Economia | Baubranche

„Superbonus? Mehr Chaos als Profit“

Er ist seit zwei Jahren das große Thema in der Baubranche. Doch was hat ihr der Superbonus tatsächlich gebracht? Eine Zwischenbilanz von Bauunternehmer Hannes Bernard.
Hannes Bernard
Foto: Bernard Bau

Das eigene Haus oder Kondominium energetisch sanieren und 110% der Kosten steuerlich abschreiben: mit diesem verführerischen Angebot hatte die zweite Regierung Conte 2020 aufgewartet. Mittlerweile haben die Ansuchen mit 38,7 Milliarden Euro (855 Mio. davon in der Region Trentino-Südtirol) bereits bei weitem die 33,3 Milliarden Euro übertroffen, die für den sogenannten Superbonus 110% vorgesehen wurden. Wie dieses Problem gelöst wird, muss wohl die nächste Regierung in Rom lösen; einstweilen soll das Geschäft mit den Sanierungen vor allem durch die Übertragungen der Steuerbonusse am Laufen gehalten werden. Laut aktuellen Bestimmungen können die Steuererleichterungen bei Einfamilienhäusern in jedem Fall noch bis Jahresende beansprucht werden, wenn zumindest 30% der Arbeiten innerhalb September 2022 abgeschlossen sind; für Kondominien läuft die Frist gar bis Ende 2023.

Wie diese ungewöhnliche Förderung zu bewerten ist, ist allerdings auch zwei Jahre nach ihrem Start umstritten. Auf Polemiken um milliardenschwere Betrugsfälle – laut Finanzpolizei geht man derzeit von einem Umfang in Höhe rund 5,6 Milliarden Euro aus – folgte erst Mitte Juli eine äußerst positive Bilanz: Laut einer Studie des Forschungsinstituts Nomisma schafft jeder Euro, den der Staat in den Superbonus steckt, einen Mehrwert von 3 Euro. Die 38,7 Mio. Euro, die der Staat laut aktuellem Stand in Steuerbonusse investieren muss, schaffen demnach einen wirtschaftlichen Wert in Höhe von 124,8 Milliarden Euro – von Produktion, Dienstleistungen und Löhnen bis hin zum Konsum.

Eine der großen Profiteure der gesamten Operation sollte in jedem Fall die Baubranche sein. Zu diesem Schluss müssen schon alleine all jene kommen, die derzeit vergeblich Handwerker:innen suchen oder bis zu einem Jahr auf ein neues Fenster warten müssen. Doch der Stress, unter dem viele Betriebe stehen, heißt nicht automatisch, dass es ihnen gut geht, wirft Hannes Bernard ein. Er stellt mit seinem Bruder Daniel die zweite Generation des Montaner Familienunternehmens Bernard Bau, das 1983 von Vater Markus und dessen Bruder Hartmann gegründet worden war. Mit seinen 85 Angestellten bietet sich der Betrieb als Generalunternehmer an, der Bauten im öffentlichen wie privaten Bereich schlüsselfertig übergibt.

Salto.bz: Herr Bernard, der Superbonus 110% scheidet weiterhin die Geister: Wachstumsmotor und Treiber für ökologischeres Bauen sagen die einen; unverhältnismäßig, sozial unverträglich und vor allem Anlass für massive Betrügereien kritisieren die anderen. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Hannes Bernard: Ich persönlich finde, dass der Superbonus mehr Chaos als Unterstützung für uns Unternehmen gebracht hat. Anfangs vor allem, weil es lange viele Unklarheiten gegeben hat; viele Erläuterungen wurden erst Schritt für Schritt nachgereicht. Das gesamte erste Jahre haben auch Techniker nicht wirklich gewusst, was sie vorbereiten sollen, weil die Dokumentationsgestaltung total unklar war. Wir als Unternehmen haben aus diesem Grund tatsächlich erst 2022 wirklich begonnen, Projekte durchzuführen. Mittlerweile haben wir im Privatsektor einiges realisiert; bei einigen Kondominien, die im Gegensatz zu den Privaten erst bis Ende 2023 abschließen können, wissen wir noch nicht, wann wir starten können, da noch Unterlagen fehlen.

Ist der Papierkram tatsächlich so aufwändig?

Ja, auch weil es nur wenige Techniker:innen gibt, die ihn auf sich nehmen. Eines der Probleme ist, dass die Hauptverantwortung, ob jemand den Bonus erhält oder nicht, bei ihnen liegt; und es gibt nicht viele Techniker, die sich diese Verantwortung aufhalsen. Und ja, es braucht tatsächlich viele Dokumente und vielfach auch eine sogenannte sanatoria, mit der alle Daten in Kataster und Grundbuch auf den aktuellen Stand gebracht werden, um Anrecht auf den Superbonus zu haben. Ob er tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wird dann in einer Berechnung bestimmt. Dann zeigt sich, ob mit den entsprechenden Arbeiten eine Verbesserung um mindestens zwei Energieklassen erreicht wird. 

Dennoch: Heizkessel austauschen, Solaranlagen einbauen, Wärmedämmungen vornehmen oder auch Häuser erdbebensicher zu machen, ohne einen Cent zu bezahlen – das ist wohl nicht nur eine einmalige Chance für alle Hausbesitzer:innen, sondern auch ein gewaltiger Schub für die gesamte Bau- aber auch Volkswirtschaft?  

Unsere Umsätze sind mehr oder weniger konstant geblieben. Denn durch den Superbonus sind auch einige Arbeiten weggefallen. Vor allem im Industrie- und Gewerbebau warten derzeit viele Unternehmen mit Investitionen ab, bis sich die Situation wieder stabilisiert. Man darf nicht vergessen, dass die angeheizte Nachfrage zu extremen Preissteigerungen geführt hat. Natürlich ist dafür nicht ausschließlich der Superbonus verantwortlich. Doch es ist klar, dass eine solche Maßnahme den Preis extrem beeinflusst. Nicht nur, weil bestimmte Produkte knapp und somit teurer werden. Wenn es plötzlich heißt, dass Bauherren nicht nur alles zurückbekommen, sondern man ihnen auch noch zehn Prozent darauf bezahlt, wenn sie ihr Haus sanieren, gibt es eben auch viele Marktteilnehmer, die denken, da auch mitnaschen zu können und auf ihre persönlichen Interessen schauen.

Wie stark sind die Preise gestiegen?

Ich schätze, wenn man das Gesamtvolumen betrachtet, um etwas 10 bis 15%.

Also, wenn Sie heute ein Haus bauen, kostet es um 10 bis 15% mehr als noch vor zwei Jahren?

Ja, im Schnitt sicher. Die Preisvariationen sind von Gewerk zu Gewerk in unterschiedlichem Ausmaß gestiegen; einige sind gleich geblieben; andere haben sich mehr als verdoppelt. Aber den größten Einfluss haben einfach die enormen Preissteigerungen bei einigen Baustoffen.

Wie zum Beispiel?

Eisen! Hier ist der Preis für das Rohmaterial von etwa 150 Euro auf 900 Euro die Tonne gestiegen. Bei Holz ist eine Quantifizierung nicht ganz einfach, aber ich würde auch von einer Verdoppelung sprechen. Leimbinder beispielsweise haben generell etwa 450 Euro pro Kubikmeter gekostet; jetzt habe ich auch schon bis zu 900 Euro pro Kubikmeter gezahlt. Auch Zement ist um etwa 30% teurer, Dämmmaterialien und Glas sowieso. Über Fenster brauchen wir nicht mehr reden….

… da wird von Bestellfristen von einem Jahr gesprochen.

Genau. Und der Preis ist auch sicher um mindestens 40% gestiegen.

 

 

Wie reagieren Ihre Kunden auf solche Steigerungen?

Ja, das ist schwierig. Die sind gezwungen da mitzugehen, denn kein Unternehmen ist imstande, Preissteigerungen in diesem Ausmaß nicht weiterzugeben. Alles unter 5% kann man noch als Unternehmerrisiko sehen, das ist noch irgendwie stemm- und kalkulierbar. Aber darüber hinaus wird es einfach nicht mehr machbar. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe kann es da schnell aus der Bahn werfen.

Doch wie sehen die Einigungen mit Kund:innen konkret aus, wenn die Preise im Kostenvoranschlag noch viel geringer waren?

Generell wurden vor allem in der Übergangszeit Kompromisse gefunden; einen Teil haben wir übernommen und einen Teil der Kunde. Als Familienbetrieb wollen wir uns ganz sicher nicht auf Kosten unserer Kund:innen an den Preissteigerungen bereichern. Prinzipiell muss man aber sagen: Wenn die Marktpreise jetzt so sind, muss der Endverbraucher sie halt leider zahlen. Ich kann auch nicht von einem Supermarkt verlangen, dass er mir eine Preissteigerung bei Lebensmitteln ausgleicht.

Um noch einmal zur Zwischenbilanz des Superbonus zurückkehren: Sie sagen also, die Baubranche hat gar nicht so sehr von dieser Maßnahme profitiert, für die laut letzten Enea-Daten aktuell bereits Investitionen in Höhe von über 35,2 Milliarden Euro für Abschreibungen genehmigt wurden?

Natürlich haben bestimmte Unternehmen profitiert, doch mit dem Superbonus werden bei weitem nicht alle Arbeiten am Bau gefördert. Im Prinzip haben vor allem jene profitiert, die an der Fassadenhülle und am Dach arbeiten; ob Maler und Verputzer, Dachdecker, Fensterbauer, teils auch Installateure. Andere Gewerke wie zum Beispiel der Tiefbau haben weit weniger vom Superbonus. Und: Sie brauchen ja nur eine Zeitung aufzuschlagen, um zu sehen, dass es derzeit überall an Personal mangelt. Also, auch jene Firmen, die viel mehr Aufträge hätten, können diese nur beschränkt annehmen oder kommen mit der Arbeit nicht nach, weil ihnen hinten und vorne die Leute fehlen.

Unter dem Strich waren sowohl Bauunternehmen wie auch Bauherren mit den herkömmlichen Steuerabzügen vielfach besser dran.

Bernard Bau wickelt laut Ihrer Webseite im Jahr rund 30 Baustellen ab. Wie viel läuft derzeit unter dem Superbonus?

Mittlerweile haben wir sogar rund 40 Baustellen, und das hat auch mit dem Superbonus und den daher eingehenden Preissteigerungen zu tun. Weil eben vor allem Betriebe Investitionen aufschieben, weil jeder, der nicht unbedingt bauen muss, eher abwartet, gibt es viel weniger Großbaustellen. Wir haben derzeit mehr und dafür kleinere Baustellen als gewöhnlich. Doch von diesen 40 machen wir aktuell in etwa zur Hälfte energetische Sanierung, einen Großteil davon mit dem Superbonus.

Also profitieren sie wohl doch beachtlich vom Superbonus?

Profitieren würde ich nicht sagen. Hier beißt sich der Fuchs einfach selber in den Schwanz. Denn durch die ganzen Preissteigerungen fallen andere und vielfach größere Aufträge weg. Stattdessen machen wir jetzt eben mehr energetische Sanierungen. Doch unter dem Strich waren sowohl Bauunternehmen wie auch Bauherren mit den herkömmlichen Steuerabzügen für Gebäudesanierungen und energetische Sanierungen vielfach besser dran. Die sind viel einfacher in der Abwicklung, und wenn man die Preissteigerungen durch den 110%-Bonus mitberücksichtigt, blieb dem Bauherren vielleicht davor mit den üblichen Förderungen sogar mehr.

Wie das?

Die 100% gelten ja nie für alle Kosten, und vor allem werden nun infolge der Preissteigerungen bei den Materialien oft die vorgesehenen Kostenlimits überschritten. Sprich: wenn die Fenster dann 40.000 kosten und beispielsweise nur 35.000 förderbar sind, muss auch diese Differenz wieder selbst gezahlt werden. Und auch für uns Unternehmen wird alles viel komplizierter: es gibt viele Auflagen, es werden Zertifizierungen verlangt, die unsere Lieferanten erst einmal einführen mussten – wie etwa, dass bestimmte Materialien nur so und so viele Kilometer von der Baustelle entfernt produziert werden dürfen. Überhaupt wird ganz stark vorgeschrieben, welche Materialien verwendet werden dürfen, was in Zeiten von Materialengpässen ein zusätzliches Hindernis darstellt.

 

 

Doch genau darum geht es ja: um eine energetische Transformation, um ökologischeres Bauen. Ist es nicht zu begrüßen, wenn in Zeiten der Energiekrise die Zahl von Photovoltaikanlagen allein 2021 um 800 MW gestiegen ist und wenn in sanierten Gebäuden im Schnitt um rund die Hälfte weniger Energie verbraucht wird oder CO2 ausgestoßen wird?

Ja, natürlich ist das zu begrüßen. Doch wenn wir schon von Nachhaltigkeit sprechen: Mit dem Superbonus wird auch der Einbau von Dämmstoffen wie Steinwolle oder Polystyrol EPS gefördert, die dann beim Abbau der Häuser als Gefahrstoff entsorgt werden müssen.

Weil sie so giftig sind?

Nun, vor allem bei Polystyrol haben wir mehr oder weniger eine Kunststoffhülle, die aus Erdöl hergestellt wird. Sprich: ich habe eine Gebäudehülle, die aus einem synthetischen Produkt hergestellt wird, das noch dazu bei seiner Entsorgung einen Haufen Geld kostet. Doch gleichzeitig erzielt es eben auch den besten Dämmwert, braucht am wenigsten Platz und ist sogar noch günstiger als Steinwolle. Und deshalb wird es häufig verwendet.

Und es gibt keine Alternativen?

Interessant ist zum Beispiel gleich mit Dämmziegeln zu bauen, das sind 50 cm-Ziegel, die ähnliche Werte erzielen wie eine gedämmte Fassadenmauer. Die sind allerdings vor allem bei Neubauten interessant.

Wie schwierig ist es also, als Bauunternehmer nachhaltig zu arbeiten?  

Ich bin überzeugt, dass das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft absolut an Bedeutung gewinnen wird, es ist schließlich weltweit DAS Zukunftsthema. Wie schnell es am Südtiroler Markt greifen wird, ist schwer zu sagen. Ausschlaggebend wird sicherlich die öffentliche Hand sein. Sobald bei öffentlichen Bauten bestimmte Vorschriften kommen, zieht in Folge auch der Privatsektor nach. Das war auch bei anderen Themen immer so.  

Doch aktuell sind wir noch nicht nachhaltig unterwegs im Bausektor?

Nein, wenn auch sicherlich mehr als in vielen anderen Teilen der Welt. Ich traue mich zwar zu sagen, dass wir in Südtirol europaweit unter den Top 5 bei der Bauqualität sind, auch weit vor Österreich. Doch um wirklich nachhaltig zu bauen, brauchen wir vor allem bessere Lösungen für die Dämmung. Hier müssen wir viel stärker in Richtung natürliche und recycelbare Materialien gehen. Das ist sicher der nächste große Schritt.

Um wirklich nachhaltig zu bauen, brauchen wir vor allem bessere Lösungen für die Dämmung.

Bis dahin müssen nun aber der Superbonus und seine Folgen bewältig werden. Gibt es von Seiten der Unternehmen noch konkrete Forderungen an die Politik?

Das brennendste Thema sind derzeit einfach die enormen Preissteigerungen. Ich sehe diese Entwicklung vor allem für kleine Unternehmen als sehr gefährlich an. Hier wäre es wichtig, dass von einer glaubwürdigen Institution wie der öffentlichen Hand anerkannt wird, um wie viel die Preise gestiegen sind. Für Eisen gibt es beispielsweise eine Richtline, also eine öffentliche Webseite, auf der man die Preisentwicklungen mitverfolgen kann. Doch für alle anderen Rohstoffpreise fehlen solche Anhaltspunkte; es bräuchte wieder Rohstoffpreislisten, wie wir sie früher hatten, im Prinzip ein öffentliches Preisregister für Rohstoffe. So könnte die ganze Entwicklung besser gesteuert werden, durch eine glaubwürdige Körperschaft wie das Land. 

Aktuell dagegen haben wir den Wilden Westen, wo jeder verlangt, was er kann?

Ja, so ungefähr. Und vor allem wäre es mit solchen Preislisten, die an aktuelle Rohstoffpreise gekoppelt sind, auch einfacher als Unternehmer Preisrevisionen durchzusetzen. Vor allem im ersten Jahr haben viele Bauunternehmer bei öffentlichen Bauaufträgen nicht mehr geschlafen, wenn sie Verträge mit Fixpreisen unterschrieben hatten. Mittlerweile sind für letztes Jahr vom Staat zwei Dekrete mit Preisrevisionen herausgekommen. Doch auch wir haben immer noch viele Positionen offen, bei denen die Preissteigerungen bei öffentlichen Bauaufträgen auf unsere Kosten gingen und immer noch unklar ist, ob wir sie zu 100, 50 Prozent oder gar nicht zurückbekommen. Das liegt dann in der Hand des jeweiligen Projektsteurers, und das ist nicht in Ordnung. Unternehmen, die eine Leistung bringen, sollen nicht jahrelang Mehrausgaben vorfinanzieren müssen, für die sie nichts können. Denn es war der politische Wille, den Markt mit einer solchen Förderung derart zu überhitzen.  

Bild
Profile picture for user Josef Fulterer
Josef Fulterer Sab, 07/30/2022 - 07:52

Weitaus vernünftiger wie die steuerlich abzuschreibenden Baukosten / Superbonus, die schon seit Tremonti zu wenig überlegten überflüssigen Bauten geführt hat, wäre der Abbau der überbordenden Bürokratie, die bald 1/3 der Baukosten frisst.
Mit dem teilweise oder auch ganzen Verzicht der MWSt., wie in der Vergangenheit teilweise angewendet, hätte der Staat eine leicht überprüfbare und wirksame Förderung in der Hand, um Spitäler, Schulen, den sozialen Wohnbau usw. zu fördern.

Sab, 07/30/2022 - 07:52 Collegamento permanente