Politik | Eröffnung

Der Gotthardtunnel kann den Brenner entlasten...

... wenn die Politik will. Die heutige Eröffnung des Gotthardtunnels ist ein epochaler Erfolg der Schweizer Verkehrspolitik. Nicht nur die Schweiz wird dadurch entlastet.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die heutige Eröffnung des Gotthardtunnels ist ein epochaler Erfolg der Schweizer Verkehrspolitik. Nicht nur die Schweiz wird dadurch entlastet, sondern auch der transalpine Transitverkehr insgesamt nachhaltig beeinflusst. Es öffnen sich neue Chancen, den Umwegverkehr abzubauen.

Die Schweizer werden mit diesem längsten Eisenbahntunnel der Welt einen beträchtlichen Anteil des LKW-Verkehrs über den Gotthard auf die Schiene verlegen können, allerdings zu höheren Gebühren. Das ist ganz im Sinn des Verursacherprinzips, wenn der LKW-Transit gleichermaßen gesteuert werden kann. Für die heutigen Nutzer des Gotthards ist diese Route heute schon der beste, also kürzeste Weg. Anders gesagt: der Gotthard hat fast keinen Umwegverkehr im Unterschied zum Brenner. Das Problem liegt somit darin, dass hunderttausende LKW jährlich einen Umweg wählen, weil die Schweiz eben teurer ist.

Ganz anders sieht dies am Brenner aus, wo laut Jahresbericht „Verkehr in Tirol 2011“ nur 45% des Güter-Transitverkehrs damit den besten Weg nimmt. 2009 waren 27% des Güterverkehrs über den Brenner Umwegverkehr, 28% Mehrwegverkehr. 55% der LKW über den Brenner nehmen für diese Route einen mindestens 60 Km langen Mehrweg in Kauf, weil sie Kosten sparen, auf der anderen Seite aber damit die Umwelt über Gebühr belasten. Würde der LKW-Transit nach dem Bestwegprinzip (kürzeste Route) gelenkt, wie Verkehrsexperte Claudio Campedelli hier aufzeigt, müsste der Gotthardpass 63% mehr Verkehr aufnehmen, der Brenner könnte 29% des heutigen LKW-Verkehrs abgeben.

Mit der heutigen Eröffnung des Gotthard-Tunnels ist erstmals die technische Kapazität vorhanden, einen ganz erheblichen Teil des Brenner-LKW-Transits auf den Bestweg zu lenken, nämlich über die Schweiz und zwar umweltfreundlich auf der Bahn. Das Verlagerungspotenzial ist enorm, denn der Brenner-LKW-Transit könnte allein dadurch um ein Drittel gesenkt werden.

Wird der neue Gotthard-Tunnel diese Verlagerung bewerkstelligen können? Wird dieses Jahrhundertbauwerk eine gesamtalpine Bestweg-Strategie einleiten und dadurch andere Röhren überflüssig machen? Nur wenn die Verkehrspolitik lenkend eingreift, könnte eine solche Rechnung aufgehen, unterstreicht auch Campedelli. Das Verkehrsabkommen EU-Schweiz erlaubt nämlich der Schweiz, den LKW-Verkehr streng zu deckeln und in den Bahntunnel zu zwingen. Genau diese politische Kernvorgabe fehlt heute beim Brennertransit und für den zukünftigen BBT. Wenn der LKW-Transit in ökologisch verträglichem Maß nach Schweizer Muster gedeckelt würde und beim Güterverkehr auf allen zentralalpinen Transitbahnstrecken (Gotthard, Brenner, Tauern) dieselben Kosten und Gebühren pro Kilometer anfielen, würde der Umwegverkehr automatisch reduziert. Bei der Bahn gibt es keine Maut- und Treibkostenvorteile, die heute hunderttausende LKW auf einen Umweg über den Brenner locken.

In einer zwischen den Alpenländern abgestimmten Strategie kann die Bahn kostengünstiger werden, die Bemautung hingegen teurer, um den Frächtern mehr Anreize bieten, den Bestweg zu wählen. Interessant ist dabei, dass mit dem neuen Gotthard-Tunnel die bestehenden Transportkapazitäten über die großen Alpentransversalen leicht ausreichen, um den alpenquerenden Güterverkehr aufzunehmen, und zwar auch ohne BBT. Eine Verkehrspolitik mit Weitblick müsste an die Bestwegstrategie anknüpfen und den Güterverkehr entsprechend lenken. Das wäre ökologisch, aber auch ökonomisch vernünftiger.

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Martin B. Do., 02.06.2016 - 06:01

Sehr interessant. Partikularinteressen bzw. Freier-Markt-EU-Lobby-Druck werden wohl eine Hausverstands-Lösung verhindern.

Do., 02.06.2016 - 06:01 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 02.06.2016 - 09:37

Wir sollten nicht vergessen, dass die Schweiz den Tunnel fast zur Gänze selbst finanziert hat, mehr zum Selbstschutz als im Eigeninteresse und das in Vorleistung ohne dass Deutschland und Italien die Zulaufstrecken in Richtung Rotterdam und Genua merklich aufgerüstet hätten. Hierzulande verwehrt sich derweil die Hälfte der Gesellschaft gegen späten BBT, während sich die andere Hälfte brüstet, das fremdfinanzierte, 10 Jahre späte Projekt zu ermöglichen. Hat es nicht auch etwas Unmoralisches, den Schweizern als Dank dafür mehr Transit aufzulasten? Als schweizer Leser würde ich mir bei diesen Gedankenspielen so meinen Teil denken.

Do., 02.06.2016 - 09:37 Permalink
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Christoph Moar Fr., 03.06.2016 - 09:42

Antwort auf von Benno Kusstatscher

"Hat es nicht auch etwas Unmoralisches, den Schweizern als Dank dafür mehr Transit aufzulasten? Als schweizer Leser würde ich mir bei diesen Gedankenspielen so meinen Teil denken."

Konterfrage: Hat es nicht auch etwas Unmoralisches, den Bewohnern der Brennerroute 2mio LKWs aufzudrängen, von denen die Hälfte reiner Umwegverkehr ist, der nur wegen der günstigeren Tarife die Strecke wählt?

Fr., 03.06.2016 - 09:42 Permalink
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Christoph Moar Fr., 03.06.2016 - 16:14

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Verstehe ich immer noch nicht. Aber vielleicht habe ich den Kern des Artikels oder des Kommentars missvertanden. Ich probiere zusammenzufassen:

1)
Die Hälfte der LKWs müssten über Chiasso fahren. Tun sie aber nicht, weil wir die billigsten sind (wofür die Schweiz nix kann). Benedikter weist darauf hin und meint "Mit der heutigen Eröffnung des Gotthard-Tunnels ist erstmals die technische Kapazität vorhanden, einen ganz erheblichen Teil des Brenner-LKW-Transits auf den Bestweg zu lenken, nämlich über die Schweiz und zwar umweltfreundlich auf der Bahn".

2)
Du schreibst "Hat es nicht auch etwas Unmoralisches, den Schweizern als Dank dafür mehr Transit aufzulasten?".

Und ich kapiere echt nicht, warum das unmoralisch ist, die LKWs, die über die Schweiz fahren müsste, auch dort fahren lassen zu wünschen, wie es Benedikter tut.

Wo liegt mein Hund begraben?

Fr., 03.06.2016 - 16:14 Permalink
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Benno Kusstatscher Sa., 04.06.2016 - 10:38

Antwort auf von Christoph Moar

Stell Dir einfach zwei Eichhörnchen vor: eines ist faul und das andere sammelt für den Winter. Bei nahemden Winter sagt das faule: teilen ist gerecht. Die Scheizer haben in die eigene Tasche gegriffen, um den Gotthardtunnel zu bauen, um die lokale Bevölkerung zu entlasten, nicht um noch mehr Transit anzuziehen. Es ist wie mit der Vinschgerstraße: wird sie ausgebaut, fließt noch mehr Verkehr. Finanzieren Vinschger Gemeinden zum Selbstschutz ein paar Ortsumfahrungen selber und hinterher sagt die öffentliche A22, jetzt gibt es ja dort Kapazitäten, lass uns die Klausner entlasten, dann fände ich das bedenklich.

Sa., 04.06.2016 - 10:38 Permalink
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Christian Mair Mo., 06.06.2016 - 22:14

Antwort auf von Christoph Moar

@BennoKusstatscher:
Der Begriff "Unmoralisch" hat einiges an Kontroverse in der Debatte aufgeworfen. Besser wäre es wohl diesen Begriff mit dem aus der Mode gekommenen Wort "Solidarität" zu tauschen. Schnell wird dann klar, um was es geht:

Beispiel Flughafen Innsbruck:
Wie viele Touristen, die in Innsbruck landen, kommen nach Südtirol? Die Landespolitik lehnte kürzlich im Gegenzug die wiederholt vorgebrachte Idee einer gemeinsamen Dachmarke für Marketing einer alpinmediterranen (wow!) Destination ab. Nicht mal die patriotischen Opposition gibt hier einen Protestbrief ab.

Anstatt den Schweizern und den amici-Brüdern, die Pyramiden in der Wüste bauen, den Peter zuzuschieben, muss es darum gehen, die geplanten und bereits realisierten Strukturen durch politische Entscheidungen und steuerliche Anreize auf Schiene zu bringen. Die Alpenkonvention bietet den internationalen, die Autonomie vielleicht den regionalen Rahmen zu einer Umsetzung. So könnte Nachhaltigkeit aussehen.

Mo., 06.06.2016 - 22:14 Permalink
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gorgias Fr., 03.06.2016 - 14:42

Antwort auf von Benno Kusstatscher

@Kusstatscher
Die Schweiz profitiert über die bilateralen Abkommen mit der EU über eine Zollunion die erleichtert Waren zu Im- und Exportieren und weitere nichttarifäre Handelshemmnise löst. Das Verursacht in vielen Staaten der Europäischen Union zu Transitverkehr so wie alle Staaten es erleiden müssen die an wichtigen Transitrouten liegen.
Soll die Schweiz also nur von dem freien Warenverkehr profitieren aber alle daraus enstehenden Nachteile an die Nachbarregionen abwälzen können?

Durch den letzten Volksentscheid haben die Schweizer den freien Personenverkehr aufgekündigt. Nun ist die Schweiz in Nachverhandlung mit der EU für Anpassungen der Verträge an den Volkswillen. Ich hoffe dass es hier zu keiner Übereinkunft kommt und durch die Guilliotineklausel alle Abkommen hinfällig werden.

Danach ist es vorbei mit der Rosinenpickerei der Eidgenossen und wenn sie merken dass diese Situation ohne der EU nicht so rosig für die Schweiz ist wird es bei Neuverhandlungen ganz anders aussehen.

Fr., 03.06.2016 - 14:42 Permalink
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Albert Mairhofer Do., 02.06.2016 - 16:16

ich habe den Schiffskanal und die Einschienen-Hängebahn vor fast 10 Jahren - in der Ära von Staa und Durnwalder - vorgebracht, doch ersterer ließ die dafür notwendige Wasserüberleitung nach Südtirol nicht zu und somit hatte auch Altlandeshauptmann Durnwalder seine Ausrede, dass es zum BBT keine Alternative gäbe, außer "Träumereien", wie Sie diese Initiativen bezeichnen. Die Phobie gegen Alternativen zum BBT scheint sich nun auch bei den heutigen Politikern fortzusetzen, wie man aus folgendem Schreiben heraushören kann.

"Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Dr. Kompatscher,

ich beziehe mich auf die kurze Besprechung vom 30.05.2016 im Landtag. Sie haben sich dabei dahingehend geäußert, dass es die von der Tirol-Adria K.G. mit dem ergänzten Antrag vom 30. März 2016 vorgebrachten Anwendungen, noch nirgends gäbe, und zwar:
- PV-Überdachung der Autobahn zur Erzeugung erneuerbarer Energie bei gleichzeitiger Nutzung der Struktur für Strom- und Datenleitungen und zur Elektrifizierung der Autobahn,
- Betrieb einer Einschienen-Hängebahn bei gleichzeitiger Nutzung dieser Schiene als Lauf-, Leit- und Stromschiene zur Elektrifizierung und Automatisierung der Autobahn, und zwar auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor;
- Hochgeschwindigkeits-Hängebahn über der 2. oder 3. Autobahnspur.
Sie haben recht, denn in dieser Kombination gibt es diese Anwendungen wirklich nicht. Gerade hier möchte ich anknüpfen. Sie haben das Ressort Innovation inne und erst vor kurzer Zeit wurde IDM (Tis-Innovation) ins Leben gerufen, das die institutionelle Aufgabe hat, Südtiroler bei der Entwicklung neuer Produkte und Ideen zu unterstützen. Davon möchte ich Gebrauch machen und da die Verkehrswege und die entsprechenden Infrastrukturen in öffentlicher Hand sind, ist es sicher auch im Interesse des Landes Südtirol, IDM damit zu beauftragen."

Die Kosten der Einschienen-Hängebahn -EHB- gegenüber einer traditionellen Eisenbahn können um weit mehr als die Hälfte reduziert werden und wenn die Synergien optimal genutzt werden, können die Kosten gegenüber einer neuen Hochgeschwindigkeitsbahn auf 1/10 reduziert werden.
Das Ergebnis wäre:
- eine beinahe abgasfreie Autobahn mit um viele Dezibel weniger Lärm;
- Strom- und Datenleitungen, auch über den Brenner;
- eine Hochgeschwindigkeits-Hängebahn, die über der Autobahn - an einer Schiene hängend - dahinschwebt und keine zusätzliche Umweltbelastung verursacht. Der Antriebsstrom wird auf dem darüberliegenden Dach erzeugt!
Innovation soll nicht nur in Sonntagsreden vorkommen, sondern gefördert und angewandt werden. Bestehende Infrastrukturen sollen besser genutzt werden, bevor neue mit hohem Investitionsaufwand und zweifelhaftem Erfolg verwirklicht werden.
Hier ein Video einer Einschienen-Hängebahn:
https://www.youtube.com/watch?v=fXXN9aCbmQM&feature=youtu.be

Do., 02.06.2016 - 16:16 Permalink
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Fritz Gurgiser Fr., 03.06.2016 - 07:56

Zunächst nur der Ordnung halber: Ich möchte niemanden beleidigen, aber einen Beitrag mit Zahlen aus 2009 ... zu unterlegen; das ist in der heutigen schnelllebigen Zeit schon fast Steinzeit. Über den Brenner rollen mittlerweile rund 1,1 Millionen Transit-Lkw, die nicht die "kürzeste Route" wählen. Und anscheinend kommt niemand außer uns auf die Idee, nachzufragen, warum. Daher zum wiederholten Mal: Schaut euch die "Anlockungstransitpolitik" der Länder Bayern (Sozialtarif für Lkw, keine Schutzmaßnahmen), Nordtirol (gleicher Lkw-km-Tarif wie die Schweiz, Nachtfahrverbot etc., zur Kompensation aber an jeder Autobahnausfahrt eine Billigdieseltankstelle), Südtirol und Trentino (Sozialtarif für Lkw, keine Schutzmaßnahme). Damit ist alles gesagt.
"Sag mir, wo die Transitbekämpfer sind, wo sind sie geblieben?" könnten wir bald einen Text von Marlene Dietrich umändern, wenn wir an die Strecke vom Brennerpass bis Verona denken.
Die Schweiz hat halt nun ihren Gotthardtunnel - ein technisches Meisterwerk, ohne Zweifel. Dass sie aber jede Lkw-Ladung durch die Schweiz massiv SUBVENTIONIEREN muss, wird verschwiegen. Ist das intelligente Verkehrspolitik? Für uns nicht. Und, lieber Benno, mach dir bitte keine Sorgen um die Schweizer Leser - mach dir lieber Sorgen um die Hunderttausenden, denen Tag für Tag in unseren engen "Transit"Gebirgstälern die Luft verpestet, ihr Garten/Balkon/Terrasse verlärmt wird und denen Grund und Boden neben der Autobahn finanziell entwertet wird. Das ist unsere Aufgabe und nicht der Blick auf einen Drittstaat, der nicht einmal das geschafft hat, was sogar Italien geschafft hat: Die Ratifizierung des Durchführungsprotokolls Verkehr der Alpenkonvention. So bleibt die europäische Transitstrategie klar und deutlich: Durch die Schweiz - von den Schweizern hochsubventioniert - ein großer Teil auf der Bahn und über den Brenner - von uns allen nördlich und südlich hochsubventioniert auf der Straße.
Fazit1: Solange sich die Diskussion nur darum dreht, ob mehr oder weniger Transit durch die Schweiz oder über den Brenner rollt, statt sich mit der eigenen verlogenen Transitanlockungspolitik zu befassen, solange bleibt die Situation wie sie ist - der BBT wird ohnedies nicht zum "Verlagern von Güterverkehr" gebaut, sondern ist ein interessantes Modell für "amici-investment" - "Verlagern von Steuergeld an internationale Tunnelbaukonzerne".
Fazit2: Solange nicht einmal zwischen Kufstein und Salurn die gleichen Maßnahmen gelten, ist jede Diskussion obsolet. Eduard Wallnöfer würde wie folgt formulieren: "Suchen's die Verräter nicht in Wien, Rom, Brüssel oder sonst wo, sondern zuerst in den eigenen Ländern".
LG
Fritz Gurgiser

Fr., 03.06.2016 - 07:56 Permalink
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Benno Kusstatscher Fr., 03.06.2016 - 15:36

Antwort auf von Fritz Gurgiser

Danke, dass du dir über die Prioritäten meiner Sorgen Gedanken machst. Verstehe aber nicht, warum das eine das andere ausblenden sollte. Das eigentlich Problem ist Fazit2, keine Frage, wobei jeder für sich definieren mag, wer die Guten und wer die Verräter sind. In einem belluneser Forum diskutiere ich gerade mit Leuten, die fest davon überzeugt sind, dass nur eine Alpen-querende Alemagna den wirtschaftlichen Tod ganzer Täler abwenden kann. Der Brenner ist unser Fluch und unser Segen. Immer schon. Es wär halt Zeit, dass wir endlich eine moderne Formel dafür finden könnten.

Fr., 03.06.2016 - 15:36 Permalink
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Fritz Gurgiser Fr., 03.06.2016 - 17:16

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Darüber können wir gerne einmal diskutieren, schließlich habe ich ja schon 1988 in der Cusanus-Akademie auch einem Kusstatscher beizubringen versucht, dass wir nördlich und südlich des Brenner die gleichen Maßnahmen zur Entlastung brauchen. Hat bis heute nichts genützt, ist halt so.
Der Brenner ist auch nicht "Fluch oder Segen", auch so ein Sager ohne Inhalt.
Es sind die verkehrs- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die den Lkw-Transit auf den Brenner locken wie ein Kuhdreck die Fliegen anlockt, wenn du das vielleicht verstehst und die können wir mit politischem Druck beeinflussen und da fehlt eben seit Jahrzehnten das, was wichtig wäre: Der gemeinsame Druck entlang der Brennerstrecke.

Und wer heute noch auf die Alemagna als Wirtschaftsfaktor denkt, lebt in der Steinzeit - die Zeit, in der Schnellstraßen oder Autobahnen wirtschaftliche Erfolge gebracht haben, sind Geschichte. Sie werden nur dazu genützt, jeden Winkel des alpinen Raumes noch schneller zu erreichen, um die gesunden lokalen Strukturen zu zerstören und stattdessen all das anzubieten, was woanders billigst produziert wird - Kaufkraft, Steuern und Abgaben ade.
Wer die Täler erhalten will, muss dafür sorgen, dass die Arbeit wieder in die Dörfer und Gemeinden kommt und nicht immer schneller ausgelagert wird und die Jungen immer schneller fortfahren können - mit dem Pkw oder dem vom Steuerzahler finanzierten günstigen Pendlerticket. Beispiele gibt es mehr als genug.
Da kannst du dich auch in der Schweiz erkundigen, wie schnell jetzt die Pendler durch den Lötschberg weiter weg fahren und hinten die Lücken hinterlassen, die dann wieder über sündteure Strukturerhaltungsprogramme krampfhaft aufrecht gehalten werden müssen.
Die zeitgemäße oder moderne Formel lautet schlicht und einfach, dass die Priorität auf den Schutz des alpinen Raumes und seiner gewachsenen Strukturen gelegt wird und nicht darauf, mit immer mehr Milliarden Steuergeld immer mehr Straßen oder Schienen zu bauen, damit die Alpen möglichst schnell durchquert werden können. Nicht von uns, sondern von denen, die in Hamburg oder Rotterdam Container auf Lkw's verladen und sie dann in Genua wieder auf ein Schiff zu verbringen. Und alles "Just-in-time" und alles "Für Sie unterwegs", obwohl sie alle vorbeifahren. Zeit, diesen wirtschaftlichen Selbstmord zu beenden, der schon heute unseren Kindern und Enkeln genau den Lebensraum ruiniert, den wir geerbt haben, würde ich meinen.
LG
Fritz Gurgiser

Fr., 03.06.2016 - 17:16 Permalink
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Fritz Gurgiser Fr., 03.06.2016 - 13:08

Sie haben vollkommen Recht - aber es geht doch in dieser Frage seit Jahrzehnten nicht um's "Denken", sondern um Klientelbefriedigung.
Die einen wollen Milliarden für ihre Tunnelprojekte - "amici-investments".
Die einen wollen "Freie Fahrt von einem Billiglohn- und -steuerland" in das andere - hilft einer Minderheit von Industrien, schadet einer Mehrheit von systemerhaltenden Kleins-, Klein- und Mittelbetrieben aller Branchen.
Die einen reden seit 1.1.1993 von einem "Binnenmarkt" und übersehen dabei geflissentlich, dass die Grundvoraussetzung für einen Binnenmarkt ein fairer Wettbewerb mit harmonisierten Steuern und Abgaben auf hohem Niveau ist - die Folge: Höchste Arbeitslosigkeit und höchste Staatsschulden und höchstes Hin- und Hergekarre von Gütern oder Halbfertigprodukten kreuz und quer durch Europa. Weil immer noch der "Grundirrtum des grenzenlosen Wirtschaftswachstums" angebetet wird, obwohl das größte Wachstum Arbeitslosigkeit, Schulden und Müllberge aufweisen.
Und wir am Brenner bezahlen als erste in unseren engen Gebirgstälern mit dem Verlust von Gesundheits- und Lebensqualität, der Entwertung von Grund und Boden sowie dem Verlust gut bezahlter Arbeitsplätze in allen Branchen.
All das ist nicht neu - neu ist Tag für Tag, mit welchen Unsinnigkeiten sich genau die befassen, die von uns gewählt wurden und sich per Eid verpflichtet haben, die Anliegen von Bevölkerung und Wirtschaft bestmöglich zu vertreten. Aber das ist eine andere Geschichte, die einfach zu erklären ist: Zuerst kommen vor Wahlen Bürgerinnen und Bürger und nach Wahlen die Partei und wieder die Partei und wieder die Partei - seien wir aber, wenn wir's so machen, wie einst Reinhold Stecher getitelt hat "Schauen, was hinter den Bergen haust", sehr froh, dass wir uns das "leisten" können und nicht von zu Hause davon laufen müssen, keine Angst um Frauen und Kinder haben zu müssen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Noch.
Damit belasse ich es, denn es ist schade um die Zeit, all dies immer wiederholen zu müssen, kommende Woche starten wir wieder durch, denn die Kunstpause nach den Wahlen zum Bundespräsidenten, einer Regierungsumbildung etc., die wir einlegen mussten, hat uns wenig Freude gemacht; dafür aber wieder hungrig.
LG
Fritz Gurgiser

Fr., 03.06.2016 - 13:08 Permalink
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Thomas Benedikter Fr., 03.06.2016 - 22:06

Ein Dank dem Gurgiser für seine klaren Worte (auch für den Hinweis auf die etwas alten Zahlen aus dem Tiroler Verkehrsbericht, der Umwegverkehr hat jedenfalls weiter zugenommen).
Zum einen führt ja der Bestweg über den Gotthard obendrein möglichst auf der Bahn, zum andern wollen vermutlich auch die Schweizer ihre 180 Züge täglich (in der Endausbaustufe 260 Cargo-Züge täglich) auslasten. Die Schweiz verursacht nicht den Umwegverkehr über den Brenner, sondern der Brenner mit seinen Dumpingpreisen vor allem auf der Italien-Seite. Aber die Schweiz erleidet den Transit genauso wie wir, kann ihn aber als Nicht-EU-Land eben anders steuern als wir (LKW-Deckelung, Schwerverkehrsabgabe, Verpflichtung für Frächter, den Bahntunnel zu nutzen).
Der Gurgiser hat schon recht: wir sollten uns weniger Sorgen um die Schweizer machen, als versuchen, es ihnen gleich zu tun, was in der EU weit schweiriger ist (Lissabon-Vertrag verbietet Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs auf der Straße). Die Schweizer können es sich leisten, den Transit hochsubventioniert durch Tunnels zu schleusen. Bei uns wird der LKW-Transit subventioniert über die Straße geschleust. Dabei ist die heutige Brennerbahn-Lastenkapazität bei Weitem nicht ausgeschöpft. Mit der Bestwegstrategie könnte man mit den heutigen Kapazitäten zurande kommen. Doch zeichnet sich ab, dass in 10 Jahren mit dem BBT eine Überkapazität besteht, die bei Weitem nicht ausgelastet sein wird.

Fr., 03.06.2016 - 22:06 Permalink
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Christian Mair Sa., 04.06.2016 - 00:07

Antwort auf von Thomas Benedikter

Eine Ebene wie die Alpenkonvention muss die Verlagerung auf die Schiene garantieren und zwar jetzt. Gemeinsam mit der Schweiz könnte die Euregio daran arbeiten Zubringersysteme auf Schiene zu bringen, ganz im Sinne eines "green new deal" inkl. Stromversorgung-und Speicherung- und Übertragung mittels HGÜ. Die Regionlisierung der Produktion von Nahrungsmitteln, Energie, Kleidung kann eine gelebte Strategie der Verkehrsvermeidung und Verhinderung von Abwanderung sein.

Sa., 04.06.2016 - 00:07 Permalink
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Profil für Benutzer Fritz Gurgiser
Fritz Gurgiser Sa., 04.06.2016 - 11:44

Noch einmal in Kürze:
1) Die Schweiz hat ihre rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten genutzt, um den Gotthard-Tunnel zu bauen.
2) Der Schweiz ist es nicht gelungen, Druck auf die Verursacherländer im Norden und Süden zu machen, ihre Vereinbarungen und Versprechen umzusetzen, die Zu- und Ablaufstrecken vor allem in Holland, Deutschland, Italien zeitgleich fertig zu stellen (Parallelen zum BBT sind nicht zufällig, sondern stehen seit 1.1.1995 im Beitrittsvertrag der Republik Österreich mit der damaligen EG ). Ihr braucht euch nur die Diskussionen in Bayern oder im Bozner Unterland anzusehen.
3) Die Schweiz ist daher gezwungen, mit möglichst hohen Subventionen weiter den Transit von Gütern aller Art auf der Eisenbahn zu stützen - genauso unintelligent wie die europaweite hohe Subvention des Straßengütertransitverkehrs.
4) Wäre das Schweizer Güterverlagerungsmodell daher gar so intelligent, wirtschaftlich und vernünftig, hätten Holland, Deutschland und Italien ihre Verpflichtungen ja auch durchgeführt - haben sie aber nicht, weil in allen diesen Ländern kein Interesse besteht - sind ja auch nicht so betroffen wie wir in den engen Gebirgstälern.
5) Wir haben das Kernproblem, dass REAL weder Bayern, Nordtirol, Südtirol oder das Trentino Interesse daran haben, Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, was heute schon längst gehen würde, wenn das gewollt wäre (Containerverkehr, Wagenladungsverkehr, Ganzzüge, Wechselaufbauten etc. über die lange Strecke).
6) Kein Interesse besteht vor allem deshalb, weil in allen betroffenen Ländern die 2 Millionen Transitlaster, darunter 1,1 Millionen gar noch im Umwegverkehr, allein deshalb so notwendig "gebraucht" werden, um der eigenen Bevölkerung den Brennertunnel als Lösung vorzugaukeln - ihr kennt ja die unglaublich verlogene Argumentation: "Jetzt müssen wir einmal die STRUKTUUUUREN bauen, dann können wir verlagern" - egal, ob sie von den eigenen Landeshauptleuten, den Betreibern oder den Verkehrsministern kommt - wir kennen sie (und ihr alle auch) seit 1989: Die erste "Verlagerung von täglich 1300 - 1600 Transit-Lkw wurde für die Inbetriebnahme der Eisenbahnumfahrung Innsbruck versprochen (Mai 1994) - nie eingetreten - die nächste für die Inbetriebnahme der Unterinntaltrasse (Dez. 1994) - nie eingetreten - und jetzt halt im Jahre 2026 oder später. Dann nämlich, wenn NIEMAND der heute Verantwortlichen noch in der politischen oder Betreiberverantwortung steht.
Deshalb haben wir auf der Startseite von www.transitforum.at bei den Laufbildern auch den Esel mit der Stange am Rücken und den Futtersack, den er nie erreicht - es liegt an jeder und jedem von uns selber, ob wir wie der Esel den leeren politischen Versprechen hinterherlatschen oder ob wir den Mut haben, uns für den eigenen Lebens-, Wirtschafts-, Erholungs-, Natur- und Kulturraum einzusetzen und dem täglichen Transitterror die Rote Karte zu zeigen.
Das ist die Kernfrage und es ist höchst an der Zeit, dass endlich die Auswirkungen des Transitterrors in unseren engen Gebirgstälern in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht mit dem Tunnelblick in den BBT geschaut wird, der nur unser Steuergeld in Milliardenhöhe schluckt, aber nicht für die Transitentlastung gebaut wird.
Die Auswirkungen findet ihr auch in den Laufbildern auf unserer Startseite - sie gelten nicht nur für Kufstein - Brenner, sie gelten auch vom Brenner abwärts Richtung Verona durch genau die Täler, wo direkt an der Autobahn die Reben- und Apfelkulturen stehen.
Wie gesagt, es steht jeder Bürgerin und jedem Bürger frei, sich EINZUMISCHEN oder sich von der BBT-TUNNELPARTIE etwas vorgaukeln zu lassen, was nie eintreffen kann, da die Weichen derzeit anders gestellt und politisch gewollt sind.
LG
Fritz Gurgiser

Sa., 04.06.2016 - 11:44 Permalink
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Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler So., 05.06.2016 - 18:16

Antwort auf von Fritz Gurgiser

Die Schweiz hat den Gotthard-Tunnel zwar auf massiven Druck der EU gebaut (es war die Voraussetzung, um den LKW-Verkehrs einschränken zu können), andererseits ab er auch nur, weil sie nicht in der EU ist. "Wir wären niemals so dumm gewesen, den Tunnel zu bauen, wenn wir in der EU wären und die uns Vorschriften machen könnten", hat mir ein leitender Ingenieur des Gotthard-Tunnels gesagt. Der Unterschiede zwischen Gotthard-Tunnel und BBT ist vor allem, dass man beim Gotthard zunächst ein Konzept gehabt und dann gebaut hat, während man beim BBT zunächst baut und hofft, dass es irgendwann ein Konzept geben wird. Was beide Projekte vereint, ist die Tatsache, dass die Zulaufstrecken viel zu spät kommen - in Italien wegen mangelnder Gelder, in Deutschland wegen mangelnden Interesses. Aber auch Kathedralen in der Wüste haben ihren Reiz und werfen oft für gewisse Beteiligte mehr Profit ab als zweckmäßige Lösungen..

So., 05.06.2016 - 18:16 Permalink
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Profil für Benutzer Fritz Gurgiser
Fritz Gurgiser Mo., 06.06.2016 - 22:56

Lieber Christian Mair, wer bitte schiebt den Schweizern oder den amici-brüdern den Peter zu? Was lenkst du denn gar so ab?
Es sind in erster Linie die eigenen Schwestern und Brüder, die von Rosenheim bis Verona nur in einer "Maßnahme" einig sind: Sich mit möglichst vielen Milliarden Steuergeld in den BBT "freizukaufen" und die Lösung der Transitproblematik von einer politischen Schulter auf die nächste zu verlagern.
Bei allen anderen Maßnahmen - Lkw-Kilometertarif, Lkw-Fahrverbote, Tempolimits etc. gibt es seit Jahren nichts (einzig das Lkw-Überholverbot von Kufstein bis Affi aus Verkehrssicherheitsgründen, aber das ist schon sehr, sehr lange her).
Am kommenden Mittwoch ist aber ein interessanter Tag - schaut euch auf unserer Website www.transitforum.at um und dann könnt ihr entscheiden: Entweder weiter philosophieren oder doch auch handeln; denn das, was von Kufstein bis Brenner an Belastungen gilt, gilt 1:1 auch vom Brenner bis Salurn - warum nicht endlich Druck von "unten nach oben"? Warum endet der gemeinsame Einsatz für die eigene Bevölkerung, Wirtschaft und Natur punktgenau an der Brennergrenze?
Es geht längst nicht mehr um das "Erfinden" von Maßnahmen - es geht längst darum, die bestehenden Bürgerrechte mit dem zur Verfügung stehenden Rechtsinstrumentarium umzusetzen - wäre der Transit bspw. ein Problem wie die Milliardenverluste einiger Banken, wäre das Problem längst gelöst. Das sollte zu denken geben: Geht es um Diebstahl, Betrug, Spekulation etc. bei Banken, gibt es sofort "Rettungsschirme" auf unsere Kosten. Geht es um Gesundheit, Arbeitsplätze, Naturschutz etc. gibt es keine "Rettungsschirme", davor die tägliche "Transitlawine".
Alles klar?
LG
Fritz Gurgiser
Ab Mittwoch top-aktuell auf www.transitforum.at

Mo., 06.06.2016 - 22:56 Permalink
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Profil für Benutzer Christian Mair
Christian Mair Mi., 08.06.2016 - 16:55

Antwort auf von Fritz Gurgiser

Danke liebe Fritz Gurgiser.
Die Sache ist jetzt klar und meine Ansicht deckt sich zu einem grossen Teil.
Nicht die Schweizer, nicht die Eu, nicht Italien, nicht die amici, nein, nein, zuständig ist schon der Bürger selber, wenn es darum geht der Politik zu sagen wo es lang geht, angefangen bei den von Dir genannten eigenen Schwestern und Brüdern.

Dein Anliegen ein gemeinsames Bewusstsein über den Brenner hinweg und auch südlich von Salurn ist sehr zu begrüssen. Davor ziehe ich den Hut, denn diesen Einsatz zeigen bisher zu wenige.

Mi., 08.06.2016 - 16:55 Permalink
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Profil für Benutzer Christian Mair
Christian Mair Mi., 08.06.2016 - 16:33

Glauben Sie nicht, dass Südtirol-Autonomie und 80% Aktienanteile es ermöglichen würden den Preis für Transit (ausgenommen just in time Verkehr) zu gestalten? Die Autonomie kann ein Bollwerk auch gegen europäischen Zentralismus sein, immer den Schuldigen aussen zu suchen, wenn es grad passt ist reiner Opportunismus.
Auch beim Flughafen Bozen ist der Verweis auf die Übernahme durch den Nationalstaat bei einem Nein im Referendum so einzuordnen:
http://www.camera.it/temiap/temi17/AEROPORTI%20ATTO%20INDIRIZZO%202013…

Mi., 08.06.2016 - 16:33 Permalink