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Erdbeben unter der Nordkette

Der Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter wirft überraschend das Handtuch. Kommt es im Herbst zu vorgezogenen Neuwahlen in Tirol? Die Hintergründe eines Abschieds.
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Foto: Salto.bz
Günther Platter zeigt Emotionen. Als der Nordtiroler Landeshauptmann gegen 12.30 Uhr zusammen mit Toni Mattle am Sitz der Tiroler Volkspartei in der Villa Blanka Innsbruck vor die Presse tritt, versucht er, die Anspannung zu überspielen. Doch man sieht es dem ÖVP-Politiker an, der seit 14 Jahren als Regierungschef die Geschicke des Bundeslandes Tirol leitet, dass dieser Rückzug nur halbfreiwillig erfolgt. 
"Es bin überzeugt, dass es der richtige Zeitpunkt ist", sagt Günther Platter, "es ist einfach genug: Ich werde als Landeshauptmann nicht mehr antreten".
Kurz vorher ist die Ära Günther Platter zu Ende gegangen. Der amtierende Landeshauptmann hat am Montag dem ÖVP-Parteivorstand nach 36 Jahren in der aktiven Politik seinen Rückzug angekündigt. Platter wird bei den kommenden Landtagswahlen nicht mehr antreten. Gleichzeitig schlägt der scheidende Landeshauptmann Wirtschaftslandesrat Toni Mattle als seinen Nachfolger vor. Zudem will die ÖVP die für Frühjahr 2023 angesetzten Landtagswahlen um ein halbes Jahr vorziehen. Als möglicher Termin wird der 25. September gehandelt.
Es ist eine Art Politerdbeben, das Nordtirol erschüttert. Es war der Chefreporter der Tiroler Tageszeitung (TT), Peter Nindler, der am Sonntagabend als erster den Scoop lancierte. Es ist ein Schritt, der selbst für Eingeweihte völlig überraschend kommt. Denn bis Sonntag hatte alles noch völlig anders ausgesehen.
 

Angriff der Wirtschaft

 
Günther Platter ist als Landeshauptmann seit langem nicht unumstritten. Es war vor allem die Nordtiroler Wirtschaft, die gegen den ehemaligen Polizeibeamten immer wieder Stimmung gemacht hat.
Allen voran der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Walser. Der gelernte Speditionskaufmann und Bürgermeister von Thaur hat in den drei Jahren seiner Amtszeit immer wieder nicht nur Platters Transitpolitik offen kritisiert. Vor allem die Koalition mit den Grünen ist der Tiroler Wirtschaft ein Dorn im Auge. Politischen Beobachtern ist klar, dass Walser und die Nordtiroler Wirtschaftskreise Günther Platter aus dem Amt drängen wollen.
Deutlich verschärft hat sich dieser ÖVP-interne Konflikt mit dem Rückzug der damaligen Wirtschaftslandesrätin Patrizia Zoller-Frischauf im Mai 2021. Zoller-Frischauf hatte - laut eigenen Angaben - bereits bei der Regierungsbildung erklärt, zur Halbzeit der Legislatur in den Landtag zu wechseln. Sicher ist: Damit wurden die Angriffe von Walser & Co auf Platter noch einmal intensiver.
 
 
Gleichzeitig musste auch vor allem auf Druck der Wirtschaft der damalige Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg gehen. Er stolperte über einen Labor-Skandal, der auch dem Landeshauptmann nachhaltig zugesetzt hat.
Dass Günther Platter nicht den favorisierten Christoph Walser zum neuen Wirtschaftslandesrat machte, sondern den damalige Landtagsvizepräsident Toni Mattle, war eine klare Kampfansage gegen seine Kritiker und Gegner aus der Wirtschaft.
Vor allem aber beendete Günther Platter vor einigen Monaten die anhaltenden Angriffe aus den Wirtschafts- und auch Bauernbundkreisen mit einer absolut coolen Haltung. „Ich trete bei den Landtagswahlen 2023 wieder an“, verkündete der Landeshauptmann.
Damit schien alles gelaufen.
 

Umfragen & Koalitionspartner

 
Doch seit Sonntagabend ist alles wieder anders. Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren.
Günther Platters überraschender Rückzug dürfte mit der aktuellen Krise in der Volkspartei zusammenhängen. Mit dem Absturz des Kanzlers Sebastian Kurz ist auch das türkise Experiment gescheitert. Die ÖVP liegt zustimmungsmäßig am Tiefpunkt ihrer Parteigeschichte. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte ist österreichweit eine Mehrheit von SPÖ, Grünen und Neos ohne die Volkspartei rechnerisch möglich.
Der Kurz-Sturzflug hat natürlich auch Auswirkungen auf das Standing der Tiroler Volkspartei. So sorgte eine Umfrage der Tiroler Tageszeitung (TT) im Dezember 2021 für Schockwellen bei Landeshauptmann Günther Platter & Co. Laut dieser Umfrage stürzt die ÖVP in Tirol von 44 auf 32 Prozent ab. Inzwischen hat die Volkspartei zwar wieder einige Prozentpunkte dazugewonnen, dass bei den kommenden Landtagswahlen aber noch eine 4 vorne stehen wird, hält man selbst in VP-Kreisen für ein Wunder.
 
 
Aber auch die personellen Veränderungen beim Koalitionspartner, den Tiroler Grünen, dürften Platters Entschluss bestärkt haben. Bereits im März 2022 hatte die Spitzenfrau, amtierende Verkehrslandesrätin und Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe erklärt, bei den Landtagswahlen 2023 nicht mehr anzutreten. Das Duo Platter-Felipe hatte äußerst gut zusammengearbeitet. Die Chemie zwischen den beiden Koalitionspartner stimmt.
Ausgerechnet an diesem Sonntag haben die Tiroler Grünen auf ihrem Parteitag in Kufstein ein neues Führungsduo für die nächsten Landtagswahlen nominiert. Gebi Mair und die stellvertretende Landessprecherin Petra Wohlfahrtstätter werden die Ökopartei als Spitzenduo in die Landtagswahlen führen.
Gebi Mair hat als Fraktionschef die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP maßgeblich mitgestaltet. Günther Platter weiß, dass mit Mair nicht so leicht Kirschen essen sein wird und die Angriffe der Wirtschaft auf den Koalitionspartner damit eher zu- als abnehmen werden.
Auf der Pressekonferenz dementierte Günther Platter diese Lesart. "Ich kenne Gebi Mair seit langem, wie haben 9 Jahre gut zusammengearbeitet", sagt der scheidende Landeshauptmann, "dieser Wechsel bei den Grünen hat nichts mit meiner Entscheidung zu tun".
 

Der Überraschungscoup

 
Dabei kommt Günther Platters Schachzug nicht nur für den Koalitionspartner völlig überraschend, der Landeshauptmann hat auch den Großteil seiner Partei mit seinem angekündigten Rückzug düpiert.
Nach Recherchen der TT trommelte Günther Platter am Sonntagnachmittag seine engsten Vertrauten bei sich zusammen: Klubchef Jakob Wolf, Landeshauptmannstellvertreter und Bauernbundchef Josef Geisler sowie VP-Geschäftsführer Martin Malaun. Platter teilte ihnen mit, dass er aus privaten Gründen nicht mehr für die Landtagswahlen kandidieren möchte. Zugleich schlug er Wirtschaftslandesrat Toni Mattle als seinen Nachfolger vor - auch an der Parteispitze.
 
 
Toni Mattle hat als Bürgermeister von Galtür nach dem schrecklichen Lawinenunglück von 1999 internationale Bekanntheit erlangt. Der 59-jährige Radio- und Fernsehtechniker sitzt seit 2003 im Landtag und soll jetzt zum neuen ÖVP-Spitzenkandidaten, Parteichef und Landeshauptmann in Personalunion aufsteigen. "Ich habe es mir nicht leicht gemacht"; sagt der designierte Platter-Nachfolger auf der Pressekonferenz, "aber es war ein starker Vertrauensbeweis, dass es einstimmige Beschlüsse heute im Parteivorstand gegeben hat.
Weil auch in Tirol der Bauernbund eine beherrschende Macht ist, war es von Anfang an für Günther Platter wichtig, bei dieser Rochade den Bauernbund mit ins Boot zu holen. Das gelang am Sonntag auch. Platter konnte seinen Stellvertreter und Landwirtschaftslandesrat Josef Geisler, dem selbst Ambitionen auf die Platter-Nachfolge nachgesagt werden, als Unterstützer gewinnen. Schwieriger war es, die Wirtschaft von seinem Plan zu überzeugen. Laut TT weihte Platter
Wirtschaftsbundchef Franz Hörl in seinen Plan ein. Dieser sei alles andere als begeistert gewesen. Der Wirtschaftsbund fühlte sich von diesem Paukenschlag vor den Kopf gestoßen. Es kam zu hektischen Telefonaten und Debatten vor allem mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser. Dieser forderte, dass Günther Platter sofort zurücktreten müssen. Am Ende kommt man aber zum Schluss, Platters Vorschlag zu unterstützen. „Allerdings mit der Faust im Hosensack“, meint die TT.
 
 

Vorgezogene Neuwahlen

 
In der Debatte mit dem Wirtschaftsvertretern einigte man sich aber auch auf einen Kompromiss. Die ÖVP will die Landtagswahlen vom Frühjahr 2023 auf September 2022 vorziehen. Das hat am Montag auch der ÖVP-Parteivorstand einstimmig abgesegnet.
"Ich werde jetzt mit allen anderen Parteien Gespräch führen, um die Landtagswahlen vorzuziehen", erklärt Toni Mattle am Montag.
Ob dieser Plan aber aufgeht, ist noch fraglich. Denn für die Verschiebung der Landtagswahlen braucht es im Landtag eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Noch ist keineswegs klar, ob die grünen Koalitionspartner diese  Absicht mittragen.
Aber selbst dann reichen die Stimmen der Volkspartei und der Grünen nicht für eine Zweidrittelmehrheit. Das heißt, man wird die FPÖ oder die SPÖ von den vorgezogenen Landtagswahlen erst überzeugen müssen.
Ob das gelingt?
 

Druck auf Kompatscher?

 
Die Ausläufer des Politerdbebens unter der Nordkette werden aber auch in Südtirol spürbar sein. Mit Platters überraschendem Rückzug steigt auch der Druck auf Arno Kompatscher. Der Südtiroler Landeshauptmann lässt seine Entscheidung, ob er bei den Landtagswahlen 2023 wieder antritt, noch offen.
Die jüngsten Entwicklungen innerhalb der SVP haben Kompatscher weiter mehr ent- als ermutigt, eine dritte Amtszeit anzuhängen. Nach dem SAD-Skandal wurde von oben herab zwar Frieden unterm Edelweiß verordnet, doch die Grabenkämpfe gehen unter der Decke ungebremst weiter.
 
 
Kompatscher hat weder in der Landesregierung noch in der SVP-Fraktion eine Mehrheit. Es ist inzwischen zum beliebten Volkssport in der SVP geworden, den Landeshauptmann und seine Getreuen immer wieder bewusst auflaufen zu lassen. Die GIS auf Zweitwohnungen oder der Bettenstopp sind nur die Spitze des Eisberges.
Vor allem aber ist die Weigerung der SVP-Fraktion, ernsthaft über eine Berufung eines neuen Sanitätslandesrat von außen zu diskutieren, mehr als nur ein klarer Misstrauensantrag gegenüber dem Landeshauptmann. Man drängt damit Kompatscher bewusst in eine Sackgasse und hofft, dass er auf die Nase fällt.
Der SAD-Skandal hat zwar Arno Kompatscher und Philipp Achammer zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, doch innerhalb der Kompatscher-Gegner mehren sich nun die Stimmen, dass man mit den Landeshauptmann auch den Parteiobmann mit entsorgen könnte.
Platters halbfreiwilliger Rückzug wird für diese Kreise in Südtirol jetzt als Blaupause dienen, um den Druck auf den Landeshauptmann noch einmal deutlich zu erhöhen.
Ob Arno Kompatscher dem standhält, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.