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Foto: LPA/Fabio Brucculeri
Chronik | Aus dem Blog von: Gerhard Mumelter

Verleumdung als Form der Politik

Roberto Calderoli beschimpft Immigrationsministerin Cécile Kyenge als Orang-Utan. Beppe Grillo verleumdet seine Gegner als Arschgesichter und Zombies. In einer Politik, die Andersdenkende zu Feinden stempelt und in der persönliche Abrechnungen die Sachpolitik ersetzen, sind infame Verleumdungen allgegenwärtig.

Roberto Calderoli hat Mühe, in die Zeitungen zu kommen. Die Glanzzeiten, da die rüden Lega-Recken in Pontida vor Tausenden jubelnder Anhänger kräftig vom Leder ziehen konnten, sind vorüber. Die Partei steht am Abgrund, das enttäuschte Fußvolk wendet sich ab. Doch in Treviglio bei Bergamo lief der bullige Ex-Minister auf einem Parteifest im Grilldunst gebratener salsicce noch einmal zur Hochform auf. Als Angriffsziel wählte er Integrationsministerin Cécile Kyenge, die ihm in dreifacher Hinsicht für einen Tiefschlag geeignet schien: sie ist schwarz, Frau und Immigrantin. Die kongolesische Ärztin erinnere ihn an einen Orang-Utan, donnerte Calderoli. Die infame Verleumdung ist Ausdruck der Hilflosigkeit: eine Partei, deren großspurige politische Ziele von der Sezession bis zum federalismo fiscale kläglich gescheitert sind, sieht in rüder Ausländerfeindlichkeit ihre letzte Chance.

Peinliche Auftritte

Calderoli gehört zur Riege der politischen Versager, die Italien in zwei Jahrzehnten an den Rand des Abgrunds geführt haben. Die Liste seiner peinlichen Entgleisungen ist lang. 2006 mußte er als Minister zurücktreten, nachdem er sich im Fernsehen in einem T-Shirt mit islamfeindlichen Karikaturen präsentiert hatte. Beim anschließenden Angriff empörter Muslime auf das italienische Konsulat in Bengasi kamen elf Menschen ums Leben. Für Empörung sorgte auch seine Feststellung, die "Homo-Kultur habe Padanien zu einem Tummelplatz von culattoni" gemacht. Als Heilmittel für Pädophile empfahl er eine Schere, Italiens WM-Sieg über Frankreich führte er 2006 auf den Umstand zurück, daß die Franzosen ein "Team von Negern, Muslimen und Kommunisten" ins Feld geschickt hätten. Seinen absoluten Gehorsam gegenüber dem langjährigen Lega.Chef Umberto Bossi kleidete der 55-jährige Bergamaske in bildhafte Worte: "Wenn er mir befiehlt, von der Brücke zu springen, dann springe ich." Calderoli ist Autor des ruinösen Wahlrechts, das Italiens Parlament lähmt und das er selbst als "porcata" wertete. Nach seinen zahlreichen Entgleisungen mußte die Villa des Ex-Ministers bis vor kurzem von acht Polizeibeamten bewacht werden - auf Staatskosten.

Politisches Schlachtfeld

Calderolis Weigerung, als stellvertretender Senatspräsident zurückzutreten, setzt Cécile Kyenge Souveränität und ein beispielhaftes Verständnis ihrer institutionellen Rolle entgegen. Trotz täglicher Attacken und Beschimpfungen geht sie jeder Polemik aus dem Weg. In keinem anderen EU-Land ist die Verleumdung so zum Mittel der Politik verkommen wie in Italien. Ihr unerreichter Meister ist Beppe Grillo, der sich rühmt, über 80 Gerichtsverfahren am Hals zu haben. Sein Blog ist ein Tummelplatz von Hitzköpfen, die politischen Gegnern und internen Dissidenten unverhohlen drohen: "Wir wissen, wo du wohnst und welche Schulen deine Kinder besuchen. Du kommst nicht ungeschoren davon". "Du bist es nicht wert, angespuckt zu werden", mußte sich die Senatorin Adele Gambara sagen lassen. Die ausgetretene Senatorin Paola De Pin erstattete gegen einen Parteikollegen Anzeige wegen massiver Drohungen. Die Politik ist zum Schlachtfeld verkommen - ein Klima, in dem der Fall Kyenge zur Belastungsprobe für die Regierung wird , nachdem die Lega Lettas Rücktrittsforderung an Calderoli  abgelehnt hat.

Weltweiter Schaden

Die ohnedies schwache Regierung schafft es im täglichen Pulverdampf nicht, aus den Turbulenzen zu kommen. Entgleisung wie jene Calderolis bringen das Land weltweit in ungünstige Schlagzeilen. Auch die Abschiebung von Alma Schalabajewa nach Kasachstan ist ein willkommener Vorwand für innenpolitische Abrechnungen. Matteo Renzi stellt der Regierung täglich die Rute ins Fenster. Im Partito Democratico bekriegen sich in Erwartung des entscheidenden Parteitags verfeindete Fraktionen, deren Töne kaum vermuten lassen, daß sie Mitglieder derselben Partei sind. Der gusto dell'insulto ist zum Alltagsprodukt verkommen - wohl kaum zum Vorteil der Politik.

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Harald Knoflach Di., 16.07.2013 - 11:50

die taktik der "dehumanisierung" und der "entindividualisierung" ist in der tat angsteinflößend. wenn menschen mit tieren verglichen werden und pauschal in gruppen mit unschmeichelhaften bezeichnungen (abschaum, gesindel usw.) eingeteilt werden, dann sinken die hemmschwellen. dies schafft die nötige distanz, die grausamkeit ermöglicht bzw. erleichtert. im prinzip ist das ganze ähnlich dem milgram-experiment.

Di., 16.07.2013 - 11:50 Permalink
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Harald Knoflach Di., 16.07.2013 - 12:39

Antwort auf von Harald Knoflach

vom genozid sind wir zwar noch meilenweit entfernt und auch die korrektive des demokratischen systems funktionieren noch halbwegs. d.h. cardoli sieht sich von institutionellen vertretern mit einer welle der entrüstung und mit rücktrittsaufforderungen (denen er gefälligst nachkommen sollte) konfrontiert. dennoch ist die entmenschlichung ein anfang und ein tabu, das niemals auf gesellschaftliche akzeptanz fallen darf.

Di., 16.07.2013 - 12:39 Permalink
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Sylvia Rier Di., 16.07.2013 - 16:12

zeigt das absolut souveräne Verhalten von Frau Kyenge - what a Lady! - wie sehr Calderoli mit seiner unverschämten Titulierung doch irrt, und stellt jedenfalls den Beleidiger in ein noch schlechteres Licht, als er es selbst schon getan hat. Chapeau, Madame!

Di., 16.07.2013 - 16:12 Permalink
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Harald Knoflach Di., 16.07.2013 - 20:38

Antwort auf von Sylvia Rier

ich finde auch, dass ihre reaktion souverän war. die persönliche entschuldigung nimmt sie an, befreit ihn jedoch nicht von der institutionellen verantwortung als vize-senatspräsident. das amt ist weiterhin beschädigt und einziger moralisch richtiger schritt wäre der rücktritt. doch so viel moral werden wir uns nicht erwarten können. so etwas wie rücktrittskultur gibt es in italien leider nicht. allessandra mussolini meinte auch einmal öffentlich: "meglio fascista che frocio". für einen rücktritt als parlamentarierin reichte eine derartige aussage nicht.

Di., 16.07.2013 - 20:38 Permalink
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Giancarlo Di., 16.07.2013 - 21:20

Naturalmente le dimissioni di Calderoli non sono arrivate, sia perché in Italia non usa, come dice Harald Knoflach, sia perché altrettanto naturalmente lui si è sentito al sicuro e protetto dalla "solidarietà" che in parlamento gli hanno espresso esponenti di Lega, PdL e destre italiane varie. Il premier Enrico Letta ha tentato di "fare la faccia feroce" e di ricordare ai suddetti personaggi quanto sia disonorevole una simile condotta, ma penso proprio che le dimissioni non arriveranno nemmeno nei prossimi giorni. Che comunque saranno dedicati alla sentenza della Cassazione su Silvio Berlusconi prevista per il 30 luglio. Ubi maior.....

Di., 16.07.2013 - 21:20 Permalink
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no name Mi., 17.07.2013 - 10:08

Ich habe die Entwicklung beobachtet, erlaube ich mir zu behaupten: angefangen hat der Stil in den Neunzigern mit den Rappern...da kamen die Kinder aufeinmal mit Ausdrücken wie Motherfacker daher und fanden dies Songs cool und während ich Eminem noch als engagierten Heroen enordnen konnte...ist der ganze Rest postheroische Dekadenz, wie B.Heinzlmayer das Phänomen bezeichnet. Wenn man sich die zur Schau gestelleten Fotos auf Facebook anschaut, sieht man, wohin die Entwicklung geführt hat: es ist cool, den Stinkefinger zu zeigen, die Zunge unmißverständlich herausbaumeln zu lassen, die Unterhosen herunterzulassen usw. Mein Sinn für Esthetik hat sich da längst schon verabschiedet, auch vor Tatoos, mit den Namen aller Ex-en auf rasierten Männerarmen oder Pircings in allen nur auffindbaren Körperöffnungen und-teilen. Es ist schlicht und einfach nicht schön, denn auch hierfür gibt es Richlinien nicht nur persönliche Urteile. Was die Politik daraus macht, sieht man jetzt. Grillo war ein 68er, daher hat er allerhand Heroisches, der Rest ist der Jugend abgeschaut (heute normal wie Heinzlmayer in "Styler, Performer, Egoisten" recherchiert).

Mi., 17.07.2013 - 10:08 Permalink
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Editorial Salto Mi., 17.07.2013 - 13:48

Antwort auf von no name

WerteR Blogger/in,
wir haben Ihren Kommentar gelöscht, da Sie darin die Netiquette von salto verletzt haben.
Wir bitten Sie wie alle UserInnen, diese zu lesen, damit salto.bz für offene Diskussionen ohne Beleidigungen stattfinden können, besonders dann, wenn die Meinungen nicht geteilt werden.

Es grüßt
Demos2.0

Mi., 17.07.2013 - 13:48 Permalink
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Frank Blumtritt So., 21.07.2013 - 01:19

Antwort auf von no name

Da kann ich dir nicht ganz folgen. Die Jugend ist immer eine notwendige Reaktion auf die vorhergehenden Generationen gewesen und "die Jugendlichen" sind auch niemals eine homogene Gruppe, sondern auch unter ihnen gibt es authentische Diamantspitzen und Mitläufer. Letztere werden heute leider mehr noch als früher Opfer der Konsumgesellschaft, die aus Allem eine "Mainstream-Suppe" zu kochen versucht.
Übrigens: Wenn ich mich recht erinnere, hatten die Eltern der 68er-Bewegung auch schon so ihre Probleme mit Ästhetik und Schönheit...

So., 21.07.2013 - 01:19 Permalink
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no name Mi., 17.07.2013 - 12:22

Die Bezugnahme von Harald auf das Milgram-Experiment gefällt mir, weil das ein sehr aussagekräftiges Experiment war. Auch wenn ich meine (wie in meinem mit minus bewerteten Kommentar ersichtlich), dass es sich hier weniger um die in allen Mensch verborgene Grausamkeit handelt, das wohl auch, sondern ganz schlicht und einfach um einen Verfall der Sitten, der sich mittlerweile durch alle Parteien, Gesellschafts- und Altersgruppen zieht. Geanu das ist es weshalb so mancher wieder dafür ist, dass Ethik Unterrichtsfächer an allen Schule werden. Die gutbürgerlichen Chinesen schicken ihre Sprößlinge zuhauf in die Konfuziusschule. Und was lernen sie da?? Als erstes Respekt vor Eltern und Erwachsenen, das sind die Anfänge!! Und das gibt es in unseren Breitengraden immer weniger, aber: wie schon Lao Tse sagte, keine Sorge, denn "sind sie leichten Sinns, verlieren sie den Rückhalt, sind sie ohne Ruhe, verlieren sie die Herrschaft", denn eine gute Rede, hat keine Leere, also wozu die Aufregung? das regelt sich von selbst!

Mi., 17.07.2013 - 12:22 Permalink
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no name Mi., 17.07.2013 - 16:14

Stellungnahme zu scheints Gelöschtem: Tut mir sehr leid, wenn sich jemand veletzt gefühlt hat durch meine Äußerungen, denn das will ich nicht. Ich möchte aufzeigen, dass der allgemeine Trend in Richtung öffentliche Unverblümtheit geht, da ordne ich solche Äußerungen ein und dies ist kein guter Komunikationstil ist. Das fängt schon mit den Kindern an, die heute schon im Volkschulalter Schimpfwörter aller Art gegen ihre Eltern einsetzen und diese bedrohen. Dann kommt die Jugend und der Umgangston und Verhaltensmodus ist ähnlich nur noch agressiver. Zum Schluß kommt noch mancher etwas Senile aus der Seniorengeneration hinzu, der sich durch diese Derbheit Zugehörigkeit verschaffen will und, wie wir an manchen Politikern beobachten konnten, es fehlt nicht nur hier, sowieso schon jede Art von Scham in der Öffentlichkeit, das fällt mir auf. Aber vielleicht seh ich das ja ganz falsch und es geht hier um etwas ganz anderes, um Razzismus oder neofaschischtisches Gedankengut.

Mi., 17.07.2013 - 16:14 Permalink
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Profil für Benutzer no name
no name Mi., 17.07.2013 - 16:20

Mir ist auch aufgefallen, dass die Verleumdung und die Lüge in der Öffentlichkeit generell zugenommen hat und dass es zunehmend menschen gibt, die die Evidenz abstreiten und deren Mission es ist, den anderen in ein schlechtes Licht zu rücken. Auch die auf salto gezeigte Umfrage hat ergeben, dass allgemein das Mißtrauen in den Mitmenschen zugenommen hat. Ich finde diese Entwicklung gesamt gesehen bedenklich.

Mi., 17.07.2013 - 16:20 Permalink
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Frank Blumtritt So., 21.07.2013 - 00:56

Man muss hier sehr vorsichtig sein, nicht zu verallgemeinern. Die verschiedenen enfants terribles wie Berlusconi, Bossi, Calderoli, Sgarbi, Grillo, uva. gehörten schon immer in die italienische Politiklandschaft, sind aber keinesfalls stellvertretend für die italienische Politik insgesamt, oder gar für die italienische Gesellschaft. Vielleicht sind sie sogar Ausdruck eines extremeren Demokratieverständnisses, als in vielen anderen europäischen Ländern. Nüchterne Korrektheit alleine ist noch lange kein Zeichen von Demokratieverständnis. Ich denke, dass die weise Ministerin Kyenge das sehr genau weiß und daher ebenso gelassen über den Dingen steht, wie viele andere italienische Bürger.
Ob das Phänomen der "Verleumdung" im Zunehmen ist, weiß ich nicht, habe aber eher nicht das Gefühl. Überhaupt ist der Ausdruck hier falsch gewählt, da das Orang-Zitat keine Verleumdung, sondern vielmehr eine Beschimpfung, oder Verunglimpfung ist. Verleumdung setzt eine unwahre Behauptung über eine Person voraus, mit dem Ziel diese zu schädigen. Letztere wird auch gesetzlich weitaus höher geahndet als eine Beschimpfung.
Heuchlerisch finde ich, wenn sich einige europäische Staaten, oder gar die EU selbst, die Zeit nehmen, über Calderoli schockiert zu sein, aber keinen Ton zur Snowden-Affaire mit Flugverbot und Asylanträgen verlieren.

So., 21.07.2013 - 00:56 Permalink