Gesellschaft | Aus dem Blog von Frank Blumtritt

Homöopathie - Heilung oder Humbug?

Die Sendung "Homöopathie – Heilung oder Humbug" ist angenehm neutral und gut recherchiert, alles drin und dran, auch vieles was in meinem Salto-Artikel und den 147 Kommentare angesprochen wurde. Einige Fragen sind damals im Eifer des Gefechts offen geblieben. Vielleicht hilft die Community bei der Suche nach Antworten...
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die Sendung "Homöopathie – Heilung oder Humbug" ist angenehm neutral und gut recherchiert, alles drin und dran, auch vieles was in meinem Salto-Artikel und den 147 Kommentaren letztes Jahr angesprochen wurde. Einige Fragen sind damals im Eifer des Gefechts offen geblieben und drängen sich mir nach dem Ansehen des Films wieder auf. Vielleicht hilft die Community bei der Suche nach Antworten...

Was die Sendung zeigt: 

1.     Dass jeder zweite Deutsche Homöopathie benutzt hat und jeder vierte Deutsche von ihrer Wirkung überzeugt ist;

2.     Dass auch Komplementärmedizin ein gutes Geschäft für Kassen und Industrie ist;

3.     Wie ernsthaft die Globuli produziert werden;

4.     Wie ernsthaft man sie wissenschaftlich analysieren kann (und ab einer gewissen Verdünnung nichts mehr von der Grundsubstanz nachweisen kann);

5.     Wie erfrischend neutral die höchsten Prüfstellen das Thema behandeln (incl. Cochrane Collaboration!);

6.     Dass die Wirkung von H. jener eines Placebo gleichzusetzen ist;

7.     Dass der Placebo-Effekt auf dem Glauben basiert, dass etwas wirkt;

8.     Dass der Placebo-Effekt bei jeder Art von Therapie eine gewisse Rolle bei der Wirkung spielt;

9.     Wie aufgeschlossen die Gesundheitsministerin von Nordrhein Westfalen dem Thema gegenüber ist;

10.   Wie eine Homöopathin keine Probleme hat, dort ein normales Medikament einzusetzen, wo Homöopathie zuerst nicht hilft;

11.   Wie Prof. Ernst es genießt, vom tollsten aller Homöopathen zum tollsten aller Homöopathie-Gegner geworden zu sein.

Auswahl offener Fragen:

1.     Warum spielt in einer von der Wissenschaft dominierten Welt das "Glauben" an eine Therapie eine anscheinend so große Rolle?

2.     Warum wird dieses irrationale Glauben so stark kritisiert?

3.     Ist unser Verhältnis zu Maschinen (Autos, Flugzeuge, Smartphones, usw...) eher wissenschaftlich-rational oder eher emotional geprägt?

4.     Warum soll die Verabreichung eines Placebos Betrug sein, wenn der gewünschte Effekt erreicht wird?

5.     Warum ist die Verabreichung eines normalen Medikaments kein Betrug wenn der gewünschte Effekt nicht erreicht wird?

6.     Ist die empathische Aufmerksamkeit gegenüber einem Patient ein Placebo?

7.  Existieren "Selbstheilungskräfte" und wenn ja, können sie aktiviert werden?

Zur Vermeidung mühsamer Grundsatzdiskussionen sollte eine eventuelle Diskussion an die Inhalte der Sendung anknüpfen.

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gorgias So., 23.02.2014 - 21:35

Zur Frage 3 mögchte ich mit dem dritten Clarkeschen Gesetz Antworten:
„Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“
Zu Frage 2 und 4 hier ein Auszug von Trick or Treat von Edzhard Ernst:
1 Doctors would have to establish a conspiracy of silence and agree not to reveal the bogus nature of homeopathy. None of them would be allowed to point out the truth about the Emperor's New Clothes, as this would undermine homeopathy's placebo effect.

2 Medical researchers would not sign up to this pact, as their mission is to understand disease, its causes and its cures. In the name of progress, they would be honour bound to point out that existing research fails to support homeopathy. This would lead to scientists and doctors giving conflicting messages.

3 Homeopathic prescriptions would act as a gateway drug, encouraging patients to experiment with other irrational treatments. Professor David Colquhoun has neatly summarized the insidious dangers of homeopathic remedies: 'Their sugar pills contain nothing and they won't poison your body. The greater danger is that they poison your mind.'

4 Parents might ignore scientists who promote life-saving interventions such as vaccination, and instead they might listen to homeopaths promoting alternative (and ineffective) ways to protect children. After two centuries of progress since the beginnings of the Age of Enlightenment, a decision to move away from evidence-based medicine could usher in a New Age of Endarkenment.

5 Pharmaceutical companies would be in a strong position to argue that they too could promote placebo remedies. Why should they bother with the expensive process of proper drug development when they could make bigger profits by marketing a placebo sugar pill and pretending that it was a panacea?

So., 23.02.2014 - 21:35 Permalink
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Frank Blumtritt So., 23.02.2014 - 22:16

Antwort auf von gorgias

Punkt 3 (Prof. Colquhoun) finde ich interessant: "die Zuckerpillen enthalten nichts und vergiften somit auch den Körper nicht. Die Gefahr besteht aber, dass sie den Verstand vergiften"...
Nun, das ist reine Rhetorik und sehr unwissenschaftlich. Eines Professors eigentlich unwürdig, finde ich. Diese Behauptung müsste man nämlich erst mal beweisen, denn keine der vielen Personen, die ich kenne und die Homöopatika nehmen, haben weniger Verstand als die anderen. Ganz im Gegenteil: es sind allesamt sehr kritische, aufgeschlossene und intelligente Menschen. Umgekehrt wird wohl Niemand ernsthaft behaupten wollen, dass all jene, die keine Homöopatika nehmen, einen "reineren" Verstand aufweisen. Eine Studie wäre sehr aussagekräftig, bei den enormen Fallzahlen, denn wir haben ja gehört, dass jeder vierte Deutsche...

So., 23.02.2014 - 22:16 Permalink
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gorgias So., 23.02.2014 - 22:59

Antwort auf von gorgias

Diese Aussage alleine betrachtet ist auch keine wissenschaftliche Aussage, man sollte sein Gesamtwerk betrachten und auch sehen in welchen Zusammenhang er das gesagt hat. Hier wurde zumindest etwas auf dem Punkt gebracht: Es wird auf Gefahren hingewiesen, die durch die Annahme von Erklärungsmodellen für Homeopathie entstehen.
So glaube ich stärkt so was den Wiederstand sich mit wissenschaftlichen Denken ausseinander zu setzten oder auch noch schon eine vorhandene Abneigung.
Wer die Entstehungsgeschichte der Homeopathie kennt und sich mit der wissenschaftlichen Entwicklung der letzten 150 Jahre auseinader gesetzt hat, wird sich schwer tun Homeopathie als seriös zu empfinden. Es gibt werder ein aktuelles Erklärungsmodell für die Homeopathie, noch wurde eine Wirkung nachgewiesen. Wer sich jetzt wissenschaftliches Denken aneignen will, muss auch bereit sein Homeopahtie aufzugeben oder lernen seinen Verstand selektiv anzuwenden. Was man mit "Vergiften" meinen kann steht auch unter Punkt 4. Ich finde aber den Glauben an die Homeopathie eine Belastung für die eingene psychische Hygene
Dass jetzt nicht jeder der Homeopathie zu sich nimmt gleichzeitig irrationaler sein muss als der Durchschnitt ist genauso wahr wie dass nicht jeder der Raucht früher stirbt als der Durchschnitt. Das ändert aber nicht, dass durch die Bestätigung durch eine Autoritätsperson der man sich auch Anvertraut, jemand die Gefahr läuft ein irrationales Weltbild zu übernehmen oder auch weiter zu bestätigen. Ich glaube aber ein Arzt sollte im besten Fall aufklären, wenn nicht zumindest neutral sein, aber nicht auch noch so eine Pseudomethode bestätigen.
Ich glaube nicht dass Menschen die Homeopathie einnehmen automatisch weniger intelligent sind, genauso wie es auch oft Menschen mit bestimmten Fähigkeiten gibt, die dazu geneigen sind sich Sekten anzuschließen.

So., 23.02.2014 - 22:59 Permalink
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Profil für Benutzer Mensch Ärgerdichnicht
Mensch Ärgerdi… So., 23.02.2014 - 22:56

Als ich meinen Arzt (er ist mittlerweile in Pension gegangen) mal fragte ob ich meine Pollenallergie mit homöopathischen Mitteln behandeln könnte, sah er mir tief in die Augen und sagte:" wer richtig krank ist, sollte auch richtige Medikamente nehmen." Das werde ich nie vergessen!

So., 23.02.2014 - 22:56 Permalink
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Profil für Benutzer Sylvia Rier
Sylvia Rier Mo., 24.02.2014 - 16:01

zwischen Schulmedizin und Homöopathie ist m. E. ein Glaubenskrieg und kann also nicht gewonnen werden. Manche glauben, und andere glauben, dass sie nicht glauben, und glauben dann doch auch wieder, weil sie glauben, nicht zu glauben. Außerdem will mir scheinen, dass alle Wissenschaftler, die im Beitrag zu Wort kommen, sich auf den "derzeitigen" Stand der Wissenschaft/der Erkenntnisse berufen - sie räumen also gewissermaßen ein, dass morgen schon alles ganz anders sein kann und unsere derzeitigen Methoden und Möglichkeiten noch längst nicht das Ende der Fahnenstange sind. Vielleicht wissen wir also schon morgen ganz genau, wie diese Selbstheilungkräfte beschaffen sind, und können wahrnehmen, was wir heute noch nicht wahrnehmen können. Selbst Ernst formuliert vorsichtig und legt in meinen Augen keineswegs den Furor an den Tag, wie es hingegen so mancher nicht-wissenschaftlicher H.-Gegner tut. Ich habe mir auch überlegt, ob es nicht durchaus möglich wäre, dass Schulmediziner gewissermaßen um ihre "Pfründe" fürchten. Es geht ja in der Medizin um sehr viel Geld. von "Betrug" (Lüge, @gorgias) zu reden ist m. E. nicht angebracht, weil ja nichts vorgespiegelt wird - alle wissen, dass die Kügelchen aus Zucker bestehen und das "Heilmittel" im landläufigen Sinne nicht mehr wahrnehmbar ist. Etwas wirkt aber, dort zumal, wo es wirken soll und darf. Etwas anderes sagt ja auch m. W. niemand. „Mitunter gefährlich“ ist auch die Schulmedizin, und auch hinter der stehen wirtschaftliche Interessen. Das sind doch keine Argumente?! Kurpfuscher und Unfähigkeit gibt es auch unter Schulmedizinern - da heißt es dann halt "Kunstfehler" und es wird nicht so aufgebauscht. Dass es Homöopathie und andere alternative Heilmethoden überhaupt gibt und sie es in unserer "aufgeklärten" Welt so weit gebracht haben, zeigt ja m. E. wunderbar auf, dass die Schulmedizin keineswegs das leistet, was sie zu leisten versprach/verspricht, wobei es ja mit der "Wissenschaft", was wir darunter verstehen und auf die man sich so gern beruft, in Wahrheit ja auch noch nicht wirklich weit her ist. Ich denke, das sollte man einfach anerkennen. Der Placebo-Effekt ist ja übrigens auch in der Schulmedizin ein anerkannter, dem Heilungsprozess förderlicher Wert - warum darf er das in der Homöopathie nicht sein?! Nicht zuletzt @gorgias: Dass ausgerechnet sie sich im Titel vergreifen. Außer sie haben den richtigen Titel bewusst falsch gewählt weil sie H. in die Nähe von Halloween rücken wollen, was mir dann doch ein wenig sehr bei den Haaren herbeigezogen scheint.

Mo., 24.02.2014 - 16:01 Permalink
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Profil für Benutzer gorgias
gorgias Mo., 24.02.2014 - 17:00

Antwort auf von Sylvia Rier

>zwischen Schulmedizin und Homöopathie ist m. E. ein Glaubenskrieg und kann also nicht gewonnen werden. <
Hier gibt es keinen Glaubenskrieg. Sowohl Schulmedizin als auch Homöopathie können wissenschaftlich überprüft werden. Was herauskommt ist kurz gefasst: Die Schulmedizin zeigt eine andere Wirkung gegenüber Scheinmedikamenten. Bei der Homöopathie wirken die Zuckerpillen mit oder ohne "Schütteln" gleich gut.
>die im Beitrag zu Wort kommen, sich auf den "derzeitigen" Stand der Wissenschaft/der Erkenntnisse berufen - sie räumen also gewissermaßen ein, dass morgen schon alles ganz anders sein kann und unsere derzeitigen Methoden und Möglichkeiten noch längst nicht das Ende der Fahnenstange sind.<
Aus einer intellektuellen Redlichkeit spricht man nicht von endgültigen Wahrheiten. Eine Hypothese kann sich aber konsolidieren und man kann davon ausgehen dass sie kaum mehr widerlegt werden wird. Betrachtet man die große Anzahl von Studien und Metastudien die man im Bereich der Homöopathie gemacht wurden, kann man davon ausgehen dass Homöopathie nicht mehr als Placebo ist. Und das bedeutet, dass man sich das Schütteln und Verdünnen sparen kann.

>Vielleicht wissen wir also schon morgen ganz genau, wie diese Selbstheilungkräfte beschaffen sind und können wahrnehmen, was wir heute noch nicht wahrnehmen können.<
1. Jeder Organismus besitzt Selbstheilungskräfte sonst wird er nicht mehr lange leben.
2. Diese Selbstheilungskräfte können durch psychologische Einwirkung beeinflusst werden und zwar durch die Arzt-Patienten-Beziehung, durch den Preis von Medikamenten und deren Form und Farbe (Bunte Pillen wirken besser) und andere Faktoren
3. Bis zum letzten sind diese Kräfte noch lange nicht erfoscht. Was aber keine Wirkung hat auf diese Kräfte ist, ob man gewöhnliche Zuckerpillen verwendet oder homöopatische Zuckerkügelchen.

>Der Placebo-Effekt ist ja übrigens auch in der Schulmedizin ein anerkannter, dem Heilungsprozess förderlicher Wert - warum darf er das in der Homöopathie nicht sein?! <
Das darf er schon. Was aber unredlich ist, ist zu behaupten, dass es noch eine weitere Wirkung gibt die Unabhängig von dem Placebo-Effekt ist.

Mo., 24.02.2014 - 17:00 Permalink