Wirtschaft | Klimakrise

Wir haben es noch in der Hand

Die repräsentative Demokratie verwaltet mit Vorliebe Wirtschaftswachstum, kann sie auch das Gegenteil? Klimaforscher Georg Kaser fordert genau das – und mehr Teilhabe.
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Foto: Unsplash
„Die Handlungsfelder in der Klimakrise schließen sich sehr schnell“, sagt Georg Kaser. Der in Meran geborene Glaziologe sieht in den derzeitigen Klimaveränderungen bereits schrillende Alarmglocken. Er selbst hat 2-mal als Leitautor bei einem Bericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC) mitgearbeitet, die Südtiroler Landesregierung bei der Ausarbeitung des neuen Klimaplans beraten und tretet immer wieder in den Dialog mit der Öffentlichkeit.
Kaser wurde gestern Abend, am 30. November, in den Bozner Gemeinderat eingeladen, um über die aktuelle Entwicklung des Weltklimas aus erster Hand zu berichten. Die Anhörung war von der Initiative für mehr Demokratie und dem Bündnis Climate Action initiiert worden. Vergangenen Sonntag hatte zudem die Klimaprotestbewegung Extinction Rebellion auf die Anhörung aufmerksam gemacht und die Gründung von Klimabürger:innenräte gefordert. Auch das Team K hatte Ende September erfolglos versucht, mit einem Beschlussantrag den Bozner Gemeinderat von dieser vielversprechenden und innovativen Form der Bürger:innenbeteiligung zu überzeugen.
 

Schonungslose Analyse

 
„Wir haben von 1971 bis 2020 380 Zettajoule (380.000.000.000.000.000.000.000 Joule) an Energie in das System gepumpt und heizen weiter an“, so Kaser. 89 Prozent dieser Energie speichern die Ozeane, 4 Prozent wird zum Schmelzen von Schnee und Eis verwendet, 5 Prozent erwärmt die Landoberflächen und nur 2 Prozent entweicht in die Atmosphäre. Ohne den immensen Wärmespeicher der Ozeane hätte sich die Durchschnittstemperatur bereits um 36 Grad Celsius erwärmt.
 
 
Laut dem Weltklimarat (IPCC) der Vereinten Nationen hat der durch menschliche Aktivitäten verursachte Energiezuwachs im Klimasystem von 2011 bis 2020 bereits zu einer mittleren globalen Erwärmung von 1,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit geführt. In IPCC-Berichten wird der weltweite Forschungsstand zum Klimawandel regelmäßig zusammengefasst, er gilt als glaubwürdigste und fundierteste Darstellung innerhalb der Wissenschaft. 
„Auch in den letzten Hunderttausend Jahren hatten wir relativ hohe Werte, aber noch nicht so hohe wie heute“, sagt Kaser. Bei der Frage, wie es weiter geht, stellt er in seiner Anhörung im Bozner Gemeinderat verschiedene sogenannte sozioökonomische Pfade, die in CO2-Emissionsraten resultieren, vor. Im Augenblick bewege sich die Menschheit mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Pfad Richtung 3 Grad Celsius bis zum Jahr 2100.
„Wenn wir alle Versprechungen einhalten, die die Regierungen gemacht haben, dann kommen wir deutlich über 2,5 Grad Celsius. Wollen wir das 1,5- oder 2-Grad-Ziel erreichen, müssen wir relativ schnell die Emissionen reduzieren und negative Emissionen erzeugen“, erklärt der Klimaforscher. Negative Emissionen bedeutet die Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, beispielsweise durch die Speicherung von CO2-Emissionen in Wäldern und Mooren.
 

Wetterextreme und Kipppunkte

 
Würde sich die Durchschnittstemperatur weiter erhöhen, würden Küsten eisfrei und erodieren, das darin enthaltene Methan würde die Erderwärmung wiederum weiter anfachen, da Methangas eines der wirksamsten Treibhausgase ist.
Zudem hat die zunehmende Aufnahme von CO2 in den Weltmeeren zur Folge, dass die Ozeane versauern. Steigt der CO2-Gehalt weiter an, trifft das die maritimen Ökosysteme und deren Nahrungsketten werden zerstört. Das hätte auch Folgen für den nicht ozeanischen Teil der Erde. Eine weitere Folge der Erwärmung ist der Anstieg des Meeresspiegels, was das Aus vieler besiedelter oder landwirtschaftlich genutzter Gebiete bis 2100 bedeuten könnte.
„Venedig ist eigentlich schon erledigt, weil wir bis 2100 zu großer Wahrscheinlichkeit einen Meerspiegelanstieg von 1 Meter haben werden. So weit sind wir schon. Wenn wir das weiterdenken, kommen wir im allerbesten Fall im Jahr 2300 auf einen Anstieg von 2 bis 3 Meter. Gleichzeitig deuten die Entwicklungen in der Antarktis auf einen möglichen Meeresanstieg von mehr als 15 Meter bis 2300 hin.“
 
 
Auch die Wetterextreme nehmen jetzt zu: „Hitzewellen treten bereits heute ungefähr 3-mal häufiger auf als noch in der Zeitperiode von 1850 bis 1900. Die Ereignisse werden stärker und länger. Der Monsunregen in Pakistan, der 30 Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage geraubt hat, war 7- bis 9-mal stärker als normaler Monsunregen.“ Trockenheit und Starkregen werden mit dem weiteren Anstieg der Durchschnittstemperatur häufiger und stärker.
Die Kipppunkte wie der Permafrost, die Reduktion des Meereises, Dürreperioden und Waldbrände sind zum Teil miteinander gekoppelt. „Es gehen überall die Blaulichter und Sirenen“, so Kaser. „Wir gehen jetzt davon aus, dass jedes weitere Zehntel Grad Celsius Erwärmung das Klimasystem zum Kippen bringen kann, was für die Menschheit fatal wäre. Die Weltorganisation für Meteorologie geht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass wir das 1,5-Grad-Ziel noch vor 2025 erreichen. Ob wir es dann einhalten, hängt ganz davon ab, wie wir uns verhalten.“
 

CO2-Budget

 
Wenn Südtirol das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch einhalten möchte, dann hätten wir laut Kaser mit den bleibenden Emissionsraten, nämlich laut Eurac Klimareport 2018 5,3 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr, unser Budget von insgesamt 22 Tonnen pro Kopf (Stand Ende 2022) innerhalb 2027 verbraucht. Als Vergleich zieht der Klimaforscher die CO2-Emissionen beim Bau eines E-Autos heran: Die Produktion eines Polestar (Volvo) verursacht 26 Tonnen CO2. „Wenn ich heute ein E-Auto kaufe, habe ich bereits mein Budget überschossen“, so Kaser.
Wenn wir unseren Konsum nicht ändern und das CO2-Budget von Menschen aus dem globalen Süden wie Afrika verbrauchen, enden wir laut dem Klimaforscher in einem neuen Kolonialismus. Der einzig moralisch gangbare Ausweg bleibe daher, der Empfehlung des letzten IPCC-Berichts zu folgen: „Wenn wir nicht sofort und ganze tiefe Emissionsreduktionen umsetzen, dann werden wir das 1,5- oder 2-Grad-Ziel nicht erreichen. Wenn wir es jetzt nicht bis 2030 schaffen, dann haben wir das Spiel verloren.“
Einige Staaten verfolgen bereits einen sozioökonomischen Pfad Richtung 2-Grad-Ziel, außerdem haben mindestens 826 Städte und 103 Regionen sich ein ambitioniertes Null-Emissionsziel gesetzt. Wie die Klimaziele auf institutioneller, sozialer und kultureller Ebene umgesetzt werden können, könne nicht wissenschaftlich aufbereitet werden. Hingegen gebe es wissenschaftlich fundierte Antworten, wie Klimaschutz technologisch und wirtschaftlich umgesetzt werden kann.
Was es nun brauche, sei eine Regierungsform, die die Menschen von einem negativen wirtschaftlichen Wachstum (Degrowth) in allen Bereichen überzeugen kann. „Hier muss man sich überlegen, wie man die Menschen mit hereinholt. Ich hatte das fantastische Erlebnis im Klimabürger:innenrat Österreichs als Wissenschaftler beratend tätig zu sein. Vor wenigen Wochen haben alle Ministerien zu dem Bericht des Klimabürgerrats Stellung bezogen, nun liegt es an der Politik den Ball aufzunehmen oder nicht.“
Diese Art der Bürger:innenbeteiligung könne also funktionieren, wenn sie professionell vorbereitet wird und die Politik die erarbeiteten Ergebnisse auch ernst nimmt. „Man muss sich gut überlegen, ob man dafür Geld in die Hand nehmen will und auf welcher Ebene und zu welchem Thema gearbeitet werden soll“, sagt Kaser.
 
 
Das Team K hat seinen Beschlussantrag zum Klimabürger:innenrat nun ein zweites Mal eingebracht. Der Antrag muss in der Umweltkommission diskutiert werden, bevor er zur Abstimmung in den Gemeinderat kommt. „Es könnte sich über Monate hinziehen. Aber wir brauchen als Stadt ehrgeizigere Ziele beim Klimaschutz, beispielsweise beim Verkehr“, so Team-K Gemeinderat Matthias Cologna.