Ellenbogen-Gruß
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Gesellschaft | fritto misto

Elendiger Ellenbogen

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Ellenbogengrußes. Machen wir ihm bitte den Garaus.

Letztens traf ich einen ehemaligen Arbeitskollegen. Wir tranken einen Kaffee, wir plauderten nett, wir spazierten noch ein Stückchen zusammen durch die Stadt. Dann, zum Abschied, der Move, der alles zunichtemachte: Er, der Mann von Welt, eine coole Socke, wenn auch manchmal von geradezu legendärer Knurrigkeit, hob zögerlich den Ellenbogen und deutete damit in meine Richtung: „Sollen wir?“. In diesem Moment hörte ich – ping! – wie ganz leise etwas in mir zerbrach. Et tu, verehrter Ex-Arbeitskollege? Wenn sogar dieser Mensch, ein Feingeist, dem Kunst und Kultur das täglich Brot sind, sich zu so einer plumpen Geste wie dem Ellenbogengruß herabließ, dann war es wahrlich schlimm um uns bestellt. Ich meine, sperrt uns meinetwegen wieder ein, schließt Lokale, Theater, usw., transplantiert uns die Maske frisch aufs Gesicht (nein, tut das alles bitte natürlich nicht!), alles kann ich ertragen: Aber der Ellenbogengruß, der muss wieder weg.

Der blöde Ellenbogengruß wirkt jederzeit so, als wolle man jemanden tacklen, ihn heimtückisch in die Rippen stoßen, oder ihn zum Ententanz auffordern

Meine größte Sorge ist ja, dass, wenn Corona irgendwann vorbei ist, uns der Ellenbogengruß erhalten bleibt. Denn dass das mit dem Händeschütteln nichts mehr wird, das ist uns doch allen klar. Können Sie sich noch vorstellen, wie vielen Menschen Sie prä Corona die (meistens zweifellos ungewaschene) Hand geschüttelt haben? Sich nachher mit Ihrer Schüttelhand ins Gesicht gefasst haben? Oder damit das Brötchen ergriffen haben, das Sie sodann arglos verzehrt haben? Bei einer Feier im Sommer drückte mir ein älterer Bekannter unversehens die Hand. Es war der erste und einzige Händedruck, mit dem ich seit dem Lockdown beglückt wurde, und vom Überrumpelungseffekt her hätte er mir genauso gut die Zunge in den Hals stecken können. Ja, ein Händedruck hat mittlerweile etwas hochgradig Übergriffiges. Auch, weil so eine Hand im Schnitt nicht weniger als 150 Bakterienarten beherbergt, das weiß ich jetzt. Ja, ich weiß auch, dass Bakterien nicht per se schlecht sind, aber trotzdem: Meine 150 reichen mir völlig, da muss ich mir nicht noch zusätzliche bereitwillig in die Hand schmieren lassen. Natürlich ist es auch schade um den Händedruck, schon mal aus ästhetischen Gründen: Er hat ja sowas von auf Augenhöhe, etwas Respektvolles. Ganz anders der blöde Ellenbogengruß, der jederzeit so wirkt, als wolle man jemanden tacklen, ihn heimtückisch in die Rippen stoßen, oder ihn zum Ententanz auffordern. Alles nicht schön. Haben wir denn nicht schon Probleme genug? Kein Wunder, dass selbst Angela Merkel davon Abstand nimmt, während sich ihre Kollegen pennälermäßig anstupsen, und sorry, LH, auch bei Ihnen und Minister Schallenberg sah das nicht wirklich gut aus, und das wissen Sie auch. (Achten Sie auf die Augen: Kompatscher geniert sich ein wenig, das will ich jetzt mal ganz großzügig unterstellen, Schallenberg hingegen findet es cool. Aber Österreicher*innen sagen ja auch „Tschau“ und finden das schick.)

 

Das Händeschütteln rührt ja angeblich daher, dass man seinem Gegenüber verdeutlichen wollte, dass man keine Waffe in der Hand oder etwa im Ärmel versteckt hielt, und ihm also freundlich gesinnt war. Welch erhabene Geschichte. Wie primitiv und unappetitlich dagegen der Hintergrund zum Ellenbogengruß, der seine einzige Berechtigung daher hat, dass man seinem Gegenüber nicht versehentlich seinen Schnodder in die Hand streichen will. Und nicht mal das funktioniert einwandfrei: Die WHO riet letzthin auch vom Ellenbogengruß ab, weil er Menschen dazu verleite, die Abstandsregel zu missachten. Hurra! Er ist also nicht nur hässlich, sondern auch noch sinnlos, ja geradezu gefährlich. Er ist es, bitte sehr, nicht wert, in unsere Kultur einzugehen und, ich mag gar nicht dran denken, womöglich dort zu bleiben. Okay, es ist kein Händedruck, aber stellen Sie sich doch nur mal vor, Michelangelo hätte Gott und Adam die Ellenbogen aneinanderstoßen lassen anstatt eine zarte Berührung anzudeuten: Da fehlte in der Sixtinischen Kapelle nur noch ein fetter Techno-Soundtrack dazu. Oder stellen Sie sich vor, wie die Schüler*innen der Zukunft in ihren Geschichtsbüchern (ja, ich weiß eh) Bilder von Politiker*innen sehen, die sich ungelenk anstupsen. Dann doch lieber gar nichts. Ein Lächeln meinetwegen, ein freundliches Nicken, ein Griff ans eigene Herz, eine leichte Verbeugung. Hat alles Stil. Wenn ich hingegen den Ellenbogen ausfahre, um mein Gegenüber damit grußmäßig zu attackieren, dann fühle ich mich so elegant wie eine tanzende Theresa May. And it’s not a good thing. Deshalb habe ich auch meinem ehemaligen Arbeitskollegen diesen Gruß verweigert, zu seinem eigenen Schutz. „Tut mir leid, ich kann das nicht“, habe ich gemeint. Er hatte Verständnis. „Schreib doch darüber!“, sagte er. Das habe ich hiermit getan. Ich hoffe, wir sind quitt.