Ambiente | Wasserkraft

Der EURAC-Studien-Streit

Der Fischereiverband Südtirol und der Energieverband liefern sich einen medialen Schlagabtausch zu einer EURAC-Studie. Diese bezieht nun ihrerseits öffentlich Stellung.
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Foto: Wieser Media/Christoph Wieser
Ausgangspunkt der Streitigkeiten war eine Presseaussendung der EURAC Research mit dem Titel „Kleinkraftwerk am Saldurbach: Studie über fünf Jahre zeigt keine signifikante Veränderung der Gewässerökologie“. Wie berichtet hat ein Forscherteam von Eurac Research die Kleinlebewesen, sogenannte Makroinvertebraten, im Saldurbach (Matschertal) vor und nach Inbetriebnahme eines Laufkraftwerks untersucht. Der Großteil der Medien hat den Beitrag aufgenommen, unter anderem auch Salto.bz.
 
 
 
Markus Heiss, Präsident des Fischereiverbandes, hat sich in seiner Aussendung nicht nur an der medialen Berichterstattung gestoßen – bereits die Schlagzeilen würden seiner Meinung nach suggerieren, dass das Kleinwasserkraftwerk am Saldurbach ökologisch unbedenklich sei, sondern auch an zwei Kerninhalten. Laut Alberto Scotti, dem Hauptautor der Studie, wird das Habitat dieser Lebewesen unter anderem von der Wassermenge und den Sedimenten bestimmt. Daher sei es essentiell, dass ein Kraftwerk nicht zu viel Wasser ableitet, „das Saldurkraftwerk hat offenbar die richtige Dimension.“ Dass kein ökologischer Schaden festzustellen war, liege auch an den Eigenschaften des Saldurbaches im untersuchten oberen Abschnitt: Dort leben nämlich keine Fische. Heiss kritisiert in seiner Stellungnahme, dass ausgerechnet der Abwesenheit der Fischfauna unzureichend Raum gegeben wurde. Ein weiterer Punkt erregte ebenfalls den Zorn des streitbaren Präsidenten des Fischereiverbandes. Wie Scotti in der EURAC-Presseaussendung erklärt, müsse die Energieproduktion aus Wasserkraft zunehmen, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. „Kleinkraftwerke können zwar zur Gesamtenergieproduktion wenig beitragen, doch in ländlichen Regionen gelten sie weltweit als eine der besten Lösungen kostengünstiger Energiegewinnung“, so der Biologe, der weiters ausführte, dass solche Werke also vermehrt gebaut werden, und es wichtig sei zu wissen, wo dies vertretbar ist und wie die Kraftwerke gebaut sein müssen, um nicht ökologischen Schaden anzurichten. „Irreführend und im Prinzip reines Greenwashing“, so das Heiss‘sche Urteil.
 
 

„Seriöse Arbeit mit Füßen getreten“

 

Auf die Veröffentlichung der Stellungnahme des Fischereiverbandes folgte die Replik von Rudi Rienzner, seines Zeichens Generaldirektor des Südtiroler Energieverbandes. „Ohne den Ausbau der Wasserkraft ist eine erfolgreiche Klimapolitik nicht realisierbar“, betonte Rienzner und erklärte, dass nicht die Studie der EURAC – die man ausdrücklich begrüße – und die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse irreführend seien, sondern die Aussagen des Fischereiverbandes. Dem Präsidenten des Fischereiverbandes warf er zudem vor, eine seriöse wissenschaftliche Arbeit mit Füßen zu treten, nur weil ihm die Ergebnisse nicht passten. Die Antwort von Heiss folgte prompt: „Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Lobbyist für die Kleinwasserkraft diese verteidigen muss. Selbst wenn er weiß, dass Kleinwasserkraft alles andere als ökologisch verträglich ist und dass Südtirols über 850 Kleinkraftwerke zwar einen beachtlichen ökologischen Schaden verursachen, aber nur drei Prozent zur Stromproduktion beitragen und daher für den weltweiten Klimaschutz vollkommen unbedeutend sind.“
 
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Lobbyist für die Kleinwasserkraft diese verteidigen muss.
 
Rienzner erhebe krude Vorwürfe und stelle Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundlage auf. Zudem erfolge eine bewusste Täuschung, weil Wasserkraft mit Kleinwasserkraft gleichgesetzt würde, so Heiss, der seinerseits eine Reihe von „wissenschaftlichen Fakten“ heranzieht, so unter anderem ein Memorandum 65 deutscher Fachwissenschaftler, in welchem der Bundesrepublik Deutschland empfohlen wird, die staatliche Förderung der Kleinwasserkraft einzustellen, da diese unwirtschaftlich, umweltschädlichen und nicht ökologisch sanierbar ist sei. „Kleinwasserkraft ist bei weitem nicht so umweltfreundlich, wie unter anderem vom SEV immer wieder zu vermitteln versucht wird“, sagt Heiss und verweist auf zwei weitere Artikel, in denen Kleinkraftwerken oft eine miserable Ökobilanz bescheinigt und erklärt wird, dass Wasserkraftanlagen erhebliche negative Auswirkungen auf Natur, Gewässer und Fische haben können.
 

Emotional aufgeladene Debatte

 

Die EURAC hat in der Folge aufgrund der heftigen und teils emotional aufgeladenen Debatten eine Stellungnahme mit ergänzenden Erläuterungen zur Langzeitstudie am Saldurbach veröffentlicht. Darin erläutert Alberto Scotti eingehender die wichtigsten aufgeworfenen Diskussionspunkte.
 
 
 
Wie der Studienautor erklärt, stellt die Verwendung von Makroinvertebraten als Indikatoren für die „Qualität“ von aquatischen Ökosystemen eine zuverlässige Methode dar. „Aquatische Makroinvertebraten sind in italienischen und europäischen Richtlinien als Indikatoren für die Wasserqualität verankert“, so Scotti. Der Biologe führt aus, dass einer der weltweit führenden Experten für Biomonitoring, Vincent Resh, Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley, vier Organismengruppen verglichen hat, die für das Biomonitoring verwendet werden können: aquatische Makroinvertebraten, Algen, Fische und Zooplankton. Von den 13 wichtigen Merkmalen, die ein guter Bioindikator haben muss, erfüllen Makroinvertebraten 9 – ein Ergebnis, das von keiner der anderen drei untersuchten Gruppen erreicht wird. Darüber hinaus zeige die Studie von Vincent Resh, dass in den meisten Untersuchungen, die sich mit dem Biomonitoring befassen, Makroinvertebraten die weltweit am häufigsten verwendeten Organismen sind.
 
Hätten der verwendete Ansatz und die Wahl von Makroinvertebraten als Biomonitoring-Instrument auch Kritik erregt, wenn die Ergebnisse eine negative Auswirkung des Wasserkraftwerks auf das aquatische Ökosystem gezeigt hätten?
 
„Die Methoden, mit denen Makroinvertebraten als Biomonitoring-Indikatoren analysiert werden können, sind vielfältig. Ohne hier eine lange Liste wissenschaftlicher Arbeiten anzuführen, möchte ich als Beispiel eine Studie nennen, die von einem internationalen Team mehrerer Spitzenwissenschaftler unter der Leitung von Nuria Bonada, Professorin an der Universität Barcelona, durchgeführt wurde. Das Team wollte herausfinden, welche Methodik bzw. welcher Ansatz am effektivsten ist, um ein Biomonitoring unter Verwendung aquatischer Makroinvertebraten als Indikatoren durchzuführen. Die drei in der Saldur-Studie verwendeten Ansätze (der multimetrische Ansatz, der multivariate Ansatz und die biologische Merkmalsanalyse von Makroinvertebraten) sind sowohl in dieser Studie von Nuria Bonada und ihrem Team, als auch in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen als geeignet anerkannt, und garantieren eine große Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Ergebnisse“, erklärt Scotti. Der Biologe weist zudem darauf hin, dass diese Studie nicht ausdrücklich erstellt wurde, um eine Antwort auf die ökologischen Auswirkungen des Wasserkraftwerks am Saldurbach zu geben. Wie der Studienautor erklärt, führt Eurac Research seit 2009 am Saldurbach eine Analyse der aquatischen Makroinvertebraten durch. Das gesamte Matschertal ist in ein internationales Netzwerk weltweiter Forschungsstandorte eingebunden, in denen langfristige ökologische Untersuchungen durchgeführt werden. Um in dieses Netzwerk aufgenommen zu werden, müssen wissenschaftliche Aktivitäten auf standardisierte Weise durchgeführt werden, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse auf globaler Ebene zu gewährleisten. In ganz Italien gibt es nur 25 Standorte, die diesem Netzwerk angehören. Im Matschertal, wie auch an allen anderen Standorten, werden eine Reihe von Parametern und Organismen (einschließlich aquatischer Makroinvertebraten) regelmäßig mit einer sehr detaillierten Datenauflösung analysiert, um wissenschaftlichen Fragen, die einen sehr langen Beobachtungszeitraum erfordern, nachgehen zu können (z. B. Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels).
 
Während die Auswirkungen dieser Kleinkraftwerke auf Fische bereits vielfach untersucht wurden und bekannt sind, hat sich noch keine Studie mit solcher zeitlicher Aufschlüsselung und Dauer mit dem Thema Makroinvertebraten befasst.
 
„Da das Wasserkraftwerk an einem bereits zuvor untersuchten Standort am Saldurbach gebaut wurde, hat sich nun die seltene Gelegenheit geboten, die bereits existierenden Daten zu nutzen und nun auch die Folgen des neu erbauten Kraftwerks auf die aquatischen Makroinvertebraten beobachten zu können. Daher die Idee, diese Frage im Rahmen der bereits bestehenden Langzeitüberwachung experimentell zu überprüfen. Die Ergebnisse sind in einer internationalen Zeitschrift veröffentlicht worden und sind in der Pressemitteilung letzter Woche auch lokal bekanntgegeben worden. Während die Auswirkungen dieser Kleinkraftwerke auf Fische bereits vielfach untersucht wurden und bekannt sind, hat sich noch keine Studie mit solcher zeitlicher Aufschlüsselung und Dauer mit dem Thema Makroinvertebraten befasst“, erklärt Scotti. Auf die Frage, ob neue Wasserkraftwerke ohne Bedenken gebaut werden können, antwortet der Biologe mit einem Nein. „Wie aus den wissenschaftlichen Veröffentlichungen und der Pressemitteilung eindeutig hervorgeht, bezieht sich unsere Studie auf eine spezifische Fallstudie, weshalb eine undifferenzierte Verallgemeinerung der Ergebnisse niemals vorgenommen (oder vorgeschlagen) wurde. Als Wissenschaftler müssen wir die vorliegenden Fakten unvoreingenommen und objektiv analysieren: Wenn wir aus den oben beschriebenen Gründen davon ausgehen, dass unsere Methodik korrekt ist, zeigen die Ergebnisse der Studie, auch entgegen unserer anfänglichen Erwartungen, dass es am Saldurbach gelungen ist, Wasserkraft zu erzeugen, ohne die Makroinvertebratenfauna zu beeinträchtigen: Die festgestellten jährlichen Schwankungen hängen von den Auswirkungen der Eis- und Schneeschmelze ab“, erklärt Scotti.
Abschließend wird in der Stellungnahme noch eine interessante Frage aufgeworfen: „Hätten der verwendete Ansatz und die Wahl von Makroinvertebraten als Biomonitoring-Instrument auch Kritik erregt, wenn die Ergebnisse eine negative Auswirkung des Wasserkraftwerks auf das aquatische Ökosystem gezeigt hätten?“