jedes Land hat das Recht sich seine Sozial- und Wirtschaftsform selbst zu bauen, vorausgesetzt es ist nicht von Gläubigern abhängig. Aber welche neuen sozialstaatlichen Modelle
will denn der Tsypras einführen wenn kein Cent in der Kasse ist ? Und dass
man , wenn man einen Kredit braucht, den Bankdirektor nicht einen Blutsauger heissen kann, müsste sich eigentlich auch in Griechenland herumgesprochen haben. Da habe ich schon den Eindruck bekommen dass es sich bei der Tsypras Truppe um präpotente unbedarfte Leute handelt, oder
um ideologisch vernagelte, selbstgefällige Leute. Beide Typen sind für ein
Land gefährlich.

So., 12.07.2015 - 16:06 Permalink
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Dr. Streiter So., 12.07.2015 - 18:03

"Neoliberal" ist eine interessante Chiffre für Dinge die nicht in eine Weltsicht passen in der aus der Luft Wohlstand für alle erzeugt wird. Der Neoliberale ist der der auf die Regeln des Spiels verweisst. Das es keinen moralischen Anspruch auf das Geld des Anderen gibt. Der Marxist geht von seinem Ideal der Gleichheit aus und will 'die gerechte Verteilung', der Neoliberale schaut sich die ökonomischen Tatsachen an 'schöpft neuen Mehrwert'. Der Marxismus hat sich immer darum bemüht den Kuchen aufzuteilen, den der Kapitalismus geschaffen hat, und der Linke muss ständig über die bösen Neoliberalen raunzen. Leute mit so einer ideologischen Schlagseite haben Milton Friedman nie gelesen und wissen daher nicht was ein Neoliberaler will.

So., 12.07.2015 - 18:03 Permalink
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Oskar Egger So., 12.07.2015 - 19:48

Antwort auf von Dr. Streiter

Dazu Slavoj Zizek: zitiert von Dorothee Frank "Der Neoliberalismus ist eine Ideologie"

"Ist Ihnen schon aufgefallen, wie zwiespältig in den Medien mit den Worten "unmöglich" und "möglich" umgegangen wird? Einerseits gilt mehr und mehr das Unmögliche als möglich. Wir werden in den Weltraum reisen, wir werden ewig leben und zu diesem Zweck menschliche Organe züchten. Es wird möglich, zwei Penisse zu haben - doch wenn es darum geht, das Budget für Gesundheitsversorgung oder Arbeitslosenhilfe um zwei Prozent anzuheben - dann heißt es plötzlich: das ist unmöglich!"

Staaten mit hohen Sozialstandards und verhältnismäßig geringen Einkommensunterschieden seien sehr wohl wirtschaftlich konkurrenzfähig - die skandinavischen Länder beweisen das, so Zizek.

Seine Kapitalismuskritik fußt auf einer unorthodoxen Auffassung des Marxismus. Und mit Werkzeugen der Psychoanalyse im Sinn Lacans tritt er an gegen den übertriebenen Hang zur Absicherung und Risikovermeidung. Gegen die Kontrollmechanismen, mit denen - beispielsweise - die EU-Migrantenströme abwehrt. Andererseits provoziert Zizek auch die Linke, indem er beispielsweise eine europäische Leitkultur einfordert. Er meint aber damit nicht, dass sich Zuwanderer kulturell assimilieren sollen.
Leitkultur einmal anders

"Leitkultur nicht im Sinn der Konservativen, die sich gegen Migranten stellen, sondern im Sinn ungeschriebener Regeln, wie zum Beispiel Moslems und Katholiken mit ihrer kulturellen Unterschiedlichkeit umgehen sollten", so Zizek.
Gleichberechtigung, Emanzipation aller gesellschaftlichen Gruppen - das seien die europäischen Werte, die es zu verteidigen gelte. Auch gegen intolerante Moslems, aber mehr noch gegen die Bedrohung Europas von innen - durch Europas fundamentalistische Politiker.

Geo-Engineering-Projekte gegen den Klimawandel; die öffentlichen Masturbations-Marathons, die ein US-amerikanischer Club für wohltätige Zwecke veranstaltet. Die Werbestrategie von Starbucks Coffee: Slavoj Zizeks saftige Beispiele, sein assoziatives Mäandern, seine leidenschaftlichen Übertreibungen - das mag nicht akademisch fuselfrei sein. Aber im Ergebnis, dort wo seine Gedankenbögen hinzielen, tun sich überraschende Zusammenhänge auf - und Möglichkeiten, wie man etwas bewegen könnte. Anders gesagt: Slavoj Zizek liefert nicht nur Landkarten der politischen Gegenwart, er stellt auch Wegweiser auf.

So., 12.07.2015 - 19:48 Permalink
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Dr. Streiter So., 12.07.2015 - 21:44

Antwort auf von Oskar Egger

Die Theorie hinter einer Bewegung ist interessanter als die Ideologie zu die sie unweigerlich wird. Die Theorie hat dabei oft kein unmoralisches Fundament. Das ist eigentlich nur beim Nazismus zu finden.
Auch der Neoliberalismus eine Theorie und wird als solche als Ideologie gelebt. Radikale Neoliberale gibt es besonders in den USA, wo unter Studenten das genauso schick ist wie hier der Marxismus. Für Linke wie Oktavia Brugger ist er jedenfalls ein Stellvertreter-Zeichen für das Systemisch Böse in der westlichen Welt. Reflexartig werden in den Begriff Bedeutungen hineingepackt die der Bedeutung von Neoliberalismus unmittelbar widersprechen. Staatismus, Korporatismus und Neokonservatismus sind moderne Strömungen nichtlinker Politikauffassung die einfach im verbeigehen zu 'Neoliberal' umgewertet (Schäuble sei ein Neoliberaler, LOL). Das Neoliberale wird eine Weltverschwörung, eine unsichtbare Macht, die für mich bedenkliche Paralellen zu der der Protokollen der Weisen von Zion aufweisst. Zizek und Lacan könnte auch hier schizophren rizhomatische Mäanderteppiche zu legen, seine Lacankanone gegen die eigene Leute zu richten fällt ihm natürlich nicht ein. Wir sehen wer den Diskurs beherrscht. Zizek und Co sind die Hegemonie. Zizek ist dabei sogar unterhaltsam.

So., 12.07.2015 - 21:44 Permalink
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Oskar Egger Mo., 13.07.2015 - 09:23

Antwort auf von Dr. Streiter

Also ich habe nirgends auch nur Hinweise auf das "Systemisch Böse" gesehen, genausowenig wie auf eine Weltverschwörung. Im Gegenteil, mir scheint wieder einmal mehr, daß jede andere (und schon allein deswegen abgelehnte) Meinung zu pauschalen Abwertungen führt, nicht aber zu einer inhaltlich weiterführenden Diskussion. Zizek, aber vor allem Lacan als schizophren rizhomatische Mäanderteppich webende Entertainer zu bezeichnen bedeutet für mich nur, sich nicht einmal die Mühe gemacht zu haben, sie in ihren Überlegungen zu verstehen (was, zugegeben, auch oft mühsam ist.) Für den Horizont kann man da noch Luce Irigaray empfehlen...auch sie braucht Konzentration.

Mo., 13.07.2015 - 09:23 Permalink
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Oskar Egger Mo., 13.07.2015 - 09:42

Antwort auf von Oskar Egger

Hier eine kurze, recht verständliche Überlegung Zizek' s über die es sich durchaus lohnt, wertungsfrei zu reflektieren: "Die Schuldenanbieter und -verwalter beschuldigen die verschuldeten Länder, sich nicht schuldig genug zu fühlen – sie werfen ihnen vor, sich unschuldig zu fühlen. Ihr Drängen entspricht genau dem, was die Psychoanalyse als Über-Ich bezeichnet: Wie Freud klar gesehen hat, ist es das Paradox des Über-Ichs, dass wir uns umso schuldiger fühlen, je mehr wir uns seinen Forderungen beugen. Wie bei einem grausamen Lehrer, der seinen Schülern unmögliche Aufgaben stellt und dann sadistisch frohlockt, wenn er ihre Panik sieht. Wenn man einem Schuldner Geld leiht, besteht das wahre Ziel nicht darin, den Kredit mit Gewinn zurückgezahlt zu bekommen, sondern in der unbegrenzten Verstetigung der Schuld, die den Schuldner in permanenter Abhängigkeit und Unterordnung hält, jedenfalls die meisten Schuldner, denn es gibt Schuldner und Schuldner.

Nicht nur Griechenland, auch die Vereinigten Staaten werden nicht einmal theoretisch in der Lage sein, ihre Schulden zu bezahlen, wie inzwischen öffentlich anerkannt wird. Es gibt mithin Schuldner, die ihre Gläubiger erpressen können, weil sie zu groß sind, als dass man sie scheitern lassen könnte (Großbanken), Schuldner, die die Bedingungen ihrer Schuldentilgung kontrollieren können (die US-Regierung), und schließlich Schuldner, die man herumschubsen und demütigen kann (Griechenland)."

Mo., 13.07.2015 - 09:42 Permalink
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Dr. Streiter Mo., 13.07.2015 - 12:07

Antwort auf von Oskar Egger

Die "Weltverschwörung" liegt daran den Eurogruppen-Partner "Neoliberalismus" vorzuwerfen. Das ist absurd da sie absolut institutionalistisch Handeln. Wie schon gesagt wird der Begriff gedankenlos dahingeworfen/ hat mit neoliberaler Theorie nix am Hut der ja im Kern gegen Institutionen wie IMF und ECB ist. Die Gedankenlosigkeit ist nicht Bruggers Verdienst sondern hat in der Linken System. Neoliberalismus wird umgedeutet und meint in der neuen Fassung (1) konservative Politik, oder (2) gegen die Menschen gerichtete Partikulärinteressen einiger weniger Grosskonzerne, (3) gesteuerte Politiker die eben diesen dienen.
Diese Umdeutung führt vor Augen welche diskursive Macht die Linke hat.
Meine Bemerkungen zu Zizek sind nicht spöttisch gemeint. Allerdings würden ein Grossteil seiner Postulate einer epistemischen Untersuchungen nicht standhalten. Für mich kein Wunder, wenn man Psychologie mit Marxismus mischt. Beides bedeutende Pseudowissenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts.

Mo., 13.07.2015 - 12:07 Permalink
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Martin Daniel So., 12.07.2015 - 21:39

- Soll der Wählerwille von 2% der Eurozonen-Bevölkerung mehr zählen als jener in anderen Staaten? Die Griechen können von Glück reden, dass anderswo nicht Referenden über die Fortsetzung der Transferzahlungen abgehalten wurden. Die Verhandler von gar einigen Staaten stehen unter enormem innenpolitischen Druck, allen voran die baltischen und der finnische, der riskiert seine Regierungsmehrheit zu verlieren.
- Wenn links zu sein bedeutet, dauerhaft (siehe z.B. https://en.m.wikipedia.org/wiki/Greek_government-debt_crisis#) auf größerem Fuß zu leben, als man sich leisten kann, konstant mehr zu importieren als zu exportieren (Krugman!) und diesen Gap durch Auslandsverschuldung zu finanzieren, dabei die heimische Produktion massiv zurückzufahren und dem Volk mehr Wohltaten zukommen zu lassen, als man erwirtschaftet, um dann, wenn irgendwann das mathematisch Unvermeidliche hereinbricht, weitere Umverteilungsmaßnahmen vom Ausland zu erbeten/fordern, dann braucht es nicht zu wundern, dass genau solche Staaten in der Regel pleite gehen: Argentinien, Venezuela, Griechenland - Alles Opfer des Neoliberalismus? Vielmehr eines Links-(aber auch Rechts-) Populismus, der die Bevölkerung über Jahre einlullt und falsche Tatsachen vortäuscht. Ein guter Freund und Argentinien-Kenner erzählt davon, dass ein Bademeister in Argentinien kurz vor dem Staatsbankrott 2003 an die 1.500 Us-Dollar im Monat verdiente und die tollsten Reisen in die damals für uns teure USA unternehmen konnte.
- Ich sehe nur eine Form das Syriza-Sozialstaats-Modell zu finanzieren: über die eigene Druckerpresse. Und dann droht ein Szenario wie in den beiden genannten südamerikanischen Staaten, in denen die Kaufkraft der einfachen Bürger dermaßen schwindet, dass die Regierungen die Inflations- und Wechselkurstatistiken fälschen. Übrigens eine Forderung auf dem heutigen Gipfel: ein unabhängiges Elstat!
- Trotz allem hoffe ich, dass es zu keinem Grexit kommt.

So., 12.07.2015 - 21:39 Permalink
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Christian Mair So., 12.07.2015 - 22:28

Antwort auf von Martin Daniel

Das Anwerfen der Druckerpresse ist mittels QE der EZB bereits erfolgt und hat zweifelsohne zu einer vorübergehenden Stabilisierung der Banken?-Euro?-Staatsschulden?krise beigetragen. Jenseits von Links-Rechtsgrabenkämpfen und volkswirtschaftlichen empirischen Ansätzen müssen politische Lösungen gefunden werden. Griechenland ist kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem.
Welche Lösung soll sich durchsetzen?
Jene die sich "zuhause" im eigenen Nationalstaat am besten verhöckern lässt oder jene die die Fehler nicht bei den anderen sucht sondern politische Lösungen auf EU-Ebene anstrebt.

- Federalise/cancel part of #Eurozone states' debt + reinforce € governance
https://twitter.com/pietrodematteis/status/617998916999581696
-Fiskalunion?
- Steueroasen trockenlegen
......

Übrigens divergiert auch innerhalb Amerika die Kaufkraft.
http://taxfoundation.org/sites/taxfoundation.org/files/%24100%20Map.png

So., 12.07.2015 - 22:28 Permalink
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Martin Daniel Mo., 13.07.2015 - 11:35

Antwort auf von Christian Mair

- Ich meinte die griechische Druckerpresse als spezifisches Mittel für das Syriza-Sozialmodell - jene der EZB läuft bereits auf Hochtouren, hat den Politikern viel Zeit und den Südländern (vorübergehende?) Erleichterung für ihren Schuldendienst gebracht.
- "Jenseits von Links-Rechtsgrabenkämpfen ... müssen politische Lösungen gefunden werden" - vollkommen d'accord!
Griechenland ist m.E. aber sehr wohl AUCH ein ökonomisches Problem: Welchen Euro hätten wir, wenn mehrere Mitgliedsländer sich so verhielten? Welche Position käme Europa in einer globalisierten Welt zu, in der die großen Player (Nordamerika, China, Indien + X) einen unglaublichen Wettbewerbsdruck ausüben? Das Modell Griechenland zwänge uns geradezu die Wiedereinführung von Zöllen auf während der Rest der Welt immer mehr zusammenrückt. (Wir könnten natürlich die Asiaten und die Amerikaner bitten, sie mögen doch bitte bitte ihre Sozial- und Umweltstandards drastisch erhöhen, hohe Löhne zahlen, hohe Steuern auf die Produktion einheben oder noch besser ihren Unternehmen gebieten, innerhalb der eigenen Staatsgrenzen zu operieren und unsere Märkte in Ruhe zu lassen, dann wäre wieder alles gut.)
- Ja, nehmen wir GR zum Anlass, endlich die EU zu vertiefen. Sie ist zu schnell nach außen gewachsen und zu wenig nach innen vertieft worden. Es braucht eine neue Governance mit föderalen Kompetenzen im fiskalischen Bereich, um Steuer- und Haushaltspolitik mit der Geldpolitik zu koordinieren und Brüssel wirtschaftspolitisch für die gesamte Union handlungsfähig zu machen. Und, und da hat Oktavia Brugger durchaus recht, auch andere Ansätze in der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Die Amerikaner machen es vor - allerdings mit null Rücksicht auf soziale und ökologische Verluste. Wir brauchen eine EU-weite Öffentlicheit, ein demokratisches Bewusstsein, das über die nationalen Grenzen hinausgeht. Paradoxerweise hat das GR-Drama vielleicht zum ersten Mal Bürger auf dem ganzen Kontinent über ein höchst politisches, die gesamte EU betreffendes Thema inbrünstig diskutieren lassen.
- die Kaufkraftschwunde von Venezuela oder Argentinien sind überhaupt nicht vergleichbar mit jenen westlicher Länder, es handelt sich um Hyperinflationen: im Mai betrug sie VEN 108%, in ARG 2014 24% laut offiziellen Angaben, inoffiziell wird sie weit höher gesschätzt.

Mo., 13.07.2015 - 11:35 Permalink
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Andreas Pöder So., 12.07.2015 - 22:37

Tsipras scheint ein netter Kerl zu sein, ein linker Ideologe, ein begnadeter Populist. Dass er nicht in die europäische Machtelite passt, lässt man ihn natürlich spüren. Dass er wohl auch ein längere Lernphase für seinen schwierigen Job gebraucht hätte, ist auch evident. Tsipras ist dem Irrtum erlegen. mit seinem Populismus nicht nur das griechische Volk sondern auch die gesamte europäische Öffentlichkeit zu blenden.
Dabei war er gar nicht einmal schlecht gestartet. Die mafiösen Vorgängerregierungen und die griechische Unbekümmertheit im Umgang mit dem öffentlichen Gut haben den Schaden verursacht. Tsipras hätte einfach den europäischen Machteliten einige Zugeständnisse abringen und aus der Krise heraus in aller Ruhe ein neues Griechenlamd bauen können.
Aber Europas linke Populisten jubelten ihrem neuen griechischen Helden zu und der genoss es. Das sind jene europäischen linken Populisten, die entweder keine Regierungsverantwortung tragen oder in ihren Ländern nicht die Schwierigkeiten haben, die Tsipras zu bewältigen hat. Er war ihr Held. Und als er dann noch das Referendum ankündigte, weil er mit seinem Griechisch am Ende war und das ultimative Mittel des Populismus wählte, erhielt Tsipras sogar noch den Beifall mancher antieuropäischer extremer Rechter. Hier hätte Tsipras stutzig werden müssen. Aber er regierte ja selbst von Anfang an mit einer extremen Rechten Partei. Den größten Kniefall vollzog Tsipras nicht in Brüssel, die größte Demütigung erfuhr er in Athen: Tsipras kroch vor seinem rechten Verteidigungsminister Kamenas und den Generälen zu Kreuze und versprach ihnen, den bizarr hohen Verteidigungshaushalt nicht zu kürzen. Europas Linke übersehen das bis heute und feiern Tsipras nach wie vor als Helden. Dabei hat er sein Volk in die Irre geführt, hat ihnen einen Rettungring hingeworfen der sich letztlich als Bleigewicht entpuppt, das Griechenland in den Abgrund zu reißen droht.
Erst jetzt, im Moment seines totalen Scheiterns, beweist er erstmals staatsmännisches Format: Er lässt sich nicht mehr von den jubelnden Heldenrufe. der europäischen Linken blenden sondern betreibt zum ersten Mal Realpolitik, indem er sein Scheitern eingesteht und die europäische Hilfe, die jetzt natürlich vor allem ein europäisches Diktat ist, annimmt. Er denkt wohl zum ersten Mal wirklich an sein Volk und nicht an die besten Schlagzeilen. Und europas Linke: Die beginnen sich langsam von ihrem Helden abzuwenden. Er hat den Drachen nicht besiegt, deshalb ist er jetzt nicht mehr ganz so die schillernde Gestalt. Der tragisch gescheiterte Drachentöter sitzt mit all den europäischen Schreckenshestalten an einem Tisch und versucht sein Land, sein Volk zu retten. Für die Griechen bleibt zu hoffen, dass Tsipras nicht noch einmal den Sirenengesängen der linken Populisten Europas erliegt. Und diese europäischen Linken? An deren Urteilsfähigkeit muss man nun mehr zweifeln, als je zuvor. Und sie haben eines deutlich gemacht: Das Volk, in diesem Falle das griechische Volk ist ihnen wurscht, so lange es nur darum geht, ideologische Grabenkämpfe führen zu können.

So., 12.07.2015 - 22:37 Permalink