Politica | 100 years after

Happy Birthday, Great War

Warum begann der große Krieg? Wir haben es doch in der Schule gelernt: Der erste Weltkrieg begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien.

Was bitte brachte Erzherzog Franz Ferdinand von Habsburg und seine geehelichte Herzogin Sophie Chotek von Hohenberg nach Sarajevo? Da hatte ich in der Schule wohl nicht aufgepasst. Ihr? Der Erzherzog hatte sich scheinbar gerade noch mit Wilhelm numero zwo, dem großen Deutschen, in Böhmen getroffen und wollte (wohl weil es auf dem Weg lag) als Generalinspektor den Abschlussfeiern von Manövern irgendwelcher k.u.k. Korps in Bosnien beiwohnen. (Wozu man zu einem Manöver seine bessere Hälfte mitnimmt, muss man heutzutage wohl nicht mehr verstehen müssen), aber warum um Himmels Willen machten die k.u.k. Streitkräfte in Bosnien ein Manöver? Was hatten wir Ösis dort überhaupt zu suchen?

Österreich-Ungarn hatte Bosnien und Herzegovina am 5. Oktober 1908 annektiert, das hatte der greise Franz Joseph uns am Vortag zu seinem Namenstag geschenkt. (Unterjocht?) Nun waren Bosnien und die Herzegowina ja seit dem 15. Jahrhundert keine souveränen Länder mehr, sondern übriggebliebener Türkenbesitz. Osmanisches Reich sagte man damals dazu, Rumelien zum Europäischen Teil dessen. (Befreit?) Die Türken vor Wien, das war ja auch ein ganz besonderes Stück Habsburger Geschichte. (Lange her?) Iwo! Serbien hatte noch 1878 einen Krieg gegen die Türken beendet. Vorher, 1867 hatten die Serben zwar die Türken hinauspallandert. Endlich unabhängig! Nur, niemand erkannte Serbien als Staat an. Keine Ahnung warum. (Ist Unabhängigkeit nicht ein Ziel, das die Begehrlichkeiten für ein paar Jahrzehnte befriedigen dürfte? So sagt man doch bei uns.)

Bildquelle: CEE Portal

1875 probten neben Bulgaren auch Herzegoviner den Aufstand gegen die Türken. Da die Türken aber nicht gerade zimperlich die Bulgaren niederschlugen, weckten die Aufständischen in Herzegowina nun Sympathien in Europa – und Begehrlichkeiten in Serbien. Also gingen die Serben erneut gegen die Türken vor, mit ihnen die Montenegriner - und schwächelten. Da erinnerten sich die Russen an ihre Interessen bezüglich der Kontrolle von Bosporus und Dardanellen und griffen als panslawische Schutzmacht ein. Das konnten dann aber die Briten wiederum nicht zulassen und drängten 1876 zu einer Friedenskonferenz zu Konstantinopel. (Der Vorschlag liest sich aus heutiger Südtiroler Sicht ganz interessant): Autonomie für Bosnien, Herzegowina und Bulgarien! So schaut eben ein Kompromiss aus, wenn sich Weltmächte die Interessen in einer Region ausschnapsen. Wohlbemerkt Autonomie für ein Land in dessen Hauptstadt Sarajevo der Rabbiner Jehuda Alkalay mit seinen Werken wenige Jahre zuvor den Grundgedanken für Jüdische Siedlungen im damals zum Osmanischen Reich gehörigen Heiligen Land formuliert hatte (was der damaligen Britischen Nahostpolitik nicht ungelegen kam). Wozu eine Souveränitätseinschränkung namens Autonomie meinte wiederum der Sultan (er hieß ausdrücklich nicht Matteo) mit Verweis auf die just 1876 modernisierte  Verfassung. Die Russen zeigten Muskeln (ein Charakterzug, der ihnen geblieben ist) und zogen erneut gegen die Osmanen in den Krieg.

Jetzt wurde es nicht nur den Briten zu bunt. Auch die Deutschen fürchteten sich vor allzu großslawischen Träumen der Russen. In Budapest mussten die Russen den Deutschen abschwören, auf dem Balkan ein panslawisches Reich schaffen zu wollen. (Das hatte die Geschichte schließlich für Tito reserviert.) Österreich machte für sein Neutralitätsversprechen Ansprüche auf Bosnien und Herzegowina geltend, die von den Russen prompt zugesichert wurden. (Neutralität seither in Österreich ein probates Diplomatikum.) Die Russen waren siegreich, mussten aber vor den Toren Istanbuls halt machen, da die Briten und Franzosen mittels ihrer Flotten bei den Meeresengen die Schranken wiesen. Im Krimkrieg der 1850ger Jahre hatten sie sich schließlich den nötigen Respekt verschafft und gerade die Abschreckungspolitik erfunden. So nebenbei hatten sie auch Türkisches Territorium auf dem Europäischen Kontinent dauerhaft gesichert, (wohl in weiser Voraussicht als Joker für spätere NATO und EU-Beitrittsverhandlungen).

Ob nun wegen der Quasi-Neutralität des Deutschen Reichs oder wegen Bismarcks diplomatischer Geschicklichkeit wurden die Friedensverhandlungen 1878 zu Berlin geführt. (Der Berliner Kongress reiht sich in Sachen nachhaltiger Fairness wunderbar zwischen dem Wiener und dem von Saint-Germain ein). Österreich-Ungarn erhielt das Recht, Bosnien, Herzegowina und Sandschak zu besetzen, obwohl diese formal beim Osmanischen Reich verblieben. Damit wurde ein Schutzwall zwischen Serbien und Montenegro gelegt. So ähnlich wurde übrigens Zypern britisch und Tunesien französisch besetzt. Das südliche Bulgarien erhielt als „Ostrumelien“ eine Autonomie, (die sich satte achte Jahre lang bewährte). Durch Zusammenschluss mit dem gerade eben gegründeten Nordteil entstand dann doch (der damaligen stolzen Mode folgend) die Nation Bulgarien.

Bildquelle: CEE Portal

Die Russen hingegen kehrten mit einem feuchten Händedruck verschnupft von Berlin heim. Bismarck hingegen schnürte den Zweibund mit Österreich-Ungarn, dem sich Italien wegen seiner Kolonialallüren in Afrika zum sogenannten Dreibund anschloss. Dass Preußen sich noch 1966 nach den Schleswig-Holstein-Streitereien mit Italien gegen Österreich-Ungarn verbündet hatte, sei hier nur eine Randbemerkung. Der Dreibund war eine Fehleinschätzung Italiens, wie sich im Äthiopienkrieg 1895/96 herausstellte, aber ein kluger Schachzug der Doppelmonarchie, um die Irrendenta des Risorgimentos zwischen Trient und Dalmatien in Schach zu halten und weitergehenden Territorialansprüche entlang der Wasserscheiden des Alpenhauptkamms (Gotthard, Bernina, Ofenpass, Reschen, Brenner, Toblach) vorerst das Wasser abzugraben.

Bildquelle: Archivio Irredentista

Österreich-Ungarn verzichtete Großteils auf Sandschak, machte sich aber dran, das Land, das sie von nun an Bosnien-Herzegowina nannten, zu besetzen. Es war kein Spaziergang, den Tiegel von Serben, Kroaten und Bosnier zu besetzen. (Ich kann mir den Vergleich nicht verbeißen: Orthodoxen, Katholiken, Muslime und Juden zusammen circa anderthalb Millionen Menschen, also etwa der Größe unserer (heute) fast einheitlich katholischen EVTZ entsprechend). Es wurde ein Okkupationsfeldzug draus. Nachwirkende Propaganda der Doppelmonarchie setzte der Öffentlichkeit nicht gerade ein liebvolles Bild der „Partisanen“ in die Köpfe ein. (Bella ciao und so.)

Bosnien-Herzegowina fand in den folgenden Jahren kaum Ruhe. Aufständische, die ungeklärte Zugehörigkeit, ob jetzt dem Osmanischen Reich, Österreich oder Ungarn taten ihr Übriges. (Von Doppelstaatsbürgerschaft ist nichts überliefert.) Der Kaiser hielt dagegen und konnte mit modernen Infrastrukturprogrammen auch einige Erfolge zielen, die aber wiederum problematische Zuwanderung aus anderen Teilen des Reichs zur Folge hatten. (Bitte jetzt keine unpassenden Vergleiche mit unseren Accaierie und Staudämmen.) Als Zugeständnis wurde der Islam als gleichberechtigte Religion anerkannt. Das labile Gleichgewicht schien gestört, als im Osmanischen Reich die sogenannten Jungtürken revolutionäre Pläne schmiedeten, trotz manch progressiver Ideen die alte Verfassung (also die vor Sultan Matteo, ähm 1876) wieder zurück wollten und schließlich irredentistisch auch die Gebiete in Rumelien wieder erschließen wollten.

So schloss 1903 Franz-Joseph numero eins in seinem Steirischen Feriendomizil Mürzsteg mit Zaren Nikolaus numero zwo einen Vertrag zur Sicherung des Balkans. Als 1908 die Jungtürken tatsächlich die Revolte durchzogen und an die Macht kamen, wurden alte Abmachungen bekräftigt: Der Kaiser bekam Bosnien-Herzegowina, wenn er dem Zaren freie Hand am Bosporus zusagte. Strategisch eine nicht unkluge Schwächung der Türken, mit den eigenen Verbündeten aber wohl eine unzureichend abgesprochene Aktion, die Italien als Anlass zum späteren Austritt aus dem Bündnis nutzte und die Deutschen zur Nibelungentreue stärkte. (ist doch logisch, Leute, oder?) Es wird dem Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf (mit den sieben Messern) nachgesagt, auch Serbien und Montenegro zu annektieren gewollt zu haben. Derselbe Hötzendorf, der bereits 1907 einen Präventivschlag gegen Italien forderte und der als Feldmarschall im folgenden Weltkrieg seine blutige Spur zog (unter dem Kaiser, unter dem schon Radetzky diente).

Kaum verwunderlich, dass die Annexion Bosnien-Herzegowinas so manche Krise auslöste. Die Briten wussten natürlich wiederum zu verhindern, dass die Russen bis an den Bosporus kamen und so fühlten sich die Russen von Wien gelinkt. Das Verhältnis zu Serbien war ohnehin äußerst belastet, seit dem Schweinekrieg umso mehr. Nur die durch den Japankrieg bedingte Schwächung Russlands schien die Rechnung aufgehen zu lassen. Die Türken konnten durch vollständigen Verzicht auf Sandschak besänftigt werden, aber innenpolitisch führte die befürchtete Slawisierung zu Belastungen im österreichisch-ungarischen Gleichgewicht. 1910 bekam BiH, das formal weder Österreich noch Ungarn angehörte, seine eigene Verfassung vom Kaiser höchstpersönlich verordnet. Sogleich wurden auch Landtagswahlen abgehalten. Bei der Eröffnung des Landtags gab es zum Einstand einen Anschlag auf den Gouverneur, nach dessen Misslingen der Attentäter sich selbst richtete. (Später wurde das Attentat freilich als Warnung uminterpretiert.)

Nach dem Zwischenfall, bei dem nach Japan eilende russische Kriegsschiffe irrtümlich Fischerboote an der Doggerbank 1904 versenkten, konnte Russland nur noch mit Geldzahlungen eine Kriegserklärung Großbritanniens vereiteln. Das auf Elsass, Lothringen und Marokko schielende Frankreich wäre vor die Wahl gestellt worden, sich auf die Seite des alliierten Russlands oder auf die des befreundeten Englands zu schlagen, wobei letzteres die Russen den Mittelmächten in die Arme getrieben hätte. Der diplomatischen Bewältigung der Krise entsprang 1907 das Dreierbündnis Entente (solch hohe Diplomatenkunst ging der Menschheit in den folgenden sieben Jahren leider verloren), das die Mittelmächte in die geographische Zange nahm und erst zu Mittelmächten machte. Parallel änderte sich die deutsche Position in Marokko von versuchter Annäherung an Frankreich ins katastrophale Gegenteil. Die Bemühungen des deutschen Reichskanzlers Bülow in den Marokkokrisen 1904-1911 isolierten das Deutsche Reich nur weiter. Marokko wurde zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt und besetzt.

So versuchte 1911 das ärmelnde Italien den Osmanen lybischen Siedlungsboden abzustreiten. Während Wien und Berlin die sich gerade erst verbessernden Beziehungen zu den Türken in Gefahr sahen, erkannten Briten als auch Russen den Keil im Dreibund und befeuerten den Italienisch-Türkischen Krieg, der in unrühmlichen Massenhinrichtungen der sich wehrenden nordafrikanischen Bevölkerung und Fliegerbomben bzw. Zeppelinbomben über Bengali gipfelte; von Lenin als „zivilisiertes Massaker mit neuzeitlichen Waffen“ bezeichnete. Italien hingegen erkannte spätestens jetzt, dass der Dreibund seiner Kolonialpolitik nicht nützlich war und begann, an seiner unschuldigen Neutralität zu basteln.

Bildquelle: Wikipedia

Russland vereinte Serbien und Bulgarien zum Balkanbund. Österreich kann es wohl Griechenlands Beteiligung verdanken, dass sich die geladene Energie des Balkanbundes dann doch primär gegen die geschwächten Türken ergoss, die 1912 weit zurückgedrängt wurden. Im Vakuum konnte der Staat Albanien entstehen, aber nicht sämtliches albanisches Siedlungsgebiet gegen Serben, Griechen und Montenegriner behaupten. So konnten Rom und Wien gemeinsam einen Serbisch-Russischen Zugang zur Adria abwehren. Im Frieden von 1913 wurde ethnische Entmischung beschlossen. Im Streit um Makedonien verfeindete sich Bulgarien dann aber mit Serbien und Griechenland und rückte näher an die Mittelmächte. Ebenso die durch zahlreiche Flüchtlinge aus dem Balkan zunehmend islamisierte Türkei, deren jungtürkische Bewegung nun zur Nationalgesinnung mutierte.

Am 28. Juni 1914, just am Veitstag, also am Jahrestag der Amselfeldschlacht im Kosovo 1389, fuhr Franz Ferdinand samt Gemahlin durch Sarajevo. In friedlicher Absicht, manche sagen in föderaler Absicht, so föderal friedlich Manöverabschlussfeiern in annektierten Ländern halt so sind.  Eine ganze Reihe von Attentaten wurden gegen ihn geplant. (Nota bene: NSA gab es damals noch nicht.) Eines überlebte er, andere scheiterten und letztendlich wurden doch zuerst Sophie und dann er von einem Bosnischen Nationalisten erschossen. Angeblich stammten Tatwaffen von einem Serben (sein Name war nicht Kienesperger) und der Serbische Premierminister (nein, nicht Kreisky) wurde der Mitwisserschaft beschuldigt, aber wollen wir uns hier nicht mit großen, unbestätigten Gerüchten herumplagen, sondern nur einen kleinen Weltkrieg anzetteln. Und so verstarb mit Franz Ferdinand die ganze ach so friedliche Vorweltkriegszeitrechnung. In Bosnien begannen Ressentiments gegen Serben und eine Julikrise später ging es mit der Kriegserklärung gegen Serbien los mit dem Krieg, bei dem Italien zum Feind und die Türkei zum Verbündeten der Doppelmonarchie und des Deutschen Reichs wurden.

Bildquelle: kurier.at

Wer jetzt, wie ich, immer noch nicht verstanden hat, warum dieser große Krieg denn sein hat müssen, kann daraus wohl auch keine Lehren ziehen, außer halt: Schuld sind immer die anderen.