Società | Zusammenleben

Abwehrkampf im Kindergarten

Erster Probelauf für die neue Kriterien für nicht-muttersprachliche Kinder bei der Anmeldung für den deutschen Kindergarten. Zurück bleiben irritierte Eltern.
Mutter-Kind
Foto: Screenshot

Im vergangenen Sommer wurden die politischen Weichen gestellt, in dieser Woche wurde der neue Kurs erstmals gefahren: In den vergangenen fünf Tagen konnten Eltern in Südtirol Kinder, die innerhalb Februar 2019 das dritte Lebensjahr vollenden, in den Kindergarten einschreiben. Ein eigentlich formaler Akt, der in diesem Jahr aber vor allem bei so mancher nicht-deutschsprachiger Familie, die ihren Nachwuchs in deutschsprachige Einrichtungen einschreiben wollte, für Aufregung und Irritation sorgte. Grund dafür? Das Fünf-Punkte-Paket, das die Landesregierung im vergangenen Juli beschlossen hat, um noch rechtzeitig fürs Wahljahr 2018 die explosive Frage zu entschärfen, wie viel viele nicht-deutschsprachige Kinder der deutschsprachige Kindergarten verträgt.

Eine Frage, die angesichts der verfassungsmäßig geschützten Wahlfreiheit von Eltern bei der Kindergartenwahl wenig Spielraum lässt. Den allerdings versuchte man nun im Rahmen der Anmeldungen maximal auszunutzen, legen die Erzählungen einiger Familien nahe, die sich in der salto-Redaktion gemeldet haben. Familien, die in Bozen leben und ihre Kinder zweisprachig, Italienisch oder in einem Fall auch in einer Drittsprache aufziehen und die vor allem ihretwegen anonym bleiben wollen. Obwohl jede Familie ihre eigene Geschichte hat, haben alle ein gemeinsames Anliegen,  mit dem sie in der vergangenen Woche allesamt auf die eine oder andere Art von Widerstand gestoßen sind: den Wunsch, das eigene Kind so früh wie möglich mit der deutschen Sprache vertraut zu machen und Brücken zur deutschen Sprachgruppe zu schlagen. Einige überzeugt auch das pädagogische Konzept der deutschsprachigen Kindergärten mehr als jenes der italienischen. Immer wieder fällt vor allem bei Nicht-Zweisprachigen Eltern das Schlagwort „Zukunft unserer Kinder“.

„Ich glaube, die Zeit ist wirklich reif, dass unsere Kinder in beiden Landessprachen aufwachsen können“, sagt ein italienischsprachiger Vater, der seinen Sohn mit seiner deutschsprachigen Frau zweisprachig aufzieht. „Meine Eltern hatten sich bereits für mich einen deutschsprachigen Kindergarten und eine Schule gewünscht, doch damals musste man dafür noch einen deutschsprachigen Elternteil haben“, meint eine Mutter. „Nun dagegen möchte ich zumindest meinen Kindern ermöglichen, von Beginn an in beiden Sprachen zu Hause zu sein.“ Auch für Familien aus anderen Ländern ist der deutsche Kindergarten immer öfter erste Wahl: „In Südtirol wird einfach mehr Deutsch als Italienisch gesprochen“, sagt eine Mutter aus Osteuropa. „Und wir wollen, dass unser Kind hier später gut zurechtkommt und es danach auch in eine zweisprachige Schule schicken.“

"Was machen Sie dann hier?" 

Klare Ansagen, die jedoch bei der Aufnahmeprozedur nicht auf sonderliches Interesse gestoßen zu sein scheinen. Vor allem Eltern, die schlecht oder gar nicht Deutsch sprechen, wurden laut eigenen Angaben mehr oder weniger offen dazu aufgefordert, sich besser an einen italienischsprachigen Kindergarten zu wenden. „Das Schlimmste war die Vorstellung im Kindergarten selbst“, erzählt eine Mutter. „Dort hat man mir auf meine Frage, ob sie mir einige Auskünfte auf Italienisch geben könnten, weil ich nicht ausreichend gut Deutsch spreche, mit der Gegenfrage geantwortet: Was machen Sie dann hier?“ Sie hat ihr Kind nun tatsächlich in einen italienischsprachigen Kindergarten eingeschrieben. „Denn bei der Anmeldung hat man mir nun noch einmal gesagt, dass ich mein Kind nicht einschreiben kann, wenn nicht zumindest irgendjemand in der Familie deutscher Muttersprache ist.“

Den breitesten Disagio unter den nicht-deutschsprachigen Eltern verursachten die sogenannten Beratungsgespräche, die heuer erstmals im Rahmen der Einschreibung durchgeführt wurden. Sprich: die Eltern mussten sich im Zuge der Anmeldung, die in Bozen in der deutschen Kindergartendirektion in der Brennerstraße statt wie bisher im jeweiligen Kindergarten selbst stattfand, einer Befragung unterziehen. „Niemand von uns war auf Basis der Informationen zur Einschreibung darauf vorbereitet, dass man hier im Zuge der Anmeldung so etwas wie einen Test ablegen muss“, kritisierte eine Mutter danach. Tatsächlich mussten die Eltern die Fragen eines vorgefertigten Fragebogens beantworten, die vom Verwaltungspersonal während des Gesprächs ausgefüllt wurden.

Umstrittene Beratungsgespräche

Eine Maßnahme, die Schullandesrat Philipp Achammer bereits im vergangenen Juli unter dem Schlagwort Beratungsgespräche angekündigt hatte. Mit der Begründung, dass Eltern künftig bei der Anmeldung stärker als bisher darauf hingewiesen werden sollen, „wie viel Sprachbegleitung und -förderung für ihr Kind möglich ist“. Vielmehr fühlten sich einige Eltern aber selbst auf der Sprach-Prüfbank. Sofern möglich, wurde die Fragen zu Sprachkenntnissen und Familiensituation auf Deutsch geführt. Auch Elternteile, die ihre Kinder mit einer deutschsprachigen Partnerin oder Partner zweisprachig aufziehen oder bereits im Besitz der Zweisprachigkeitsprüfung sind, wurden dabei zum Beispiel nach ihrer Bereitschaft gefragt, einen Deutschkurs zu absolvieren.  „Auf unsere Nachfrage, warum es diese Befragung braucht, hat man uns erklärt, dass man die Gründe erheben will, warum italienischsprachige Familien den deutschen Kindergarten wählen und eine bessere Dienstleistung garantieren will“, erzählt eine Mutter. Dabei sei ihr versichert worden, dass ihre Antworten bzw. ihre Kompetenzen in der deutschen Sprache keine Auswirkungen auf die Aufnahme des Kindes haben. „Warum aber wird die Befragung dann nicht anonym durchgeführt und statt dessen der Kindergartenanmeldung für mein Kind beigelegt“, fragt nicht nur sie.

„Bei der Zweisprachigkeitsprüfung sitzt man zumindest qualifizierten PrüferInnen gegenüber“, kritisierte ein anderes Elternpaar. „Bei dieser Befragung urteilt dagegen zum Teil normales Verwaltungspersonal, zum Teil wenigstens Kindergartenpädagoginnen über unsere Sprachkompetenzen und unsere Eignung, das eigene Kind in den deutschen Kindergarten zu schicken.“ Nach welchen Kriterien wird hier entschieden, auf welcher Basis wird unsere Wahlfreiheit in Frage gestellt, sind Fragen, die von den Eltern aufgeworfen werden. „Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum mir bei einer Anmeldung, die wir uns als Familie gut überlegt haben und auf die wir ein Recht haben, ungefragt Ratschläge gegeben werden“, sagt eine Mutter.

Verschlossene Türen

In den Raum gestellt wird auch der Vorwurf, dass widersprüchliche oder falsche Informationen gegeben würden, um Einschreibungen zu verhindern.  „Mir wurde bei einem ersten Informationsgespräch zu Wochenbeginn ausdrücklich von einem Kindergarten abgeraten und ein anderer empfohlen“, erzählt eine Mutter als Beispiel. „Als ich diesen bei der Anmeldung als erste Präferenz angab, wurde mir dann gesagt, dort gäbe es ohnehin keine freien Plätze mehr.“ Generell berichten gleich mehrere Eltern darüber, dass man ihnen mehrmals nahegelegt habe, besser einen italienischen Kindergarten auszuwählen, weil sie im deutschen voraussichtlich ohnehin keinen Platz bekommen würden.  

„Ich bringe mein Kind nur aus sprachlichen Gründen einmal in der Woche zu einer deutschsprachigen Tagemutter, ich gehe mit ihm in deutschsprachige Theateraufführungen – und auch wenn alles getan wird, um uns zu entmutigen, bleiben wir bei unserer Entscheidung“, meint eine Mutter. Sie kenne aber gleich mehrere Familien, die sich unter diesen Rahmenbedingungen doch für den italienischsprachigen Kindergarten entschieden haben. „Ich bin wirklich enttäuscht“, sagt ein Vater. „Wir machen einen Schritt auf die deutschsprachige Welt zu und stoßen auf verschlossene Türen.“ Dabei sei es nicht so, dass sie kein Verständnis für konkrete sprachliche Probleme in den Kindergärten habe, sagt eine Mutter. „Doch ich denke nicht, dass dies eine korrekte Art ist, um sie zu lösen“, meint sie. „Denn mit solchen Maßnahmen wird das Zusammenleben der Sprachgruppen ganz sicher nicht gefördert.“