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"Joker": Ein Film macht mich zum Mörder

Ein Film hält die Welt in Atem. Und ruft eine Diskussion hervor, die absurder kaum sein könnte.
Joker
Foto: Warner Bros

Ich wollte einen Menschen töten. Es begab sich vor einigen Tagen. Ich war im Kino, in einer beinahe ausverkauften Vorstellung von Todd Phillips Film „Joker“, der an dieser Stelle erst kürzlich besprochen wurde. Der Film endete und kaum begann der Abspann, sprang ich auf, verließ das Kino auf schnellstem Weg und habe auf der Straße erst mal einige Leute erschossen. Danach noch ein paar Messerstiche, brennende Autos – Revolte – Gewaltorgie.

Das ist natürlich von Grund auf erfunden, und doch scheint es so, als würden manche kritische Stimmen in Bezug auf den Joker-Film genau mit einer solchen Reaktion rechnen. Der Film, der in Venedig den Goldenen Löwen als Bester Film gewinnen konnte, soll gewaltverherrlichend sein. Er soll Gewalt gut heißen und durch die Identifikation mit dem teils brutal agierenden Protagonisten dem Zuschauer schmackhaft machen. Im Film wird der Joker unfreiwillig zum Gesicht einer Protestbewegung, die sich in erster Linie gegen die Oberschicht richtet. Gotham City ist eine Stadt am Abgrund, Müllberge türmen sich und es gibt viel Armut, während sich die Reichen in gut beheizten Kinos alte Chaplin-Filme anschauen. Moment mal, Kino? Hätte ich die Menschen im Saal etwa töten sollen, und nicht jene auf der Straße? Habe ich den Film etwa falsch verstanden?Doch zurück zur Frage, die sich hier stellt. Ruft „Joker“ zu Gewalt auf? Stiftet er zum Hass gegen das Establishment an, schürt er ein Feuer, das tief in uns ohnehin schon brennt? Eine solche Diskussion gab es im Kino schon lange nicht mehr. Zuletzt waren es schließlich stets die bösen Videospiele, denen die Schuld für diverse Massaker gegeben wurde. Nun, an dieser Stelle muss festgehalten werden, dass bis dato noch keine Gewalttat in Verbindung mit dem aktuellen Film stattgefunden hat. Doch die besorgten Stimmen unter den Kritikern und dem Feuilleton warnen. Was nicht ist, kann noch passieren. Die Debatte ist vor allem eines: Absurd. „Joker“ ist ein interessantes Beispiel, das zeigt, was passiert, wenn ein Arthousefilm auf das Mainstreampublikum losgelassen wird. Manch einer wird sich eine Comic-Verfilmung oder gar einen maßgeschneiderten Superheldenfilm erwartet haben – was man bekommt, gleicht eher einer fiktionalen Biographie. Es ist die Entstehungsgeschichte eines Mythos, doch als solcher zunächst nicht erkennbar. Vielmehr ist der Joker in seinem neuen Film eine gebrochene Figur, die erst ihren Weg finden muss. Das geschieht auf ruhige, meist unaufgeregte Art und Weise. Die Gewalt-Debatte ist im Grund erst durch die enorme Popularität des Film entstanden. Würde das breite Publikum nicht in Scharen ins Kino rennen, würde kein Hahn krähen. Was bedeutet das nun? Dass man dem Mainstream nicht zu viel zumuten möchte? Damit beleidigt man einen großen Teil der Zuschauer.

Es ist nicht falsch, die Darstellung von Gewalt zu hinterfragen. Doch dann darf man nicht mit zweierlei Maß messen. Denn wer seit der Entstehung des Kinos und insbesondere seit der Geburt des New Hollywood-Kinos in den 70ern nicht unter einem Stein geschlafen hat, dürfte mitgekommen haben, dass Gewalt durchaus in dem ein oder anderen Film eine Bühne erhält. Dieselben Leute, die bei jedem neuen Film von Quentin Tarantino in die Hände klatschen und angesichts übertriebener Blutfontänen frohlocken, beschweren sich nun über einen Film, der in nur wenigen einzelnen Momenten Gewalt wirklich zeigt. Das meiste passiert im Untergrund, und ein Teil davon darf der psychischen Gewalt zugeordnet werden. Damit möchte ich Tarantino und seinen Zugang nicht verurteilen. Doch wer nun Angst vor weiteren Amokläufen, insbesondere in den USA hat, darf tief im cineastischen Gedächtnis kramen. Gewalt war unterschwellig schon immer Teil von Filmen, und seit den 70ern auch an der Oberfläche präsent. Mit „Joker“ findet sich ein leichtes und bekanntes Opfer. Man kann abermals stigmatisieren, pauschalisieren, und an der Materie vorbeireden. Fast scheint es so, als würde man den Diskurs um die Gewalt anregen, nur um den viel wichtigeren rund um die prekäre Lage des Jokers und den Menschen seiner Gesellschaftsschicht zu umgehen. Dann wird es nämlich für alle unbequem.

Filme, die potentiell Gewalt hervorrufen können, waren nicht selten beim Publikum beliebt. Ein interessantes Beispiel, das die Verlogenheit der Diskussion eindrucksvoll zeigt, ist die „Purge“-Reihe. In diesen Filmen dürfen die Bürger eines Landes für 24 Stunden tun und lassen, was sie wollen. Stehlen, verletzen, morden, vergewaltigen, alles ist erlaubt. Als Horrorfilm klassifiziert fand die Reihe ihr Publikum und brachte es zu mehreren Fortsetzungen – ob der Film zur Gewalt aufruft, wurde dabei außer Acht gelassen.

Ganz davon abgesehen ist es ohnehin zweifelhaft, wie viel Anteil solchen Filmen an diversen Gewalttaten gegeben wird. Der Joker wird nicht gewalttätig, weil er zu viele Filme gesehen hat. Es ist sein Umfeld, das ihn zu dem macht, was er am Ende ist. Seine Psyche, die Menschen um ihn, ein gefährlicher Cocktail-Mix, der individuell zu betrachten ist. Es gibt keine einfachen Antworten auf die Gewalt. Sie ist ambivalent.

All das macht die Debatte rund um „Joker“ zu einer reichlich verlogenen. An die Spitze treiben das dann Politiker, die in die Gespräche einsteigen und den Film verurteilen, während im selben Moment blutige Kriege auf der ganzen Welt geführt werden.

Wer glaubt, „Joker“ rufe zur Gewalt auf, sollte nicht weniger, sondern mehr Filme schauen. Dann würde man verstehen, dass der Film nur die Spitze eines Eisbergs ist, der weit entfernt von den Kontinenten und den Menschen im Ozean schwimmt. Kein Schiff wird jemals daran kentern.

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Peter Gasser So., 03.11.2019 - 08:39

Ein schwieriges Thema.
Aber auch mir ist während des Lesens des Artikels ständig present gewesen:
Wie kann man sich über eine im Film gespielte Gewalt aufregen und darin Gefahr sehen, wenn in einem „Nachbarland“ Syrien reale Gewalt *jahrelang* Frauen und Kinder mordet und Fassbomben auf Wohndörfer und Krankenhäuser geworfen werden.
Das passt irgendwie nicht recht unter denselben Hut...

So., 03.11.2019 - 08:39 Permalink
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Sepp.Bacher So., 03.11.2019 - 10:52

Ich habe den Film nicht gesehen, aber die Argumentation leuchtet mir eine!
Beim Lesen habe ich mich an die Südtiroler Filmrunde in den siebziger Jahren erinnert. Das war eine Film-pädagogische Veranstaltung, in der Filme gezeigt wurde und dann eine Podiumsdiskussion statt fand. Da wurden z. B. zwei Filme gegenübergestellt, beim einen wurde mehrere Männer einfach so abgeknallt, wie es in Krimis und Western üblich war, die aber wenig Emotionales bei den Zusehern ausgelöst haben und ein Film, in dem einem Stierkampf viel Raum gegeben wurde. Es wurden in Nahaufnahmen die Verletzungen durch die vielen Speere gezeigt, wie das Blut über den Laib herunter rann und wie der Stier in die Knie ging und langsam starb. Dieser Film hat alle berührt und war für viele fast nicht auszuhalten, obwohl "nur" ein Stier starb.
Bald danach löste der Film "Uhrwerk orange" eine analoge öffentliche Auseinandersetzung aus, wie sie hier beschrieben wird.

So., 03.11.2019 - 10:52 Permalink