Gesellschaft | Kommentar

Ein Hoch auf die "Pille danach"

Arnold Tribus stellt sich in einem Leitartikel zur "Pille danach" Fragen zur weiblichen Sexualität. Hier bekommt er Antworten einer jungen Frau.
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Foto: web

Arnold Tribus beschreibt in seinem Text, der am 4. April in der Neuen Südtiroler Tageszeitung veröffentlicht wurde, die Begegnung mit einem jungen Mädchen in Rom, das auf Klassenfahrt ist und ihn nach einer Apotheke fragt, um die „Pille danach“ zu besorgen. Daraufhin macht sich der Autor Gedanken und offensichtlich große Sorgen um die weibliche Sexualität und lässt offene Fragen und einen faden Beigeschmack zurück. Ist die Pille danach zu einer schnellen Form der Verhütung geworden? Waren das der Sinn und Zweck dieser neuen Pille? Vögeln und Pille danach schlucken. Das ist die Devise.“

Schon zu Beginn des Textes versteht Tribus nicht, dassFrauen aus irgendeinem Grund genötigt sind auf eine Schwangerschaft zu verzichten“. Ach, wenn die armen Frauen nicht aus „irgendwelchen Gründen“, wie zum Beispiel Vergewaltigung, fehlender Unterstützung, Angst vor sozialer Ausgrenzung oder so ganz komischen Dingen wie Selbstverwirklichung oder Karriere, genötigt werden auf eine Schwangerschaft zu verzichten, dann wäre die Welt wirklich in Ordnung. Abtreibung ist ein sehr sensibles Thema, und Frauen entscheiden sich aus ganz persönlichen Bewegründen bewusst für einen Schwangerschaftsabbruch, weil es ihr Recht ist, über ihren Körper und ihre Zukunft selbst zu bestimmen und zu entscheiden. Sie werden weder dazu genötigt noch ist es automatisch für alle ein Verzicht. Allen Frauen hier pauschal ihre Selbstbestimmung abzuschreiben und sie als Opfer „irgendwelcher Gründe“ darzustellen, die es nicht wert sind näher erläutert zu werden, ist falsch.

Abtreibung ist ein sehr sensibles Thema und Frauen entscheiden sich aus ganz persönlichen Bewegründen bewusst für einen Schwangerschaftsabbruch, weil es ihr Recht ist, über ihren Körper und ihre Zukunft selbst zu bestimmen und zu entscheiden.

Schauen wir uns die Aussagen des Mädchens, die den Autoren „erschüttern“, genauer an: Vor allem wenn sie zuviel getrunken habe, passiere es, dass sie mit mehreren Buben Geschlechtsverkehr habe und am nächsten Tag mit entsetzlichen Ängsten aufwache. Ja, junge heranwachsene Frauen trinken auch mal Alkohol, feiern und lassen sich gehen. Das frau dann Sachen tut, die frau bereut, soll vorkommen. Es soll aber auch vorkommen, und das nicht selten, dass diese Situation von Jungen ausgenutzt wird, um Mädchen zu vergewaltigen. Dass die Opfer dann die Möglichkeit haben, eine Schwangerschaft zu verhindern, indem sie schnellen und einfachen Zugang zur „Pille danach“ haben, ist eine wichtige Errungenschaft.

Die Idee, bei ihrem Treiben geschwängert worden zu sein, mache sie verrückt, sie würde ihre Mutter enttäuschen...“ Warum macht sie das so verrückt? Als ungewollt schwangeres Mädchen spürt SIE danach die herabwürdigenden Blicke und die Ausgrenzungen. SIE ist das unverantwortliche Mädchen und macht ihrer Familie Schande. Über SIE wird geredet, in der Schule, der Dorfgemeinschaft. ER ist fein raus! Natürlich, er kennt diese Ängste nicht, für ihn sind sie weit weg. Das ist ein Privileg männlicher Sexualität. „Zum Glück, meinte sie, gebe es nun die Pille danach, die ihr die Angst nehme.” Die „Pille danach“ trägt erheblich dazu bei, dass Frauen ihre Sexualität frei ausleben können, ohne dabei ständig mit diesen Ängsten leben zu müssen.

“Nein, die Pille lehne sie aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen ab und zudem habe sie festgestellt, dass die meisten Partner kein Kondom bei sich haben, weshalb es eben ohne Verhütung passiert.Auf die Frage, warum sie nicht die Pille nehme, hat das Mädchen eine Antwort die Tribus als „saloppen und leichtfertigen Umgang mit dem Medikament“ verurteilt. Das Mädchen handelt, zumindest im Nachhinein, verantwortungsbewusst. Sie ist über die negativen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen der regelmäßigen Einnahme der Pille über längeren Zeitraum aufgeklärt. Sie übernimmt Verantwortung, nicht nur für ihre eigene Gesundheit und ihr sexuelles Verhalten, sondern sogar für die Umwelt. Was man ja von ihren leichtfertigen männlichen Sexpartnern nicht behaupten kann. Wie Tribus auch richtig anmerkt: Ich frage mich auch ob es ein Zeichen großer Freiheit sei, wenn diese hübschen Mädchen ihre Sexualpartner jeder Verantwortung entheben, schließlich gibt es ja die Pille danach, der Mann schert sich um nichts...“  Nur schiebt er die Verantwortung, ganz nach chauvinistischer Manier, mal wieder den Mädchen zu und entbindet so die Jungen und Männer nur noch mehr von ihren Verpflichtungen. Soll es also Aufgabe der Frauen und Mädchen sein, die Männer und Jungs daran zu erinnern, sich ein Kondom über ihr Geschlechtsteil zu stülpen? Was für alle Beteiligten, ganz abgesehen davon, wie viele hormonelle Präparate im Vor-oder Nachhinein zu Verfügung stehen, immer noch die gesündeste Variante wäre. Wir müssten uns hier also wenn genauso die Frage stellen, warum dies junge Männer 2017 immer noch nicht selbstverständlich tun und leichtfertig mit der Gesundheit und Zukunft zweier Menschen umgehen. Oder soll die Anspielung des Verfassers auf das Aussehen der Mädchen so verstanden werden, dass die armen Jungen, ihren Trieben verfallen, ja nichts dafür können. Ja es kann halt im Eifer des Gefechts schon mal sein, dass das Gehirn auf beiden Seiten ausschaltet. Das ist ja auch das Schöne am Sex, aber das muss ich Herrn Tribus, der sich in sexuellen Dingen als frei und tolerant bezeichnet, ja nicht erklären. Anscheinend werden steinzeitliche Stammtischwitzeleien, à la „wer’s kriegt, darf’s behalten“ immer noch zu wörtlich genommen, Männer ihrer Verantwortung entbunden und Verhütung als Frauensache zementiert. Dass Mädchen und Frauen heute durch die „Pille danach“ eine weitere Möglichkeit haben, dieses unverantwortliche und leichtfertige Verhalten des männlichen Geschlechts im Hinblick auf eine mögliche Schwangerschaft nicht ausbügeln zu müssen, ist wahrlich ein Zeichen großer Freiheit.

Dass Mädchen und Frauen heute durch die „Pille danach“ eine weitere Möglichkeit haben dieses unverantwortliche und leichtfertige Verhalten des männlichen Geschlechts im Hinblick auf eine mögliche Schwangerschaft nicht ausbügeln zu müssen, ist wahrlich ein Zeichen großer Freiheit.

Ein weiteres Zitat zeigt besonders gut, wie sehr der Autor auch um die selbstbestimmte Sexualität der Frauen bemüht ist: „Frauen haben immer bereit zu sein, sie müssen sich hingeben.“ Danke, endlich sagt es jemand öffentlich und erkennt unser Leid. Wir wollen nicht mehr länger Sexobjekte und notgeile Schlampen sein, die sich von jedem Dahergelaufenen zur Steigerung des Selbstwertgefühls bumsen lassen müssen. Wir wollen endlich wieder nur mit einem einzigen Partner ein Leben lang Sex haben, um ihm viele Kinder schenken zu können, weil das ist ja anscheinend der einzige Inhalt unserer Sexualität. Auch wie verständnisvoll und tiefgründig sich der Chefredakteur der Tageszeitung mit den Themen Abtreibung und sexueller Aufklärung auseinandersetzt, ist beeindruckend. “Es ist ein Skandal, dass in unserer überaufgeklärten Gesellschaft Abtreibungen überhaupt noch notwendig sind.” Ungewollte Schwangerschaften passieren in jeder Gesellschaft, in jeder Schicht, in jeder Altersklasse. Aber um das zu wissen müsste „Mann“ sich halt genauer mit dem Thema Sexualität und Verhütung auseinandersetzen.

Erstens: Nur weil an jeder Ecke Bilder von halbnackten Körpern hängen und man permanent mit Pornos zugemüllt wird, ist das kein Indiz für eine sexuell aufgeklärte Gesellschaft. Wichtig ist, dass man früh, offen und ehrlich mit Kindern und Jugendlichen über das Thema Sexualität und Verhütung spricht. Viele Organisationen tun dies schon tagtäglich und machen wichtige Aufklärungsarbeit, damit eben nicht durch so Beiträge wie von Herrn Tribus der Eindruck erweckt wird, dass sich die Jugend von heute nur mehr verantwortungslos durch die Gegend vögelt“. Laut einer deutschen Studie aus dem Jahr 2015 ist Verhütungsbewusstsein unter Jugendlichen sehr wohl vorhanden (immer noch stärker bei Mädchen, aber die Jungs bessern sich) und nimmt weiter eine positive Entwicklung. In Südtirol gibt es die AIED, als Anlaufstelle für Jugendliche, zwei- bis dreimal die Woche wird hier zum Beispiel die „Pille danach“ verschrieben. Zweitens: Abtreibungen sind nur dann ein Skandal, wenn sie illegal stattfinden und Frauen dabei sterben. Eigentlich sind ungewollte Schwangerschaften ein Zeichen von Ignoranz, mangelnder Bildung und fehlender Aufklärung” Ja es sollte auch in Südtirol dringend etwas gegen dieses Problem getan werden. 517 freiwillige Schwangerschaftsabbrüche laut ASTAT im Jahr 2013, die meisten davon mit 54, 2 Prozent Maturantinnen und Absolventinnen der Oberschule. Also, irgendwas stimmt hier wohl nicht mit dem Schulsystem. Und im internationalen Vergleich haben Länder wie Schweden oder Dänemark noch mehr jährliche Abtreibungen. Schließlich ist auch bekannt, dass diese Länder als besonders ignorant und unaufgeklärt gelten und eine der weltweit schlechtesten Bildungssysteme haben. „Es fällt auf, dass besonders viele eingewanderte Frauen auf eine Abtreibung zurückgreifen“ Zeigt, dass diese Frauen auch immer öfter Gebrauch vom Recht auf Selbstbestimmtheit über ihren Körper nehmen, was ist daran auffällig?

Also lieber Herr Tribus, wenn Sie das nächste Mal so um die Situation der Frauen bemüht sind, dann informieren Sie sich vorher bitte besser. Menschen haben Sex, auch junge Frauen. Sie haben ihn freiwillig und Spaß daran. Die schönste Nebensache der Welt sollte für alle auch genau das sein. Durch die rezeptfreie „Pille danach“ und legale Abtreibungen haben Frauen endlich mehr Freiheit ihre Sexualität auszuleben und selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden. Ja, das ist die neue sexuelle Revolution, die schon längst im Gange ist und hoffentlich auch bald bei Ihnen ankommt.

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Mensch Ärgerdi… So., 16.04.2017 - 10:00

"Über SIE wird geredet, in der Schule, der Dorfgemeinschaft. ER ist fein raus! Natürlich, er kennt diese Ängste nicht, für ihn sind sie weit weg. Das ist ein Privileg männlicher Sexualität."
Vielleicht ist das ja ironisch gemeint, auf jeden Fall entspricht das nicht im geringsten der Wahrheit. Über einen jungen oder gar minderjährigen Vater wird genau so gelästert und fein raus ist er nur in den Phantasien realitätsfremder Menschen, die ohne ihrer ideologischen Brille nicht aus dem Haus gehen.

So., 16.04.2017 - 10:00 Permalink
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gorgias So., 16.04.2017 - 10:35

>Die „Pille danach“ trägt erheblich dazu bei, dass Frauen ihre Sexualität frei ausleben können, ohne dabei ständig mit diesen Ängsten leben zu müssen.<

Die Pille danach ist keine Verhütungsmethode, sondern eine Abtreibungsform. Wenn eine Frau ihre Sexualität frei ausleben möchte, sollte Sie sich verantwortlich benehmen und mit Verhütung vorsorgen. Davon gibt es doch genug Wege. Wer sich volllaufen lässt und Schwanger wird, war unverantwortlich, vieleicht wäre hier mehr Vorsicht geboten. Die "Pille danach" ist nicht da damit man sich fast planmäßig in Situationen begiebt in denen man ohne Verhütung Sex hat, und sich danach absichern will, sondern soll eine Ausnahmesituation darstellen.
Wer richtig und verantwortungsbewußt verhütet kann schon jetzt seine Sexualität frei ausleben.

>Das Mädchen handelt, zumindest im Nachhinein, verantwortungsbewusst. Sie ist über die negativen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen der regelmäßigen Einnahme der Pille über längeren Zeitraum aufgeklärt. Sie übernimmt Verantwortung, nicht nur für ihre eigene Gesundheit und ihr sexuelles Verhalten, sondern sogar für die Umwelt. Was man ja von ihren leichtfertigen männlichen Sexpartnern nicht behaupten kann.<

Ich frage mich wo dieses pauschalisierende Menschenbild herkommt? Ich kenne auch Männer/Jungen die das Mädchen bei dieser Entscheidung begleitet haben. Es gibt auch jene die als Paar eine Entscheidung treffen, weil das Mädchen/Frau den Mann einbezieht. Vieleicht nicht bei der Pille danach, weil es dort sehr zeitkritisch ist, aber es den Männer/Jungen vorwerfen nicht dabei zu sein, weil man überhaupt nicht einbezogen wurde ist sehr einseitig.

Durch die rezeptfreie „Pille danach“ und legale Abtreibungen haben Frauen endlich mehr Freiheit ihre Sexualität auszuleben und selbstbestimmt über ihren Körper zu entscheiden.

Hier werden doch fast Verhütung mit Abtreibung auf die gleiche Ebene gestellt. Auch zahlen einige Frauen diese Form von Freiheit mit lebenslangen Schuldkomplexen. Einige Frauen spühren in Ihrem Körper dass etwas falsch gelaufen ist. Die Entscheidung abtreiben zu können, ist eine Freiheit die Schwer zu tragen ist.
Diese können Männer am Ende den Frauen nicht abnehmen, doch hier vorhergehende Unverantwortlichkeit mit Freiheit gleich setzten zu wollen ist unverantwortlich.

So., 16.04.2017 - 10:35 Permalink