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Social-Media-Guerilla Südtirol

Der Widerstand in Südtirol scheint sich online auf Telegram zu formieren. Wie kam es dazu? Wer steckt dahinter? Wie funktioniert es? Was sind die Ziele? Eine Spurensuche.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Internet
Foto: AG

Seit Beginn des Lockdowns ist der virtuelle Raum zum primären Treffpunkt der Südtiroler Gesellschaft geworden.

Während Zoom bis vor Kurzem nur eine der vielen Funktion einer Kamera war, ist es heute ein Treffpunkt für Ins-Home-Office-Versetzte. Während man bei einer Houseparty bis vor Kurzem bei seinen Freunden zu Hause feierte, schaut man jetzt bei Houseparty seinen Freunden beim Feiern bei ihnen zu Hause zu. 

Während Videotelefonie bis vor Kurzem eine Möglichkeit war, um seinen Angehörigen nicht persönlich in die Augen sehen zu müssen, ist sie heute oft die einzige Möglichkeit, um seinen Angehörigen beim Abschied in die Augen sehen zu können.

 

Landtag geschlossen

Diese Entwicklung hat auch vor der Südtiroler Landespolitik keinen Halt gemacht und der politische Diskurs hat sich noch mehr als üblich in den virtuellen Raum verlagert.

Man denke an die Video-Konferenzen, durch welche die Demokratie zumindest etwas am Laufen gehalten wurde, an die Fernseh-Auftritte, wo die neuen Maßnahmen erklärt wurden, und die Ankündigungen und Live-Auftritte auf den Social-Media-Kanälen.

Während diese Art der Kommunikation aus verschiedenen Perspektiven durchaus zu begrüßen und – den Umständen geschuldet – fast schon unumgänglich war, begünstigte sie allerdings auch eine sehr bedenkliche Wendung, welche am 26.4.20 einen weiteren – den entscheidenden? – Anstoß bekam.

 

Die Zündschnur und das Öl

Es ist der Abend von Sonntag, dem 26.4.20, als Ministerpräsident Conte sein Dekret zur Gestaltung der sog. „Phase 2“ vorstellt. Es ist seit jenem Sonntag vor neun Tagen, dass nicht nur in Südtirol die Wogen hochgehen und sich Widerstand formiert.

Die mediale Zündschnur platzierte am 27.4.20 um 22:15 Uhr die SVP auf ihrer Facebook-Seite, als sie u.a. „zur Verteidigung unserer Autonomie“ drohte, „jegliche Zusammenarbeit mit der Regierung aufzukündigen, falls unsere Entscheidung, in Phase 2 einen eigenständigen Weg zu gehen, nicht akzeptiert wird“. 

Dass diese Steilvorlage ein gefundenes Fressen für bestimmte Parteien sein würde, verdeutlicht auch eine Auswertung der Facebook-Seiten der Parteien im Landtag:

Es genügte bestimmten Parteien allerdings nicht, nur den Stimmungsumschwung auszunützen, sondern es mussten aktiv, mitten in einer Krise auch wieder ethnische Ressentiments geschürt und Öl ins Feuer gegossen werden. Et voilà: Die gesundheitlich-wirtschaftliche war nun vollständig zu einer autonomiepolitsch-ethnischen Frage hochstilisiert worden.

Dieser diskursive Bruch und der sich verhärtende Widerstand fand u.a. Niederschlag in einer kurz zuvor auf Facebook gegründeten Gruppe mit dem vielsagenden Namen „WIR sind das Volk! WIR entscheiden“. 

Diese Gruppe zählte zum damaligen Zeitpunkt bereits mehr als 5.500 Mitglieder, aber so schnell sie entstanden war, so schnell war sie auch wieder weg von der Bildoberfläche. Über die Gründe kann nur gemutmaßt werden, allerdings scheint eine Erklärung aus der Bildunterfläche durchaus plausibel:

 

Das Feuer

Dieser Screenshot stammt aus einer Gruppe auf Telegram, einem mit Whatsapp vergleichbaren Instant-Messenger-Dienst, der inbesondere hinsichtlich Anonymität mehr Funktionen aufweist.

Wenn die Chat-Verläufe stimmen, formieren sich am 27.4.20 auf Telegram zwei Gruppen: die Gruppe „Aktionen Aufstand Widerstand“ und die der auf Facebook gleichnamigen Gruppe WIR sind das Volk! WIR entscheiden. Letztere wurde am 5.5.20 - siehe Post Scriptum - umbenannt zu „Südtirol wake up 2“. 

Beide Gruppen scheinen im Hintergrund von denselben Personen administriert zu werden und hängen auch sonst organisatorisch direkt zusammen. Eine Person, welche noch ganz ungeniert mit Namen und Adresse auftreten würde, tut sich dabei besonders als Führungsfigur hervor, was offensichtlich auf dessen Expertise im Bereich zurückzuführen ist:

 

„Südtirol wake up 2“

Die eine Gruppe „Südtirol wake up 2“ trägt folgende Beschreibung: „Wir sind eine Gruppe von Menschen die für Frieden und Freiheit kämpfen. Rassismus findet hier keinen Platz. Rechts oder Links gibt es nicht! Wir sind alle eins, Menschen! Nichts für schwache Nerven. Wer damit nicht klar kommt VERLASSEN!“ und hat 701 Mitglieder (Stand 6.5.20).

Diese dient vorwiegend dem Austausch zwischen den Mitgliedern und es kursieren vorwiegend jene Verschwörungstheorien, welche im Zuge der Corona-Krise Aufwind erhalten haben.

Die Mitglieder selbst sind nicht eindeutig einem Spektrum zuordenbar: es geht von Verschwörungstheoretiker*innen über Impfgegner*innen bis hin zu Personen, die augenscheinlich Gewalt begrüßen. Insgesamt scheint es, als würde sich an den extremen Rändern ein Kreis schließen:

 

„Aktionen Aufstand Widerstand“

Die andere Gruppe „Aktionen Aufstand Widerstand“ trägt hingegen folgende Beschreibung: „Wir sind eine Gruppe von Menschen die sich für Frieden und Freiheit in Südtirol einsetzen. Sei auch du ein Teil davon. Hilf mit und werde auch du Aktiv. Zeig WIDERSTAND!“ und ist jene Gruppe, aus welcher Befehle erteilt werden an die andere Gruppe.

Diese Befehle bzw. Aktionen (commands) können von einer Gruppe von Administratoren geschrieben werden, werden allerdings anscheinend immer vom selben Administrator geschrieben, der auch sonst - wie oben beschrieben - als Führungsfigur auftritt. Das target der Aktionen sind dabei einzelne Posts von Südtiroler Politiker*innen: Landeshauptmann Arno Kompatscher wird in einer Aktion (siehe unten) dabei explizit genannt; Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer nicht explizit und bei einem ihrer Posts wurde nicht negative, sondern positive Stimmung generiert.

Das Hauptaugenmerk liegt allerdings voll und ganz auf einer Person: Landesrat und SVP-Obmann Philipp Achammer. Stand 6.5.20 wurden bereits vier Aktionen, die negative Stimmung erzeugen sollten, durchgeführt. Diese scheinen auch bei Herrn Achammer nicht unbemerkt geblieben zu sein und die Protokolle, mit denen die Aktionen hinter den Kulissen organisiert und dokumentiert werden, zeichnen ein deutlicheres und sehr bedenkliches Bild über die Vorgangsweise der Gruppen:

 

Ziele und Gefahr

Das Ziel hinter dieser Strategien, die auch von Internet-Trollen oder der Neuen Rechten verwendet werden, ist es zunächst den Algorithmus von Facebook durch das Simulieren einer kritischen Masse auszutricksen. Es gilt dabei in so kurzer Zeit wie möglich, so viele Interaktionen wie möglich zu generieren, auch etwa unter Zuhilfenahme von Fake Accounts und Bots. Dadurch erscheint die virtuelle Masse viel größer als die effektive Anzahl an realen Personen, die wirklich hinter einer Aktion stecken. Dies ist allerdings nur einer der vielen Kniffe aus dieser perfiden Trickkiste.

Am Ende des Tages dienen alle Strategien und Aktionen aber immer demselben Ziel: der Manipulation der öffentlichen Debatte, der Beeinflussung des Aktionsziels selbst und der Untergrabung unserer demokratischen Prozesse.

Lasst uns deshalb wachsam bleiben und nicht auf diese Maschen hereinfallen!

PS: Im Laufe des späten Nachmittags vom 5.5.20 flog auf, dass die Gruppen unterwandert wurden, weshalb ich meine Recherche beendet habe und mit den Informationen an die Öffentlichkeit gehe. Obschon von den Administratoren ein „Selbstzerstörungsprotokoll“ ausgegeben wurde, haben beide Gruppen nach wie vor Bestand. Die nächste Aktion mit dem Namen „AnonOP_FREItagsLEUCHTEN“, deren Inhalt bewusst unter Verschluss gehalten wird, ist für diesen Freitag um 22:00 Uhr geplant.