Gesellschaft | Gastbeitrag

Sieben Vorschläge für die Zukunft

Aus Corona nicht in die Vergangenheit zurückkehren, sondern mit ihren Fehlern brechen, fordern Jugendliche in ganz Italien und formulieren dazu sieben Ansätze.
Fernglas
Foto: Pixabay

Wo die Straße versperrt bleibt, birgt das Netz neue Möglichkeiten: Der #digitalstrike setzte neue Maßstäbe an innovativen Protestformen. Salto.bz hat über diese virtuelle Klima-Demonstration vom vergangenen Freitag berichtet. Zusammen mit anderen Umweltschutzverbänden hat Fridays for Future Italia dabei eine Kampagne zur Verbreitung von sieben Ideen gestartet, die als Leitbild für eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung nach Corona dienen sollen. Zahlreiche Jugend- und Studierendenorganisationen haben ihre Zustimmung erklärt. Auch viele Einzelpersonen haben – immer virtuell – unterschrieben, darunter nicht wenige Wissenschaftler*innen. Für uns als Südtiroler HochschülerInnenschaft steht es außer Debatte, solche progressiven Vorstöße zu unterstützen, auch wir haben uns daher der Erklärung angeschlossen und sie ins Deutsche übersetzt. Die sieben Punkte sind auf www.ritornoalfuturo.org oder www.asus.sh (deutsch) einsehbar. Zusammengefasst sind sie:

1. Mehr Mut, mehr Geld! Wir brauchen dringend einen Plan, wie wir unsere Wirtschaft ökologischer gestalten können. Wie wir damit jetzt anfangen können. Dabei wird man um hohe öffentliche Ausgaben nicht herumkommen und um die komplexe Diskussion, wie sie finanziert werden.

2. Ja zur öffentlichen Rolle in der Wirtschaft! Die „unsichtbare Hand“ des Marktes scheint nicht in der Lage zu sein, von sich aus nachhaltiges Wirtschaften zu implementieren. Der Staat, die Regionen, die Provinzen und Kommunen müssen eine führende, koordinierende und kontrollierende Funktion beim ökologisch-sozialen Umbau der Wirtschaft beanspruchen. Unter demokratischer Kontrolle.

3. Soziale und Klimagerechtigkeit zusammen denken! Die Interessen von Arbeitnehmer*innen und Klimaschutz dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen keinen Green New Deal der Großkonzerne, keinen Raubtierkapitalismus mit grünem Anstrich.

4. Ein Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik! Die EU pumpt Unsummen in eine Landwirtschaft, die in der aktuellen Form keine Zukunft hat. Die industrielle Ausbeutung der Natur muss überwunden und die Verschwendung natürlicher Ressourcen (auch von Lebensmitteln) eingedämmt werden.

5. Der ökologische Wohlfahrtsstaat als Ziel! Die Gesundheit der Bürger*innen und die Sicherung eines qualitätsvollen öffentlichen Gesundheitswesens müssen vorrangige Ziele im Bereich der Haushaltspolitik darstellen. Der Staat muss auch entschiedener gegen Umweltverbrechen vorgehen, und hier insbesondere die organisierte Kriminalität erbittert bekämpfen.

6. Demokratie und Bildung: Pfeiler der ökologischen Transformation! Demokratische Beteiligungsrechte sind auszubauen und durch Transparenz, Information und Aufklärung zukunftweisende gesellschaftliche Debatten zu fördern. Im Bildungsbereich muss die Propagierung von Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine große Rolle spielen.

7. Ein Europa der Bürger*innen, nicht der Konzerne! Gemeinsame europäische Institutionen können ihre Legitimität nur dann wahren, wenn sie unter Jahrzehnte neoliberaler Politik endlich einen kräftigen Schlussstrich setzen. Es wurde lange genug Politik für das oberste 1% gemacht.

So viel zu den Forderungen. Wir machen uns keine Illusionen: Für die herrschende Politik ist es nicht unbedingt so bedeutsam, was die Jugend will. Denn hinter den Jugendlichen steht keine mächtige Lobby. Uns fehlen die Seilschaften und als Wählergruppe sind wir verhältnismäßig klein. Die Rechnung geht auch ohne uns auf, noch. Aber die Entfremdung, die Ablehnung, die Wut über ein System, das unsere natürlichen Lebensgrundlagen offen zerstört, wird größer. Mein Eindruck ist, dass sich die junge Generation – meine Generation – langsam zu lösen beginnt von den geistigen Fesseln der Gegenwart, vom Dogma der „Alternativlosigkeit“ vorgefundener Verhältnisse. Und wie stark konnte eine spontane Bewegung von Schüler*innen, Studierenden, Wissenschaftler*innen usw. die politische Tagesordnung determinieren, ja Konzernbosse in Erklärungsnot bringen! Diese Erfolge von Fridays for Future schenken Zuversicht.

Wir machen uns keine Illusionen: Für die herrschende Politik ist es nicht unbedingt so bedeutsam, was die Jugend will.

Nun sind die sieben Punkte noch zu allgemein gehalten, sie müssen konkretisiert, verdichtet werden zu einer politischen Agenda. Wir müssen überlegen, was sie in Bezug auf Südtirol, auf unsere alltägliche Lebenswirklichkeit bedeuten können. Es wird nicht einfach sein, sie mit den sich abzeichnenden regionalen Sonderwegen in Einklang zu bringen, mit denen viele Regionen und auch Südtirol ihre Wirtschaft mit einer eigene „Phase 2“ schützen wollen. Aber sie sind ein guter Impuls, der auch differenziert und lokal umgesetzt werden kann. Am 27. April vor 83 Jahren fand der italienische Philosoph Antonio Gramsci, von den Faschisten verhaftet, seinen Tod. Von ihm ist folgender Aufruf an die Jugend überliefert: „Bildet euch, begeistert euch, organisiert euch.“ Wenn das gelingt, wird der Inhalt von „ritorno al futuro“ einmal mehr sein als nur content einer hipp designten Web-Kampagne.

Die Welt zu retten erfordert eine grundlegende, auch wirtschaftliche, Transformation.

Aber es geht jetzt nicht darum, einen Generationenkonflikt heraufzubeschwören, gute Jugend gegen böse Alte. Das hat noch nie geholfen, das spaltet. Wir müssen als Gesellschaft gemeinsam den Schritt in eine neue Zukunft wagen. Und genau dahin zielt die Botschaft von Fridays for Future, auch wenn das in den Medien oft untergeht. Nämlich Bündnisse quer durch alle Generationen zu schaffen, zwischen Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen, die ein Anliegen teilen: Die Welt nicht irgendwie zu verbessern, sie nach irgendeiner Ideologie zu formen oder ähnliches – dazu ist es längst zu spät. Sondern sie überhaupt zu retten. Und eben das erfordert eine grundlegende, auch wirtschaftliche, Transformation.