Società | Bozen

Ein Ort, den es nicht brauchen dürfte

Die Bozner Zivilgesellschaft springt erneut ein: Hellmuth Frasnelli öffnet die Türen seines Zeilerhofs in Gries für Obdachsuchende. Doch die Wut auf die Politik wächst.
Zeilerhof
Foto: Salto.bz

So richtige Freude will bei niemandem aufkommen. Zwar sind sich alle einig: Es braucht Orte wie den Zeilerhof. Doch zugleich dürfte es sie auch wieder nicht brauchen, Gebäude, die von Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden, um Obdachlosen, Migranten und Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu bieten. “Das ist Aufgabe der Politik und der öffentlichen Verwaltung und nicht der Zivilgesellschaft.” So die mehr oder minder deutliche Botschaft, die am Dienstag Morgen durch das leer geräumte Atrium des Zeilerhofs im Bozner Stadtteil Gries hallt. Bis vor wenigen Monaten befand sich dort der Aufenthaltsraum für die geflüchteten Menschen, die zwischen Oktober 2016 und Juli 2019 in dem leer stehenden Gebäude im Besitz von Hellmuth Frasnelli Unterkunft fanden.

Nun hat der Bozner Energie- und Bauunternehmer die Schlüssel seines Hofes in neue Hände gelegt. “So lange es leer steht, wird es humanitären Zwecken zur Verfügung stehen”, sagt Frasnelli bestimmt. Dann überlässt er lieber seiner Tochter Manuela und den neuen vorübergehenden “Hausherren” das Wort. Karin Cirimbelli und Paul Tschigg werden sich ab sofort um den Zeilerhof und seine neuen Bewohner kümmern. 30 Personen werden dort auf drei Etagen Platz finden.

 

Mit ihrem Verein SOS Bozen betreut Cirimbelli das Wohnprojekt “Living in dignity” (zu deutsch: “Leben in Würde”) im zweiten und dritten Stock. Dort gibt es 20 Schlafplätze für Asylsuchende und Migranten, die zwar einen Arbeitsvertrag haben, aber keine Wohnung in Bozen finden oder sich leisten können. Momentan gebe es bereits eine Liste mit 30 Bewerbern, erklärt Cirimbelli. Wer einziehen darf, wird nach einem Bewerbungsgespräch entschieden, wie es auf dem privaten Wohnungsmarkt auch üblich ist. “Es braucht ein Auswahlkriterium, denn der Bedarf ist sehr groß. Aber wir werden kohärent und korrekt vorgehen”, erklärt Cirimbelli. Wer einen Platz erhält, muss an verpflichtenden Kursen teilnehmen, etwa, wie man in Südtirol wohnt. “Wir haben uns an einem Beispiel aus Deutschland orientiert”, so Cirimbelli. Zugleich erhalten die Bewohner Unterstützung bei der Wohnungssuche, etwa beim Gang zur Immobilienagentur. Miete im eigentlichen Sinne bezahlen sie für die Aufenthaltsdauer keine, sondern einen geringfügigen Beitrag und die Spesen.

Im ersten Stock des Zeilerhofs übernimmt Paul Tschigg von der Vinzenzgemeinschaft – allerdings als Privatperson und nicht im Auftrag der Vinzis – das Winterhaus II. Nach dem Vorbild des Gebäudes in der Bozner Carduccistraße, das dem Bozner Geschäftsmann Heiner Oberrauch gehört und seit 10. November als Winterhaus I knapp 50 Personen Obdach für die Nacht bietet, werden im Winterhaus II Familien und Frauen – insgesamt 10 bis 12 Personen – auch tagsüber einen Aufenthaltsort haben.

 

Heiner Oberrauch ist am Dienstag auch in den Zeilerhof gekommen – und berichtet von seinen Erfahrungen in der Carduccistraße, wo er als einer von inzwischen fast 70 Freiwilligen schon den ein oder anderen Nachtdienst versehen hat. “Die Menschen halten Ordnung, sind sehr dankbar und es hat bisher keinerlei Zwischenfälle gegeben. Ich habe dort viele liebevolle Menschen und ein neues Stück Bozen kennengelernt.” Nicht nur ausländische Obdachlose, auch Südtiroler, die morgens zur Arbeit gehen, klopfen an die Tür des Winterhaus I, sagt Oberrauch.

 

Nicht nur das sollte Politik und Verwaltung zu denken geben, ist man sich im Zeilerhof einig. “Wie kann es sein, dass in einer Stadt wie Bozen Menschen, die arbeiten unter einer Brücke schlafen müssen, und das Recht auf Wohnung, Nahrung und Kleidung und ärztliche Versorgung vielfach mit Füßen getreten wird?”, fragt sich Caroline von Hohenbühel, die sich seit Jahren für obdachlose und geflüchtete Menschen einsetzt. Mit Initiativen wie dem Winterhaus und dem Zeilerhof will die Zivilgesellschaft die verantwortlichen Entscheidungsträger aufrütteln. “Wenn Privatpersonen in zehn Tagen imstande waren, etwas auf die Beine zu stellen, wird die Politik wohl in vier Monaten imstande sein, Unterkunftsmöglichkeiten zu schaffen”, meint Paul Tschigg.

Vier Monate, so lange wird das Winterhaus in der Carduccistraße geöffnet sein. Am 10. März sperrt es zu, wie auch das Winterhaus II im Zeilerhof. Das Projekt “Living in dignity” ist bis März 2021 angelegt. So lange wird das Gebäude in Gries dem Verein SOS Bozen zur Verfügung stehen. Kostenlos, betont Manuela Frasnelli.

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Sepp.Bacher Mer, 01/22/2020 - 16:25

" Doch zugleich dürfte es sie auch wieder nicht brauchen, Gebäude, die von Privatpersonen zur Verfügung gestellt werden, um Obdachlosen, Migranten und Geflüchteten ein Dach über dem Kopf zu bieten. “Das ist Aufgabe der Politik und der öffentlichen Verwaltung und nicht der Zivilgesellschaft.” Einerseits stimmt das schon; es ist aber keine Südtiroler Besonderheit!
Andererseits funktionieren die von der aggressiven freien Marktwirtschaft dominierten Demokratien so. In den USA liegt die soziale Hilfe ausschließlich bei den konfessionellen und privaten Organisationen. In Deutschland z. B. betreiben die Kirchen und deren Organisationen - trotz Sozialstaat - viele Krankenhäuser, Hospize, und andere Strukturen für Bedürftige. Man nennt das Subsidiarität, denn der Staat stützt dies Organisationen finanziell oder übergibt ihnen Aufträge. In Südtirol ist das ähnlich. In diesem Falle haben die kirchlichen und sozialen Organisationen eben "Stich ausgelassen". Genannte Organisationen finanzieren sich außerdem mit Spenden. Reiche und prominente Personen haben oft auch ihre Stiftungen für diese Zwecke - und organisieren karitative Veranstaltungen, wobei Sie sich dann beweihräuchern lassen. Es liegt aber auch in der Tradition der christlichen, aber auch muslimischen, Gesellschaften, dass die Reichen auch einen Teil den Armen geben, was einige auch regelmäßig tun, wenn es in ihrer Familientradition steht. Auch in Südtirol und auch in diesem Falle. Bei den vielen Emporkömmlingen und Neu-Reichen ist das noch nicht angekommen!
Politiker treffen nicht gerne unpopuläre Entscheidungen. Dabei hat die Gemeinde Bozen und das Land Angst, bei zu guter Betreuung von Immigranten und osteuropäischen Land- und Stadtstreichern noch weitere an zu locken. Ihre Taktik bisher war eher das Vergraulen - wie die Räumungen von Schlafplätzen unter den Autobahn-Viadukten und Brücken, wie letzthin, die verächtlichen Ausmaße angenommen haben. Man hatte ja vor Jahren schon einmal die ungebetenen Bären erfolgreich vergrault:

Mer, 01/22/2020 - 16:25 Collegamento permanente